31.03.2024 | Hauptkirche St. Michaelis

Heute ist Ostern. Aufstand des Lebens. Der Tod ist tot.

31. März 2024 von Kirsten Fehrs

Ostersonntag, Predigt zu 1. Samuel 2, 1-8

Zuvor wurde die Kantate von J.S. Bach: „Jauchzet Gott in allen Landen!“  für Solo-Sopran und Orchester aufgeführt

Kanzelgruß

Halleluja! Gute Güte, wie viele Töne in zwanzig Minuten hineinpassen! Die sich dann auch noch so aufs Feinste singen und trompeten und geigen lassen, sagenhaft. Wenn das jetzt keine auferweckende Musik gewesen ist, liebe Ostergemeinde!
Jauchzet Gott in allen Landen! Mit Inbrunst bitte. Heute ist Ostern. Aufstand des Lebens. Der Tod ist tot. „Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn“, höre ich dabei die Hanna singen, um die es in dieser Predigt geht. Heute haben nämlich die Frauen die Stimme vorn. Mit ihren Lobgesängen. Psalmen. Ihren Worten, Koloraturen, Gefühlen. Kein Ostern ohne die Frauen, sage ich. Denn zuallererst sind es ja die Frauen um Jesus, die die Nachricht von der Auferstehung Jesu hören, ja verkraften müssen. Denn wer rechnet schon nach Jesu elendem Kreuzestod, in all ihrer Trauer und Angst, wer rechnet da schon mit dem Leben?! Doch tatsächlich. Sie sehen es mit eigenen Augen. Er ist auferstanden, eilend rufen sie es allen anderen zu, er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja.

Vom Halleluja-Singen nun war Hanna lange Zeit ihres Lebens weit entfernt. Geradezu erdrückend lag Trauer wie ein großer Stein auf ihrer Seele. Zentnerschwer. So lange schon wünscht sie sich ein Kind! Im Alten Orient ein Muss für jede Frau. Um sich herum spürt Hanna die verlegenen Blicke, den Druck der Familie, ja der ganzen Dorfgemeinschaft. Und so wird Hanna immer krummer und stummer. Redet nicht, isst nicht. Tag für Tag wird sie weniger, als würde sie vor aller Augen einen leisen Tod sterben. Doch ihr Mann glaubt an sie. Tröstet sie. Liebt sie. Seine Liebe zu ihr ist so echt und innig und groß, größer als jeder Kinderwunsch.
Hanna und ihr Mann könnten unsere Nachbarn sein. Freunde. Hier unter uns sitzen. Sie ist so zeitlos, diese Geschichte, die vor Tausenden von Jahren niedergeschrieben wurde, weit ja auch vor der Zeit Jesu. Und sie erzählt doch von einer der schönsten Auferstehungen ins Leben. Denn eines Tages geht Hanna in den Tempel und schüttet ihr Herz vor Gott aus – in einer Sprache ohne Worte, es ist ihre ganz eigene Sprache des Herzens, wisst Ihr, aus der Not geboren, weinend, stammelnd und flehend, leise und irgendwie wütend. Diese allerletzte Hoffnung noch betet sie hin zu ihrem Gott – und wird tatsächlich erhört. Gott schenkt ihr ein Kind! Samuel. Das bedeutet: Der von Gott Erbetene.
Dieser Samuel ist zu Höherem, zum Propheten Gottes berufen, erzählt die Bibel. Hanna weiß das genau. Und sie wird ihren Sohn bald, wenn er aus dem Gröbsten raus ist, wieder zu Gott bringen. Hin in diesen Tempel, in dem sie so verzweifelt um ihn gebetet hat. Doch das nimmt sie an; Samuel ist ihr Augapfel und wird es bleiben. Der schönste Grund, sich wieder dem Leben mit aller Kraft zuzuwenden. „Mein Haupt ist erhöht in dem Herrn“, singt sie. Und richtet sich dabei auf, buchstäblich aus der Krümmung heraus streckt sie den Hals und schaut in die Sonne. Und so langsam wird sie wieder sie selbst. Kann sich freuen, lachen. Trotz allem Schmerz, den sie nur zu gut erinnert. Eine kleine Auferstehung, die die Welt bedeutet. Eine, die mich anrührt, weil sie zeigt: Gott hört uns, wenn wir keine Worte mehr haben. Er steigt mit uns in die Tiefe, sieht unser krummes, stummes Herz, das sich aufrichten und auferstehen möchte aus der Trauerkammer der Seele. „Er führt ins Totenreich und wieder herauf“, singt Hanna dazu.

