Friedensgebet – zwei Jahre Krieg in der Ukraine
24. Februar 2024
24. Februar 2024 – Finsternis. Zwei Jahre wütet der Krieg, fassungslos stehen wir davor. Und wir können angesichts all derer, die in der Ukraine kämpfen, durchhalten, leiden, erst einmal nur dies tun: unsere Verbundenheit mit den Opfern, den Angegriffenen ausdrücken und in ökumenischer Herzlichkeit für sie beten. Damit das Unsägliche eine Sprache findet, unüberhörbar, als Protest gegen das Töten, Morden, die Zerstörung eines Landes.
2014 in Kyiv – Finsternis. Auf dem Maidanplatz kämpften viele Menschen für mehr Demokratie in der Ukraine. Ihr Herz war voll Sehnsucht nach Freiheit. Bei den Demonstrationen wurden mehr als hundert Menschen getötet, viele verletzt. Die evangelische Sankt Katharinenkirche nebenan öffnete sofort ihre Türen, damit die Kämpfenden sich aufwärmen, essen und trinken konnten. Um einen Raum zu haben für die Trauer und für das Gebet. Um den vielen Verletzten zu helfen, wurde im Kirchengebäude schließlich ein Lazarett eingerichtet.
„Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen“ heißt es beim Apostel Paulus. Es ist die Losung für das Jahr 2024. Ausgerechnet, inmitten von so viel Hass, Zerstörung, Verzweiflung und Not wirft uns die Bibel ein Wort von der Liebe ins Herz.
Ausgerechnet. Ja, denn der Glaube an die Liebe hat tatsächlich Kraft. Die Liebe verändert Verhältnisse und hält die Hoffnung am Leben. Auch weil so eine Liebe zum Leben in Menschen wie der ukrainischen Ärztin Valentina Varava wohnt, die just in dem Lazarett damals in der Katharinenkirche gearbeitet hat und sich fortan für verletzte Menschen in Kriegs- und Gewaltsituationen einsetzt. Bis heute.
Damals versorgte sie direkt die Verwundeten Tag und Nacht. Heute organisiert sie für die Initiative „E-plus“ PKW und Jeeps. Denn ohne Transport landet kein Verbandszeug und kein Ultraschallgerät dort, wo es dringend gebraucht wird. So fährt Valentina Autos voll mit Hilfsmitteln zu den Verwundeten an die Front, in abgelegene Dörfer. Valentina tut, was sie kann und staunt, was möglich ist. Sie sagt: „Wir helfen. Wir beten. Was sonst?“
„Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen.“ Ich bewundere diese Ärztin und habe großen Respekt vor allen Menschen, die in der Ukraine leben und ausharren – im Krieg. In den Kellern. Und an der Front. Wie viel Kraft muss es kosten, Mensch zu bleiben? Zu lieben, zu hoffen. Ich denke nach zwei Jahren Krieg voller Mitgefühl auch an die Frauen, die mit ihren Kindern oder Alten in Nachbarländer geflohen sind. Wie stark müssen sie sein für ihre Kinder, für ihre Männer. Und im Herzen vermutlich zerrissen zwischen den Welten. Gefüllt mit Erfahrungen und Bildern, die manch eine bei jedem unerwarteten Geräusch zusammenzucken lässt.
„Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen.“ Die Worte aus dem 1. Korintherbrief sind eine Mahnung an eine Gemeinde, in der es heftigen Streit gab. Streit ist normal. Streit ist etwas völlig anderes als Krieg. Wenn der Krieg erst da ist, sind die Grenzen des Miteinander-Reden-Könnens überschritten. Wenn Krieg erst da ist, sind zivile Mittel zur Lösung eines Konflikts am Ende. Wenn Krieg erst da ist, kommen Panzer, Gewehre, Raketen und Drohnen.
Es ist und bleibt legitim, wenn ein Land sich gegen einen völkerrechtswidrigen Angriff verteidigt und seine Freiheit sowie das Leben seiner Bürger:innen schützen will.Allzumal die Brutalität des russischen Regimes sich tagtäglich zeigt. Wir sind doch immer wieder über die Gewissenlosigkeit und abgründige Gewalt erschüttert! Nicht zuletzt zeigt sich dies auch am Umgang Russlands mit den Oppositionellen im eigenen Land, so wie jüngst mit Alexej Nawalny.
Zugleich haben diese zwei Jahre einmal mehr gezeigt, was jeder Krieg mit sich bringt: so unendlich viel Leid, hunderttausendfachen Tod, unzählige Verletzte, Geflüchtete, verlorene Träume und verwaiste Kinder. Wenn Krieg erst da ist, verändert sich auch die Sprache: Freund – Feind, gut – böse heißt es dann. Wer um Himmels Willen ist denn bloß ansprechbar für Vermittlung, Verständigung, ja, Frieden?
„Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen“. Ich möchte mich mahnen lassen von diesen Worten des Paulus. Ihnen geht ein Satz voraus: „Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark!“ Nach 731 Tagen Krieg in der Ukraine möchte ich, dass wir uns das zu Herzen nehmen. Dass wir eben nicht stumpf werden, sondern wach bleiben.
[Denn was macht das Herz der ukrainischen Menschen hier zusätzlich schwer? Dass es Stimmen in unserem Land gibt, die sagen: „Die wollen wir hier nicht haben.“, „Die nehmen uns nur unser Geld weg.“ Das ist nicht nur sachlich falsch, denn viele Ukrainerinnen, es sind ja zu 80 Prozent Frauen und Kinder, unterstützen unser Land inzwischen als Fach- und Arbeitskräfte. Nein, es widerspricht allem, was wir als Christenmenschen glauben.]
Wir glauben einen Gott, der uns inmitten all des Leides sieht, der die Ohnmacht kennt und uns tröstet und segnet. Er trägt uns im Gebet, uns, die wir manchmal verzweifeln im Angesicht von so viel Hass. Er liebt hemmungslos und traut uns zu, es zu machen wie er: Mensch zu werden. Wach. Mutig. Lasst uns festhalten am Glauben, dass die Hoffnung bleibt. Lasst uns mutig dem Hass mit unserer Liebe widerstehen. In Jesu Namen, Amen.