Gottesdienst zum Welt-AIDS-Tag - HIV? Laut statt leise: Jeder Mensch ist ein unendlich wertvolles Geschöpf Gottes
30. November 2025
Psalm 8,4-6 und Genesis 1,27
Liebe Freunde und Freundinnen, liebe Geschwister,
was für ein Geschenk, wieder einmal hier zu stehen, um gemeinsam mit euch meinen tatsächlich 12. Welt-AIDS-Gottesdienst als Bischöfin zu feiern. Und um mich vernehmbar laut statt nur leise zu freuen: So viel ist in all den Jahren gewachsen, so viele Fortschritte sind in den letzten Jahrzehnten errungen worden!
Es ist ein Geschenk, dass es über all die Jahre hin immer Menschen gegeben hat, die das Senfkorn Hoffnung gepflanzt haben – und wahrlich mit Erfolg: Die Hoffnung hat sich Tausende Male vervielfacht. Immer mehr gewachsen ist die Zuversicht, dass wer HIV infiziert ist, positiv und gut leben kann – mit Kindern und im Alter, queer und bunt und trans und was weiß ich. Aus dem Senfkorn Hoffnung ist vielerorts ein Baum des Schutzes geworden, der die aufgewühlten Seelen beherbergt – an so vielen Orten in der Stadt, in den Beratungsstellen und bei Leuchtfeuer, und allemal hier in dieser St. Georgskirche. Danke deshalb an dieser Stelle all den vielen Hoffnungsmenschen in der Landesarbeitsgemeinschaft HIV/AIDS einschließlich der AIDS-Seelsorge. Danke euch, die ihr gerade von eurer wichtigen Arbeit berichtet habt und danke euch allen, die ihr hier seid, um der Hoffnung Beine zu machen.
Alle sind sie ein Geschenk, die Hoffnungsmenschen. Wobei Hoffnung christlich verstanden ja viel mehr ist als Optimismus. Es ist mehr als: Kopf hoch, wird schon wieder. Ihr alle wisst: Das vertröstet allenfalls, aber nimmt nicht wirklich die Angst. Diese Angst eben davor, zu berühren und berührt zu werden, zu lieben, wen und wie man lieben will, diese Angst, stigmatisiert zu werden und ausgegrenzt, ob als Kind, Mutter, pflegebedürftiger Mensch, diese Angst hat gemeinsam mit HIV einige Jahrzehnte auf dem Buckel.
Christliche Hoffnung nun ist immer eine gewesen, die im Wissen um diese Angst, sie nicht siegen lässt. Die ihre Stärke gewonnen hat durch den Traum von einer besseren Welt, der über das Hier und Jetzt hinausweist. Dieser, Gottes Traum und seine Verheißungen sprechen von Frieden und klugen Mitmenschen, von Liebe und Gerechtigkeit. Von der Würde jedes Menschen, ganz gleich woher er kommt und wie klein oder groß er ist. Deshalb nimmt es unsere Hoffnung auch tapfer auf mit den Angstmachern aller Zeiten. Mit stabilem Hoffnungstrotz. Der nicht bereit ist, einfach hinzunehmen, was so zerstörerisch ist und die Welt ins Leiden stürzt: Krankheit, aber auch all die Krisen und Kriege und dieser ganze Irrsinn, den wir gerade erleben, diesseits und jenseits des Atlantiks.
Hoffnungstrotz, liebe Geschwister, entfaltet positive Kraft: Denn: We have a dream! Gottes Friedensreich träumt sich in diese Gegenwart hinein, indem wir selbst es glauben und es Wirklichkeit werden lassen wollen. Indem wir ganz konkret solidarisch den Welt-AIDS-Tag begehen und für eine leuchtend vielfältige Gesellschaft einstehen. Und indem wir nachher unter Regenbogenfahnen Fietes Punsch trinken. Dies auch, um den Leisegewordenen und Ängstlichen unsrer Tage Mut zu machen. Und um ihnen und uns laut zuzusprechen: Du bist ein Geschenk!
Wunderschön, so herrlich positiv, wird das in einem meiner Lieblingspsalmen ausgedrückt: Wenn ich den Himmel sehe, Gott, das Werk deiner Hände, den Mond und die Sterne, die du erschaffen und an ihren Ort gesetzt hast, dann staune ich: Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst? Wer ist er schon, dass du dich um ihn kümmerst?“ (Psalm 8,4f).
Tja, was schon ist der Mensch? – Lütt. So winzig im Vergleich zu den unfassbaren Weiten des Himmels. Oder auch zu den Häusermeeren der Großstadt. Und mitten darin wir, jede und jeder Einzelne mit der Sehnsucht, als einmaliger Mensch anerkannt und mit Liebe angeschaut zu sein. Nicht verloren zu gehen in dieser unendlichen Weite. Sondern einen Kompass, Orientierung zu bekommen, wo es langgehen soll in meinem Leben.
Nicht umsonst spricht der Psalm von Sternen. Von den Abermillionen Sternen im Nachthimmel, die die Milchstraße bewohnen, hineingesetzt von Gott, mit dem Großen Wagen, dem Orion, dem Polarstern. Das alles ist doch ein einziges Wunder! Und ich staune und kann nachdenklich fragen. In diesem riesigen Firmament, in dem die Erde ja auch nur ein ganz kleines Gestirn ist: Was ist der Mensch, dass du, Gott, an ihn denkst? Dich um uns kümmerst?
