19. Juli 2020 | Dom zu Lübeck

Gottesdienst am 6. Sonntag nach Trinitatis

19. Juli 2020 von Kirsten Fehrs

Predigt zu Jesaja 43,1-7

Kanzelgruß

Liebe Gemeinde,

Neugeborene bekommen als erstes einen Namen. Möglichst einen besonderen, unverwechselbaren: Johanna, Karl oder Laura Jane. Der Name ist würdiger Ausdruck der einmaligen Persönlichkeit, der Herkunft auch. Deshalb ist der Name bisweilen eine schwierige Geburt. Soll er doch zärtlich das Kind umhegen, ein Leben lang, und etwas aussagen und nicht unschön abgekürzt werden können und was nicht alles. Namen sind eben auch Programm.

So ist‘s auch mit dem Allerhöchsten selbst. Als Mose Gott nach seinem Namen fragt, antwortet der: „Ich bin, der ich bin“ oder anders übersetzt: „Ich bin der ‚ich bin da‘. Meint: Gott ist gegenwärtig. Präsent. Und er ist zugleich in Bewegung, geht mit, wo wir sind – ob in der Fremde, in der Not, auf der Lebenssuche, beim Verlieben, auf dem Sterbebett. Und so hat auch Jesus als Gottes Sohn diesen Namen gelebt. Als Jeschua, das heißt Gott ist Retter. Christ, der Retter ist da, indem er ausnahmslos jedem Menschen Zuneigung entgegenbrachte, den Ausgestoßenen und Verletzten zuallererst.

Ausgestoßen und verletzt waren im 6. Jahrhundert v. Chr. auch die Israeliten, zu denen Jesaja spricht. Wir wissen, sie sitzen im Babylonischen Exil, gefangen gehalten nicht allein von Siegern, sondern auch von den Bildern ihrer eigenen Niederlage. Unerlöst, verzagt, verbittert. Gottes Nähe? Nicht gegenwärtig.

Jesaja hält gegen. Er tröstet sein Volk: Gott, der dich und die Welt um dich geschaffen hat, nur durch sein Wort, der spricht zu dir: „Und nun! Fürchte dich nicht. Ich habe dich erlöst und bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“Und nun! Nun aber. Gottes Wort ist ein Dennoch, ein Widerwort gegen die Angst. So als würde man einem niedergedrückten Kind das Kinn anheben – und damit den Blick total verändern. Aufgeschaut! Ich habe dich beim Namen gerufen. Und leidenschaftlich geht es weiter in der Gottesrede: „Weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe.“ Diese Worte totaler Zuneigung gegenüber jedermann und jeder Frau sind Programm. Es ist das Gegenprogramm Gottes in einer Welt, in der viel zu viel gekämpft, kalkuliert, diskriminiert und vernichtet wird und viel zu wenig geliebt.Auf dieses Programm überschwänglicher Zuneigung zur Kreatur sind wir getauft. Auf seinen Namen, Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Und so haben wir als Getaufte genau dies zu bezeugen, inmitten dieser Welt: Gott ist gegenwärtig – mit seinem Programm.

Dass dies bisweilen überraschende Geschichten schreibt, daran möchte ich Sie heute teilhaben lassen. Als Taufzeugin sozusagen.

Pfingsten 2019, Tauffest in Hamburg. Kein Corona in Sicht, dafür fünftausend Leute, die fröhlich schnatternd (auch vor Kälte) dem stark wehenden Geist folgen und ans Elbufer kommen. Mit Kühltasche, Blumen und guter Laune. Vor allem aber mit fünfhundert Täuflingen im Gepäck, gerade neu geborene bis hin zu frisch geschminkten Teenagern. Kurz: Lebensfreude pur.

Als es zur Taufe ging, ich sage euch, Wunder an Wunder. Das lag nicht allein an den äußerst kreativ gekleideten Pastor*innen, die im Wasser standen mit bunten Badelatschen und Surfschuhen, den Talar mit Sicherheitsnadeln hochgerefft – es lag an der heiteren Zärtlichkeit, mit der die Kolleg*innen ein zauberhaftes Menschenkind nach dem anderen getauft haben. Ich habe selten in meinem Leben in so viele glückliche Gesichter geschaut, noch nie so viele Segensworte zur gleichen Zeit gehört und Namen, die gerufen wurden!

Eine Szene ist mir besonders nachgegangen: Ein Vater, sehr groß und mit einer eindrucksvoll kompakten Figur, tätowiert von oben bis unten, kurzum: nicht unbedingt unsere Kirchenklientel, wie übrigens die meisten der Fünftausend, steht gerührt mitten im Wasser und hält vertrauensvoll der Pastorin sein Kind entgegen. Auf diesem muskulösen blauschwarz-tätowierten Arm lag dieses klitzekleine helle Baby, der einzige weiße Fleck auf diesem ganzen Menschen, der seinerseits Wasser weinte und ein wenig schamhaft-selig wieder ans Ufer kam. Mir war, als wäre es ein neues Ufer …

„Wenn du durchs Wasser gehst, will ich bei dir sein“, spricht Gott. Das hat dieser Mensch gespürt. Segen, der bleibt. Unabwaschbar die Taufe – man konnte es sehen! Als ich später mit dieser Familie, die alle offenkundig denselben Tätowierer hatten, zusammenstehe, erzählt der Vater, dass die Kleine eine Nachzüglerin sei. Die Großen seien gerade aus dem Haus und just hätte er die Familienkutsche gegen ein Motorrad eingetauscht. „Und nun muss alles wieder neu!“, sprichts und ruft die Kleine bei ihrem Namen „Mien seute Popp“ und Emmi dazu.

