03. August 2025 | Dom zu Berlin

Gottesdienst zum 7. Sonntag nach Trinitatis

03. August 2025 von Kirsten Fehrs

Joh 6,30-35 30 Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? 31 Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht Ps 78,24: »Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.« 32 Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. 33 Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Le-ben. 34 Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot. 35 Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.

Gnade sei mit euch und Frieden, von dem, der da war und der da ist und der da kommt als Brot des Lebens. Amen

Liebe Gemeinde im Dom zu Berlin,
ein Tisch, fein gedeckt, dampfende Schüsseln, drumherum die Familie. Für mich ist das eine prägende sonntägliche Kindheitserinnerung. Unser großer Esstisch, ein durch und durch heller Ort. In meinem Elternhaus stand er in der großen Diele, mitten im Haus, und jedes Kind hatte seine eigene Stoffserviette und ein Messerbänkchen. Da saß man mit den Geschwistern, die so unglaublich unterschiedlich – und entsprechend streitlustig - waren. Ich empfand dabei große Nähe, denn wir teilten nicht nur das Brot, sondern jede Menge Zeit, Erlebnisse, Gefühle, Liebe, Ärger, Witz. In meiner Familie flogen bisweilen die Fetzen, vor allem aber flogen die Worte, Palaver, sagte mein Vater dazu und genoss es.
Dieses Bild von einem hellen, freundlichen Ort, an dem Brot und Leben geteilt werden, verbindet sich für mich mit all den Texten dieses Sonntags. Die so vielfältig und tiefsinnig den Blick werfen auf einen elementaren Lebensvollzug: Das tägliche Essen. Brot, das viele im Überfluss haben – allein in Deutschland gibt es über 3000 Brotsorten und: 7,7 kg Brot pro Person werden jährlich weggeschmissen. Anderen wiederum fehlt es schmerzlich, ein Blick in den globalen Süden zeigt es: Da ist so oft kein Brot, kein Tisch, kein Wasser, kein heller Ort. Sondern Wüste. Knurrende Mägen. Lebens – und Todesangst.
Im Psalm eben haben wir mit wunderbar alten Worten gedankt, lebensbejahend. Ja! Danket dem Herrn, denn er ist freundlich. Wer dankt, denkt. Ist sich wenigstens einen kleinen Moment bewusst, dass es nicht selbstverständlich ist, satt sein zu dürfen. In der südlichen Hemisphäre der Erde nicht – aber auch hier in unserem Land nicht. Im vergangenen Januar besuchte ich eine der vielen Tafeln, die in unseren Kirchengemeinden ihren Standort haben. Händeringend werden weitere gesucht. Denn es werden immer mehr, die die Tafeln fürs Überleben brauchen. Vermehrt stehen dort auch Familien – denn mit dem meist einen Gehalt reicht das Geld bei den gestiegenen Lebensmittelpreisen hinten und vorn nicht. Da stellte sich tatsächlich die Frage: Heizen oder essen wir? Was für ein bitterer Kampf jeden Tag.br /> Und es klang mir sofort der Satz meiner Mutter, Jahrgang 1923, im Ohr: „Lass bloß nichts umkommen!“ Sie hat auf der Flucht und nach dem Krieg hautnah erlebt, was es bedeutet, wenn der Hunger „nagt“, der Magen vor lauter Leere schmerzt.  Das hat sie nie vergessen. Etwas wegzuschmeißen, Brot allemal, war ein Drama. Lieber wurde der Schimmel herausgeschnitten, gute Güte, wie die Traumata des Verlustes alltäglich das Leben bestimmen konnten!

Die Brotgeschichten dieses Sonntags tragen alle diese Spannung in sich: Zwischen dem Trauma, dem nagenden Verlustschmerz und dem Traum vom erfüllten Leben. Ob´s die Israeliten in der Wüste sind, die den Fleischtöpfen Ägyptens nachweinen, und dies mitten auf dem Weg ins gelobte Land! Erinnern sie nicht mehr, wie bitter Unfreiheit schmeckt? Oder seien es die Fünftausend, die sich um Jesus herum scharen, oben auf dem Berg, hungrig nach jedem Krümel Hoffnung - so wie doch auch wir. Und die tatsächlich satt werden, ein Wunder, wie sich Brot und Fisch dank eines Kindes wie von selbst verteilt. Ich sage ja immer: Achtet auf die Kleinen. Sie zeigen dir manch hellen Ort. Zeigen dir: im geteilten Essen erlebst du nicht nur die Gemeinschaft untereinander. Sondern viel mehr noch: du erlebst Gott in seiner unermesslichen Zuneigung. Mit jeder Menge Manna, so haben wir´s eben gehört. Jeden Tag. Brot Gottes, sagt dazu unser Evangelium, Gott, „der dieser Welt das wahre Leben schenkt.« Da baten sie ihn: »Herr, gib uns immer von diesem Brot!«

