13.Juli 2025 | Immanuelkirche Wedel

Gottesdienst am 4. Sonntag nach Trinitatis anlässlich des 50. Jubiläums der blauen Ausmalung und der Restaurierung

13. Juli 2025 von Kirsten Fehrs

Lukas 6,36-42

Liebe regionale, ökumenische, blau-begeisterte Festgemeinde,

was für eine Freude, nach fast genau elf Jahren wieder einmal bei Ihnen zu Gast zu sein! In diesem frisch aufgehübschten Blau. Was sage ich: sensationell blau! So was gibt‘s selten in Deutschland.

Und so bin ich heute auch ein bisschen stolz, dass eines dieser Schmuckstücke in meinem Sprengel steht. Ein besonderes Zeichen, dass das Blau des Friedens nicht nur genau 50 Jahre nach der Neugestaltung des Innenraums, Kompliment dazu, lieber Architekt Peter Erler, sondern auch achtzig Jahre nach Kriegsende neu erstrahlt. Da ist Sinn dahinter – allemal in diesen krisenreichen, kriegsgebeutelten Zeiten. Und das ist wahrlich ein Festprogramm wert, danke dafür.

Denn selbstverständlich ist das alles ja nicht. Wie oft wurde diese Kirche zerstört und wiederaufgebaut, saniert und renoviert in ihrer 711 Jahre langen Geschichte! Wieviel Hoffnungsmut und Engagement brauchte es dazu jedes – und auch dieses – Mal! Hut ab! Und Dank an alle Spenderinnen und Spender und an alle, die sich um die Renovierung gekümmert haben, haupt- und ehrenamtlich. Meinen allerherzlichsten Glückwunsch also zum neuen Blau in elf Tönen, das diese Kirche himmelweit macht. Wassily Kandinsky, der expressionistische Maler mit der „Blaue Reiter“-Periode, hat passend gesagt: „Je tiefer das Blau wird, desto tiefer ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Übersinnlichem. Es ist die Farbe des Himmels.“

Also sitzen wir mitten im Himmel. Spüren Sie‘s? Das tun wir übrigens nicht nur wegen des Blaus. Jüngst traf ich einen befreundeten Klimaforscher und Meteorologen. Und fragte ihn, wo eigentlich der Himmel genau beginnt. „Na, direkt zu deinen Füßen“, antwortete er. Großartig, dachte ich. Das bedeutet ja, dass wir täglich im Himmel leben, lieben, atmen, ihn durchschreiten!

Überall also der Himmel in bleu. Auch und besonders in dieser Kirche. Darüber lässt sich viel sagen und meine Vorpredigerinnen haben da schon ganze Arbeit geleistet. Versuche ich also, ohne eine Wiederholung den blauen Bogen zum Predigttext zu spannen, der uns heute vorgegeben ist. Seit dem Mittelalter steht „blau“ nicht nur für Frieden, Vertrauen, Harmonie und die Vergißmeinnicht-Treue, steht nicht nur für die Weite des Meeres, die Kälte des Eises und die edle Himmelskönigin Maria mit ihrem Madonnenmantel. Es steht auch für das Immaterielle, das Geheimnisvolle Gottes. Ihm haftet – in der Suche danach – deshalb oft etwas Unklares und Nebulöses an, etwas, das einen täuschen und enttäuschen kann: sein blaues Wunder erleben, blauäugig sein, das Blaue vom Himmel erzählen, jemandem blauen Dunst vormachen …

Und diesem Blau-Verständnis nun hält der schöne Predigttext aus Jesu Bergpredigt jede Menge entgegen. Soll doch bitte kein Blinder einen Blinden führen, dass beide im Dunklen tappen. Respektive in die Grube fallen. Heißt: Mit sich und anderen im Unklaren bleiben, das fördert nicht gerade ein gutes Miteinander.

Denn ums Miteinander geht es in der Kirche – um die Gemeinschaft derer, die den Himmel glauben, hier auf der Erde. Um den Geist, der diese schöne blaue Kirche füllen und den sie auf den Marktplatz der Welt ausstrahlen möge. Ist doch gerade im vergangenen Festjahr deutlich geworden: Eine so schöne Kirche ist wahrlich ein Geschenk. Sie birgt und tröstet. Sie wird zur Heimat, zum Sehnsuchtsort. Aber mit welchem Geist sie sich füllt, das entscheiden nicht die blauen Kacheln, sondern ihr, die ihr hier ein- und ausgeht und von Jesu Worten und Werken inspiriert singt, betet, schweigt, sprecht.

