Es gibt nur ein "wir alle in der einen Welt"
30. Oktober 2015
Abschlusskonzert zum Themenjahr ‚Bild und Bibel’ der Reformationsdekade mit Ansprache
Ich freue mich sehr, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass Sie alle der Einladung heute gefolgt sind – aus Bundestag, Bürgerschaft und Senat, aus Konsularischem Korps und Kirchengemeinden, als Ehrenbürger der Stadt auch, lieber Uwe Seeler–
willkommen, liebe Brüder und Schwestern, am Vorabend des Reformationstages!
Morgen ist er, der Reformationstag. Ein Meinungsforschungsinstitut hat vor kurzem Menschen befragt, was es mit diesem Tag eigentlich auf sich habe. Die Umfrage gab mehrere Antworten vor, und ich fange mal von hinten mit den etwas skurrilen Antworten an. Demnach glauben etwa 5 Prozent, dass dies der Tag ist, an dem Gerhard Schröder die Reformvorschläge seiner Agenda 2010 veröffentlicht hat. 12 Prozent meinen, dass der Reformationstag der Tag ist, an dem man ganz allgemein über nötige Reformen in Politik und Gesellschaft nachdenkt. Und nun das wirklich überraschende: Zwei Drittel aller Befragten wussten, dass es der Tag ist, an dem Luther seine 95 Thesen zur Reform der Kirche veröffentlicht hat. In Ostdeutschland wussten das sogar 72 Prozent, im Westen nur 64 Prozent; da ist also deutlich Luft nach oben!
Ich finde das bemerkenswert. Denn es zeigt doch, dass dieser Tag und seine Bedeutung tiefer im kulturellen Gedächtnis unserer Gesellschaft verankert ist, als wir gemeinhin vermuten – trotz Säkularisierung, trotz Traditionsabbrüchen, trotz Halloween. Sicherlich wissen nur wenige Genaueres - doch vielleicht, das ist meine leise Hoffnung, vielleicht ist es doch nicht ganz umsonst, dass wir seit einigen Jahren in der Reformationsdekade immer wieder auf diesen Tag hinweisen? Mit Veranstaltungen wie diesen hier?
Ich bin der Stadt von Herzen dankbar, lieber Staatsrat Dr. Krupp und liebe Frau Hitpaß, dass sie sich mit so viel Tatkraft einbringt. Hochengagiert und ideenreich schlagen Sie Brücken zwischen Tradition und Moderne, wir haben es eben so eindrücklich gesehen. Danke, dass Sie uns diesen Abend schenken, einen Abend der Symphonie, an dem Politik, Kultur und Kirche zusammen klingen – nicht nur in einer rasant musikalisch-visuellen Reise, sondern auch mit einem wunderbar reformatorischen Konzert der Hamburger Symphoniker. Dieses Abschlusskonzert ist gedacht als ein gemeinsames Dankeschön an die vielen, die sich im zurückliegenden Jahr für das Themenjahr engagiert haben! Insbesondere danke ich an dieser Stelle den Mitgliedern des Sprengelbeirates Reformationsjubiläum!
Genau ein Jahr ist es her, dass wir in der Christianskirche in Ottensen und dann im Hamburger Rathaus das Themenjahr „Bild und Bibel“ eröffnet haben. Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz dankte damals ausdrücklich im Namen der Stadt dafür, dass Hamburg dafür ausgewählt worden war – ich zitiere: „Das passt zu einer Stadt, die sich als europäische Kunst- und Medienmetropole versteht.“ In der damaligen Eröffnung ging es vor allem um diese Rolle der Reformation für die Entwicklung der Medien: Vom Flugblatt über den Buchdruck bis hin zu den Medien unserer Tage – Luther hätte getwittert, so der Bürgermeister. Und der Senat ließ den Worten Taten folgen und schaltete eine Internetseite frei: Unter <link http: www.hamburger-reformation.de>www.hamburger-reformation.de waren und sind zahlreiche Termine zum Thema zu finden. Und zwar beileibe nicht nur eine Fülle kreativer Veranstaltungen in den Kirchengemeinden, sondern auch virtuelle Stadtrundgänge, Posting-Stationen, Konzerte und Theater, in denen man sehen kann, wer „mit dem Papst tanzt“ und Ausstellungen wie etwa die im Hamburg-Museum zur Geschichte der Hamburger Reformation.
Reformation scheint irgendwie ansteckend zu sein: Erleben Sie dies mit. Heute und gern auch - kleiner Werbeblock - bei den Martinstagen vom 10.-14. November. Gemeinsam mit Theaterleuten, Musikern und Medienmachern lesen und inszenieren wir Texte von Luther an den verschiedensten Orten und diskutieren darüber. Über die Rolle der Medien früher und heute, über Judenhass und über die Macht des Bösen. Über das gelungene Leben und das gute Sterben. Und natürlich immer über die Religion.
