25. Dezember 2019, 1. Weihnachtsfeiertag | Dom zu Schwerin

Gott legt uns seine Liebe zu Füßen

25. Dezember 2019 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigt zum 1. Feiertag des Christfestes 2019 zu Titus 3, 4-7

Es gilt das gesprochene Wort!

I
Am Morgen danach, nach der großen Party, der ausgelassenen Geburtstagsfeier, der durchtanzten Nacht, da reibt man sich manchmal verwundert und etwas müde die Augen. Ist das alles wirklich geschehen, in der Nacht zuvor? In dieser einen Nacht voller Seligkeit? War das alles wirklich Realität oder doch nur ein schöner Traum?

Am Morgen danach, da schaut man um sich herum und sucht Zeichen dafür, dass all das wunderbare, ausgelassene, überschwängliche – dass all das auch tatsächlich passiert ist. In dieser einen Nacht voller Seligkeit…

Der Morgen danach, nach Musik und Verzauberung, nach himmlischen Momenten in der Nacht voller Seligkeit – der Morgen danach ist der Zeitpunkt, um wieder klare Gedanken zu fassen. Der Morgen danach gehört der Realität, der Vernunft, der Rationalität. Auch der Morgen nach dem Heiligen Abend.

Zeit also für klare Gedanken. An einem klaren und kühlen Morgen. Vielleicht gelingt das am besten, wenn wir die heutige Weihnachtspost öffnen. Keine der kurzen Weihnachtskarten, sondern einen Brief. Öffnen wir also den Weihnachtsbrief, der zwischen all den bunten Karten noch übrig geblieben ist, und hören auf seine Worte – die Worte des heutigen Predigttextes aus dem 1. Brief an Titus:

Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig – nicht um der Werke willen, die wir in Gerechtigkeit getan hätten, sondern nach seiner Barmherzigkeit – durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben seien nach der Hoffnung auf ewiges Leben. Das ist gewisslich wahr.

II
Nun, die letzte, die Heilige Nacht, hat offenbar doch ihre Spuren hinterlassen. Eine Nacht voller Seligkeit muss sie gewesen sein. Denn die erste Nachricht des heutigen Weihnachtsbriefes ist: Wir sind selig. Wir sind selig gemacht worden. Und zwar, als Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe erschienen ist.

Was ist das doch für eine zauberhafte Nachricht! Wenn Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe erscheinen, werden Menschen selig. Weil Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe eben nicht einmal und dann nie wieder erschienen ist, sondern seitdem immer und immer wieder erscheint. Weil Gottes Menschwerdung, sein Zur-Welt-Kommen, eben nicht einmal, irgendwann, vor langer Zeit geschehen ist. So, dass man sich daran höchstens noch besinnlich und sentimental zurückerinnern kann. Nein, Gottes Zur-Welt-Kommen, seine Geburt als Menschenkind in einem armen Stall irgendwo am Rand der Weltgeschichte, ist kein Märchen aus alter Zeit. Sondern es geht um etwas, das hier und heute, für uns, geschieht. Etwas, das mitten unter uns stattfindet: Mitten in unserer Welt, die wir lieben und zerstören. Mitten unter uns Menschen, die wir liebevoll, aber auch furchterregend sein können. Mitten in unserem Leben, das wunderschön und zerbrechlich zugleich ist.

Dass man da, mitten in diesem Leben, heute und hier, selig werden könnte – das ist schon eine wundersame Nachricht, oder nicht? Wo die Weltgemeinschaft in seltener, trauter Einhelligkeit und Gleichgültigkeit dem sich beschleunigenden Klimawandel zuschaut, als hätte das alles mit uns nichts zu tun. Wo auf Klimakonferenzen laue Kompromisspapiere verabschiedet werden, die der Überhitzung des Planeten alles andere als gegensteuern. Grund zur Seligkeit ist das nicht.

Zugleich sitzen in gnadenlos überfüllten Flüchtlingslagern an Europas Grenzen Menschen fest, die es auf lebensgefährlichen Wegstrecken immerhin bis dort geschafft haben – und nun vor den Zäunen eines Europas sitzen, das sich nicht auf Hilfe und Verteilung der Flüchtlinge einigen kann und sich doch als Hort der Menschenrechte, der Demokratie und der Menschenwürde verstehen will. Eine Insel der Seligen, die zu einer Festung geworden ist.

Und hier bei uns, mitten in unserem Land, werden Menschen auf der Straße beschimpft, angegriffen, bespuckt, einfach, weil man ihnen das Attribut „anders“ zuschreibt. Hass und Hetze analog und digital gegen die, die angeblich „anders“ sind – „anders“ aufgrund ihres Geburtsortes, ihrer Religion, ihrer Sexualität, ihrer politischen Meinung. Seligkeit fällt mir dazu jedenfalls nicht ein. Eher schon die bange Frage, ob die Zeile eines unserer bekanntesten Weihnachtslieder „Welt ging verloren, Christ ist geboren“ eine bedrängende Aktualität gewinnen könnte: Könnte es sein, dass unsere Welt verloren geht - verloren in Gleichgültigkeit, Hass und Gewalt?