Das entscheiden wir, die wir uns selbst und andere immer wieder daran erinnern sollen, wie das gehen könnte mit dem Frieden in Zeiten des Hasses. Deshalb gibt es biblischen Klartext: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Vergebt, so wird euch vergeben.“

Man stelle sich vor, hier und im näheren und ferneren Umfeld, würden sich Menschen einfach mal an diese universalen Lebensweisheiten halten! Wie lebenswert wäre das! Für alle. Wohin eine erbarmungslose und ungnädige, aggressiv-verurteilende, mitleidslose Haltung führt, macht uns ja gerade im weltweiten Maßstab fassungslos. Dieses Ausmaß an Kriegstreiberei, politischem Irrsinn und Menschenrechtsverletzungen, an Hass und Hetze, auf der Straße, im Netz und in den Parlamenten ist erschreckend. Just war ich in Brüssel im Europäischen Parlament und hörte von den rechtsnationalen Parteien, wie sie außer Rand und Band geraten. Das gerüttelt Maß an berechtigter Kritik weicht hier maßlos menschenverachtender Pöbelei. Sprich: Die Balken vor den eigenen Augen machen viele gerade lebensgefährlich blind.

Als die Bischöfin der Episkopalkirche von Washinghton, Mariann Edgar Budde, gewagt hat, im Gottesdienst zur Amtseinführung Donald Trumps die neue Regierung um Barmherzigkeit zu bitten, war das ein überaus mutiger Akt. Mit eben diesem Wort aus der Bibel: „Seid barmherzig! Mit den Schwachen. Den Geflüchteten. Mit den Kranken, den Armen und Gefangenen. Seien Sie barmherzig mit denen, die jetzt fürchterliche Angst haben vor der Gewalt, Mister President, ich bitte Sie.

„Seid barmherzig.“ Weil Gott mit euch barmherzig ist. Darauf doch ist jeder Mensch angewiesen: dass er Hilfe erfährt, wenn er sie braucht, und Achtung, Milde, ja Vergebung. Einfach, weil wir Menschen sind und als Menschen Fehler machen und schuldig werden. Alle Menschen. Auch und gerade die Despoten und autoritären Machthaber unserer Tage. Tatsächlich aber hat sich mit voller Wucht gezeigt, so erzählte es Mariann Edgar Budde auf dem Kirchentag, dass wer an die biblischen Lebensweisheiten erinnert, Morddrohungen riskiert. Eine solche Provokationskraft und Macht haben die alten Worte!

Ich finde, das könnte uns auch in der Kirche mutiger machen. Denn jetzt, wo weltweit alles aus den Fugen gerät und all das in Frage zu stehen scheint, was unsere Kultur bislang geprägt hat, nämlich Anstand, das vernunftgeleitete Gespräch, demokratischer Konsens als Königsdisziplin, die Achtung der Menschenwürde, jetzt gerade doch ist der Kompass unseres Glaubens gefragt! Damit wir nicht irre werden inmitten all des Irrsinns. Wie bleiben wir Hoffnungsmenschen, liebe Geschwister, die dem Blau des Himmels mehr trauen als dem dauerhaften Schwarz der schlechten Nachrichten?

Und mit dem Predigttext weiter gefragt: Was kann konkret dieser schöne blaue Raum dazu beitragen, den Balken im eigenen Auge zu erkennen und andere so zu behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte? Wie der Liebe zum Nächsten auf diese Welt helfen, die so vergiftet ist mit Gewalt und Egozentrik, Feindschaft und Hass?