Ich finde es schön, dass mit dem heutigen Konzert auch ein Bogen geschlagen wird zu einer weiteren Seite der Reformation, die mir persönlich immer sehr am Herzen gelegen hat: der Musik. Jenseits aller Themenjahre ist sie für mich immer der vollendete Ausdruck christlicher Lebensfreude und evangelischer Frömmigkeit. Denn gerade uns Lutheranern ist es doch darum getan, dass Musik eben gerade nicht als schmückendes Beiwerk zum tönenden Wort verstanden wird. Nein, Musik vermag selbst eine Sprache des Glaubens zu sein. Eine Sprache, die die Seele erreicht. Die aufatmen lässt, weil sie etwas versteht von der Unruhe und dem Getriebensein durch die Zeiten. Der Komponist Martin Luther hat dies wunderschön beschrieben, ich zitiere:
„Musicam habe ich allzeit lieb gehabt. Wer diese Kunst kann, der ist guter Art, zu allem geschickt. Denn die Musik ist eine Gabe und ein Geschenk Gottes, nicht ein Menschengeschenk. So vertreibt sie auch den Teufel und macht die Leute fröhlich. Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Fröhlichen traurig, die Verzagten herzhaft zu machen, die Hoffärtigen zur Demut zu reizen, die hitzige und übermäßige Liebe zu stillen und zu dämpfen, den Neid und den Hass zu mindern.“
Diese Worte, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind heute eine Botschaft, die wichtiger ist denn je. Neid und Hass mindern, den Teufel vertreiben, die Leute fröhlich machen – das ist es, was unsere Zeit bitter nötig hat. Es braucht Sym-phonie gerade heute. Inmitten der Zerrissenheiten der Welt!
Ich kehre gerade zurück von einer Reise durch Jordanien. Ich war dort, um mir ein Bildzu machen. Etwa von der Herkunft der Flüchtlinge, die aktuell in unser Land und in unsere Stadt kommen. Dabei habe ich mit Familien gesprochen, die gerade dem Krieg in Syrien entkommen sind. Die armenische Christin etwa, ihre Tochter im Arm, erzählt, dass sie während der Flucht in die Gewalt des Islamischen Staates gerieten. Maskierte Männer, sagt sie nur, und schweigt in stummer Qual. Minutenlang. Den Menschen wird von ISIS letztlich die Stimme genommen. Und ihre Vitalität. Vielleicht wissen Sie, dass diese brutalen Terroristen, wenn sie ein Dorf erobert haben, als allererstes eines tun: alle Musikinstrumente zu zerstören. Sie bestrafen Menschen, wenn sie singen, wenn sie tanzen, wenn sie Musik hören. Gäbe es einen besseren Beweis für grundböse Absichten?
Ich könnte jetzt vieles berichten, möchte Ihnen aber nur das eine ans Herz legen, indem ich jetzt den Bogen zu dem kommenden Themenjahr „Reformation in der einen Welt“ schlage: Wir sind ja längst eine Welt geworden. Die Flüchtlinge führen uns das eindrücklich vor Augen: Was heute in Syrien geschieht oder in Afghanistan, hat morgen unmittelbare Auswirkungen auch auf uns. Es gibt nicht mehr das „wir hier in Hamburg“ und „die dort im Nahen Osten“. Es gibt nur ein „wir alle in der einen Welt“. Und das soll um Gottes Willen eine Welt mit lebendigen Bildern der Hoffnung sein! Wenn wir das nicht leben, wenn wir nicht für unseren – auch fernen - Nächsten sorgen, dann wird es keiner tun. Und deswegen ist es wichtig, dass wir hier und heute das Lied der Hoffnung singen, eben eine Kantate: Jauchzt Gott in allen Landen. Damit vielerorts geschehen kann, was ich in einer anderen Familie in Syrien erlebte. Sie ist das letzte Bild meiner Rede:
Die muslimische junge Frau lebt mit ihren sechs Kindern in einem Keller in Ost-Amman. Ein Kellerloch, absolut erschütternd. Sie könnten nicht überleben ohne die Unterstützung jordanischer Christen. „Meine Kinder sollen zur Schule gehen“, sagt sie. „Sie sollen keine Analphabeten bleiben wie ich.“ Spielzeug war in diesem engen Raum nicht zu sehen. Kein einziges Spielzeug. Als in Syrien die Bomben fielen, waren sie einfach nur gerannt, retteten gerade das, was sie am Leibe trugen. Da fiel mir etwas ein, und ich kramte aus meiner Tasche etwas, das ich eigentlich eher zufällig dabei hatte – Sie wissen: Reformationsjubiläum! - es war diese Playmobil-Figur, Martin Luther. Wohl selten ist Luther irgendwo so begeistert empfangen worden wie von jenen muslimischen Kindern in Amman. Ein Lichtblick von Leichtigkeit im dunklen Keller. Ein bisschen Seligkeit - und ein schöner Moment auch für uns.
Wir haben einander viel zu geben über Grenzen hinweg.
Deshalb, liebe Schwestern und Brüder, sollten wir niemals aufgeben, an eine Welt zu glauben, in der wir in Frieden beieinander wohnen können – nur so wird sie sich ändern, diese Welt. Oder anders gesagt:
Mundus reformandus est.
Das ist meine Hoffnung!
Ich danke Ihnen.