"Friedenslogisch denken und handeln"
28. Februar 2016
Grußwort auf der Tagung Norddeutsches Netzwerk Friedenspädagogik "Friedenslogisch denken und handeln - Zivile Konfliktbearbeitung als Leitbild"
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Brüder und Schwestern,
zivile Konfliktbearbeitung als Leitbild - diesen Untertitel haben Sie Ihrer Tagung gegeben, und ich freue mich, dass ich heute hier dabei sein kann und überbringe Ihnen die herzlichen Grüße der Nordkirche.
Zu den spannendsten Begegnungen des vergangenen Jahres gehörte für mich ein Treffen mit dem italienischen Friedensaktivisten Leonardo Emberti, einigen von Ihnen ist er vielleicht bekannt. Leonardo ist eigentlich Professor für Kinderneurochirurgie. Seit seiner Jugend jedoch gehört er auch zur Ökumenischen Gemeinschaft Sant‘Egidio aus Rom. Das ist ja, wie Sie sicherlich wissen, ein weltweites Netz von mehr als 50.000 Menschen in 70 Ländern, die sich für Frieden und für Solidarität mit den Armen einsetzen. Das heißt also auch, dass sie sich inzwischen insbesondere engagieren für Flüchtlinge. Und sie tun dies aus ihrer tiefen Glaubensüberzeugung, in der Nachfolge Jesu zu stehen. Kompromisslos. Hartnäckig. Undogmatisch. Klar. So das Bekenntnis zum Frieden ohne Wenn und Aber. Und ich sah um Leonardo die Skeptiker und Ultima-Ratio-Verfechter, die zugewandt die Stirn kräuseln, wenn er sagt: „Krieg wird nicht durch Krieg überwunden. Das ist eine Täuschung! Krieg gerät immer außer Kontrolle. Lasst euch nicht betrügen! Krieg macht ganze Völker unmenschlich.“ Und – geben ihm die Tatsachen nicht Recht? Etwa Afghanistan? Oder dieser komplett außer Kontrolle geratene Krieg als Syrien? Kann überhaupt noch irgendjemand erklären, wer dort warum gegen wen kämpft – und wie das enden könnte?
Zum zweiten sagt Leonardo: Es reicht nicht, sich auf die politischen Mächte oder die humanitären Großorganisationen oder die vermeintlichen Experten zu verlassen. „Jeder Mensch ist über die Grenzen seiner Gemeinschaft hinaus berufen, eine Frau und ein Mann des Friedens zu sein…Dialog ist eine tägliche Übung, eine Kultur, die sich in ein Angebot verwandelt.“ Das heißt: Begegnung und Dialog sind ein Eins-zu-eins-Geschehen. Integration kann letztlich nur so gelingen. Indem man Freundschaft sucht, Gastfreundschaft ist dabei die zunächst einfachste: Flüchtlinge zu sich nach Hause einladen oder – wichtig – sich einladen lassen. – Diese Begegnungen, das habe ich selbst erlebt, verändern einen. So etwa die syrischen Frauen in Amman, die mir ihre furchtbaren Erlebnisse, aber auch ihre Hoffnungen schilderten. Oder Begegnungen mit syrisch-orthodoxen Christen in Hamburg, deren Gemeinden derzeit aus allen Nähten platzen. Mit muslimischen und christlichen Familien, die in kirchlicher Obhut übernachten. Frieden fängt in dieser Begegnung an – das ist die Logik, eine Logik der emotionalen Intelligenz, die wir der Welt immer wieder klar machen müssen.
Und schließlich die dritte Botschaft, die aus meinen Begegnungen erwachsen ist: Unser Wertefundament ist eine enorme Errungenschaft, und wir müssen unbeirrt daran festhalten. Gegenhalten auch. Gegenüber denen, die – nicht nur bei den Pegidas und Legidas – sondern inzwischen vielerorts unwidersprochen davon reden, dass die Flüchtlinge, die nach Europa kommen, die christlichen Werte unserer Länder zerstören werden. Ich glaube genau das Gegenteil: Ein Land, das sich weigert, selbst eine kleine Anzahl Flüchtlinge aufzunehmen, ist ein Land, das seine christlichen Werte schon verloren hat! Am heutigen Tag, dem ersten eines entscheidenden EU-Gipfels, ist diese Botschaft aktuell wie nie. Europa muss handeln und muss sich bewegen, damit die Flüchtlinge gerecht und menschenwürdig untergebracht werden können, ja mehr noch: Dass sie hier leben und ihre Gaben entfalten können.
Und das hat einen weiteren Aspekt: Die Friedenslogik lässt sich nicht von der „Da kann man nichts machen“ –Doktrin verführen. Dieser Satz ist, wie Dorothee Sölle sagt, ein gottloser Satz. Sondern im Blick auf die Welt, die derzeit immer mehr zusammenrückt, gilt gerade das Gegenteil. Wir können etwas machen! Gelder für die Versorgung der Flüchtlinge in Jordanien und dem Libanon etwa, damit die Menschen bleiben – da ist bezogen auf die Zahlungsmoral der EU deutlich Luft nach oben. Und umgekehrt: Was in Aleppo oder in Bagdad oder in Kabul geschieht, hat unmittelbare Auswirkungen auf uns und auf unsere Nachbarschaft. Die Verflechtung der Welt, die Globalisierung, ist nicht mehr beschränkt auf Waren oder auf Daten – es kommen Menschen. Das heißt: Ein Krieg, mag er auch nach der alten Definition „lokal begrenzt“ sein, ist nicht begrenzt. Er betrifft uns alle. Die Opfer der Bomben und des Hungers kommen auch zu uns – wer will es ihnen verdenken?
Im Umkehrschluss müssen wir uns aber auch fragen: Was ist unser Anteil an diesen Kriegen? Sie sind vielfältig, gewiss, da wäre eine ungerechte Verteilung der weltweiten Ressourcen genauso zu nennen wie Machtpolitik der reichen gegen die armen Länder. Ich will mich aber auf einen Punkt beschränken, der gerade vor unserer Haustür, in Hamburg, eine nicht geringe Rolle spielt: Den internationalen Waffenhandel. Laut Medienberichten wurden im vergangenen Jahr Waffen im Wert von 360 Millionen Euro über Hamburg verschifft, deutlich mehr als im Jahr zuvor. Das ist ein Geschäft mit dem Tod! Wir müssen widersprechen, so wie die Rüstungsexporte jeder Friedenslogik widersprechen. Und sie widersprechen nebenbei gesagt auch der Hamburger Verfassung, in der es bekanntlich heißt: „Sie (die Freie und Hansestadt) will im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein.“ Ich bin darum froh, dass es am 26. Februar in Hamburg einen Aktionstag gegen Waffenexporte geben wird, an dem auch viele Menschen aus unserer Kirche sich beteiligen, insbesondere auch die Hauptkirche St. Jacobi.
Liebe Brüder und Schwestern, es ist Logik, nicht Träumerei. Es ist Logik, die gespeist wird aus der Vision der Propheten. „Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein“ (Jesaja 32, 17) – ich danke Ihnen und Euch für diese Tagung. Sie hält unbeirrbar daran fest, dass wir etwas machen können. Und was, das kommt gleich - ich wünsche Ihnen eine anregende Tagung und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.