"hoffnungsorte hamburg"-Geschäftsführer: "Mein Herzensprojekt war der Neubau der Bahnhofsmission"
01. September 2025
Geschäftsführerwechsel bei den „hoffnungsorten hamburg“: Nach knapp 20 Jahren an der Spitze ist Ulrich Hermannes (66) zum 31. August in den Ruhestand gegeangen und hat das Amt an Axel Mangat (49) übergeben. Mit Einrichtungen wie der Tagesaufenthaltsstätte „herz as“ für wohnungslose Menschen oder dem „westend open.med“, in dem Menschen ohne Versicherungsschutz medizinische Hilfe erhalten, verstehen sich die „hoffnungsorte“ als Anlaufstelle für obdachlose, kranke, einsame oder heimatlose Menschen in Not.
Auch die Bahnhofsmission gehört dazu, ihren Neubau zählt Hermannes zu den Höhepunkten seiner Amtszeit, wie er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagt.
epd: Nach langjähriger Tätigkeit beim „Verein für Innere Mission - Hamburger Stadtmission“, der sich heute „hoffnungsorte hamburg“ nennt, wurden sie 2006 dessen Geschäftsführer. Was waren seitdem die größten Veränderungen im Verein?
Hermannes: Eine große Veränderung für den Verein war die Entscheidung, seinen Namen zu ändern. Als wir 2013 unser 165-jähriges Bestehen feierten, führten wir den Markennamen „hoffnungsorte hamburg“ ein. Ursprünglich sollte nur unsere 2013 gegründete Stiftung so heißen. Es folgten viele Diskussionen, in denen wir uns dazu entschlossen, die Bezeichnung „Stadtmission“ in der Kommunikation abzulegen und stattdessen auch den Verein als „hoffnungsorte hamburg“ zu bezeichnen. Jetzt, zum 1. September, wird dieser Name auch formell in unserer Satzung festgeschrieben.
Die 2013 begonnene Umbenennung erzielte einen enormen Effekt nach innen und außen, mit positiven Auswirkungen auf all unsere Einrichtungen, die zuvor eher als Einzelangebote wahrgenommen wurden. Komplexe Problemlagen lösen wir heute viel besser, als dies in der Vergangenheit der Fall war - indem wir Synergien erzielen und unsere Ressourcen sinnvoller nutzen. Durch die verbesserte Außenwirkung stiegen zudem unser Bekanntheitsgrad und die Spendeneingänge.
Was unseren Verein ebenfalls verändert hat, war die Schaffung zusätzlicher Angebote, durch die wir bei unseren Gästen einen nachhaltigen Mehrwert erzielen konnten. Wir haben beispielsweise „die münze“ eröffnet, eine Einrichtung für wohnungslose, psychisch kranke Menschen. Wir bauten 16 Wohnungen im Wichernhof, dort erhalten diese Personen unbefristete Mietverträge. Das trägt enorm zur Stabilisierung der Lebenslagen der Betroffenen bei.
Oder die Eröffnung des „westend open.med“, einer Praxis für Menschen ohne Krankenversicherung. Auch da erzielen wir häufig sehr nachhaltige positive Effekte bei den Besucherinnen und Besuchern.
Und dann ist da noch der „schulhafen“, ein Angebot für wohnungslose Menschen, die keinen Bildungszugang mehr haben. Dieses Angebot hat sich in den letzten Jahren zunehmend vergrößert und weiterentwickelt. Menschen können dort gemeinsam lernen, Gemeinschaft erleben sowie neues Selbstvertrauen in ihre Möglichkeiten und Ressourcen entwickeln.
Nicht aufgeben und Zeit nehmen
Mein Herzensprojekt war der Neubau der Bahnhofsmission. In den 15 Jahren der Planung gab es immer wieder Stimmen, die uns ein Aufgeben nahegelegt haben. Aber wir haben nicht aufgegeben. Und jetzt haben wir dieses schöne Gebäude mit seinen neuen Angeboten, unter anderem die Notpflege. Das Projekt, mit dem wir 2023 begonnen haben, entstand aus der Erfahrung, dass es am Bahnhof viele Menschen gibt, die sich kaum noch von dort wegbewegen können und wollen, da sie psychisch und häufig auch physisch in einem sehr schlechten Zustand sind.
