06. Oktober 2019, Erntedank | Insel Hiddensee, Kirche zu Kloster

Es ist an der Zeit, dass wir die Not unserer Erde unser Herz finden lassen

06. Oktober 2019 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigt zum Landeserntedankfest Mecklenburg-Vorpommern 2019 zu Jesaja 58, 7-12

Es gilt das gesprochene Wort!

I
Erntedank – ein Festtag nur zum Danke sagen! An anderen Festtagen stehen unsere Wünsche im Mittelpunkt – Geburtstagswünsche oder andere Wünsche, große und kleine. Das, was wir gern hätten, uns erhoffen oder ersehnen – das, was alles noch sein könnte.

An Erntedank aber steht der Dank im Mittelpunkt: Der Dank für das, was wir bereits bekommen haben: Gutes, Wichtiges, Schönes. Eine gute und vielfältige Ernte, die über das Jahr herangereift ist und bis in diese Tage hinein geerntet wird. Vielleicht die Geburt eines Kindes oder das Überstehen einer Erkrankung. Oder im nunmehr 30. Jahr der Friedlichen Revolution die Dankbarkeit für die überwundene Trennung, das Ende des DDR-Unrechtsstaates, die errungene Deutsche Einheit.

Diese so reich geschmückte Kirche stellt uns dabei heute besonders das vor Augen, was uns oft selbstverständlich scheint: Das, was wir täglich brauchen, wovon wir buchstäblich leben. Aber wir wissen auch, dass all das so selbstverständlich nicht ist. Frauen und Männer in unseren Familien können noch davon berichten, was es bedeutete, in Kriegs- und Nachkriegszeit Hunger zu leiden, mit wenig, sehr wenig auskommen zu müssen. Und beim Blick in Zeitungen und Fernsehnachrichten kann man schnell still werden angesichts unserer reich gedeckten Tische und dem so eklatanten und bedrückenden Mangel in anderen Teilen der Erde. Und die, die sich ehrenamtlich bei den Tafel-Initiativen in unserem Land engagieren, wissen und sehen, mit wie wenig manche Familien und alleinstehende ältere Menschen in unserer Nachbarschaft auskommen müssen. Wie sehr sie angewiesen sind auf Lebensmittel, die von anderen nicht mehr gekauft werden.

II
Ja, eine reiche Ernte, Nahrungsmittel in Hülle und Fülle, sind alles andere als selbstverständlich. Besonders die, die Tag für Tag dafür arbeiten, wissen das sehr genau. Für Landwirtinnen und Landwirte bedeutet auch die diesjährige Ernte jede Menge sorgfältiger Arbeit, jede Menge Anstrengung und Planung, auch Bangen und Sorgen. Denn in unserer globalisierten Welt kann selbst eine gute und reiche Ernte zum Preisrisiko für den Erzeuger werden. Welche Folgen andererseits eine geringe Ernte haben kann, haben wir im letzten Jahr erlebt: Äcker lagen trocken und dürr darnieder, viele Pflanzen wurden nicht richtig groß, an einigen Stellen ging sogar das Futter für die Tiere aus und musste teuer zugekauft werden. Nicht alle Landwirte und ihre Familien konnten das wirtschaftlich tragen. In anderen Regionen wiederum waren Regen und Unwetter so stark, dass auch das zu Ernteausfällen und großen wirtschaftlichen Verlusten für die betroffenen Betriebe führte.

Dabei wird von Landwirten erwartet, dass sie ihre Erzeugnisse zu günstigen Preisen, und zugleich in sehr hoher Qualität anbieten. Tierwohl und Umweltschutz müssen beachtet werden. Gemüse, Eier, Fleisch, Milch und Butter sollen aber auch möglichst preiswert sein. Wie schwer beides – sehr hohe Qualität und sehr niedriger Preis – gleichzeitig zu verwirklichen ist, und ob eine solche Kombination von Ansprüchen überhaupt erstrebenswert ist, interessiert nur die wenigsten Verbraucher. Leider gilt oft: Wir haben mehr als genug zu essen und geben so wenig Geld wie möglich dafür aus. Und wir denken zu selten darüber nach, welche Konsequenzen das für die Landwirte, für die Landwirtschaft hier bei uns hat. Viele Verbraucher wissen schon, dass da so manches nicht richtig zusammenpasst, aber am eigenen Verhalten als Verbraucher wird nur wenig geändert.

III
Dass wir das Landeserntedankfest in diesem Jahr hier auf Hiddensee feiern, bietet die Möglichkeit, mit dem nötigen Abstand, wie man ihn auf einer Insel finden kann, auf das Erntedankfest zu sehen. Und dabei auch weltweite Zusammenhänge nicht zu vergessen. Denn wie könnte es uns gerade auf der Insel Hiddensee unberührt lassen, dass anderswo bereits Inseln im Meer versinken? Gerade hier auf Hiddensee steht uns deutlich vor Augen, welche Folgen der menschengemachte Klimawandel, welche Folgen steigende Meeresspiegel haben werden. Wir spüren, dass sich so vieles verändert: Wetterextreme nehmen zu, Dürreperioden und sinkende Wasserpegel bringen auch für die Landwirte in Mecklenburg-Vorpommern immer größere Herausforderungen mit sich.

Auch deshalb sollten wir am heutigen Tag auf die Sorgen und Nöte der Landwirte und Landwirtinnen hören, sie ernst nehmen und mit ihnen gemeinsam nach Lösungen suchen – als Verbraucher ebenso wie als Verantwortungsträger in Politik, Gesellschaft und Kirche.

