„Hoch steigen und tief fallen“

Festpredigt zu Philipper 3, 7 – 14 am 9. Sonntag nach Trinitatis (1. 8. 2010) anlässlich von „200 Jahre Putbus“ in der St. Maria Magdalena Kirche zu Vilmnitz von Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit (Greifswald)

01. August 2010 von Hans-Jürgen Abromeit

Liebe Gemeinde!

„200 Jahre Putbus“ – Ich bedanke mich bei Ihnen für die Einladung zu Ihrem Jubiläumstag und für die Möglichkeit, mit Ihnen gemeinsam in dieser Predigt zu überlegen, was wir feiern, wenn wir 200 Jahre Putbus feiern. Was ist passiert in den letzten 200 Jahren? Wie wird es weitergehen? Die Geschichte von Vilmnitz und Putbus zeigt uns, wie der Mensch hoch steigen und tief fallen kann. Deswegen ist die Frage dringend, was uns Maßstäbe für unser Leben gibt. Woher gewinnen wir Orientierung? Gibt es ein Ziel, dass unserem Leben gesetzt ist? 
Diese letzte Frage ist besonders wichtig, weil wir in diesem Gottesdienst auch ein Kind getauft haben. Gerade angesichts eines neuen, jungen Lebens ist die Frage brennend, ob es ein Ziel für unser Leben gibt oder nicht. Lassen wir uns leiten von dem Spaßgewinn in kleinen und größeren Angelegenheiten oder gibt es ein Lebensziel, das unverrückbar für alle gilt? 

Wir schöpfen unsere Weisheit nicht aus uns. Deswegen wird uns in unserer evangelischen Kirche jeden Sonntag ein anderer Bibeltext vorgelegt, der uns Orientierung gibt. Heute ist es ein Abschnitt aus dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Philippi. So gedenken wir in der Stunde, in der wir uns über 200 Jahre Putbus freuen, an eine andere Stadt und ihre Bewohner, an Philippi, diese Stadt im nordöstlichen Griechenland. Hier hatte der Apostel Paulus um das Jahr 50 unserer christlichen Zeitrechnung die erste christliche Gemeinde auf europäischen Boden gegründet. In Philippi machte das Christentum also den Schritt von einer orientalischen hin zu einer europäischen Religion. Paulus konnte diese Anfänge nur eine kleine Weile begleiten, dann kam es zu Turbulenzen und Widerständen und Paulus musste die Stadt verlassen. Mehrmals hat er später die Gemeinde noch besucht. Nun, einige Jahre später, sitzt er im Gefängnis, weil er unbeirrt für die Ausbreitung des christlichen Glaubens eingetreten ist. Aus dem Gefängnis heraus schreibt er den Christinnen und Christen in Philippi einen Brief, aus dem wir jetzt einen kurzen Abschnitt hören:

[Phil. 3, 7-14] 

Für Paulus ist es eine enorme Herausforderung. Er sitzt im Gefängnis und weiß nicht, wie der Ausgang seines Falles sein wird. Da erinnert er sich an die Maßstäbe, die in seinem Leben gelten. Wonach ist unser Leben zu beurteilen? Was gibt dem Leben sein Ziel? Lohnt sich der ganze Einsatz, wenn man den Ausgang am Ende doch nicht kennt?

Die Fragen, die uns angesichts eines solchen Ortsjubiläums bewegen, treffen sich also durchaus mit den Überlegungen, die der Apostel Paulus in der Situation einer existenziellen Herausforderung angestellt hat. Wir wollen versuchen, das, was uns bewegt, und das, was Paulus zu sagen hat, aufeinander zu beziehen. 

1. Gewinn oder Verlust?
Bei bestimmten Einschnitten im Leben, sowohl im persönlichen Leben, im Leben einer Familie, in der Geschichte eines Ortes, fragen wir uns: Kommt es am Ende auf einen Gewinn oder einen Verlust heraus? Hinter solchen Überlegungen steckt die Erfahrung, dass sich Gewinn und Verlust im Laufe eines längeren Weges abwechseln können. Der Mensch kann hoch steigen und tief fallen.

So hatte etwa der Apostel Paulus nach einer guten theologischen Ausbildung und einer Tätigkeit als Rabbiner eine Lebenswende erfahren. Das was ihm als jüdischer Schriftgelehrter als besonders wichtig erschien, war ihm nach der Begegnung mit Jesus Christus unwichtig geworden, ja wurde von ihm sogar als Schaden erachtet. Paulus hatte verstanden, dass es letztlich im Leben nicht auf das ankommt, was ein Mensch aufbauen kann, was er schaffen kann, sondern auf das, was Gott uns in Gnade schenkt. Damit nimmt der Apostel eine Menge Druck aus unserem Leben. Es kommt nicht auf das an, was wir leisten und erreichen, sondern auf das, was Gott uns schenkt - seine Zuneigung, seine Liebe und Fürsorge. Dem „Macher“ – Typ geht das schwer ein. Nicht jeder ist seines Glückes Schmied, sondern unser Leben wird von einem anderen geschmiedet. Wenn letztlich nicht unser Handeln ausschlaggebend ist, dann sollten wir auch die Maßstäbe für unser Leben nicht aus unserer Leistung ableiten. Entscheidend ist, was Gott aus unserem Leben macht. Er gibt uns auch seine Maßstäbe vor. 