III
Nun, die Weihnachtsbotschaft hält dagegen: Gott gibt die Welt nicht verloren. Sondern kommt als ein Kind in unsere zerbrechliche, gefährdete Welt – und legt uns seine Liebe zu Füßen. Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig.

Gott bringt im Christuskind eine neue Lebensweise zur Welt. Eine Lebensweise, die sich an Liebe und Barmherzigkeit orientiert. Daran, alles Leben auf dieser Erde zu behüten und zu bewahren. Das zur Welt kommende Christuskind weckt Hoffnung: Dass es Liebe gibt – mehr, als du meinst. Dass Barmherzigkeit möglich ist – mehr, als du denkst. Dass es Möglichkeiten zum Frieden gibt – mehr, als du annimmst.

Wenn Gott erscheint, wenn Gott zur Welt kommt, dann erscheinen Freundlichkeit, Menschenliebe, Barmherzigkeit. Was das bedeuten kann, davon spricht der heutige Predigttext-Weihnachtsbrief in einem ungewöhnlichen, einem schönen Weihnachtsbild: „Er machte uns selig durch das Bad der Wiedergeburt.“

Nicht vom Kind in der Krippe, von holder Seligkeit eines neuen Menschenkindes ist hier die Rede – sondern von uns selbst. Von uns selbst als Neugeborenen – als durch die Taufe – in biblischer Sprache durch „das Bad der Wiedergeburt“ – neu ins Leben tretenden Menschen.

Das Bild vom Bad der Wiedergeburt kann erinnern an ein erfrischendes und reinigendes Bad, wenn man verschmutzt oder schweißgebadet heimkehrt. Und dann das Gefühl: wie neugeboren aus der Wanne steigen. Es kann erinnern an erste Schritte nach langer Krankheit, das erste Atemholen in frischer Luft: wie neu geboren. Oder die zögernde, vorsichtige Geste nach einem großen Streit – und dann antwortet der Andere, vorsichtig, zaghaft noch – und wir fangen wieder miteinander an: noch einmal und doch wie neu. Das Bad der Wiedergeburt – es erinnert uns: Gott hat uns wiedergeboren, hat neu angefangen mit uns, hat uns die Fülle seiner Verheißung zugesagt.

Am Weihnachtsmorgen die Erinnerung an die Taufe: an Untertauchen und Emporkommen, an das Abstreifen und Ablegen von belastender Vergangenheit, an die Zusage von Zukunft und Hoffnung, an das Versprechen von Gottes Fülle und neuer Kraft zum Leben. 

Weihnachtliche Freude könnte dann die Freude darüber sein, dass wir selbst wie neu werden können – dass wir das Recht haben, ein anderer, eine andere zu werden. Dass wir nicht immer nur die gleichen Weg beschreiten müssen, dass wir nicht alles so weiter machen müssen, wie wir es immer schon getan haben – dass das Leben eben nicht alternativlos ist. Nicht für Einzelne, nicht für ganze Familien und Lebensgemeinschaften, nicht für Gemeinden oder Staatswesen, auch nicht für die Menschheit insgesamt.

Die Weihnachtsbotschaft schenkt Vertrauen darauf, dass der Lauf der Welt nicht alternativlos ist. Dieses Vertrauen geben wir weiter, wenn wir einander einladen und mit Aufmerksamkeit beschenken. Wir geben es weiter, wenn wir unsere Herzen und Hände öffnen für die, die Hilfe und Nähe brauchen: Kranke, Trauernde, sozial Benachteiligte im eigenen Land, Einsame oder einfach die Leute von nebenan. Wir geben es weiter, wenn wir Geflüchteten helfen und sie unser Land als Ort der Mitmenschlichkeit erfahren. Wir geben es weiter, wenn wir in verschiedenen Glaubenstraditionen und Religionen friedlich zusammenleben. So wächst Vertrauen unter uns – Vertrauen, dass wir so dringend brauchen für unser Zusammenleben und für die Gestaltung unserer Zukunft. Vertrauen darauf, dass die Welt sich zu mehr Liebe und Barmherzigkeit ändern kann, dass auch wir selbst uns ändern können.

IV
Manchmal, am Morgen danach, da reibt man sich verwundert, etwas müde und staunend die Augen. Ist das alles wirklich geschehen, in dieser Nacht voller Seligkeit?

Auch am Morgen nach dem Heiligen Abend, nach der heiligen, der einen Nacht voller Seligkeit, da schauen wir um uns herum, reiben uns vielleicht etwas müde und staunend die Augen. Ist das wirklich wahr – die Freundlichkeit, die Menschenliebe Gottes mitten unter uns? Eine neue Lebensweise in der Welt, Liebe und Barmherzigkeit als reale Möglichkeiten unseres Lebens – und die Welt doch noch nicht verloren, weil Christus uns geboren…?

Vielleicht suchen wir jetzt einen Beweis, ein Zeichen dafür, dass das alles auch tatsächlich passiert ist, dass es tatsächlich wahr ist. „Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“

So: „Freu dich, Erd und Sternenzelt, Gottes Sohn kam in die Welt.“ (EG 47)

Amen.

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