15. September 2015 | Hamburg, Ökumenisches Forum Hafencity

Gott zeigt Verständnis für unsere armselige Lage

15. September 2015 von Kirsten Fehrs

Lehrer- und Lehrerinnengottesdienst zum Schulanfang; Predigt über die Klagelieder 3, 19-26

Im Namen Gottes, der Quelle unseres Lebens, im Namen Jesus Christi, dem Grund unserer Hoffnung und im Namen des Heiligen Geistes, der Kraft, die uns bewegt und erneuert. Amen

Liebe Schuljahresanfangsgemeinde, liebe Lehrerinnen und -lehrer, wie schön, dass Sie den Weg hierher ins Ökumenische Forum gefunden haben. Ich freue mich sehr, Sie wieder zu sehen bzw. kennen zu lernen - und - jetzt bereits zum 4. Mal zu erleben, welch engagierte Lehrerinnen und Lehrer wir an unseren Schulen haben. Lehrer, die ihre SchülerInnen mit Empathie begleiten und sich auch auseinandersetzen: Manchmal bis an die Grenze der Kraft. Und es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen dafür zu danken und Ihnen meine Anerkennung auszudrücken - mit diesem Gottesdienst und mit dem kleinen Empfang im Anschluss. Seien Sie bitte herzlich eingeladen zu Brot, Wein und Gespräch! Ich danke all denen, die dies vorbereitet haben - dem Religionslehrerverband und dem PTI - und ich danke Frau Hrasky, die uns musikalisch begleitet. So lasst uns also singen und feiern im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen 

Klagelieder 3, 19-26:
An meine Not und Unrast denken ist Wermut und Gift. Immer denkt meine Seele daran und ist betrübt in mir. Das will ich mir zu Herzen nehmen, darauf darf ich harren: Die Huld des Herrn ist nicht erschöpft, sein Erbarmen ist nicht zu Ende. Neu ist es an jedem Morgen; groß ist deine Treue. Mein Anteil ist der Herr, sagt meine Seele, darum harre ich auf ihn. Gut ist der Herr zu dem, der auf ihn hofft, zur Seele, die ihn sucht. Gut ist es, schweigend zu harren auf die Hilfe des Herrn.

Liebe Lehrerinnen, liebe Lehrer, natürlich durfte sie nicht fehlen. Die Schultüte zum Schulanfang. Ich weiß noch genau, was in meiner drin war - ein Salmi-Lolli und leider auch viel Praktisches. Sogar ein Stofftaschentuch von meiner Patentante. Naja, dachte ich damals.
Aber: Ich habe es bis heute. Es ist wie eine Art Seelentröster. Es erinnert mich an Tante Luise, aber ebenso an diesen Moment der aufgeregten Freude, was sich da jetzt bloß alles für Horizonte öffnen würden! Schule!!! Selbstständig sein! Endlich was zu tun! Zugegeben - es gab diesbezüglich Enttäuschungen... Und es gab auch Ängste, nicht bestehen zu können. Es gab Tränen der Wut und Tränen der Anstrengung, und es gab Liebeskummer - alles in der Schule. Und das Taschentuch hat jedem Klagelied standgehalten.

Deshalb, habe ich mir gedacht, darf sie auch heute nicht fehlen, die Schultüte. Mit schönen Dingen, die die Seele nähren. Also habe ich eine dabei, eine für alle.

Mit dem, was Ihnen - so Gott will - in der Seele gut tut. Was Tränen wegwischt und den Schweiß der Erschöpfung.

Dafür steht diese Glasträne. Tränen können die Seele waschen, so wie der Sommerregen die staubige Luft reinigt. Heißt: Trauer und Klage sind erlaubt und müssen nicht gleich versteckt werden hinter professionellem Optimismus. Erst recht nicht hinter abgeklärtem Zynismus. Nur verlieben sollten wir uns nicht in die Klage. "An meine Not und Unrast denken ist Wermut und Gift. Immer denkt meine Seele daran und ist betrübt in mir."

Gegen den bitteren Wermut soll die Schultüte von der Süße des Lebens erzählen, gerade wenn es einen besonders sauer ankommt. Deshalb Salmi-Lollis und für Sie diese Praline, die der Lebensfreude GEWICHT verleihen möge. Denn es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass bei besonders emotionalen Momenten, wenn es einen hin- und herreißt vor Rührung oder Ärger - dass Süßes zum Ausgleich verhilft. Wenigstens in Maßen. Deshalb bekommen Sie am Schluss jeweils nur eine, also: jede/r eine, nicht eine für alle....

Die Seifenblasen hier stehen für die Träume, die nicht verloren gehen dürfen. Weil die Realitäten einen manchmal allzu hart auf den Boden der Tatsachen halten, braucht es für die Seele eine Aussicht, ein schillerndes "Hinterm Horizont geht es weiter". Und: hinterm Horizont wird es auch besser. Es ist der Traum von der Veränderung des Un-bunten. So wie wir es hier gerade in Hamburg und an vielen anderen Orten erleben. So viele Menschen, die für ein buntes Hamburg und gegen braune Einfalt auf den Rathausmarkt gegangen sind. So viele Menschen, die sich engagieren in Kleiderkammern und Essensausgaben, im Deutschunterricht und als Paten. Vor ein paar Tagen sagte ein Pastor zu mir: "Wir haben über 200 Ehrenamtliche, die wir noch nicht beschäftigen konnten." Und fügte als Scherz hinzu: "Irgendwann werden wir die Flüchtlinge vor dem Arbeitseifer der Ehrenamtlichen schützen müssen....".