In solchen Momenten, liebe Gemeinde, ist mir Gott so gegenwärtig. Es ist, als schaue Gott selbst ganz zärtlich auf eines seiner vielen, geliebten Augensterne, die kleinen und die tätowierten. Und dann geschehen Anfänge. Neue Ufer, neues Leben. Gerade bei der Taufe selbst wird das so deutlich. Dieser stille, heilige Moment, wenn der Täufling mit dem Wasser berührt und bei seinem ganz eigenen Namen gerufen wird. Da ist‘s, als hielte die Welt den Atem an. Und wir mit ihr. Denn Taufe rührt ja auch an unsere Ursprünglichkeit, an unser Geschaffensein, geliebt von allem Anfang an. Die Taufe rührt an das, was wir waren und was wir sein wollten. Sie erinnert unsere Sehnsucht nach neuen Anfängen und danach, dass die Liebsten behütet bleiben mögen, vom ersten bis zum letzten Atemzug. Die Taufe erinnert uns, immer wenn uns Widersprüche zu zerreißen drohen, dass es Einen gibt, der uns im Innersten zusammenhält. Denn er weiß um jeden Stern in unserem Leben. Wen wir lieben und wen wir tragen. Er allein weiß, wie viel Sternlein stehen. „Gott, der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet, an der ganzen großen Zahl, an der ganzen großen Zahl.“ Diese Zusage durch die Zeiten zu singen heißt, Gott den Schöpfer und Retter zu glauben. Ihn, der uns geheimnisvoll, unsagbar, oft unverständlich erscheint. Der aber immer wieder aufs Neue sagt: „Fürchte dich nicht, ich habe dich in deinen Ängsten erlöst.“

Wir sollten diese Worte viel öfter zu uns nehmen! Gerade jetzt in einer Zeit, in der so viele Menschen in Ängsten festsitzen und in der sich ein zunehmender Kleinmut europaweit auf die Seelen legt, nicht nur Corona-bedingt, sondern eben auch gesamtgesellschaftlich. Woher bloß kommt diese Angst, diese Enge, denen nicht geben zu wollen, die es in der Corona-Zeit besonders hart getroffen hat? Wieso so wenig Hoffnungsmut und Großzügigkeit, auch in Europas Brüssel?

Und ich schaue in den Süden unserer gemeinsamen Welt. Erinnere mich an Jonathan, einen betagten baptistischen Prediger aus Südafrika, dem Land Nelson Mandelas. Während der Zeit der Apartheid wäre Jonathan einmal fast ums Leben gekommen. Die Verfolger waren überall, so brutal. Irgendwann flüchtete er sich in seine Kirche. Kurz bevor die Verfolger die Tür eintraten, sah Jonathan das große Taufbecken, in das er bei seiner Taufe einst ganz und gar eingetaucht worden war, sprang kurzerhand hinein und zog den Taufdeckel über sich. Und: Er wurde nicht entdeckt. Gerettet!

Seitdem lebt Jonathan anders. Wie neu geboren, sagt er. Unendlich dankbar und angefüllt mit einer Friedenssehnsucht, dass es schmerzt. Angesichts der Welt, die er täglich sieht. Angesichts dieser elenden Armut, die es immer noch gibt. Angesichts Millionen Männer, Frauen und vor allem Kinder weltweit, die die Flucht riskieren. Und die in ihren Booten vor den Küsten Europas untergehen. Immer noch. Namenlos, weil unerkannt. Weggeschaut. Un-erhört.

Wir sind in Jesu Tod getauft, um zu leben – dies in aller Konsequenz zu hören, heißt für mich berührbar zu bleiben, bis an die Herzhaut, wenn Leben bedroht und zerstört wird. Gegenrede zu halten, wenn Menschen angefeindet, niedergetrampelt, heruntergeschimpft werden. Zeugen der Taufe zu sein, liebe Gemeinde, heißt Gottes Gegenwart mit ins Leben zu heben. Für die Erniedrigten und Getretenen in Syrien, aktuell in Brasilien und den USA. Aber auch für die Vereinsamten und Heimatlosen bei uns.

Darum: Fürchte dich nicht, klar beim Namen zu nennen, was nicht zu tolerieren ist. Fürchte dich nicht, den Einsamen in dein Haus einzuladen und mit den Hungrigen dein Brot für die Welt zu teilen. Denn, so spricht Gott: „Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde, alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.“

Und nun!Wir sind eine universale Familie all inclusive. Lassen wir uns nicht bange machen in dieser schwierigen Zeit. Sondern nehmen wir die Zuneigung Gottes ins Herz. Damit wir positiv überrascht werden davon, dass in ausnahmslos jedem Menschen eine Antwort Gottes auf die Frage liegen kann, wo Sinn ist und Hoffnung. Und wir schauen einander an, hier im Dom, hören die Musik und dürfen glauben: Gott ist gegenwärtig.

Wie sein Friede, höher als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

Datum
19.07.2020
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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