26. Oktober 2021 | Nikolaikirche Kiel

Grußwort zur 125. Jubiläumsfeier des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte

26. Oktober 2021 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Sehr geehrte, liebe Frau Prof. Dr. Albrecht,
sehr geehrter, lieber Herr Prof. Dr. Hering,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder!

Ich freue mich sehr, die Jubiläumsfeier zum 125-jährigen Bestehen des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte mit einem Grußwort zu eröffnen. Am 6. Juli 1896 wurde der Verein gegründet, angestoßen durch Pastor Ernst Michelsen aus Klanxbüll und Prof. Dr. Hans von Schubert von der Universität Kiel. Ein Jahr später hatte der Verein bereits 175 Mitglieder, was dafür spricht, dass er mit seiner Gründung durchaus dem damaligen „Zeitgeist“ entsprach. Vereine und insbesondere Vereine, die sich mit der Erkundung der regionalen Geschichte beschäftigen, gab es in diesen Jahren allerorten in Deutschland. Sie waren als vaterländisch orientierte Vereine ein Teil der Gesellschaft des Kaiserreiches, „die sich in eben solchen Vereinen organisierte und differenzierte.“[1] Vielleicht war das Interesse an der regionalen Historie auch deshalb damals so groß, weil man sich einerseits im 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreich und damit dem ersten deutschen Nationalstaat nun doch auch der eigenen regionalen Identität vergewissern wollte und andererseits, wie Johannes Schilling es formuliert hat, mit ihm „an der inneren Konsolidierung des Reiches teil(nahm), zu dem Schleswig-Holstein seit einem Vierteljahrhundert gehörte.“[2] Und so ist der Zweck des Vereins in seiner ersten Satzung denn auch entsprechend formuliert: „Der Verein für schleswig-holsteinische Kirchengeschichte hat zum Zweck, die Erforschung der Geschichte der schleswig-holsteinischen Landeskirche und die Bekanntschaft mit derselben in weiteren Kreisen zu fördern.

Regionale Geschichte erforschen, sie bekannt machen und so im damaligen Verständnis die eigene Identität stärken - umso wichtiger wurde das, je mehr das Deutsche Kaiserreich seine territorialen Grenzen weltweit auszudehnen versuchte. Auch das Kaiserreich hatte mittlerweile Kolonien erworben und 1896, im Gründungsjahr des Vereins, fand in Berlin die erste deutsche Kolonialausstellung statt, als Teil der dortigen großen Gewerbeausstellung. Dazu gehörte auch in im Treptower Park aufgebautes Dorf, in dem über hundert Menschen aus deutschen Kolonien entwürdigend zur Schau gestellt und ihr traditionelles Leben vorführen sollten. Ein Jahr später sagte Bernhard von Bülow, damals Staatssekretär des Auswärtigen Amtes in einer Reichtstagsdebatte im Dezember 1897 den Satz, der signifikant für das deutsche Weltmachtstreben vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges stehen sollte: „Mit einem Worte: wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.

Während den Gründungsmitgliedern des Vereins die Antwort auf die Frage deutlich vor Augen stand, die man in Anlehnung an Friedrich Schiller[3] akademische Antrittsvorlesung in Jena so formulieren könnte: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte?, bedarf diese Frage bis in unsere Zeit immer wieder der Reflexion und der Neubestimmung. Gespannt freue ich mich deshalb heute auf Ihren Festvortrag, sehr geehrter Herr Prof. Lorenzen, und auf die nachfolgende Podiumsdiskussion.

Ich bin froh, dass wir in der Nordkirche in der Lage sind, Jubiläen wie das des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte festlich zu begehen und dies auch als einen Ort zum Austausch und zu Kontakt zwischen kirchenhistorischer, theologischer und historischer Wissenschaft einerseits und der Landeskirche, unserer Nordkirche andererseits nutzen zu können. Und dass dabei auch je nach Region unterschiedliche Fragen, Themen und Aspekte zum Tragen kommen. Gerade in unserer großen Landeskirche, die schon in ihren Vorgängerkirchen und zuletzt vor bald zehn Jahren von zahlreichen Fusionen geprägt ist, braucht auch die Frage nach Regionen, nach regionaler Identität ihren Raum.

