20. Oktober 2019 | Dom zu Lübeck

Glauben und Handeln sind untrennbar

20. Oktober 2019 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigt am 18. Sonntag nach Trinitatis zu Jakobus 2,14-26

Liebe Schwestern und Brüder,

vor etwas über einer Woche haben wir hier in Lübeck Kerzen angezündet. Kerzen vor der Lübecker Synagoge. Kerzen als Zeichen der Trauer um die in Halle ermordeten Menschen. Kerzen als Zeichen der Solidarität und Verbundenheit mit Bürgerinnen und Bürgern jüdischen Glaubens, gegen die der rassistisch, antisemitisch und rechtsextrem motivierte Anschlag in Halle systematisch geplant und gerichtet war.

Mich hat sehr berührt und bewegt, als hier in Lübeck eine Frau aus der jüdischen Gemeinde unter Tränen erzählte, was der Anschlag von Halle für sie, was er auch für jüdische Gemeinden an anderen Orten unseres Landes bedeutet. Welche Ängste und Sorgen, welche Verunsicherung er ausgelöst hat. Mich hat auch bewegt, dass die Zeichen der Solidarität und Verbundenheit von den jüdischen Gemeinden, auch hier in Lübeck, mit Dankbarkeit aufgenommen wurden. Beschäftigt haben mich auch die Worte, die seitdem öffentlich gesagt wurden. Von führenden Politikern, von Leitungspersonen in Polizei, Justiz, Verfassungsschutz - und auch von kirchenleitenden Menschen. Für unsere Kirche habe ich deutlich gesagt: Wir stehen klar und eindeutig gegen jede Form von Rechtsextremismus und Antisemitismus.

Viele Worte, viele wichtige Worte hat es in den letzten Wochen gegeben, viele Gespräche. Öffentliche wie nicht-öffentliche. Aber es gab dabei auch immer wieder einen Punkt, an dem deutlich wurde: Es ist jetzt alles Nötige gesagt. Wahrscheinlich ist sogar schon längst alles Nötige gesagt. Jetzt aber geht es darum, dass den vielen wichtigen Worten und Bekundungen von Verbundenheit und Solidarität auch endlich, endlich ein entsprechendes Handeln folgt: Diskriminierenden Sprüchen Einhalt gebieten und widersprechen. Rassistische Angriffe und Übergriffe konsequent verfolgen und ahnden. Antisemitischer, anti-islamischer Hetze klar und deutlich entgegen treten. Auf der Straße, auf dem Schulhof, in den sozialen Netzwerken. Nicht nur durch Einzelne. Sondern durch jede und jeden, die ein friedliches Zusammenleben in unserem Land wollen. Durch jede und jeden, für die Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Frieden zentral für ihren christlichen Glauben sind. Weil nicht Hass und Hetze, sondern Nächstenliebe und die Würde aller Menschen, aller unserer Geschwister, aller unserer Nächsten, aller Geschöpfe Gottes, das sind, wofür Christenmenschen einstehen.

Martin Luther hat in einer seiner Hauptschriften, „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, formuliert (1.): „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Diese zwei Sätze liegen klar“, so Martin Luther weiter, „bei Paulus vor: 1.Kor 12. Ich bin frei in allen Dingen und habe mich zu jedermanns Knecht gemacht.

Ebenso Röm 13: Ich sollt niemand etwas schuldig sein, außer dass ihr einander liebt. Liebe aber, die ist dienstbar und untertan dem, was sie liebt.“

II

Auf diesem Hintergrund, liebe Schwestern und Brüder, höre ich die Worte des heutigen Predigttextes aus dem Jakobusbrief: „Was hilft's, Brüder und Schwestern, wenn jemand sagt, er habe Glauben, und hat doch keine Werke? Kann denn der Glaube ihn selig machen? Wenn ein Bruder oder eine Schwester nackt ist und Mangel hat an täglicher Nahrung und jemand unter euch spricht zu ihnen: Geht hin in Frieden, wärmt euch und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was der Leib nötig hat – was hilft ihnen das? So ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot in sich selber.“

Diese Worte sind bewegt von einer Frage, die auch heute aktuell ist: Wie kommen Glauben und Handeln zusammen? Wie kommt beides in unserem persönlichen Leben zusammen? Wie kommt beides zusammen, wenn wir sehen und wissen, dass andere Menschen in unserer Nachbarschaft bedrängt und angegriffen werden, dass sie verfolgt oder ermordet, in Kriegen wie in Nordsyrien diversen Machtinteressen geopfert werden? Wie kommen Glauben und Handeln zusammen, wenn wir wissen, dass Männer, Frauen und Kinder in anderen Teilen der Erde durch unseren Lebensstil um ihre Lebensgrundlagen fürchten müssen oder gar darum gebracht werden?

