03. Dezember 2023 | St. Gertrud, Hamburg

Gottesdienst zur Ordination

03. Dezember 2023 von Kirsten Fehrs

Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs zu Matthäus 25, 1-11

Liebe Festgemeinde,

„Wie soll ich dich empfangen und wie begegn ich dir“ Für uns, liebe Ordinand:innen war‘s bei der Vorbereitung dieses Gottesdienstes eines der schönsten Adventslieder überhaupt, so wunderschön, das geliebte Lieben. Das die Welt in ihrem Jammer verändern will. Was für ein Trost in diesen Tagen.

Und dann, ja klar, wie soll ich dich empfangen? Das ist ja die Frage des Anfangs. Bevor die Zukunft mein Leben erreicht hat, von der ich weiß, dass sie kommt. Nur nicht so genau wie. Diese Zukunft mit all den neuen und interessanten Leuten, den Veränderungen, inneren Umzügen von hier nach da. Sie sind ja derzeit sozusagen in Empfangsmodus, in einer Art Warteraum der Zukunft. Und dies, das wurde klar, mit einer großen Erwartungsfreude, wer und was da kommen wird. Wer wird Ihnen Wind unter die Flügel geben und was werden all die Begegnungen freisetzen und bewegen?

Wie werde ich wohl empfangen? Und ich sehe leibhaftig vor mir eine Empfangswartehalle. Die eines Flughafens. Lauter Menschen, die auf ihre Liebsten warten. So dicht und berührend, liebe Schwestern und Brüder, was sich da gleichzeitig alles abspielt. Unzählige Momente, in denen das geliebte Lieben Geschichte schreibt.

Da sind zwei Männer, alte Freunde offenbar, die sich nach einem kurzen Innehalten ganz still umarmen. Unmittelbar daneben schließt eine Großfamilie laut lachend die Heimgekehrte in mindestens dreißig Arme gleichzeitig. Zwei Liebende sehe ich, die mit einem Seufzer regelrecht ineinander fallen und sich – ungeachtet der amüsierten Zuschauer – sehnsüchtig küssen. Ich sehe Kinder mit Blumen in der Hand, um sie der Großmutter in den Schoss zu legen, die im Rollstuhl in die Halle gefahren wird. Ein kleines Mädchen sehe ich, das auf ihren Großvater zuläuft und ihm selig die Ärmchen um den Hals schlingt. Ich sehe Menschen über Menschen, die in diesen Momenten des Ankommens nur dies eine wollen: ihre Liebe zeigen. Ich sah so viel Freude, gelöste Gesichter, erfüllte Sehnsucht und anrührende Zärtlichkeit wie selten zuvor. Wir müssen manchmal warten, um zu sehen, was wirklich im Leben zählt.

Oder wir müssen einen Film sehen, der genau so – mit dem Empfangen der Liebe – beginnt. Er ist einer Ihrer Lieblingsfilme, habe ich gerüchteweise gehört, und feiert just seinen 20. Geburtstag: Love actually.

Ich liebe diesen Film auch. Ich glaube, viele hier könnten ihn von vorne bis hinten aufsagen und mitsingen. Diese herrlich verworrenen Liebesgeschichten, ich habe elf gezählt, die sich durch Trauer, Kränkung, jahrzehntelange Schüchternheit, Politikprotokolle, Pubertätsdramen und unsichere Schnoddrigkeit hindurchkämpfen. Zart. Witzig. Musisch. Weniger musisch. Wie auch immer – aber tatsächlich: Liebe.

Und dann die ersten Worte. Während die Menschen sich in dieser Empfangshalle umarmen. Als am 11. September 2001 das entführte Flugzeug ins World Trade Center stürzte, wurden in den letzten Minuten vor dem Aufprall ausschließlich Liebeserklärungen per SMS versandt. „Ich liebe dich, was immer geschieht“, „Vergiss nie, was wir uns waren“, „Danke dir für deine Liebe“, das waren die Botschaften, die im Angesicht des Todes die Welt erreichten. Nicht der Schrecken, nicht die Angst, nicht der Hass auf die Gewalttäter – das letzte Wort im Tod hatte die Liebe. Sie war die letzte Mitteilung an die Menschheit.

Und mir wird wieder einmal bewusst, dass diese Liebe, von der wir Christen ja immer und immer wieder zu erzählen haben (als von ihr Berufene ja allemal) dass diese Lebensliebe Gottes etwas total Reales und Irdisches ist. Keine abgehobene, geisteswissenschaftliche Debatte, sondern die höchstselbst zu erfahrende Tatsache, dass wir ohne Liebe vergehen würden. Ohne Berührung und das Du, das dich sieht. Ohne gegenseitige Achtung und innere Bindung, die einen zugehörig macht. Liebe ist tatsächlich A und O. Anfang und Ende. Denn aus lauter Liebe heraus werden wir in diese Welt geboren und so Gott will, gehen wir geliebt wieder von dieser Erde. Sie ist es, die uns trägt im Leben und die tief erschütterten Seelen wieder Frieden zu geben vermag

Doch – wann und wie kann ich dich empfangen, du geliebtes Lieben, jetzt und heute, inmitten dieser Zeiten mit all ihren Weltverwundungen? Wo sich der Hass mit seiner ganzen sadistischen Wut im Terror einer Hamas entladen hat und es immer noch tut, in diesem Heiligen Land, in dem derzeit so viel Unheiliges geschieht? Genau dort in Jerusalem, in das Jesus einst hineinritt, um den Frieden zu bringen. Wir haben es eben gehört.