Denn, so hat es der Historiker Karl Schlögel einmal pointiert formuliert „Im Raume lesen wir die Zeit.“[4] Er plädiert dafür, Landschaften und Räume zu lesen, um Geschichte verstehen zu können, sie nicht losgelöst von ihren ganz realen räumlichen Bedingungen verstehen zu wollen und weist darauf hin: „Ein anderer Zusammenhang, der sich in Landschaften im Kopf niederschlägt, ist Heimat, der engste Umkreis, in den Menschen hineingeboren sind und der zur selbständigen Größe meist immer nur dann wird, wenn Heimat verloren ging. Heimat ist vielleicht die intimste und zugleich am meisten dem Öffentlichen zugängliche Erfahrung. Dort geht es um Details: das Sofa mit der Katze, der Hauseingang, auf dem sich die Familie zum Foto einfand, der Garten, die Schule, die Inschrift auf dem Geschäft, wo es das Brausepulver gab, vielleicht auch der Klang des Dialekts.“[5]

Dass die Räume, um die es dabei geht, aber nicht mehr allein die sind, die quasi von der Natur selbst vorgegeben werden, sondern von Menschen konstruiert werden[6], hat insbesondere der sogenannte spatial turn, die Zuwendung zum Raumparadigma, in den Kultur- und auch den Geschichtswissenschaft deutlich gemacht. Es existiert also nicht nur eine Region, sondern, so schrieben es jüngst Nina Gallion, Martin Göllnitz und Frederike Maria Schnack, es existieren „viele Regionen, die immer wieder neu konstruiert werden und in erster Linie in den Köpfen der Menschen, sowohl in der historischen Vergangenheit als auch bei der Erforschung derselben entstehen.“[7] Dabei wird es für die Geschichts- oder auch Kirchengeschichtsschreibung einer Region zunehmend wichtiger, weniger nach dem Individuellen als vielmehr nach dem Exemplarischen zu fragen und dieses darzustellen.  

In der Beschäftigung mit unserer Geschichte - der allgemeinen wie der Kirchengeschichte - lernen wir, was menschliches Handeln bewirken kann, aber auch, wie menschliches Handeln andere als die beabsichtigen Folgen hervorrufen kann, wir lernen, dass gute Absichten nicht nur gute Folgen haben können, wir erfahren etwas über menschliche Möglichkeiten wie deren Grenzen, über die Vielfalt von Bedingungen und Zusammenhängen unseres Lebens - kurz: wir bekommen eine Ahnung von dem, was wir vermögen und gestalten können und ebenso von den Grenzen unser Fähigkeiten und Möglichkeiten.[8] Beschäftigung mit Geschichte kann also lehren, um es mit einem alten Wort aus der christlichen Tradition zu sagen, demütig zu werden und wirklich menschlich, human - wissend um Möglichkeiten wie Grenzen menschlichen Handelns.

Ich schließe deshalb mit den Schlussworten der Historik von Johann Gustav Droysen, einem der bedeutendsten Geschichtstheoretiker deutscher Sprache, der rund ein Jahrzehnt hier in Kiel Geschichte gelehrt hat: „Und wenn sie (die Geschichtswissenschaft, KKS) sich bewusst ist, auf viele Fragen in ihren Bereichen nicht mehr oder noch nicht genügend antworten zu können, so wird sie um so behutsamer sein, das, was sie gibt, für mehr zu geben, als es sich und sein kann, nämlich: die möglichst sicher erarbeitete und möglichst sachgemäß entwickelte Vorstellung von Dingen, die in nahen, fernen, fernsten Zeiten Gegenwart und Wirklichkeit waren und nur in dem Wissen der Menschen noch leben und mitleben.“[9]

Ich freue mich auf viele weitere sicher erarbeitete und sachgemäß entwickelte Vorstellungen von dem, was im Bereich der Schleswig-Holsteinischen Kirchengeschichte einmal Gegenwart und Wirklichkeit war und die Sie mit der Arbeit Ihres Vereins weiterhin befördern und darlegen werden. Dafür wünsche Ihnen von Herzen nicht nachlassende Neugier, immer wieder neue Fragen und Anregungen und Gottes reichen Segen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

[1] Johannes Schilling, Hans von Schubert und die Anfänge des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte. Festvortrag bei der Festversammlung des Vereins am 23. Oktober 1996 im Kieler Kloster, in: Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte Reihe II, Bd. 48,16-31, 29.

[2] AaO.,17.

[3] Vgl. Friedrich Schiller, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? Eine akademische Antrittsrede, in: Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd.17, hrsg. von Karl-Heinz Hahn, Weimar 1970, 359-376.

[4] Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München 2003.

[5] AaO., 4.

[6] Nina Gallion/Martin Göllnitz/Frederieke Maria Schnack, Potentiale des historischen Raumbezugs. Einleitende Überlegungen zu Historiographie und Systematik der Regionalgeschichte, in: dies. (Hrsg.), Regionalgeschichte. Potentiale des historischen Raumbezugs, Göttingen 2021 (zeit+geschichte,Bd. 53), 9-26, 10f.

[7] AaO.,12.

[8] Vgl. ausführlich dazu Thomas Nipperdey, Wozu noch Geschichte?, in: Wolfgang Hardtwig (Hrsg.), Über das Studium der Geschichte, München 1990, 366-388, insbesondere. 377ff.

[9] Johann Gustav Droysen, Grundriss der Historik, zit. nach der Wiedergabe in: Hardtwig (Hrsg.), aaO., 85-117, 117.

 

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