27. Juni 2016 | Dom zu Schleswig

Flucht und Zuflucht in unserer Zeit

27. Juni 2016 von Gerhard Ulrich

Andacht beim Sommerempfang der Nordkirche zum Thema „Habt Salz in Euch…! – Flucht und Zuflucht in unserer Zeit" (Nach Markus 9, 50b: Habt Salz in euch und haltet Frieden untereinander!)

Ansprache zu Matthäus 5, 13 a, 14 a

Liebe Gemeinde,

I

Ihr seid das Salz der Erde! Das Licht der Welt seid ihr!

Das ist eine klare Rollenzuschreibung für die Jünger Jesu. Das ist vor allem eine Ermutigung für alle, die sich klein und mickrig fühlen angesichts der Entwicklung dieser Welt, die aus den Fugen geraten scheint; angesichts gewaltiger Herausforderungen; angesichts wachsender Sehnsüchte nach einfachen, überschaubaren Antworten und Verhältnissen; angesichts verbreiteter Resignation: da können wir sowieso nichts ausrichten – da redet Jesus uns in die Gewissen: ihr seid nicht nichts. Und ihr seid auch nicht irgendwelche Handlanger. Ihr seid die wichtigste Beigabe für die Lebensspeise dieser Welt! Ihr macht haltbar. Ihr macht, dass es schmeckt. Ihr liefert überlebenswichtiges Element: Salz. Licht! Ihr werdet gebraucht, gerade dann, wenn Ungerechtigkeit und Friedlosigkeit, Gewalt und Hass das Leben so vieler weltweit verdunkeln.

Zunächst einmal geht es Jesus gar nicht um revolutionäres Tun. Um den Glauben geht es, um das schlichte Vertrauen, dass diese Welt nicht aufgeht in dem, was wir sehen, erfahren, erleiden; nicht aufgeht auch in dem, was wir planen, leisten, woran wir scheitern oder Größe gewinnen. Und darum geht es, dieses Gottvertrauen ernstzunehmen: das ist Salz. Wer glaubt, der kann nicht schweigen von dem, was er oder sie für wahr erkennt. Der muss erzählen, weitergeben: Licht auf den Leuchter, nicht unter den Eimer.

Jesu Worte rufen uns auf, mit unserem Glauben und aus unserem Glauben heraus die Gesellschaft mitzugestalten, verantwortlich zu handeln, unseren Öffentlichkeitsauftrag wahrzunehmen. Uns hineinzugeben in die Gemeinschaft. Ins Licht Gottes zu rücken diese Welt.

„Habt Salz in Euch…!“

II

Wer sich von diesem Zutrauen Jesu getragen weiß, dem wird Gottes Wort Wind unter den Flügeln der Seele. Der ist bewegt von Gottes Geist: Der Grenzen überwindet. Der Zäune niederreißt, die zwischen Menschen und Kulturen stehen. Wer sich auf diese Worte einlässt, der gibt sich nicht zufrieden mit dem, was unsere Augen sehen und mit dem, was wir scheinbar nicht ändern können. Der hält nicht still angesichts der Millionen Flüchtlinge auf dieser Welt; der schweigt nicht zu der Verfolgung und Bombardierung von Christen und vieler anderer Menschen, die um ihres Glaubens willen verfolgt werden. Der lässt sich nicht beschwichtigen angesichts der Not weltweit und auch in unserem Land von der Armut nicht weniger; der lässt sich nicht beruhigen angesichts erschreckender Ereignisse vor Flüchtlingsunterkünften, von Hass, der Häuser in Flammen setzt - in Deutschland! Der weiß: die Suppe ist nicht versalzen, Licht wird gebraucht in den Finsternissen der Welt. Wer Jesus hört, setzt auf die Agenda Gottes: auf die Liebe, die keinen Unterschied macht, die heilt, wenn es Not ist! Die sieht in jedem Menschen das Antlitz Gottes selbst und in jedem Notleidenden den Gekreuzigten Herrn.

Auch in jenen sehen Christen das: die nun Angst haben, dass dies alles zu viel wird mit den Fremden im Land, den vielen Kulturen. Auch ihnen gilt die Zuwendung Jesu. Ihre Angst hat Grund. Das ist die Sorge um die eigene Zukunft, das eigene Wohlergehen, das eigene Sich-Zuhause-Fühlen. „In der Welt habt ihr Angst“, sagt Jesus. Aber siehe: „Ich habe die Welt überwunden“! Angesichts aller Sorgen und Ängste gilt dies. Wir schöpfen aus geschenkter Fülle.  

Wir sind ein starkes Land in einem starken Kontinent. Trotz Brexit, gerade deswegen halten wir fest an der großartigen Idee eines geeinten, freien Europa, in dem es eben nicht nur um Wirtschaft geht, sondern um Teilhabe, gerechtes Teilen. Ausstieg ist in dieser zerrissenen Welt ein schwieriges Signal.

Ihr seid Salz! Licht seid ihr! – sagt Jesus und fängt an, seine Gemeinde zu bauen, indem er die Zäune niederreißt, nicht neu aufbaut! Gerade wir wissen: Zäune und Mauern bringen niemals Frieden und Freiheit, schirmen auch nicht ab von weltweiten Problemen wie Migrationsströmen – egal, wo diese Zäune und Mauern stehen oder entstehen.

Wir in diesem starken Land sind jetzt umso mehr gefordert, zusammen zu stehen, zu teilen, zu geben, anzunehmen: Salz der Erde zu sein. Auch wir als Kirchen, die in der Ökumene erfahren, was Einheit bewirkt, welche Kräfte Überwindung von Trennendem freisetzt, wie Verantwortung sich nicht begrenzt auf die, die uns lieb sind und die aufgrund von Nationalitäten oder Konfessionen zu uns gehören – auch wir als Kirchen haben gerade jetzt Verantwortung, mit unseren Partnern Salz zu sein, denen wir seit vielen Jahren verbunden sind in Europa und weltweit.