Und natürlich höre ich an Ostern sofort wie Christus spricht: „Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Hinabgestiegen in das Reich des Todes hat Gott ihn auferweckt von den Toten. Den Mausetoten. Halleluja. Siehe, ich bin lebendig! Dieses Wochenwort vom Anfang unseres Gottesdienstes hat sofort klargestellt, dass, wenn wir von der Auferstehung reden, uns eben nicht in abstrakten theologischen Gedanken bewegen müssen. Denn siehe, es geht um ganz konkrete Erfahrung. Siehe – da gibt es etwas zu sehen: Hanna. Die Frauen. Am leeren Grab. Und – den lebendigen Christus, der sich gewiss erst den Frauen, aber dann vielen anderen in unterschiedlichster Art zeigt. Nicht nur damals den Jüngern und Zeitzeugen. Er ist ja von Ewigkeit zu Ewigkeit. Also keiner von gestern. Sondern von heute. Christus ist heute unter uns, erfahrbar. Davon ist an Ostern zu reden! Wie er anschaulich wird in unserem Leben, der lebendige Gott, wie er spürbar ist als Menschlichkeit in Person.

„Wir haben längere Zeit nichts mehr von Gott gespürt“, sagt die Küsterin zu Andreas. Mit diesem Satz beginnt der melancholisch-heitere Film „Italienisch für Anfänger“. Es ist mein Osterfilm dieses Jahr, und man muss ihn nicht gesehen haben, um die Botschaft zu verstehen. Denn er spielt vom alltäglichen Leben – auch dem unsrigen.
Andreas ist junger Aushilfspfarrer und soll in einer dänischen Kleinstadt den dortigen Kollegen vertreten. Der ist suspendiert, weil er seinen Organisten von der Empore gestoßen hat – so sehr hatte er sich über dessen schlechte Intonation des Psalms aufgeregt (was bitte auch angesichts der so schönen Musik nicht zur Nachahmung empfohlen sei....). Der alte Pfarrer predigt nicht mehr, er pöbelt und stört den Gottesdienst. Er kann den Tod seiner Frau nicht verkraften.
Auch Andreas hat vor kurzem seine Frau verloren. Er ist furchtbar allein, ebenso wie der schüchterne Portier seines Hotels, der sich ihm gleich vorstellt mit: „Mi seciamo Jörgen Mortensen“. Dessen einziges Hobby ist nämlich ein Italienischkurs an der Abendschule. Eines Abends, als Andreas es nicht mehr aushält vor Einsamkeit, geht er auch dahin. Und trifft zu seiner Überraschung alle wieder: Jörgen, die Küsterin, die schusselige Bäckerei-Gehilfin Olympia, den charmanten Dorfgigolo Finn, die Friseurin Karen. Es stellt sich schnell heraus: Alle müssen mit großem Schmerz zu Recht kommen. Und alle haben von der Anwesenheit Gottes lange nichts mehr gefühlt – haben überhaupt keine guten Gefühle mehr gehabt. Auch Andreas nicht. In ihm ein stummes, krummes Herz wie bei Hanna. An einer Stelle drückt dies der alte Pastor, den seine Traurigkeit fast um den Verstand bringt, so aus: „Gott hat mir meine Frau genommen. Und sie hat mir Gott genommen.“

Sie alle gehen nicht in die Kirche. Sie gehen in den Italienischkurs. Sie wollen heraus aus der Trauerkammer. Wollen Sonne, Wärme, Amore, Bambini, ach, sie wollen, dass das Leben sich zum Guten wandelt. Olympia will weg von ihrem tyrannischen Vater und sehnt sich nach einer eigenen Familie. Karen hofft, dass ihre schwer alkoholkranke Mutter endlich in Frieden sterben kann. Andreas möchte nicht mehr über den Tod seiner Frau nachdenken müssen und Jörgen Mortensen nicht über seine unglückliche Liebe. Sie alle gehen nicht in die Kirche, jedenfalls noch nicht. Auch Guilia nicht, die in Jörgen insgeheim verliebt ist und die einzige Italienerin am Ort. Auch sie geht schließlich in den Italienischkurs.

