11. September 2022 | Dreifaltigkeitskirche in Hamm-Horn, Hamburg

Gottesdienst zur Einsegnung der Diakon:innen und Gemeindepädagog:innen - Predigt am 13. Sonntag nach Trinitatis

11. September 2022 von Kirsten Fehrs

Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs zu Lukas 10, 30-37

Liebe Schwestern und Brüder,

wie schön, Sie alle wiederzusehen. Es ist ja fast so etwas wie ein Klassentreffen mit Ihnen und euch. Auf das freue ich mich jedes Jahr wieder. Natürlich freue ich mich heute auch, gerade Sie, liebe Einzusegnende, wiederzusehen, die ich Sie ja schon im Juni kennenlernen konnte mit all Ihrem Reichtum, den Sie in sich tragen. Und das ja nach meist schon längeren, aufregenden Lebenswegen.

Es ist mir eine Ehre, Sie gleich einsegnen zu dürfen – nun für den Weg, der vor Ihnen liegt. Ich glaube, für Sie alle ist das ein bedeutsamer Moment, genauso wie für Ihre Angehörigen und die, die Sie Ihr Leben über begleitet haben. Denn nach zum Teil langen Jahren der Ausbildung und Annäherung, auch an die Kirche, empfangen Sie den Segen fürs Arbeiten, Lieben und Leben. Gottes ganz persönlichen Zuspruch, Segen den man fühlen kann und soll. Und von diesem Segen kann man, so haben wir festgestellt, gar nicht genug bekommen.

Segen also jetzt und hier in sechsfacher Vielfalt. Ich bin wirklich beeindruckt, wie viel Erfahrung Sie mitbringen. Was Sie schon alles studiert haben! Das Leben und die Kunst, Sozialhistorik und Erziehungswissenschaften, musikalische Früherziehung und soziale Arbeit und was nicht alles. In Berlin, Doberan, Großenaspe, Harburg, in der Welt. Großartig!

Natürlich sind da auch Brüche, wie in jeder Lebensbiographie. Überstandene Lebenskrisen. Aber auch ungebrochen viele Träume. Der Traum etwa davon, Gott so zur Sprache zu bringen, dass alle ihn hören können. Oder der Traum davon, Jugendlichen eine echte Perspektive zu geben und einen Kompass, gerade jetzt in dieser krisengeschüttelten Zeit, mit Krieg und Klimanot. Damit bloß nicht die Angst Überhand gewinnt.

Dieser Traum auch, dass in der Kirche der Geist des Aufbruchs mehr Wind unter die Flügel bekommt und gegenseitige Anerkennung zum Standard wird. Der Traum schließlich, dass wir nicht so viel sitzen und reden, sondern gehen und tun. So, wie wir‘s im Evangelium eben hörten: Liebesdienst mit Bodenhaftung. Liebe, die sich hineinkniet in die Lebenswirklichkeit der Menschen. So wie der Samariter sich hinkniet, um den verwundeten Menschen aufzuheben.

Denn um ihn geht es doch, um den Menschen. Für ihn sind wir da. Für sein Recht. Seine Nöte. Seinen Schutz. „Da war ein Mensch“, so beginnt das Gleichnis fast ein bisschen lapidar. Doch in diesen vier Worten steckt nahezu alles, woran wir glauben. Als Christenmenschen stehen wir ein für Menschenrecht, das keine Gewalt duldet. Stehen ein dafür, dass sich nicht immer das Recht der Stärkeren durchsetzt, sondern auch die Schwächeren unserer Gesellschaft im Blick bleiben.

Wir sind für die da, die unter die Räuber auch der heutigen Tage gefallen sind, unter die Rassisten, Spaltpilze und Kriegstreiber. Um Gottes Willen gehen wir gerade nicht vorbei an den Wehrlosen, den Entblößten und Beschämten, den Geschlagenen und Geflüchteten in den Straßengräben der Welt! Gehen bitte nicht vorbei, wie der Levit und der Priester, von denen man‘s am ehesten erwarten würde, dass sie sich kümmern. Nein, Gottes Bodenpersonal schneidet hier denkbar schlecht ab. Sie, die wohlgemerkt vom Gottesdienst im Tempel kommen und vielleicht gerade das zentrale jüdische Gebot gehört haben: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt und deinen Nächsten wie dich selbst.“

Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal in Israel – Palästina waren. Und schon einmal vom Felsplateau auf genau diese Straße von Jerusalem nach Jericho geschaut haben. Ehrlich, da kann man nichts und niemanden übersehen! Der Weg ist ganz schmal, und die Landschaft so karg, dass kein Baum und kein Strauch einen Verletzten verdecken könnten. Jeder Levit, jeder Priester wäre buchstäblich über die Not gestolpert, die direkt vor den Füßen liegt. Was also ist es, was den Leviten und den Priester so blind und ignorant macht? Was ist es, was die beiden, respektive uns, in unserer Kirche, an solchem Elend vorbeigehen lässt? Was ist los mit deren, vielleicht auch manchmal mit unserem Gemüt?

Wieder einmal eine Geschichte in der Bibel, die den Spiegel vorhält. Und so haben ja auch wir uns, liebe Einzusegnende, darüber ausgetauscht, wie Kirche mehr zu sich selbst kommen kann. Zu einer Kirche, die hinhört, sich öffnet, die vor allem rausgeht, hingeht zu denen, die es brauchen. Die ernst macht mit: Liebe deine Nächsten. Sie, denen es dreckig geht in den Straßengräben, Ladenzeilen und Drogenumschlagplätzen. Aber auch die, die man nur schwer ertragen kann. Die sogar, die anderen etwas angetan haben.

