Frohsinnig weitergehen mit Dank und Segenswort
30. Oktober 2016
23. Sonntag nach Trinitatis, Gottesdienst zur Einführung der Lutherbibel 2017 sowie die Verleihung der Bugenhagen-Medaille an Gertrud Wellmann-Hofmeier und Hans-Peter Strenge, Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26-39
Liebe Festgemeinde,
so viele Bibelworte. Ineinander verschränkt. Vertraut. Schön. Manchmal befremdlich. Verwirrend auch, wie das Leben selbst. Und bei allem so „gültig“! Uralt und doch heute wieder ganz neu: Die neue Bibel liegt nicht nur auf dem Altar, sie lebt. Mit ihren und in unseren Geschichten. Gottes Sprache lebensnah. Obwohl schon vor 1600 Jahren aus hebräischen und griechischen Schriften so zusammengestellt, wie wir sie kennen. Martin Luther – welch Kulturleistung! – hat sie ins Deutsche übersetzt, oder besser gesagt: In eine Sprache übersetzt, die eben deswegen zu „dem“ Deutsch wurde. Im Laufe von 500 Jahren erstaunlich selten modernisiert: Offiziell erstmals Ende des 19. Jahrhunderts, dann eher misslungen 1975, dann wieder 1984. Und jetzt also wieder, rechtzeitig zum Reformationsjubiläum 2017. Gut ist sie geworden – mit Treue zum hebräischen und griechischen Urtext. Aber auch zum „Luther-Sound“ mit seinen kraftvollen Worten wie „Wohlgefallen“, „kleingläubig“ oder „erquicken“.
Sofort habe ich sie durchgeblättert, als sie ankam – aufgeregt, ob bestimmte Stellen nun geändert oder bitte nicht (!) geändert wurden. Die Bibel ist eben nicht nur ein Buch. Sie ist Wort Gottes, Grundlage unseres Glaubens, ja Heimat und Zuflucht. „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“ Wieviel Traurigkeit und Angst hat allein dieser Psalmvers gelindert! „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging…“ Wie viele Millionen Stunden Weihnachtsvorfreude hat dieser Satz ausgelöst! „So bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei.“ Wie viele Brautpaare haben darauf ihr Glück aufgebaut!
Nein, wir kommen von diesem besonderen Buch nicht los. Auch nicht die Moderne, auch nicht die Gegenwartskultur. Und auch wenn viele Menschen heutzutage mit den alten Worten und generell mit dem Glauben ihre Mühen haben, so ist die Bibel dennoch ein Grundstein unserer Zivilisation und Kultur. Gültig über die Zeiten hinweg. Biblion heißt schließlich übersetzt: Das Buch. Die Bibel ist das Buch schlechthin, das Buch der Bücher, ja sogar das Urbild jedes Buches, das danach geschrieben wurde. Und so gilt ihr ein geradezu instinktiver Respekt. Auch eine gewisse Ehrfurcht. Manchmal bringen Menschen in der Bischofskanzlei Bibeln vorbei. Im Nachlass habe man sie gefunden und sich, sie wegzuwerfen. Bei uns sei sie doch gut aufgehoben, oder? – Das ist, wenn ich das kurz einwerfen darf, keine so gute Idee, sollten Sie dies beabsichtigen; behalten Sie sie lieber in Ehren. Auch zwei Bibeln in einem Regal schaden nicht wirklich…
Im Gegenteil. Man könnte sie ja auch wieder einmal zur Hand nehmen. Um die Weisheit zu atmen. Die Poesie der Sprache zu genießen. So wunderschöne Texte sind darin. Und blättern wir also auf: die Apostelgeschichte. Da lesen wir von einem weit gereisten Wirtschaftsexperten mit Migrationshintergrund. Er ist Äthiopier und Finanzminister, neugierig, klug, gebildet. Deshalb will er unbedingt mehr verstehen von der Religion, diesen religiös Suchenden, die er gerade in Jerusalem erlebt hat.