Wir können es an der Geschichte von Vilmnitz und Putbus illustrieren. Wenn wir auch heute 200 Jahre Putbus feiern, so wissen wir doch, dass die Geschichte dieser Gemeinde viel länger zurückgeht. Anfang des 13. Jahrhunderts, auf jeden Fall vor 1253, lebte hier in Vilmnitz Stoislaw von Vilmnitz, der einer Nebenlinie des rügischen Fürstenhauses entstammte. Er heiratete Greta, die Tochter des Nikolaus von Pedebuz oder auch Putbus. So erklärt es sich, dass die Familie derer von Putbus zwar aus Vilmnitz stammt, sich aber nach Putbus benannte. 
Man kann hoch steigen und tief fallen. Das hat auch die Familie derer von Putbus erfahren. Weil der „Herr zu Putbus“, Ludolf von Veltheim in den 30ziger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht aus dem evangelischen Johanniterorden austreten wollte, fiel er in Ungnade bei den Machthabern des nationalsozialistischen Regimes. Schließlich brachte es ihm den Tod ein, dass er einigen Hauptverantwortlichen für das Hitlerattentat vom 20. Juli 1944 zu nahe stand. Bereits am 21. Juli 1944 wurde er verhaftet, kam in verschiedene Gestapogefängnisse und schließlich in das Konzentrationslager Sachsenhausen, wo er am 10. Februar 1945 ermordet wurde. Trotzdem wurden den Restitutionsansprüchen der Familie nach der Wende nicht stattgegeben. 

Der Mensch kann hoch steigen und tief fallen. Dabei haben wir vor 20 Jahren erfahren, wie schnell oben und unten auch wechseln kann. Manch einer hatte sich – oft sogar eher nach einer längeren Überwindung – auf die Ideologie der DDR eingelassen und gehörte zwar jetzt vielleicht nicht zu denen ganz oben, kam aber doch irgendwie ganz gut durch. 1989/1990 galt das aber auf einmal alles nicht mehr. Was war nun oben und was unten, was war hoch und was war tief? Viele haben sich getäuscht und in die Irre geführt empfunden. Manche hatten auch um des persönlichen Vorteils willen, ohne eigene Überzeugung, die alte Ideologie vertreten. Nun galten andere Werte. Unweigerlich stellte sich aber die Frage: Wem kann man überhaupt noch vertrauen? Gibt es ein Ziel, für das es sich zu leben lohnt? Was kann uns antreiben? Was uns bewegen? Der Apostel Paulus gibt eine Erkenntnis an die Gemeinde in Philippi weiter, die grundstürzend ist. Es ist eine Erkenntnis, die dem christlichen Europa in die Wiege gelegt worden ist und ohne die Europa keine christliche Zukunft haben wird. Es ist die Erkenntnis: in Wahrheit leben wir nicht aus unserer Leistung, sondern aus Gottes Gnade. Nicht das, was wir uns erarbeitet haben, auch nicht Eigentum und Besitz, kein sozialistisches Gleichheitsprinzip, sondern allein die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird (V.9) setzt die Maßstäbe. Hier können wir vertrauen, auch wenn wir menschlich enttäuscht worden sind. Stark werden wir durch Gott, der uns gerecht spricht. 

2. Gottes Gerechtigkeit:
Christus für uns Gottes Gerechtigkeit ist unabhängig von unserer Leistung. Deswegen ist sie auch für jeden Menschen gleich. Er liebt uns und er hat uns diese Liebe in Jesus Christus gezeigt. Wer wissen will, wie Gott ist und wie er mit uns handelt, der muss sich Jesus Christus, seine Menschwerdung, seine Geschichte und sein Leiden, Sterben und Auferstehen für uns anschauen.

Der Apostel Paulus kam aus einer Tradition, der jüdischen Tradition, nach der der Mensch sein Glück findet, wenn er in seinem Leben mit den Willen Gottes übereinstimmt. Und das ist natürlich auch etwas Großartiges, wenn Mensch und Gott so nah beieinander sind. Wenn der Mensch gerne Gottes Willen tut und dabei zur Erfüllung seines Lebens kommt. Allerdings haben die meisten Menschen nicht die Größe, in all dem was sie tun, danach zu fragen, was denn Gottes Wille für sie sei. Deswegen hat Gott noch einmal einen neuen Weg eröffnet. In Jesus Christus hat er uns dieses heilsame Leben selbst vorgelebt. Indem wir eine Beziehung zu Jesus Christus eingehen, beginnt Gott uns zu verwandeln. Er macht uns seinen Willen von Herzen wichtig und zieht uns mehr und mehr in die Erfüllung seiner Maßstäbe hinein. Diese Verbindung zwischen uns und Jesus Christus geschieht grundlegend in der Taufe. Darum ist es sehr anschaulich, wenn wir in diesem Gottesdienst einen jungen Menschen getauft haben. 