Es haben bis jetzt mehr als 800 Menschen die Notpflege aufgesucht, und den dort tätigen Kolleginnen und Kollegen ist es häufig gelungen, Menschen wieder in eine bessere körperliche Verfassung zu bringen. Die Betroffenen begannen wieder zu spüren, wie es ist, wenn man sich in einem frischen Kleidungsstück bewegt, wenn Wunden zugeheilt sind oder wenn man Läuse endlich losgeworden ist. Und das, weil sich jemand genug Zeit für die Behandlung genommen hat.

epd: Wie gut oder schlecht steht Hamburg da, was extreme Not von Menschen betrifft? In welchen Bereichen lassen sich rückblickend Veränderungen erkennen?
Hermannes: Nach einer neuen bundesweiten Erhebung ist Hamburg die Stadt mit der höchsten Quote wohnungsloser Menschen in Deutschland. Die diesbezügliche Lage in der Stadt ist nach wie vor schwierig. Was sich aber in den letzten 20 Jahren zum Positiven verändert hat, ist der Dialog zwischen Trägern, Spitzenverbänden und der Stadt. In der Sozialbehörde ist der Bereich der Wohnungslosenhilfe in den letzten Jahren personell aufgestockt worden.
Allerdings glaube ich, dass man noch nicht weiß, wie man die Probleme nachhaltig gelöst bekommt. Einem wohnungslosen Menschen fehlt ja nicht nur die Wohnung, sondern die fehlende Wohnung ist Ausdruck seiner biografischen Entwicklung, die oft von vielen anderen Problemen, die im Vorwege bestanden oder jetzt noch bestehen, gekennzeichnet ist. Und das bedarf anderer Ansätze, was in der Behörde mittlerweile auch angekommen ist.
"Es gibt kaum Menschen, deren Problemlagen noch komplexer sind als die unserer Besucher."
Denn es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, die Hilfebedürftigkeit unseres Klientels anzuerkennen. Es reicht nicht, Menschen einen Teller Suppe zu geben oder eine Dusche. Damit schafft man keine nachhaltigen Veränderungen persönlicher Lebenslagen. Um so etwas zu erreichen, braucht es ein Verständnis für ebendiese Menschen und ihre Bedürftigkeit. Es gibt kaum Menschen, deren Problemlagen noch komplexer sind als die unserer Besucher.
epd: Ein EU-weites Ziel besteht darin, Obdachlosigkeit bis 2030 zu beseitigen. Halten Sie es für realistisch, dass die Stadt Hamburg für sich dieses Ziel erreicht?
Hermannes: Leider nein. Das halte ich nicht für möglich. Wir haben immer wieder große Fluchtbewegungen, die Menschen auch nach Hamburg führen. Ob das Lampedusa war, ob das die Transitflüchtlinge 2015 waren oder jetzt Menschen aus der Ukraine. Bei der hohen Zahl geflüchteter Menschen schaffen es längst nicht alle, sich zu integrieren. So wie auch einige der EU-Migranten, die im Zuge der Arbeitnehmerfreizügigkeit in ein anderes europäisches Land gegangen sind, um dort ihr Geld zu verdienen, sich überschätzt haben und dort gescheitert sind.
Die Zahl der Flüchtlinge, die in deutschen Kommunen aufgenommen werden müssen, mag zuletzt etwas zurückgegangen sein. Aber damit ist es nicht vorbei. Wir werden keine dauernde wirtschaftliche Prosperität erleben, und es wird auch in Zukunft Krieg und Flucht geben. Wir werden uns deshalb mit dem Thema Wohnungslosigkeit weiter beschäftigen müssen.

epd: Was wünschen Sie Ihrem Amtsnachfolger Axel Mangat für seine Arbeit?
Hermannes: Ich wünsche Axel Mangat, dass ihm und dem Verein die bestehenden seismografischen Fähigkeiten, Veränderungen in der Gesellschaft zu erkennen, erhalten bleiben. Und dass das im Moment bestehende gute Verhältnis zur Stadt Hamburg bestehen bleibt. Die „hoffnungsorte“ brauchen gesellschaftlichen und politischen Rückhalt.
Außerdem wünsche ich ihm ein stets ausreichend hohes Maß an Spenden und Drittmitteln.
Und dann wünsche ich ihm ein wirklich gutes Team, so wie ich es auch hatte. Und dass er seinem Team vertraut und das Team ihm. In den letzten zwei Jahren haben wir viele neue Kolleginnen und Kollegen bei den „hoffnungsorten hamburg“ eingestellt. Auf dieser Basis wird sich der Verein sicher gut weiterentwickeln.