Alle ahnen sie, dass sie nicht nur diese Sprache lernen, sondern dass sie lernen, überhaupt wieder Worte zu finden. Eine Herzenssprache wie bei Hanna, die dem Druck Ausdruck gibt. Für diese Wut in der Trauer, weil man sich so allein gelassen fühlt.  Für die Sehnsucht nach Kindern und die Scham, es keinem recht machen zu können, für die Qual, wenn man jemanden sterben sieht und nichts für ihn tun kann. Es sind so viele Bilder des Todes, die sie im Bann halten, und mag sein: Die auch uns im Bann halten. Und sie wären wohl immer noch darin gefangen, hätte nicht ausgerechnet Guilia, völlig ungerührt, per Sprachbuch dekliniert: Ich liebe, du liebst, er liebt, sie liebt (dich auch). Kleine Worte. Große Gefühle. Auf einmal spüren sie, wie sich etwas löst. Und wie viel Sehnsucht nach Leben in ihnen ist! Und versuchen es, zaghaft zunächst, mit dem „Basta!“ - Genug ist´s. Es reicht. Es reichen Ohnmacht, Sorge, Schuldgefühle, Trauer, die überstark das Leben bestimmt haben. Das Leben hat sein Recht, liebe Geschwister hier im Michel. Es ist heute mit uns gemeinsam aufgestanden. Wie jeden Morgen. Halleluja. Und Hanna singt dazu: „Mein Herz ist fröhlich im Herrn.“

Ostern ist das End vom Ende. Nehmen wir´s als Anfang, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Basta. Und mir kommt angesichts all der Nöte und Verzweiflungen, ja der Friedens-Resignation angesichts der nicht enden wollenden Kriege in der Welt immer öfter  in den Sinn: Ob wir nicht auch wieder einmal einen Sprachkurs bräuchten. Gern hier in der Kirche. Für eine Sprache des Glaubens, die sich was traut. Worte, die den Frieden begehren, und ihn nicht von vornherein aufgeben. Ungestüm, bisweilen vielleicht auch stotternd, stammelnd, aber lebensnah, im Namen des Auferstandenen. Eine Herzenssprache, um die ja auch Hanna ringt und betet – und die Gott erhört. Weil sie eben doch noch etwas vom Leben erwartet und erwarten kann. Wer weiß, liebe Gemeinde, was auch in Ihrem Leben neu geboren werden will?

Nehmen wir also Hannas Lobgesang zum Anlass zu fragen: Was erfüllt sich eigentlich gerade in meinem Leben? Was und wen kann ich loben? Weil´s herzensnah, zugewandt, menschlich ist? Und was kann ich dazu tun, dass die Menschlichkeit Gottes auf die Welt kommt? Wie kann ich rausgehen aus der Kammer des Jammers, deren viele Gründe ich heute an Ostern gerade nicht aufzähle. Denn zum Aufstand des Lebens gehört, den Kopf nicht nur nicht in den Sand zu stecken, sondern ganz und gar zu heben. Wie Hanna es tut mit erhöhtem Haupt. Das ist nämlich mit das Entscheidende beim Aufstehen und Sich-Gerademachen. Es wird den niederdrückenden Mächten die Stirn geboten. Ein Affront im französischen Wortsinn!

Und Ostern ist ein einziger Affront! Gegen die Sorge, die sich unsrer bemächtigt und uns krumm macht. Ein Affront gegen die, die Ängste schüren. Gegen alle Menschenverachtung und das Schweigen, wenn Menschenrecht mit Füßen getreten wird. Es ist ein Affront gegen Intoleranz und lebensfeindliche Ideologien, gegen den Krieg despotischer Machthaber und gegen jede Gewalt, die Menschen einander antun. Ostern ist ein Affront gegen den Todesbann in unserem Leben. Bieten wir also heute die Stirn, erhöhen wir das Haupt, und singen wie Hanna singt. Mit den Frauen nun auch die Männer. Bass und besser. Jauchzet Gott in allen Landen. Im Herzen aufgeweckt, nicht mehr stumm, sondern voller Mut und Hoffnungsworte – es lebe der Sprachkurs des Lebens!

Nicht dass ich´s vergesse: Am Schluss fahren sie raus in die Welt, nach Venedig, die italienischen Dänen. Und sie finden sich, finden sich auch in einem Restaurant wieder und bestellen in perfektem Italienisch das Beste für das Fest ihres Lebens. Der Pastor Andreas übrigens findet dabei seine Olympia, und: Dass er wieder etwas glauben kann. Und eine neue Welt wird geboren. Christus – mitten unter uns.
Der Herr ist auferstanden. Halleluja!
Er ist wahrhaftig auferstanden!  Halleluja.
Nicht Basta, aber: Amen

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