III

Gerade jetzt gilt angesichts der Flüchtlinge und Migranten: Wir Christen sind nicht frei, denen die Tür zuzuschlagen, die um Einlass bitten. Doch wir sind befreit, sie willkommen zu heißen, zu teilen, was wir haben: Geld und Brot, Freiheit und Frieden. Wir sind nicht frei, unsere Augen zu verschließen vor dem Elend in Afrika und Asien. Doch wir sind befreit, unseren Reichtum nicht auf der Armut dort aufzubauen. Damit der Friede Gottes sich ausbreiten kann als ein Dach über unserm Leben. In jedem Land. Auf jedem Kontinent.

Die weltweite Migration wird unser Land transformieren. Sie hat damit schon begonnen. Wir Christinnen und Christen können diese Veränderungen mitgestalten. Ermächtigt vom Wort Gottes, das in unsere Herzen ruft: Fürchtet euch nicht! Nicht vor den Fremden; nicht vor den Veränderungen; nicht vor den eigenen Ängsten. Wir sind auf dem Weg in eine neue Gesellschaft, die noch vielfältiger, noch bunter wird. In der auch neue Konflikte auf uns zukommen werden. Doch sind wir auf diesem Weg begleitet von Gott. Der sich in der Bibel zeigt: als Gott des Aufbruchs, des Auszugs, des Neubeginns. Der sein Volk Israel aus Ägypten herausgeführt hat in das Land Kanaan. Und wie viele haben auf diesem Weg gemurrt, wollten wieder umkehren und haben Gott Vorwürfe gemacht. Und so wie Gott uns begleitet hat auf dem Weg von zwei deutschen Staaten durch das Wunder der friedlichen Revolution in das vereinigte Deutschland: So begleitet er uns auch jetzt auf unserem Weg in einen neuen Abschnitt der Geschichte. Ihr Kennzeichen kann werden: das Wunder der gelingenden Integration.

Hinweise darauf gibt es allerorten: die Vielen in Kirchengemeinden und zivilgesellschaftlichen Initiativen, die ihre Herzen und Türen öffnen für die Flüchtlinge. Die im Herzen wissen: Jesus hat uns befreit zur Liebe und zum Teilen. Die teilen mit denen, die verzweifelt sind und nicht wissen, wohin; die nicht fragen nach sicheren Herkunftsländern, sondern sehen die Not. Die beten und tun das Gerechte. Sie werden Ängste überwinden helfen. Sie werden Zäune niederreißen. Und von ihnen sind heute viele hier dabei. Darüber freue ich mich!  Salz in der Suppe sind sie. Zusammen mit den vielen Flüchtlingen. Auch sie: Salz. Licht. Nicht Krise zuerst. Mut machende Bilder von Willkommenskultur sehen wir: Europäische Werte, gelebt als Kultur der Offenheit, nicht als Ideologie der Abschottung.

Ich bin dankbar und auch stolz, hier zu leben, wo die Haltung zu spüren ist: Wir sehen zu, wie wir denen helfen können, die nicht wissen wohin. Bin dankbar für die in Wirtschaft, Politik und Behörden, die Visionen entwickeln. Und dann Strategien. Die sich dieser Frage stellen: Welche Chance können die Flüchtlinge für uns sein? Was muss passieren, damit die, die hierhergekommen sind, qualifiziert sind für die 30.000 freien Ausbildungsplätze in Deutschland? Was, damit sie wieder den Generationenvertrag mit Leben erfüllen, den viele schon zu Grabe tragen wollen? Was, damit sie siedeln können in bevölkerungsschwachen Regionen? Was, damit Nachbarschaft wächst zwischen alten und neuen Einwohnern dieser Landstriche?

IV

Niemand weiß zu sagen, was uns alle in diesem neuen gemeinsamen Land erwarten wird. Wer sich die Kirchen- und Kommunalgeschichte dieses Bundeslandes ansieht, wird so etwas wie ein Naturgesetz finden: Der Landstrich, in dem wir leben, ist durch Zuwanderung letztlich immer wohlhabender geworden. Wohlhabender und auch frömmer. Zuletzt durch die Millionen Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich hier ein neues Leben aufbauten: Häuser bauten, auch die Kirche im Dorf. Die als fleißige Arbeitnehmer Deutschlands Wohlstand zu einem nicht unerheblichen Teil mitschufen. Es war ein langer Weg. Es gab Durststrecken. Es war aber auch ein gemeinsamer Kraftakt. Am Ende dieses Integrationsprozesses stand die Bundesrepublik mit Prosperität und einem leistungsfähigen Sozialstaat.

Das Land, in das Gott uns führen wird, ist voll von Möglichkeiten, von Chancen. Auch von Gefahren. Von Herausforderungen, auf die wir reagieren müssen. Von Perspektiven, die wir ergreifen können. Und wir sind nicht allein unterwegs. Da ist das Versprechen: Ich sende euch nicht nur – ich bin bei euch. Ich lasse euch nicht. Der, der lebt, ist mit uns. Sichtbar. Spürbar. In jedem Menschen, der von ihm bewegt ist. In jeder Tat des Willkommens. In jedem Integrationsprojekt, das einen Ort stärker macht. Darum können wir uns getrost auf den Weg machen. Von Gottes Geist gestärkt und geleitet: Komm, Heiliger Geist, mit deiner Kraft, die uns verbindet und Leben schafft. Das singen wir jetzt.

Amen.

Datum
27.06.2016
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Gerhard Ulrich
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