Gebt uns Brot! Leben! Ich sehe auf die Kinder, Frauen, Männer, Alten, die in Gaza vor unseren Augen Hunger leiden. Furchtbar, wie sie um ein bisschen Brot auf Leben und Tod kämpfen müssen. Liebe Geschwister: Dieser Krieg muss ein Ende haben! Waffenstillstand jetzt. Es müssen Hilfslieferungen dringend ins Land! Um Gottes und der unschuldigen Menschen Willen. Es scheint all die Machthaber nicht zu erreichen, welch unvorstellbare Qual sie anderen antun, ihnen sauberes Wasser und Brot vorzuenthalten. Und dass es jetzt 666 Tage sind, die die Hamas die israelischen Geiseln grausam gefangen hält und deren Familien danach hungern und dürsten, ihre Söhne und Töchter endlich wieder in den Armen zu halten - das ist doch himmelschreiend.
Doch das Himmels-, das Lebensbrot erreicht sie nicht. Dabei haben alle das Recht satt zu werden. Ganz handfest. Hunger verletzt die Würde des Menschen. Und deshalb ist jeder Kampf gegen den Hunger immer auch ein Kampf für das Recht eines jedes Menschen auf ein Leben in Würde. Hunger tötet. Auch den Menschen als soziales Wesen. Deshalb ist vor allem anderen, das Brot des Lebens das Brot, von dem die Hungernden dieser Welt real satt werden. Das sind Abermillionen. Darunter Millionen Kinder. Vor allem in den vielen Kriegsgebieten unserer Tage.
Und dass die Regierungen der reichen Länder meinen, gerade jetzt ganz elementare Lebens-Hilfen, Hungerhilfen kürzen oder gar völlig streichen zu können, ist ein Skandal. Völlig unvereinbar mit der christlichen Tradition. Denn die bedeutet uns, Brot, Wasser, Geld zu teilen, damit alle satt werden und niemand verdurstet. Punktum.

„Und alle bekamen so viel sie brauchten“, hält das Speisungswunder gegen. Es blieb sogar noch etwas übrig für den nächsten Tag. Unser heutiges Brot gib uns täglich – diese abgewandelte Bitte des Vaterunsers bringt es auf den Punkt. Auch in der damaligen Zeit. In der man von der Hand in den Mund lebte. Aber eben auch dies war: lebens- ja hoffnungshungrig. Und so fragen die Menschen da auf dem Berg weiter, ein bisschen kritisch, sehnsüchtig vielleicht: Was ist das denn nun für ein Zeichen, Jesus? Was bewirkt es – auch morgen? Es ist die Frage nach einem Mehr. Ein Hunger nach Leben, der sich nicht darin erschöpft, Brot und Fische zu teilen, sondern das Glück der Freiheit zu atmen, mit großen Träumen vom Frieden und wahrer Liebe, die hilft Krisen zu bestehen. Es ist die Sehnsucht, wirklich verbunden, zugehörig zu sein, gesehen zu werden, als die und der, der man geworden ist mit all den Wunden und Narben. Einfach sein zu dürfen. Geliebt und aufgehoben in einer Gemeinschaft.
Und Jesus antwortete: „Das Brot Gottes ist der, der vom Himmel herabkommt und dieser Welt das wahre Leben schenkt.« Da baten sie ihn: »Herr, gib uns immer von diesem Brot!« Jesus entgegnete: »Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern. Und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“ (Basisbibel)
Diese Antwort Jesu geht über das Sattwerden weit hinaus. Hier ist von einem Lebensbrot die Rede, das Jesus Christus selbst ist. Satt werden wir also, indem wir uns mit Jesus Christus verbinden. In Beziehung zu ihm treten. „Gib uns immer von diesem Brot“, bitten die Leute. Gib uns alles, was wir zum Leben brauchen, materiell und immateriell! Und so schön einfach wäre es, wenn Jesus sagen würde: Klar, gebe ich euch! Brot forever! Aber so einfach macht er es sich und uns eben nicht. Das wahre Lebensbrot ist nicht verfügbar. Und zugleich: es ist da. In Hülle und Fülle. Aber satt wird davon nur, wer tatsächlich vertrauensvoll an Jesus Christus als Quelle aller Lebendigkeit festhält. Es ist eine Beziehung, die lebenslang wächst, von Zweifeln und Krisen durchsetzt, die immer wieder neu lebendig werden will.