Lütt ist er – und ein Wunder. Jeder Mensch ist ein großes Wunder. Geschaffen als Gottes Ebenbild. Leute, das ist etwas ganz Großes. So verloren wir uns vielleicht manchmal in unserem Universum vorkommen: Du bist und bleibst Gottes Augenstern, und du auch. Mit einer unverlierbaren Würde, von Anfang an. Kostbar. Wertvoll. Eben – ein Geschenk. Jeder Mensch ein Sternchen Gottes.
Heißt auch: Jeder Mensch hat ein eigenes Leuchten. Das Licht seiner Würde. Keiner darf dies verdunkeln. Keiner darf einen anderen erniedrigen, vernichten, angreifen, demütigen, eben entwürdigen – alles nicht erlaubt. Klar, könnte man sagen, weiß doch jedes Kind, dass Gott selbst jedes einzelne Sternlein „gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet, an der ganzen großen Zahl.“
Ja, aber die Menschen, die vergessen das bisweilen. Gerade in unseren Zeiten. Und deshalb ist es so gut, kein bisschen leise, sondern lautstark zu sagen: Jeder Mensch ist ein unendlich wertvolles Geschöpf Gottes. Jeder Mensch, ohne oder mit HIV, ein Augenstern Gottes, der in Würde leben soll.
Das ist mir so wichtig festzuhalten. Denn auch wenn es große medizinische Fortschritte gibt, das ist wirklich wunderbar, ist doch das Leben mit HIV immer noch für viele ein gefährdetes, kompliziertes und von dem Verlust von Würde und Selbstwert bedrohtes Leben. Wir haben das gerade sehr berührend in den Statements gehört. Wie gut – und danke, dass ihr diesen für viele unsichtbaren Krankheitsfolgen eine Sprache gebt. Dass ihr nicht müde werdet, auf die besondere Lage von HIV-Betroffenen hinzuweisen. Und die Not zu lindern, soweit es in eurer Macht steht.
Und leichter wird euer Engagement gerade nicht, das weiß ich wohl. Der Ton wird immer rauer. Abwertender. Es gibt inzwischen wieder Leute in diesem Land, die sich herausnehmen zu bestimmen, wer ein Mensch ist und wer nicht! Die Menschen verachten und verurteilen, weil sie anders leben und lieben, weil sie mit Einschränkungen und Krankheitsfolgen leben müssen. Die Vorurteile und Polarisierungen nehmen zu. Und die Kassen werden auch leerer. Ihr wisst das ja alles nur zu genau.
Umso wichtiger in all den Krisen und Bedrohungen, den Kompass zu behalten. Die Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es am Anfang unseres Grundgesetzes, und so steht es, etwas poetischer, im Psalm. Laut gehört es gesagt, das stärkt die Würde, wie es im diesjährigen Jahresmotto der Landesarbeitsgemeinschaft heißt. Zusammen mit dem medizinischen und sozialpolitischen Wissen, das immer weiter unter die Leute muss.
Am Ende ist es aber die Liebe, die gegenseitige Achtung, die alle miteinander verbindet. Das bewundere ich sehr an eurem Miteinander von HIV-Betroffenen und queer lebenden Menschen über all die Jahrzehnte. Diese Gemeinschaft untereinander, in der man sich gegenseitig die Hand reicht und miteinander verbunden bleibt. Durch viele schwere Krisen hindurch. Durch Trauer und Verlust. Diese Nächstenliebe, die sich zeigt in den vielen Gesten der Zuwendung und des Mitgefühls. So viel freundliche Hilfsbereitschaft! Sie wird in den kommenden Jahren neue Formen finden, aber das, was hier an solidarischer Gemeinschaft gewachsen ist unterm Kirchen- und Landesverbandsdach mit so vielen Kooperationspartnern, das beeindruckt mich – immer schon.
Am Welt-AIDS-Tag gedenken wir der Toten und Opfer in aller Welt. Aber es ist eben auch ein Tag, um sich zu freuen, dass die Liebe Gottes in dieser Gemeinschaft lebendig geworden ist. Es ist so ein wichtiges Zeichen in unserer aufgerauten Welt. Was immer die lauten Menschenverachter in die Welt brüllen, hier – oder nachher der Checkpoint Hein & Fiete – ist und bleibt ein Ort, an dem Menschen erleben können, dass sie unendlich wertvoll sind. Dass sie ein Geschenk sind. Ein Geschenk Gottes für die Welt. Ein Geschenk für andere. Ein Geschenk für sich selbst. Du bist ein Geschenk.
Du Winzling im Universum. Du mit deinen rauen Händen, weitem Herzen und enger Angst, stieselig und liebenswürdig, alt, eingeschränkt, klug, klar, verwirrt, getrost, hoffnungsmutig, friedenssehnsüchtig, je ganz individuell unterm weiten Himmel unterwegs. „I am what I am.“ Als Augenstern Gottes. Jede und jeder einzelne.
Diesen Gedanken sollt ihr gerne mit nach Hause nehmen. Dazu gibt es am Ausgang zwei Satinstreifen als Geschenk mit auf den Weg. Rot, fast wie die AIDS-Schleifen. Da steht drauf. „Du bist ein Geschenk“. Weil‘s die Wahrheit ist. Den einen Streifen behaltet ihr und legt ihn irgendwohin, wo ihr ihn jeden Tag seht, und den anderen Streifen verschenkt ihr an einen Menschen, dem ihr immer schon mal sagen wolltet: Du bist solch ein Geschenk in meinem Leben! Damit der oder die sich auch erinnern kann, dass jeder Mensch unendlich kostbar ist in Gottes Universum. Das ist der Mensch – ein Geschenk! Amen.