Gerade vergangene Woche, liebe Gemeinde, war ich ebenfalls genau dort. Auf einer Pilgerreise wie vielleicht auch dieser Kämmerer. Mit etlichen katholischen und evangelischen Bischöfen und Bischöfinnen. Im Gepäck die Frage nach den Quellen unseres gemeinsamen Glaubens. Die Frage auch nach der Versöhnung der religiös Verschiedenen – und der dort in Jerusalem auch besorgniserregend Zerstrittenen! Wie ist das bloß zu verstehen, was da auf dem Tempelberg vor sich geht, vor allem zwischen aufgeheizten, zutiefst gläubigen Muslimen und Juden? Diese explosive Mischung aus religiösem Eifer und politischem Kalkül! Wir ökumenisch deutlich erwärmten Christen auf dem Weg der Versöhnung – wir fanden uns wieder an der Mauer der Klage. Nicht nur an besagter Westmauer. Auch in der Westbank. Und an der 8 Meter hohen Mauer, die in den palästinensischen Gebieten Palästinenser von Israelis trennt und der Verständigung verstörende Grenzen setzt. Nicht nur in Bethlehem. Auch von Jerusalem herunter nach Gaza, wie es im Predigttext hieß. Eben dort, wo der Kämmerer die Schriftrolle herausholt. Weil die Landschaft so öde war? Nein, weil er etwas verstehen will von dieser erlebten Fremdheit!
Und er fängt an zu lesen, und versteht - nichts.
Was ja wiederum vielen so geht und nur allzu gut zu verstehen ist.
Gott sei Dank steht da einer und hört ihn. Ein interessantes Detail im Text: Philippus hörte, was der Fremde las. Im Altertum las man laut. Bis ins Mittelalter hinein war das so. Text war immer gehörter Text. Und das ist mehr als eine historische Notiz, liebe Gemeinde. Es erinnert vielmehr daran, dass ein Text immer die Mitteilung eines anderen an mich und mein Leben ist. Lesen ist eigentlich ein Gespräch, ein Dialog. Am angemessensten ist es, wenn mir jemand anders vorliest, oder – wenn keiner sonst da ist – mit dem lauten Lesen wenigstens dieses Gegenüber zu simulieren.
Philippus hört. Hören ist wichtig, um einzusteigen in den Dialog. Und fragt: Verstehst du auch, was du da liest? Der Minister ist ehrlich: Wie kann ich, wenn mich niemand anleitet? Und lässt spontan Philippus mitfahren. Mit auf seiner Reise in unbekanntes Denken. Glauben, Fühlen. Eine Reise mit dem Wort, das das andere sucht.
Bibellesen ist Gespräch. Lesen, hören, abwägen, klären – es geht ums Kommunizieren. Um das Mitteilen von Erfahrung und Befürchtung, von Träumen, Tragiken und Hoffnungsworten. Ich bin überzeugt: Die Gesellschaft braucht heutzutage Menschen, die einander mitnehmen auf Gedanken- und Glaubenswege! Die uns eine lebendige Vorstellung geben von Gottes Möglichkeiten in dieser Welt. Ohne sie, ohne uns, die wir diesen Dialog auf der Lebensreise suchen, bleibt das Hoffnungswort stumm. Ein Hoffnungswort braucht Menschen, die es hoffen – und tun. Die deshalb von ihrem Glauben erzählen. Mit lautem Wort oder leiser Geste. Die vom Erbarmen erzählen und von diesem Eros, für etwas Gutes zu kämpfen. Die von der Gnadensonne in dunkler Zeit erzählen und davon, dass wir uns nicht fürchten müssen. Auch und gerade jetzt nicht in diesem Land und dieser Welt.
Zwei, die genau dies auf vielfältige Weise bezeugt haben, ehren wir heute mit der Bugenhagen-Medaille. Und mit ihr – um gleich mal gut lutherisch bescheiden zu bleiben – geht es eben nicht zuerst darum, große Taten zu belohnen. Obwohl die beiden da auch nicht richtig schlecht sind J… Es geht genau um diese selbstverständliche Haltung, aus dem Glauben heraus etwas für das Glück und den Segen anderer zu tun. Danke dafür, sage ich von Herzen und vertraut wie wir uns sind: Liebe Gertrud und lieber Hans-Peter, wie gern lasse ich die Bugenhagen-Medaille bei euch!