Ob die Leute damals zufrieden waren mit dieser Antwort auf ihre doch recht handfeste Frage nach dem, was satt und lebendig macht? Sind wir zufrieden? Im Alltag einer verrückten Welt. In der so viel Bedrohliches und Grausames geschieht, was die Menschen schlaf- und sprachlos macht und oft zum Rückzug in die eigene kleine Welt führt. Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn immer mehr Menschen in ihrem vereinsamten Alltag stets allein essen? Oder die gar nicht essen können oder mögen, weil sie Allergien haben oder abnehmen wollen oder bestimmten Ernährungslehren folgen, was gemeinsames Essen immer komplizierter werden lässt? Beschleunigt womöglich auch die schwindende gemeinschaftliche Esskultur die Polarisierung in unserem Land?
Es ist also alles andere als trivial, das gemeinsame Essen. Es hält zusammen. Den Körper, die Seele, die Gemeinschaft untereinander und mit Gott.
Im Interreligiösen Forum in Hamburg beginnen wir unsere Sitzungen immer mit einem gemeinsamen Essen. Hallal. Koscher. However. Alle sitzen an einem Tisch, 11 Kulturen. 8 Religionsgemeinschaften. Alle gleichberechtigt am gedeckten Tisch des Herrn. Und dann gibt´s – Palaver. Wie´s der Familie geht, welchen Kinofilm man unbedingt sehen muss. Anekdoten und Kinderglück. Ein heller Ort, so kommt es mir immer vor, der die dunklen Schatten, die gerade unsere jüdischen und muslimischen, aber auch alevitischen Freunde derzeit verkraften müssen, einen Moment erträglicher macht. Nach dem Essen reden wir. Kontrovers, klar. Schwieriger ist es geworden durch die internationalen Konflikte. Die Gegensätze lassen sich nicht leugnen, aber sie trennen uns trotzdem nicht. Weil eben zuvor spürbar wurde, was es heißt, verbunden zu sein.
Und weil du - anders als es einige von ihrer Flucht kennen – weil du einen ruhigen Ort erlebt hast, bei dem du nichts in Eile hinunterschlingst. Wo du dich nicht mit furchtsamen Blicken nach rechts und links versichern musst, dass dir das Brot nicht gleich wieder aus der Hand gerissen wird. Nein, am Tisch des Herrn kannst du zur Ruhe kommen. Es ist alles da. Du musst dich nur hinsetzen. Kannst gern ein Gebet sprechen. Zulangen. Dem anderen die Hand reichen mitsamt der Butter. Am Tisch des Herrn sitzen Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern, die gemeinsam hungern nach Frieden und Gerechtigkeit. Und der gedeckte Tisch sagt: Willkommen! Willkommen, so wie du bist, wer immer du bist. Friede sei mit dir.
Ja, der Tisch des Herrn ist für mich ein heller Ort. Inmitten vieler Schatten und Dunkelheiten – ein gemeinsames Essen, bei dem es eben nicht darum geht, wieviel jeder hat, sondern wie wenig man letztlich braucht. Symbolisch verdichtet sich all das ja im Abendmahl, das Sattwerden und die versöhnte Gemeinschaft untereinander und mit Jesus Christus, deshalb ist es so schön, dass es im Dom immer gefeiert wird!  Es erinnert uns, dass Jesus einst das Brot nahm und dankte. Und sagte, damals und in jedem Abendmahl: Ich bin das Brot des Lebens. Hier ist Liebe. Die Fülle. Hier ist, was du suchst. Schmeck, wie freundlich Gott ist.
Und in diesem kleinen, heiligen Moment hört sie auf, deine Unruhe. Deine Angst, nicht bestehen zu können. Und du gehst - das ist meine Hoffnung! - aus diesem Dom anders heraus, als du hineingegangen bist. Klarer. Gestärkt. Gesegnet. Vom Brot und vom Wort des Lebens. Vom Segen, der einst schon in der Wüste die Israeliten ermutigte weiterzugehen. „De Herr segen di“ – so beginnt dieser alte Segen op plattdüütsch. Sie können ihn sich übrigens am Ende des Gottesdienstes als ganz persönliches Lebensbrot mitnehmen!
De Herr segen di
Und hol sien Hannen över di.
De Herr seh di fründli an
Un wees di gnädi.
De Herr loot sein Oogen in Leevde op di rohn
Und geev di Freeden.
Amen

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