Mich machen solche Erlebnisse und Bilder von total unkomplizierter, per Facebook tatsächlich funktionierender, überbordender Herzlichkeit wie in den Messehallen oder am Samstagabend im Hauptbahnhof glücklich. Weil eben nicht nur Not und Unrast das Herz beim Thema Flüchtlinge bestimmt, sondern die Hoffnung, der Traum von der besseren Welt, und das Erbarmen. Die Leichtigkeit, die die Seifenblase in sich hat, ermutigt dazu, weder zu viele Bedenken zu tragen noch sich moralisch unter Druck zu setzen. Gut ist es, einfach mitzumachen. Gut ist es, zu harren auf die Hilfe Gottes, die mir Kraft gibt, um selbst zu helfen.

Der Luftballon: Bei alldem müssen wir sehen, dass uns nicht die Puste ausgeht. Wer anderen helfen will, braucht einen langen Atem. Das gilt für Flüchtlingshelfer genauso wie für Lehrerinnen und Lehrer. Eine Klasse motivieren, das ist oft eher Marathon als Spaziergang. Das raubt einem den Atem, und manchmal den Schlaf. Das ist Stress, und das ist Erschöpfung. Wenn alle Batterien leer sind, gibt es doch eine Kraftquelle: "Die Huld des Herrn ist nicht erschöpft, sein Erbarmen ist nicht zu Ende."

Dafür stehen diese Entspannungsbadeperlen: denn nichts geht über ein Bad, wenn man total erschöpft ist. Überhaupt ist Wasser, das Urelement, in dem man umschmiegt ist und leicht, ein wahrer Seelentröster. Erinnert daran, dass wir in unseren Ursprüngen im Wasser aufgehoben waren - und mit dem Wasser des Lebens getauft sind. Und dieses Zurückfinden der Seele in uns selbst - das Gefühl wieder bei sich angekommen zu sein und mit sich "Im Reinen" zu sein - das braucht es, um hohe Anstrengung durchzustehen.

Wunderschön ist das - siehe Schriftröllchen - in alter Poesie erfasst: O Seele, suche dich in Mir, und, Seele, suche Mich in dir. Die Liebe hat in Meinem Wesen dich abgebildet treu und klar: Kein Maler lässt so wunderbar, O Seele, deine Züge lesen. Hat doch die Liebe dich erkoren als meines Herzens schönste Zier: Bist du verirrt, bist du verloren, O Seele, suche dich in Mir.

In meines Herzens Tiefe trage Ich dein Portrait, so echt gemalt; sähst du, wie es vor Leben strahlt, verstummte jede bange Frage. Und wenn dein Sehnen Mich nicht findet Dann such nicht dort und such nicht hier: gedenk, was dich im Tiefsten bindet, und Seele, suche Mich in dir.

Diese Worte stammen von Teresa von Avila, die dieses Jahr ihren 500. Geburtstag feiert. Sie war Tochter einer konvertierten jüdischen Familie in Spanien - und mutet faszinierend modern an. Hatte ihren eigenen Kopf. Sie suchte religiösen Sinn im Leben und ging gegen den Willen des Vaters mit 20 Jahren ins Kloster. Aber es ist eben keine gerade und glatte Heiligenvita, die da beginnt, sondern ein gewundener und holpriger Weg. Immer wieder gerät Teresa in den Zweifel. Immer wieder erkrankte sie auch, gab eine Zeitlang das Gebet auf, fand es später aber wieder. Und sie entwickelte das "innere Beten": Beten bedeutet, dass der Mensch sich immer wieder von neuem Gott zuwenden soll, und zwar ungeschminkt so, wie er oder sie wirklich ist. Ohne dabei etwas zu verdrängen oder abzuwerten. "Gott entsetzt sich nicht über unsere Schwächen, sondern zeigt Verständnis für unsere armselige Lage." Beten, so sagt sie, ist damit "wie das Verweilen bei einem Freund". Und so kommt die Seele nach Haus:

Du bist Mein Haus und Meine Bleibe, bist meine Heimat für und für: Ich klopfe stets an deine Tür, dass dich kein Trachten von Mir treibe. Und meinst du, Ich sei fern von hier, dann ruf Mich, und du wirst erfassen, dass Ich dich keinen Schritt verlassen: Und, Seele, suche Mich in dir.Wer Gott hat, dem fehlt nichts: Gott allein genügt.

Gott allein genügt. Denn die Freundschaft zu Gott- und demzufolge zu den Geschwistern und Mitgeschöpfen, sie ermöglicht auch die Freundlichkeit zu sich selbst. Nicht klösterliche Selbstkasteiung hat die Teresa propagiert, sondern Zuwendung zum Körper. Genuss. Leichtigkeit. Damit die Seele gern drin wohnt.

Womit ich wieder bei meiner Schultüte wäre - sie hält ein letztes bereit, den Humor. Sieht man in diesem Cartoon-Büchlein eine Klasse mit lauter Schülern, die schlafen, Köpfe auf den Tischen. Der ratlose Lehrer ein einziges Fragezeichen. Hebt einer von den Schülern ein Augenlid und sagt: Sie haben einfach so eine beruhigende Stimme... Dass die Freude sich in Ihrer Seele sammelt wie die schönen Dinge in einer Schultüte, das wünsche ich Ihnen von Herzen. Und Gottes Segen sowieso.

Amen.

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