Wenn es ein Wort der Bibel gibt, das euch beide anspornt, ist es das der Gerechtigkeit. Selig, die nach ihr hungern und dürsten! Heißt: für Gerechtigkeit entscheidet man sich nicht permanent. Sondern anders: indem wir glauben, lieben, hoffen, sind wir ergriffen von ihr! Das ist die reformatorische Erkenntnis – unddas seid auch ihr: getragen von dem tiefen Glauben, dass jeder Mensch bei Gott sein Zuhause finden wird. Sei es durch Brot und Trost. Durch klares Wort. Widerwort auch. Gute Tat natürlich. Bei dem einen besonders gepaart mit juristischer Raffinesse und Wortwitz, blitzgescheit, unerhört gremienkompetent und immer höchst aktiv dabei, Menschen in allen möglichen Notsituationen beizustehen (und sie tatsächlich zu retten) – lieber Hans-Peter. Oder bei der anderen mit geradem Rücken und unverwüstlich-freundlicher Hartnäckigkeit, die gemeinsam mit den Frauen in Schwarz Unrecht betrauert, für die Rechte von Frauen einsteht und allzumal denen, die in den Abschiebehaftzellen verzweifeln, mit Herz und Hand da zu sein, liebe Gertrud. Was wären wir in der Nordkirche ohne euch!
Ihr steht für das lebendige Wort von der Hoffnung. Das lebendige Wort also von ihm, der erniedrigt wurde, und der aus der Erniedrigung aufgehoben wurde – um die Geschlagenen zu erlösen. Dieses Hoffnungswort lässt uns empfindsam bleiben für die Verstörten, Unerlösten und Erniedrigten heutzutage. Empfindsam auch für sie, die gefangen sind in ihrem Flüchtlingstrauma. Und zwar ausdrücklich für jeden einzelnen Menschen. Leider gibt es zunehmend die Tendenz, Flüchtlinge als abstraktes politisches Problem zu betrachten, als eine reine Zahl, die man reduzieren muss. Mir macht es Sorge, wenn ich höre, dass jetzt auch wieder ganze Gruppen von Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden sollen, in ein Land also, das nachweislich nicht sicher ist, weil nach wie vor Krieg und Terror herrschen.
Deshalb: Auch Widerwort ist Hoffnungswort, weil gegen die Ohnmacht gesprochen. Es hält uns wach für die andere Wirklichkeit, das Reich des Friedens, wie Christus es will. Unerschütterlich. Für jeden Menschen. Jeder Nation. Jeder Religion. Auch dort, in Jerusalem und Gaza.
Dort, damals, wurden sie Freunde. Nicht dass der Kämmerer alles von Philippus verstanden hätte. Aber er erkennt mit Gelassenheit, dass er nicht alles wissen muss, sondern endlich etwas glauben kann. Was hindert mich, sagt er, und lässt sich taufen. Ohne weitere Formalitäten. Einfach weil die Worte der Bibel ihn verstanden haben. Und dann beschließt einer der schönsten Sätze im Buch der Hoffnungsworte diese Geschichte: Er aber zog seine Straße fröhlich.
Das ist das Ziel, liebe Gemeinde, liebe Gertrud Wellmann-Hofmeier, lieber Hans-Peter Strenge. Frohsinnig weiter zu gehen. Mit Dank und Segenswort im Rücken. Mutig und aufrecht, weil noch so viel vor uns liegt, was es zu tun gibt. Und ich schau dem Äthiopier hinterher, wie er fröhlich seine Straße zieht…mit seiner neuen Bibel im Arm und neuer Hoffnung im Herzen.
Und denke, ja: so soll es sein: Sein Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unser aller Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.