29. November 2015 | Friedrichstadt

Es braucht Vielfalt auf Feld und Tellern

29. November 2015 von Gothart Magaard

1. Advent, Predigt zur Eröffnung der Aktion „Brot für die Welt“

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! 
Amen.


Liebe Gemeinde,

„Christine Mukakamali ist stolz auf ihren üppigen Gemüsegarten.

Bohnen und Paprika ranken neben Süßkartoffeln, Spinat und Zwiebeln in den Himmel. An den Orangenbäumen leuchten reife Früchte, die Kräuterbeete sind dicht bepackt mit duftenden Büschen. Seitdem die 50-jährige Mitglied einer Selbsthilfegruppe für Kleinbauern am Rande der Distrikthauptstadt Muhanga in Ruanda ist, weiß sie, dass ihre sieben Kinder gesund essen müssen, wenn sie etwas aus ihrem Leben machen sollen.“[1]

So beginnt ein Bericht von Brot für die Welt zur aktuellen Aktion „Satt ist nicht genug!“. Auch Bilder sind abgedruckt: Auf einem sieht man Christine Mukakamali bei der Arbeit in ihrem Küchengarten. Ein anderes zeigt zwei ihrer Söhne, die einen Eimer voller rot leuchtender Paprika halten, die sie auf dem Markt verkaufen wollen.

Das klingt und sieht aus wie eine moderne Schilderung des Gelobten Landes: fröhliche Menschen, fruchtbare Böden und eine gute Ernte.

Vorhin haben wir aus der Lesung aus dem 5. Buch Mose gehört, was dem Volk Israel verheißen wurde: „So halte nun die Gebote des Herrn, deines Gottes, dass du in seinen Wegen wandelst und ihn fürchtest. Denn der Herr, dein Gott führt dich in ein gutes Land,ein Land, darin Bäche und Brunnen und Seen sind … ein Land darin Weizen, Gerste, Weinstöcke, Feigenbäume und Granatäpfel wachsen, ein Land, darin es Olivenbäume und Honig gibt, ein Land, wo du Brot genug zu essen hast, wo dir nichts mangelt, wo du Kupfererz aus den Bergen hast.“

Was für eine Verheißung und Perspektive für Menschen, die aus der Knechtschaft in Ägypten endlich fliehen konnten, nun aber in der Wüste unterwegs sind und unter schrecklichem Mangel leiden: Für Menschen, die sich nach frischem Wasser und nach Brot sehnen; nach einem gesicherten Leben in einem guten Land. Sie hören diese Verheißung von Wasser, Getreide, Olivenbäumen – wo Brot genug zu essen ist für alle!

Heute, am 1. Advent, erinnern wir uns an die großen Verheißungen Gottes.

Die erste Kerze am Adventskranz brennt. Nach den dunklen Novembertagen freue ich mich auf die Adventszeit. Dazu gehören die Kerzen und auch die Lieder, die ich gerne singe, wie „Macht hoch die Tür“. Ein Lied voller Hoffnung auf einen König, der kommen und alles zum Guten verändern wird: „Gelobet sei mein Gott, mein Schöpfer reich von Rat… mein Heiland groß von Tat… mein Tröster früh und spat.“

Im Advent bereiten wir uns darauf vor, diesen König mit offenen Armen und offenem Herzen zu empfangen. Aus der Dunkelheit singen wir diesen König herbei, der durch seine Liebe unsere Herzen und Hände öffnen kann. Und wir erinnern uns daran, wie Jesus Menschen, sehr viele Menschen gesättigt hat durch Brot und Fisch, durch Brot und Wein und durch sein Wort. Und wir erinnern uns an das Gebet, das er uns gelehrt hat, in dem es heißt: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ Unser – nicht nur meins.

Wie sehr brauchen wir diesen König in diesen Wochen, in denen wir  Bilder der Not, des Krieges und des Terrors vor Augen haben. Wie sehr brauchen wir starke und leuchtende Lieder und Bilder der Hoffnung. Wir brauchen sie, um nicht zu verzagen.

In einer Welt, die aus den Fugen geraten scheint, brauchen wir auch diese Bilder mit den beiden Söhnen von Christine Mukakamali aus Ruanda, die sich freuen über ihre leuchtend roten Paprika.