In EKD und Diakonie Deutschland haben wir ein Projekt entwickelt, das neben der Muttersprache der Kirche, nämlich Musik und Wort, Seelsorge und Segen, weitere Räume der Menschenfreundlichkeit öffnet. Unter dem #VerständigungsOrte kommen Menschen zusammen und reden miteinander, die ganz unterschiedler Meinung sind. Egal, ob es um Aufrüstung oder um Israel geht, um Migration oder Bürgergeld, Windräder oder Neubaugebiete, man kommt zusammen und redet. Findet sich zu viert oder zu fünft an einem von mehreren Tischen ein. Und jeder darf vier Minuten aussprechen, was er oder sie denkt. Ohne Unterbrechung. (Reden Sie mal vier Minuten am Stück!) Die anderen am Tisch hören einfach nur zu. Hören, halten bisweilen auch aus, was der andere zu sagen hat. Sagen dann selbst, was sie zu sagen haben. Und allein dieses Zuhören und reden dürfen, bringt eine völlig andere Atmosphäre in den Raum. „Das wird man doch noch mal sagen dürfen!“ – Ja, darf man. Nur zu. Es gibt diesen Raum, in dem all das erlaubt ist. Auch übrigens für möglich zu halten, dass das Gegenüber lautere Motive für den eigenen Standpunkt haben könnte. Ja, dass einen diese Position sogar bereichern könnte. Dies alles sind Basistugenden menschlicher Kommunikation und christlicher Kultur: den Menschen respektieren, auch wenn ich seine Meinung nicht teile, Interessen ab- und ausgleichen, Kompromisse finden. Mit dem Ziel, herauszukommen aus der rechthaberischen Sieger-Verlierer-Logik, um Gewinn-Gewinn-Lösungen gemeinsam zu suchen.

Ich habe mehrere Verständigungsorte in ganz Deutschland besucht – in Halle, Potsdam, Hanau. Habe festgestellt, dass es nicht immer so angenehm ist, den Balken vor dem eigenen Auge zu sehen anstatt zunächst und vor allem den Splitter im Auge des anderen. Aber ich fand auch ermutigend, dass sich die Mühe lohnt. Und dass es wegen der großen Polarisierung in diesem Land eine große Sehnsucht nach Nähe und Verständnis gibt, danach, barmherzig angesehen, und nicht verurteilt zu werden.

Ich finde: Dieses blaue Himmelreich hier wäre ein wundervoller Verständigungsort. Auf dem Weg, ein friedvolles Miteinander in Wedel zu bewahren und nicht wie so oft in der Gesellschaft blind in die Grube der Verachtung und Menschenfeindlichkeit zu fallen.

Und mehr noch. Nicht allein Verständigungsort kann Immanuel – Gott mit uns! – sein, sondern allemal ein Ort, sich mit sich selbst zu verständigen. Im Blues der Nachdenklichkeit einmal in Ruhe zu sich kommen und zu Gott. Verinnerlichen und einatmen den Geist: „Sei barmherzig, wie auch dein Gott mit dir barmherzig ist.“ Denn dass wir andere Menschen respektvoll behandeln, sie nicht niedermachen, sondern versöhnlich unterwegs sind, das hat eine Voraussetzung: dass Gott es mit uns ebenso macht. Und dass er uns dadurch befähigt, es ihm nachzumachen – also ihn zu imitieren.

Niemand schöpft die Liebe zu anderen Menschen dauerhaft aus sich selbst heraus – zumal manch Mitmensch es einem nicht allzu leicht macht, weil er nervig, anstrengend, eigensinnig ist und so gar nicht wie wir … Deshalb diese Erinnerung heute: festhalten an der alten Weisheit. Sich beschenken lassen von Gottes Barmherzigkeit. Und dann: weitergeben. Das ist die Logik eines Lebens unter dem Vertrauensvorschuss Gottes. Das ist das Selbstverständnis, aus dem heraus wir anderen die Hand reichen und uns verständigen können. Trotz aller Unterschiede. Verletzungen. Trotz aller Balken und Blindheiten. Hier in Wedel, in Hamburg und in der Welt, so ist meine unerschütterliche Hoffnung.

In diesem Sinne freue ich mich von Herzen, dass hier mit der Immanuelkirche mitten im Zentrum ein Ort neu erstrahlt, an dem Menschen zu Mitmenschen werden. Mitmenschen, die verstanden haben, dass sie gemeinsam in einem Boot sitzen, das sich Erde nennt. Um genau diese Welt zu einem besseren Ort zu machen – so wie Reiner Kunze es in einem meiner Lieblingsgedichte beschreibt:

Rudern zwei ein Boot,
der eine kundig der Sterne
der andre kundig der Stürme wird der eine führn durch die Sterne,
wird der andre führn durch die Stürme,
und am Ende, ganz am Ende
wird das Meer in der Erinnerung blau sein.

Durchdrungen eben vom Frieden Gottes, höher als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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