Die Dankbarkeit, die wir heute für eine gute Ernte empfinden mögen, diese Dankbarkeit lässt uns auch spüren, wie abhängig wir Menschen sind. Abhängig von guter Ernte, von gutem Wetter, vom weltweiten Klima. Abhängig von anderen Menschen, ihrem Wohlwollen und ihrer Güte, von einem guten und friedlichen Zusammenleben.

In der Bibel, beim Propheten Jesaja, heißt es dazu:

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! …

Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redet, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.

Wir sind in unserem Leben niemals so unabhängig, wie wir meinen. Im Gegenteil: Wir sind abhängig sind von der Güte, dem Wohlwollen, der Unterstützung und Liebe anderer Menschen. Weil das so ist, sind wir auch verantwortlich. Füreinander als Menschen. Diese Verantwortung füreinander kleidet die Bibel ein schönes Bild: Lass den Hungrigen dein Herz finden. Also: Öffne der Not eines anderen dein Herz. Verschließ dich nicht vor deiner Verantwortung. Wende deinen Blick nicht ab.

Möglichkeiten dafür gibt es genug: Mit denen teilen – ganz konkret oder über Geldspenden – die viel zu wenig zum Leben haben, in unserer Nachbarschaft, in anderen Regionen der Erde. Sich einsetzen für faire Preise und angemessene Arbeitsbedingungen – in allen Teilen der Erde. Mit Lebensmitteln so umgehen, dass sie nicht sinnlos verschwendet werden und in schier unvorstellbaren Mengen im Abfall landen. Die Ressourcen unserer Erde schonen, nachhaltig leben und wirtschaften. Wer nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere in Not, für das Leben auf dieser Erde Verantwortung wahrnimmt, dem verspricht Gott:

Dein Licht wird hervorbrechen wie der Morgen… dein Licht wird in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.

IV
Wenn Erntedank mehr sein soll als ein buntes Fest, dann ist es . Es ist an der Zeit, zu begreifen, dass wir abhängig und angewiesen sind. Wir sind abhängig von der Natur – nicht sie von uns. Wir sind angewiesen darauf, dass wir Gottes Schöpfung bewahren und behüten. Es ist an der Zeit, anzuerkennen, dass wir Menschen Geschöpfe sind – und nicht Schöpfer. Es ist deshalb an der Zeit, unseren allumfassenden menschlichen Machbarkeitswahn aufzugeben und diese Erde und alles Leben auf ihr beherrschen zu wollen.

Ja, es ist an der Zeit, unsere Beherrschung zu verlieren. Unsere menschliche Hybris aufzugeben, dass wir Gottes Schöpfung nach eigenem Belieben benutzen und ausbeuten können und dabei – ohne Rücksicht auf Verluste – unsere eigenen Interessen vor die aller Anderen stellen. Es ist an der Zeit, etwas wirklich Wichtiges zu tun: Verantwortung übernehmen. Für das Leben auf dieser Erde. Für alles, was uns mit dieser Erde anvertraut ist: Die Natur und unsere Mitgeschöpfe. Und damit auch für uns selbst, für unsere Kinder und Kindeskinder. Verantwortung, die ihre Wurzeln in dem hat, was das Landeserntedankfest im Namen trägt: im Dank.

V
Denn wir könnten den heutigen Tag feiern als ein buntes Fest. Als Erntefest mit Freude über all das,was eingebracht wurde. Aber es wäre dann eben ein Erntefest. Ein buntes, folkloristisches Fest. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Erst der Dank an Gott, wie wir ihn in diesem Gottesdienst feiern, macht diesen Tag zum Erntedankfest. Der Dank und die Dankbarkeit aber hätten ohne den Glauben an Gott gar keine Adresse. Sie liefen gewissermaßen ins Leere. Ohne Gott wäre da niemand. Denn wem, wenn nicht Gott, sollten wir denn danken dafür, dass Frost und Hitze, Sommer und Winter, Saat und Ernte nicht aufhören? Wem, wenn nicht Gott, sollten wir danken für all das, was unser Leben reich und kostbar macht?

Wir können einander bewundern für die beachtlichen Erfolge, die wir mit der eigenen Hände Arbeit erzielen. Und uns gegenseitig danken für unsere Arbeit. Aber wir wissen nur zu genau, dass all unsere Arbeit, dass all unser Können und Wissen, noch lange keine Garantie fürs Gelingen sind. Wie gut wir auch planen und vorbereiten – es steht eben nicht alles in unserer menschlichen Hand. Es liegt nicht alles an uns. Unser Leben ist nicht völlig planbar und machbar. Wer darum weiß, empfindet Dankbarkeit. Weiß, dass er abhängig und angewiesen ist. Auf die Liebe und das Wohlwollen anderer Menschen. Auf die Liebe und Güte Gottes.

Wir Menschen sind auf Voraussetzungen angewiesen, die wir selbst nicht schaffen können. Die Grundlage unseres Lebens, unser Leben selbst, haben wir selbst empfangen. Und wir sind verantwortlich dafür, das, was wir selbst empfangen haben, zu behüten. Damit auch andere es dankbar empfangen und daraus leben können. Die Bibel hat dafür eine Verheißung:

Dann wird dein Licht hervorbrechen wie der Morgen und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und Gott wird antworten; und du wirst um Hilfe rufen und er wird sagen: Hier bin ich.

Ohne Gottes Segen, ohne seine lebensspendende und lebenserhaltende Kraft, ist alles nichts. Deshalb lasse Gott, aus dessen Händen alles Leben kommt, und der alles Leben in seinen Händen hält, unser Herz weit werden: für die, die uns brauchen. Gott lasse uns einsichtig werden, dass wir das Leben auf dieser Erde bewahren und behüten.

Und wenn wir ihn rufen, wird Gott antworten, und wenn wir ihn um Hilfe rufen, wird er sagen: Hier bin ich.

Amen.

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