Sie zeigen, dass es kein Naturgesetz ist, dass Menschen durch Mangelernährung erkranken oder im schlimmsten Falle sogar sterben müssen. Es ist kein Naturgesetz, dass mehr als 2 Millionen Kinder jedes Jahr in folge von Mangelernährung sterben. Die ersten 1.000 Tage entscheiden über die Lebenschancen eines Menschen. Erhält ein Kind ab Eintritt der Schwangerschaft bis zum zweiten Geburtstag nicht ausreichend Kalorien und Nährstoffe, kann seine körperliche und geistliche Entwicklung unwiederbringlich beeinträchtigt werden. Langfristige Schäden wie Blindheit, Lernbehinderungen oder Blutarmut sowie chronische Krankheiten wie Diabetes können die Folgen sein.“[2]

Brot für die Welt beweist mit seiner Arbeit in Ländern wie Ruanda, dass Veränderung hin zu einem besseren, guten Leben möglich ist.Christine Mukakamali hat gelernt, worauf sie in der Ernährung ihrer Familie achten muss. Sie wurde durch Fachkräfte von CSC (Centre des Services aux Cooperatives), der Partnerorganisation von Brot für die Welt in Ruanda, in Ernährungsfragen, Anbau von Gemüse, Hygiene und Gesundheit geschult.

Nur satt zu sein, reicht nicht. Es braucht Vielfalt auf Feldern und Tellern. Es reicht nicht, dass mehr Menschen als noch vor Jahren irgendwie satt werden. Fehlen Vitamine, Eiweiß, Eisen, Zink, Jod und andere Nährstoffe, bleiben Babys klein und Jugendlichen wird die Zukunft verbaut.

Aufklärung über eine ausgewogene Ernährung, ein Zugang zu gesunden Lebensmitteln durch den eigenen Anbau von Obst und Gemüse, die Gründung von Kooperativen, ein kleines zusätzliches Einkommen durch den Verkauf von Überschüssen auf dem Markt, um das damit verdiente Geld dann wieder in Gesundheit, Bildung, Vieh, ein Haus oder Saatgut investieren zu können – dies sind die Schritte und Ziele, die die Partnerorganisation von Brot für die Welt in Ruanda verfolgt, damit die Menschen dort nicht nur irgendwie satt werden, denn: „Satt ist nicht genug!“

Liebe Gemeinde,

vorhin haben wir beeindruckende Geschichten von Flucht, Vertreibung  und Migration gehört. Geschichten aus verschiedenen Jahrhunderten:

Von den Remonstranten, die 1621 nach Friedrichstadt kamen und hier diese wunderschöne Stadt mitgegründet haben;

Davon, dass sich in den Jahren nach 1945 die Einwohnerzahl in Schleswig-Holstein verdoppelte und auch hier in die Region Stapelholm viele Menschen aus Pommern und Ostpreußen kamen;

Und aus diesem Jahr, in dem zahlreiche Flüchtlinge auch hier nach Friedrichstadt gekommen sind wie Daniel Mulue aus Eritrea, der uns eben von seinem Schicksal erzählt hat. Ein Jahr, in dem sich die Einwohnerschaft von Seeth innerhalb weniger Tage durch die Einrichtung einer Erstaufnahmeeinrichtung verdoppelte. Alle sind gefordert und leisten großartiges Engagement, um diese Menschen willkommen zu heißen. Für viele ist das Ausdruck eines Mitgefühls und von Dankbarkeit für hiesige Lebensverhältnisse. Für andere ist dies eine Konsequenz aus den Geboten Gottes.

1621 – 1945 – 2015 Immer wieder haben sich Menschen in großer Zahl auf lange Wege begeben. So hat sich die  Einwohnerschaft von Friedrichstadt immer wieder verändert. Sie gehört zu den wenigen Toleranzstädten in Schleswig-Holstein und zeigt in Geschichte und Gegenwart, dass Toleranz nicht selbstverständlich ist, sondern durch Menschen gelebt und verteidigt werden muss.

Wir wissen, dass sich die Remonstranten, die Pommern und Ostpreußen und die Menschen aus Eritrea, aus Syrien und Palästina nicht freiwillig auf den Weg gemacht haben. Sie sind geflohen, weil sie verfolgt, vertrieben und bedroht wurden: teils aus religiösen Gründen, teils auf Grund von Krieg und Terror.