Ob die vielen Menschen damals, die zu Tausenden zum Pessachfest nach Jerusalem gepilgert sind, und – Palmzweige in der Hand und Hosianna singend – erwartungsfroh die Straße säumten, ob sie wussten, dass der Retter und Erlöser gleich an ihnen vorbeiziehen würde, tatsächlich? Ob sie ahnten, dass ihnen in dieser Stunde noch die Liebeserklärung Gottes auf einem Esel begegnen würde?

Tja, liebe Ordinand:innen, so haben wir‘s unter uns auch hin und her überlegt mit Blick auf das, was kommt: Wer weiß schon immer so genau, worauf er oder sie wartet und wann sich die Erwartung erfüllt hat? Was man genau voneinander erwarten kann?

„Wer ist der?“ heißt es denn auch im Predigttext. Erregt fragten sich das die Leute damals. Unsicher durch unsichere Zeiten. Aufgeregt, hochemotional, leicht entflammbar, durch Gutes wie Böses schnell aus der Bahn zu werfen. Kein Wunder: Die römische Besatzung zeigte sich ungehindert willkürlich, es herrschten blühende Korruption statt blühender Landschaften, Gewalt, Terror und elende Armut. Als wäre gestern heute. So lange schon warteten sie auf einen, der aufräumt, durchgreift, der für Gerechtigkeit sorgt und Frieden.

Und dann kommst du. Ganz still inmitten der schreienden Menge. Keine großen Gesten. Kein grandioser Auftritt. Der Esel ist sogar so klein, dass deine Füße den Boden berühren. Staubig ist‘s und stickig. Du lächelst den Kindern zu. Du bist ein Friedefürst. Sanftmütig. Der König der Kleinen.

Wer ist der, fragen sie also. Ist er‘s oder ist er‘s nicht? Die Frage bleibt offen. Aber irgendwie spüren die Menschen, dass hier gerade die Hoffnung einzieht. Die Menschen atmen auf einmal auf. Tiefe, echte Freude bricht sich Bahn. „Hosianna, er ist da!“, rufen sie begeistert. – Wir wissen, wenige Tage später rufen die gleichen Menschen das vernichtende „Kreuzige ihn!“ Nichts löst offenbar mehr Bestürzung aus als beharrliche Sanftmut und unbeirrbare Liebe.

Und dass wir heute, zum 1. Advent, diese Palmsonntaggeschichte hören, hat eben jenen tiefen Sinn, in einem einzigen Augenblick, einer einzigen Szene zu verdichten, dass der so sehnsüchtig Erwartete Schweres erleiden wird. Er ists, sagt die Geschichte, er ist der Messias, der Christus, der in Armut Geborene, in Schande Gekreuzigte und in Hoffnung Auferstandene. Er ist das A und O, Anfang und Ende. Er ist die Liebe, auf die die Welt wartet, weil sie seiner bedarf. Bis heute.

Denn es braucht doch jetzt die, die Wunden verbinden. Die beten, weil sie sich nicht abfinden mit dem, was nicht stimmt. Ja, die dem Friedensgebet viel zutrauen. Es braucht die, die trösten. Die, die den Mut haben, sich ordinieren zu lassen, weil Gott sie zum Glück einfach nicht losgelassen hat. Und die sagen: Ich möchte keinen verloren geben. Ich möchte helfen, dass Menschen befreit leben und getröstet sterben. Ich möchte der Liebe mit auf die Welt helfen, die die Kraft hat, den Hass zu überwinden.

Sie, liebe Ordinand:innen, sagen heute Ja dazu. Und ich freue mich so darüber! Weil ich Sie ein wenig kennenlernen durfte und weiß, dass Ihre Lebensreise Sie mit so viel reichen, unterschiedlichen Erfahrungen und Gaben im Gepäck ausgestattet hat. Sie wissen genau, wie man Menschen mit all ihren Sorgen und Fragen freundlich in Empfang nimmt – und was wirklich zählt im Leben. Und im Glauben. Also: Wie gern wir Sie empfangen! Und ermuntern Ihren Sinn!

Und so ist ja auch diese Ordination eine Eröffnung. Reise in neues Land. Sie ist ein inneres Ankommen, aber zugleich doch auch ein Weitergehen respektive -fliegen.

Also: Rein mit euch in die Welt. Denn sie ist so aus den Fugen, sie braucht euch. Sie ersehnt neuen Zusammenhalt – um all dies zu halten, was uns Christenmenschen Auftrag ist: Menschenrecht. Frieden. Nächstenliebe. God only knows. Gott allein weiß, wie wichtig dies jetzt ist. God only knows, das ist das letzte Lied in Love actually. Mit der Schlussszene wieder am Flughafen, wo alle sich freuen und einander sagen: Wie gern möcht ich dich empfangen! In Armen halten. Denn „God only knows“, Gott allein weiß, dass alles nichts wäre ohne die Liebe, die dem Hass den Eintritt verbietet. Die Augen und Ohren öffnet, und die Türen in der Welt auch.

Empfangen wir ihn also mit tiefer Zuversicht, auf den wir warten und der uns liebt. Er, der Sie, liebe Ordinand:innen, einfach nicht losgelassen hat, so dass Sie jetzt hier stehen. Er bleibt an Ihrer Seite. Und sagt: Das neue Land vor euch ist hell und weit. Und mein Friede, höher als alle Vernunft, sei mit euch allen, liebe Geschwister, er bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Datum
03.12.2023
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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