Wir lassen uns taufen und wir taufen, damit wir, - wie der Volksmund sagt – „in den Himmel kommen“. Der Apostel sagt damit, wie das „Ziel, der Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus“ (V.14) zu erreichen ist. Um einmal in Ewigkeit im Himmel dabei sein zu können, ist es wichtig schon jetzt, in der Zeit, in der Gemeinschaft mit Jesus Christus und in seiner Kraft zu leben. Der Apostel sagt: „Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleich gestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.“ (V.10f) 

In der Taufe werden wir mit der Macht der Ewigkeit und der „Kraft der Auferstehung“ verbunden. Angesichts eines so kleinen Menschen und eines frischen jungen Lebens fällt es uns wohl schwer „von der Gemeinschaft der Leiden mit Jesus Christus und seinem Tod“ zu sprechen. Ludolf von Veltheim, wohl der Urgroßvater des Täuflings, hat allerdings erfahren, dass Standhaftigkeit zu christlichen Überzeugungen in der Tat Leiden und Tod nach sich ziehen kann. Grundsätzlich gilt aber für jeden, dem satten Selbstvertrauen den Abschied zu geben und im Gottvertrauen das Leben zu leben. Selbst mit der größten Willensanstrengung werden nicht wir etwas Großes aus uns machen können, aber Gott will uns in Ewigkeit groß machen. Wenn ich im Himmel dabei sein will, dann muss ich mich auch heute schon auf himmlische, von Gott gesetzte Ziele meines Lebens einlassen und nicht meinen eigenen Wünschen, den Streben nach dem kleinen oder großen Glück, nachhängen. Das große Glück im Himmel kommt, wenn ich jetzt bereit bin, mich selbst zurückzunehmen und in der Verbindung mit Jesus Christus mein Leben zu führen. 

3. Auf dem Weg
Als religiöser, als christlicher Mensch, weiß ich wohl, ich lebe immer in einem Zwischen, ich lebe zwischen dem „hoch steigen“ und dem „tief fallen“. Das Leben ist immer unfertig. Erst der Tod schafft unveränderbare Tatsachen. Ich bin ja noch nicht an meinem Ziel angekommen. Auf dem Weg kann mir noch viel passieren. Paulus sagt: „Nicht, das ich es schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich es wohl ergreifen könnte“(V.12). Christ sein ist immer im Werden. Solange wir leben, kommen wir nicht zu einem Abschluss. Entscheidend ist aber, mit unserer ganzen Energie dem Ziel der himmlischen Berufung nachzujagen. Wer jagt, zeigt vollen Einsatz. Natürlich wollwn wir es packen, wollen wir das Ziel erreichen. Christen werden nicht in einen passiven Zustand der Ergebenheit gesetzt, sondern bei ihnen werden alle Kräfte aktiviert, sich nach Gottes ewiger Welt auszurichten. Der Apostel Paulus müht sich, dieses himmlische Ziel mit allen Kräften zu ergreifen, „weil ich von Christus Jesus ergriffen bin“. (V.12b) Hier zeigt sich der Tiefgang des Apostels. Trotz allem eigenen Einsatzes weiß Paulus: Nicht wir suchen, finden und ergreifen, sondern wir werden gesucht, gefunden und ergriffen.

Liebe Gemeinde, der Schnellläufer erreicht das Ziel nicht, wenn er nach hinten schaut oder wenn er sich mit seinen Mitläufern vergleicht, sondern wenn er seine ganze Person ausrichtet auf das Ziel, das vor ihm liegt. Sich auf das Ziel der himmlischen Berufung in Jesus Christus ganz auszurichten, hilft das Ziel des Lebens zu erreichen. 

Liebe Eltern, mit der Taufe übernehmen Sie ihre Verantwortung, Ihr Kind hinzuweisen auf dieses himmlische Ziel, das Jesus Christus ist. Sie erklären sich bereit, Ihrem Kind von Jesus Christus und seinen Maßstäben zu erzählen. Ihrem Vorfahr war es wichtig, nicht aus dem evangelischen Johanniterorden auszutreten und nur noch den Maßstäben des damaligen Regimes zu folgen. Er hat diese Bereitschaft letztlich mit dem Tod bezahlt. So kann man in dieser Welt hoch stehen und tief fallen. Entscheidend ist aber, dass wir mit unserem Leben bei Gott ankommen. So wünsche ich es Ihrem Kind und Ihnen wie auch mir selbst und all denen, die heute hier versammelt sind, dass wir einmal bei Gott ankommen. Der Herr Jesus Christus führe uns durch unser Leben und am Ende zu sich. Amen.

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