Ja, auch Liebe gegenüber den Feinden. Was für ein Satz in dieser Zeit. Jesus, wir wissen es, liebt radikal. Übersetzt heißt das: von der Wurzel her. Die Wurzel allen Glaubens, sagt er, liegt in dieser unendlichen Liebe Gottes, die einen Menschen verändern kann. Sich zu ändern hat schließlich jeder das Recht. Und zu lieben, wen und wie er will, auch.

In unserem Evangelium ist es ausgerechnet der Samariter, der diese Freiheit der Liebe übt. Er, der Ausgestoßene, von dem man‘s nicht erwartet, dass er liebt. Er wendet sich dem (vermeintlichen) Feind zu. Ja, es „jammerte ihn“. Sein Mitgefühl bebt bis in die Eingeweide, bedeutet das Wort. Er ist ergriffen von Liebe. Deshalb hebt er den Verletzten auf und trägt ihn, er kann gar nicht anders.

Er kann nicht anders. Liebe ist eben nicht nur ein Wort! Sie treibt uns. Sie ist ein tiefes Gefühl, das uns ins Handeln bringt. Zum Niederknien. Und also: Jesus will uns nicht in die Pflicht nehmen, so dass ich mich dauernd frage: Was muss ich tun?

Sondern er will in die Freiheit entlassen und zeigen: Gott hat hier oder jetzt oder morgen in mir Kraft freigesetzt, dass seine Liebe und Güte Wirklichkeit werden können. Dass sich Menschen und ein kleines bisschen auch die Welt ändern. So kann diese Nächstenliebe uns halten. Und zusammenhalten. Uns, die Gemeinde Jesu Christi mit ihrer Diakonie – hier und in aller Welt.

Aber auch diese Gesellschaft. Liebe deine Nächsten! Das ist und bleibt ein ergreifender Satz, der in allen Weltgegenden, in allen Sprachen, in allen Kulturen verstanden wird. Als Sprache der Solidarität, so das andere Wort dafür.

Vergangenen Mittwoch durfte ich bei einem Senatsempfang erleben, wie diese Solidarität ein Fest feierte. Das ansonsten ehrwürdige Ambiente des gediegenen Rathauses – dahin! Der Saal kochte. Hunderte Menschen, so verschiedene Menschen, die sich aufrichtig mitfreuten. Und, man höre und staune, die alle die Udo-Songs mitsangen. Nicht nur der halbe Kiez mit Priester und Transvestit in Pailettenkleid, sondern Männer, Frauen, Queers der Bürgerschaft, Bundeswehr, Handelskammer und Jugendchor, lauter Leute, die wohl nur selten gemeinsam Lieder singen.

Da war eine Friedenssehnsucht und zugleich Leichtigkeit. Berührend sage ich euch. Wohl auch, weil unser neuer Ehrenbürger nicht nur ein begnadeter Musiker ist, sondern eine Seele von Mensch mit einem großen Herzen. Einer, der viele zu vereinen vermag, weil er niemals allein und nicht immer vorn auf der Bühne des Lebens stehen will. Einer, dem klar ist, was es heißt unten zu sein. Und der offenkundig schon vielen herausgeholfen hat aus Straßengräben. Kurz: einer, der weiß wie einen die Liebe retten kann. Und der singt, heute für uns:

Es geht nicht immer geradeaus
Manchmal geht es auch nach unten
Und das wonach du suchst
Hast du noch immer nicht gefunden
Deine Träume aufgebraucht
Und du glaubst nicht mehr an Wunder
Mit Vollgas knapp am Glück vorbeigerauscht
Was dich runterzieht, ey ich zieh dich wieder rauf.

Ich trag‘ dich durch
Die schweren Zeiten
So wie ein Schatten
Werd‘ ich dich begleiten
Ich werd‘ dich begleiten
Denn es ist nie zu spät
Um nochmal durchzustarten
Wo hinter all den schwarzen Wolken
Wieder gute Zeiten warten

Es ist nie zu spät noch einmal durchzustarten – also los, liebe Geschwister! Und liebe Einzusegnende, diese Dynamik habe ich auch bei Ihnen gespürt. Sie tragen so eine tiefe Sehnsucht in sich, von dem Segen, den Sie empfangen haben, mit vollen Händen auszuteilen. Um Liebe konkret werden zu lassen. Eben: andere zu tragen, auch durch schwere Zeiten. Und ich bin dankbar dafür!

Sie können in Ihrer Arbeit mittun daran, dass Samaritergeschichten auch für Kinder und Jugendliche ein Dach werden, gleich woher sie kommen. Dass Arme und Benachteiligte ihre Last nicht mehr allein tragen müssen. Dass die erschöpften Menschen dieser Tage wieder mit dem Leben rechnen. Und durchstarten, weil hinter all den schwarzen Wolken wieder gute Zeiten warten.

Also: bleiben Sie sehnsüchtig. Und bleiben Sie weitherzige, liebevolle Menschen. Gott gebe Ihnen und uns allen die Kraft des Segens dazu und seinen Frieden, höher als alle Vernunft. Er bewahre unser aller Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Datum
11.09.2022
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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