Der Jakobusbrief fragt nicht danach, ob zuerst der Glaube und dann das Handeln kommt. Oder ob man nur im Handeln den rechten Glauben erkennen kann. Das sind nicht seine Fragen. Es geht ihm nicht um Reihenfolgen oder Prioritäten von rechtem Glauben und rechtem Handeln. Sondern: Dem Jakobusbrief geht es um das rechte Leben. Um ein Leben, das Gott recht ist. Und dabei sind Handeln und Glauben nicht voneinander zu trennen. Sondern beide gehen ineinander über. Bedingen einander wechselseitig. Denn alles, was wir Menschen glauben, geht auch in unser Handeln ein. Und alles, was wir tun, hat auch Bedeutung für unseren Glauben und für unser Denken. Sozusagen ein beständiges, wechselseitiges Ineinanderfließen.

Martin Luther hat das übrigens ähnlich beschrieben. Über Gottes Güter schreibt er in seiner Freiheitsschrift (29.): „Aus Christus fließen sie in uns, der sich unser in seinem Leben angenommen hat, als wäre er das gewesen, was wir sind. Aus uns sollen sie fließen in die, die sie nötig haben.“

Es geht also um eine lebendige, fließende Beziehung zu Gott. Um eine lebendige, fließende Beziehung zu Christus. Um eine lebendige, fließende Beziehung zu meinen Nächsten. Eine Beziehung, die den ganzen Menschen umfasst. Glauben und Handeln. Unsere jüdischen Geschwister sprechen im Grundbekenntnis ihres Glaubens von der Liebe zu Gott „von ganzem Herzen, von ganzer Seele und ganzer Kraft“. Also auch eine Beziehung, die den ganzen Menschen umfasst. Glauben und Handeln.

Für solche Formen der lebendigen Beziehung im Glauben an Gott nennt der Jakobusbrief beispielhaft Abraham und Rahab.

„Hineni“ - nach biblischer Überlieferung sagt Abraham dieses Wort dreimal zu Gott. Dreimal: „Hier bin ich!“. Damit zeigt Abraham sein Vertrauen zu Gott - was immer auf ihn zukommt. Wegen dieses Vertrauens wird Abraham „Freund Gottes“ genannt. Und Rahab wird als Beispiel genannt, weil sie barmherzig handelt - selbst gegenüber denen, die als ihre Feinde gelten.

III

Unsere jüdischen Geschwister feiern seit dem vergangenen Sonntag Sukkot - das Laubhüttenfest. Und in zwei Tagen folgt Simchat Tora - das Fest der Freude über die Tora, die Weisungen Gottes. Für sie ist entscheidend, dass die Weisungen Gottes den ganzen Menschen erfüllen, Leib, Seele und alle Sinne. Der Jakobusbrief steht dieser Auffassung sehr nah. Für ihn geht es nicht darum, wie wir zum Glauben kommen. Sondern darum, wie wir in ihm bleiben. Wie wir einen lebendigen Glauben leben, wie wir von Christus her in Gottes Weisungen leben können.

„Hineni“ - sagt Abraham dreimal zu Gott. „Hier bin ich“. „Hier bin ich“ - das sind die Worte, auf die es auch heute ankommt. Im Vertrauen auf Gott. Im Vertrauen auf Christus, der für uns an unsere Stelle tritt, als wäre er wir, und uns so befreit vom auf uns selbst bezogenen Blick. Weil er auf uns sieht, weil er uns sieht, sind wir frei, auf andere zu sehen. Frei von der allein auf uns und unser Wohlergehen bezogenen Sorge. Frei für die Aufmerksamkeit für den, für die Andere, die mich in ihrer Not brauchen.

„Hineni“ - „Hier bin ich!“ - Jede und jeder von uns kann das zu einem anderen, zu einer anderen in Nah und Fern sagen: „Hineni - hier bin ich!“ Ja, hier bin ja noch ich! Ja, hier sind ja noch wir! So stehen wir ein für Gottes Liebe.  So stehen wir ein für andere und füreinander. Weil die Not, das Leid, der Schmerz, weil das Angesicht eines anderen Menschen uns in die Verantwortung rufen. In der Nachfolge der Verantwortung und der Liebe, die Gott in Christus für uns übernimmt. Denn für Christus siegt die Liebe und Sorge für uns über die Sorge für sich selbst, für sein eigenes Leben. Das meint Hingabe seines Lebens für uns, das meint Stellvertretung.

Niemand erwartet von uns, dass wir so weit gehen wie Christus. Aber dass wir Verantwortung füreinander übernehmen, dass wir einander nicht mit schönen Worten abspeisen, sondern unseren Worten Taten der Liebe folgen lassen, das ist schon gemeint: „Wenn ein Bruder oder eine Schwester nackt ist und Mangel hat an täglicher Nahrung und jemand unter euch spricht zu ihnen: Geht hin in Frieden, wärmt euch und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was der Leib nötig hat – was hilft ihnen das?“

IV

Abraham, daran erinnert der Jakobusbrief, wurde ein Freund Gottes genannt. Darum geht es auch für uns: Dass wir Freunde und Freundinnen Gottes werden, die in der engen, vertrauensvollen Beziehung zu Gott leben - also glauben und handeln. Oder, anders gesagt: Dass wir Schwestern und Brüder Christi sind, die in seiner Nachfolge seine Liebe in Worten und Taten an alle weiterfließen lassen, die sie nötig haben. Amen.

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