10. April 2016 | St. Gertrud zu Hamburg-Uhlenhorst

Herausrufen der Liebe, die gehört werden will

10. April 2016 von Kirsten Fehrs

Miserikordias Domini, Festgottesdienst mit Abendmahl zur Beauftragung der Prädikantinnen und Prädikanten, Predigt zu Johannes 10.11-16.27-30

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei in uns lebendig!


Liebe Festgemeinde, und heute besonders:
liebe Prädikantinnen und Prädikanten!

Gratulation und allem voran: Segen wünsche ich Ihnen. Von ganzem Herzen. Für Ihren Dienst als PrädikantInnen  - … danach. Nachdem Sie nämlich die Beauftragung samt Segen wirklich empfangen haben und dafür erst einmal eine Predigt von mir anhören müssen …

Obwohl -  entgegen landläufiger Meinung kommt prädicare gerade nicht von Prädicere, von „Vorsagen“. Gar von oben herab.  Durch das Machtwort.

Sondern ganz anders: prädicare heißt „ausrufen“ oder „loben“. Ist also eine „Äußerung“ – ganz geradeaus - für das, was einen innerlich berührt, bewegt, was einen glauben lässt und manchmal auch zweifeln. Und was die Hörbereitschaft des anderen braucht.

Für dieses Ausrufen fühlen Sie sich je auf eigene Weise und durch individuelle biographische Erlebnisse berufen. Und zwar nicht nur als einzelne, sondern auch als Gruppe. Das war etwas Besonderes bei Ihnen: Diese aufeinander herzlich bezogene Gemeinschaft, die – so haben Sie es immer wieder beschrieben - die getragen, getröstet, geneckt und herausgefordert hat. Eine Gemeinschaft, in der das Predigen ein Gesprächsangebot der Gegenseitigkeit war. Denn entscheidend ist ja nicht, dass einer redet und andere zuhören. Entscheidend ist das innere Wechselspiel. Zwischen Gottes Wort und eigener Antwort. Oder Gottes Wort und existentieller Frage. Oder innerem Widerstand. Und so wird es doch richtig gut und segensreich werden: Gottes Wort, geredet und gehört, interpretiert und verstanden, Gottes Wort inmitten all der Facetten menschlichen Erlebens, inmitten dieser Welt, die ist wie sie ist. Und eben Gottes Wort lebensnah und friedensleis herauszurufen, anzunehmen, hinzusingen, zu erflehen, zu erringen, herauszulieben – dazu SIND Sie berufen. In der Gemeinschaft Jesu Christi. 

Er ist unsere Mitte. Er, mit seinem Kreuz und seinem Auferstehen, lässt uns aufhorchen. Mit seiner klaren Stimme, die unbeirrt vom Leben erzählt. Und von der Liebe, die darin Wirklichkeit werden soll. Ich bin´s, sagt er uns. „Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben… Und ich habe noch andere Schafe“, sagt er, die sind nicht aus diesem Stall; doch auch sie werden meine Stimme hören – und niemand wird auch nur eines aus meiner Hand reißen.“

Der gute Hirte – was für ein Bild! Umgeben von Schafen, gerade ja nicht alle aus einem Stall, sondern fremden wie heimischen – und nicht eines soll verloren sein! Da schwingt so viel Geborgenheit mit und Zugehörigkeit. Dieses im tiefsten Sinne „gesehen sein“. Nicht gegängelt, sondern geschützt. Auch im tiefen Tal bleibt die verheißungsvolle Aussicht auf Leben. Denn dir soll, dir wird nichts mangeln… Sondern Gutes und Barmherzigkeit werden dir folgen ein Leben lang.

Dass diese empfindsamen alten Worte vom 23. Psalm immer wieder Menschen ins Herz treffen, hat vielleicht genau damit zu tun, dass der Psalmbeter etwas wusste vom Gegenteil. Von Herzenshärte und Hass. Von Heimatlosigkeit und Verlorengehen. Von Unfrieden - auch mit sich selbst. So wie wir es ja in unserer Realität nur allzu gut wissen. Wir wissen ja in dieser reichen Stadt mit ihren stolzen Türmen genau um Armut und Not. Wir wissen, wen man schützen oder besonders achtsam begleiten muss, wissen in unseren Gemeinden, wem es an Lebenskraft mangelt und gutem Wort.

Darum prädicare! Wir sind berufen, das Erbarmen herauszurufen. Das Erbarmen herauszurufen aus den Verunsicherten in Blankenese und Billbrook, es herauszurufen aus den so genannten Integrations-Initiativen und aus den Behörden. Das Erbarmen herauszurufen - laut und deutlich - aus den Sympathisanten der Mitmenschlichkeit, die mir ein wenig zu leise sind derzeit. Prädicare das Erbarmen - Konkret und Real. Nicht umsonst heißt der heutige zweite Sonntag nach Ostern – Misericordias. Denn Ostern geht ja weiter, liebe Gemeinde, es ist ein immerwährendes Herausrufen der Liebe, die lebendig und also gehört werden will. Deshalb ist eines so wichtig: die Stimme, das Sprechen, der Klang, sagt der Hirte. Denn das Gehör reagiert ja viel emotionaler und unmittelbarer auf Gefühle als unsere Augen. Wir konnten schon Geräusche und Klänge vernehmen, als wir noch im Mutterleib waren. Das Gehör ist nach innen gerichtet, ist intim. Die Augen versuchen die Welt da draußen zu erfassen, aber unser Herz wird viel schneller von den Tönen erreicht – durch das Locken, Liebkosen, durch Staccati, das Summen und Musizieren.