Sie sind zu uns geflohen, weil sie sich nach Sicherheit sehnten, nach Freiheit und einem besseren Leben für sich und ihre Familien. Ein Land, in dem man sicher und frei leben kann – das war die Hoffnung, die sie aufbrechen ließ.

Heute gibt es neben Krieg und Terror Fluchtursachen, die auch mit uns und unserem Lebensstil zu tun haben und die eine Brücke schlagen zur Arbeit von Brot für die Welt.

Die vorherrschende Form des weltweiten Wirtschaftens ist vom Prinzip der Nachhaltigkeit weit entfernt. Am ökologischen Raubbau und der Umweltzerstörung im Rahmen der Globalisierung tragen die  großen Industrienationen und unser Lebensstil eine erhebliche Mitschuld. Geflügelexporte aus der EU zerstören z.B. die einheimischen Märkte Afrikas. Fabrikschiffe plündern die Fischgründe vor Afrikas Küsten und damit die Nahrungsgrundlage der Küstenbewohner.[3] Und angesichts der beginnenden Klimakonferenz in Paris wird erneut deutlich, dass der Klimawandel, der wesentlich durch die großen Industrienationen verursacht wird, sich heute schon lebensbedrohlich für viele Menschen in den südlichen Ländern auswirkt, z.B. im östlichen Afrika.

Unser Wohlstand ist auf fatale Weise verknüpft mit der Armut und dem Mangel in anderen Ländern. Wenn Menschen dort keinerlei Lebensperspektiven für sich und ihre Kinder sehen, machen sie sich auf den Weg dorthin, wo sie sich ein besseres Leben erhoffen. Stünden wir an ihrer Stelle mit unseren Familien, wir würden es genauso machen.

Brot für die Welt unterstützt seine Partnerorganisationen dabei, sich gegenüber ihren Regierungen dafür einzusetzen, dass diese das „Recht auf Nahrung“ anerkennen. Über 160 Staaten haben dieses Recht als verbindliches Menschenrecht anerkannt und sich verpflichtet, es auch umzusetzen. Dieses Recht auf Nahrung beschränkt sich nicht auf eine gewisse Anzahl von Kalorien. Es geht vielmehr um eine ausgewogene und qualitativ gute und gesunde Ernährung.[4]

Jedes Jahr im Advent besinnen wir uns auf das Kommen Gottes in unsere Welt. Wir sehnen uns nach dem Licht, das unser Leben hell macht und uns Lebensmut und Zuversicht schenkt. In dieser Zeit werde ich aufmerksamer, offener für die Nöte anderer Menschen als in anderen Zeiten des Jahres. Aufmerksam für die Menschen, die im Schatten, im Dunklen leben.

Projekte wie die von Brot für die Welt in Ruanda machen mich sensibel für die Folgen unseres Lebensstils in anderen Teilen unserer einen Welt. „Unser tägliches Brot gib uns heute.“

Setzen wir uns gemeinsam dafür ein, dass die Verheißungen Gottes  Menschen auf allen Kontinenten und in allen Ländern ermutigen und für sie spürbar werden.

Aber ist das nicht alles nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, so höre ich manchen Einwand. Dazu fallen mir Sätze von Dietrich Bonhoeffer ein, der 1943 im Gefängnis folgendes geschrieben hat:

„Es gibt Menschen, die es für unernst, Christen, die es für unfromm halten, auf eine bessere irdische Zukunft zu hoffen, und sich auf sie vorzubereiten. Sie glauben an das Chaos, die Unordnung, die Katastrophe als Sinn des gegenwärtigen Geschehens und entziehen sich in Resignation oder fromme Weltflucht. Mag sein, dass der Jüngste Tag morgen ausbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht!“ 
Amen.


[1] Vgl. Brot für die Welt, Satt ist nicht genug! Zukunft braucht gesunde Ernährung – eine Einführung in die 56. bis 58. Aktion, 2014, 17. Alle weiteren Bezüge auf Christine Mukakamali in der Predigt s. dort.

[2] AaO, 10.

[3] Vgl. aaO, 24, 31 und 33.

 

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