All das kann ein guter Hirte. Er redet nicht in Befehlen, spricht kein Machtwort. Schon gar nicht von oben herab. Sondern er sucht den rechten Klang in dieser Zeit, um uns zu leiten zur Barmherzigkeit. 

Uns, die Schafe... Ehrlich gestanden löst dieses Bild in mir stets auch Widerstand aus. Allemal bei mir als Dithmarscherin. Wir kennen unsere Schafe – und mit Verlaub: ihnen haftet wenig Emanzipiertes an, um nicht zu sagen eher etwas „Treudoofes“. Und also: Wer möchte schon gern ein Schaf sein, das seinem Hirten / seinem Pastor respektive Prädikantin willenlos hinterher trottet? (Auch wenn man bei so liebevollen und kompetenten Hirten wie Ihnen durchaus eine Ausnahme machen würde…)

Zudem hat meine schafsnahe Entwicklung von Kind an mir folgende, nüchterne Erkenntnis gebracht: Schafe lassen sich überhaupt nicht leiten und führen. Vielmehr sind sie schreckhaft, relativ langsam und meistens stur. Bisweilen laufen sie auch einem weißen Auto hinterher, wenn sie meinen, das sei ein attraktiver Artgenosse. Und wer einmal einem Schäfer zugesehen hat, der weiß: Mit Gewalt geht da gar nichts. Es ist nicht in erster Linie der Hirtenstab, mit dem er die Herde erreicht. Es ist auch nicht der Hütehund. Es ist tatsächlich zuallererst die vertraute Stimme.

Ein guter Hirte weiß, dass er seine Schafe nur in klarer Stimme rufen kann, nicht über sie bestimmen. Das Bild vom guten Hirten ist alles andere als ein Herrschaftsbild. Es ist ein Bild vertrauensvoller Beziehung, die Freiheit atmet. Eine Beziehung, „Wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater", sagt dazu der Predigttext. Deshalb macht der Hirte vor allem eines: Er weidet die Schafe. Heißt: er gibt einen Schutzraum, in dem sie unbehelligt leben können. Der Hirte führt  nicht, er folgt den Schafen. Vorzugsweise den gefährdeten, den eigenwilligen, sturen, den seitlich umgeknickten, dass sie ja nicht verloren gehen. Und droht Gefahr, Chaos und tiefes Tal - dann hebt er die Stimme. Lockt mit Klang. Schwingt das Wort und nicht das Zepter.

Was uns das heute sagt, an einem feierlichen Tag wie Ihrem? Zweierlei, liebe Gemeinde: Zusammen bleiben, miteinander weiter gehen in zugewandter Herzlichkeit, die den Unterschied liebt. In aller Freiheit. Die Gemeinschaft zu pflegen wie einen Schutzraum, in dem keiner verloren geht. Gerade wenn einem mal die rechte Zeit für das rechte Wort fehlt.

Das andere: Sprache kann einen Schutzraum bilden. Predigtsprache auch. Für all die Menschen, denen feierlich zumute ist oder die vor Trauer zergehen, aber keine Worte mehr dafür finden. Für all die, die sich nach Lust sehnen und nach einem grünen Sommer für die Seele und danach, dass Lasten vom Herzen fallen. Für all sie kann das geäußerte, herausgerufene Gotteslob ein neuer Anfang sein, das Leben zu lieben. Ja, es kann überhaupt wieder etwas von der Liebe gehört werden, weil sie wagt Wort zu werden. Das ist auch das, was unsere Kirche von Ihnen wünscht und Sie von sich selbst, glaube ich allemal auch: Dass die klare Stimme nicht pastoraler Singsang wird, sondern dass Sie dass Evangelium in Ihrer Sprache auslegen, aus Ihrem Alltag heraus: Als Handwerker, als Hochschullehrerin, Gärtnerin, als Journalist. In lebensnaher Sprache das Herz der Menschen erreichen.

Denn es ist die Liebe, sagt der Hirt. Es ist die Liebe, die uns trägt durch die Zeiten. Es ist nicht die Vernunft, die Erklärung, das Verstehen, es ist nicht die Schlüssigkeit und Enträtselung. Es ist Liebe, unerworben, maßlos und beständig. Und also: Geht mit dem Segen dessen, der euch liebt! Geht mit ihm, der euch behütet ein Leben lang. Geht – alle! - und hört und redet, dass die Stimme der Liebe im tobenden Weltkonzert Kraft bekommt.

So, genau so bewahre der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, unser aller Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

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