Ich bin getauft, sagt Jonathan. Halleluja!
03. Juli 2016
6. Sonntag nach Trinitatis, Predigt zu Römer 6, 3-8
Predigttext: Römer 6, 3-8
Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.
Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleich geworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, sodass wir hinfort der Sünde nicht dienen. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden.
Liebe Gemeinde,
ich freue mich so, dass ich diese Taufe eben miterleben durfte, lieber B. Als Sie dreimal auf die Fragen hin sagten: Ja, ich glaube!, hat mich das immens berührt. So, dass ich doch anschließend glatt das Glaubensbekenntnis durcheinander gebracht habe…
Vor drei Wochen lernte ich einen jungen Mann in etwa Ihrem Alter kennen. Y. stammt aus Afghanistan, und auch er hat sich vor kurzem taufen lassen. Wir waren in einer größeren Runde beisammen, und jemand fragte ihn: Sag mal, wie viel von deinem alten Glauben konntest du denn jetzt mitnehmen in deinen neuen Glauben? Y. sah den Fragesteller verständnislos an. "Gar nichts natürlich!" Und er blieb dabei: Sein Leben als Muslim und sein Leben als Christ, das habe nichts miteinander zu tun. Das Alte ist nicht mehr. Es sei ein ganz und gar neues Leben, ein freies Leben, das für ihn begonnen habe. „In einem neuen Leben wandeln“ – hier wurde sofort greifbar, was wir eben im Römerbrief hörten.
Sich mit Menschen, gleich woher sie kommen, über ihren Glauben zu unterhalten, ist eine spannende Erfahrung. Und eine Herausforderung. Denn all das scheinbar Selbstverständliche, was wir als Christen glauben, in verständliche Worte zu fassen, ist gar nicht so leicht. Es heißt nämlich auf Fragen zu antworten wie: Warum taufen wir im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes – wenn es doch auf gar keinen Fall drei Götter sind? Warum betet nur einer da vorn, wenn doch alle etwas auf ihrem Herzen haben? Warum hat die Bibel viele Bücher und nicht nur eins?
Es ist, liebe Gemeinde, religiös in unserem Land viel in Bewegung geraten, auch durch die Geflüchteten. Und es ist entgegen all der eigenen Abgesänge total relevant, dass wir uns in den Dialog aktiv begeben. Dass wir uns zum Beispiel als evangelische Gemeinden den Fragen öffnen, die die Menschen an uns haben und herantragen. Das tun sie nämlich zunehmend. Siehe B. und siehe Y. Man wechselt ja in seinem Leben nicht nur geografisch manchen Ort - als Flüchtling mit einer oft bedrückenden Geschichte belastet – man kommt ja nicht nur geographisch an einen neuen Ort, während man ansonsten der Alte bleibt. Vielmehr verändert man sich. Ja, muss es auch tun. Was meinen Sie, liebe Gemeinde, wie die Welt mancher Iraner und Afghanen auf einmal ins Wanken gerät, wenn sie sehen, dass eine Pastorin den Taufkurs hält. "Erst kamen nur zwei Iraner und wollten etwas über die Taufe wissen", erzählte sie. "In der Woche drauf haben sie dann noch zehn Freunde mitgebracht."
In der Nordkirche dürften es gut und gerne mehrere hundert Geflüchtete sein, die derzeit einen Taufkurs besuchen. Auch übrigens in den Freikirchen. "Ich komme zurzeit aus dem Wasser gar nicht mehr raus", sagte neulich ein baptistischer Pastor zu mir. - Die Motive mischen sich und sind ganz vielfältig, so wie das Leben selbst. Manche sind wie Younes angezogen davon, dass Religion nicht mehr verbunden ist mit Strafe und restriktiven Eingriffen in ihr Leben, sondern dass der christliche Glaube von Liebe spricht. Und Angenommensein. Davon, dass jeder Mensch wunderbar gemacht ist… Andere wollen sich unbedingt integrieren und sich deshalb der Mehrheitsreligion in der neuen Heimat anschließen. Es gibt auch, allerdings eher wenige, die hoffen, ihre Bleibeperspektive verbessern zu können. Wir wissen es nicht immer, warum, aber wissen wir eigentlich, warum wir selbst getauft sind? Gut, zumeist waren wir Kinder. Aber wissen wir, warum unsere Eltern diese Entscheidung für uns getroffen haben? War es Tradition? Konvention? Überzeugung?
Paulus sagt – und so auch ich: Es ist egal. "Alle, die in Christus getauft sind, sind in seinen Tod getauft...Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden." Wir glauben, dass wir leben werden. Das ist die Spitze des Textes. Was vorher war, ist tot, vergessen, zu nichts mehr nütze. Es ist gleich, woher wir kommen, was unsere Motive waren, was wir vorher glaubten. Jetzt leben wir und glauben, dass wir leben werden.
Und – glauben wir´s?
Erfahren Sie es, liebe Gemeinde, dass es eine kategoriale Veränderung des Seins ist, getauft zu sein? Ausgerichtet auf Christus hin! Und darin auch unverbrüchlich verbunden mit Ihren Banknachbar/innen (oder vermutlich einem Großteil davon.. – so fulminant verschieden Sie in dieser Gemeinschaft in St. Johannis sind, die ich mich im Übrigen sehr freue, heute näher kennenzulernen.
Glauben wir, dass die Taufe uns neu macht?
Wenn ein Kind getauft wird oder gar, wie eben, ein junger Mann – dann ist mir, als berühre Gott sein Kind. Eines seiner vielen, geliebten Augensterne. Das ist ein ganz feierlicher, heiliger Moment, in dem sich eine fast zärtliche Stille auf die Gemeinde legt. So, als würde die Welt kurz den Atem anhalten. Und mag sein, gerade dann, wenn der Täufling mit dem Wasser berührt und bei seinem individuellen Namen gerufen wird, rührt es auch etwas in uns an. Im Inneren. Eine Taufe er-innert auch uns. Sie rührt an unsere Ursprünglichkeit. An das, was wir waren und was wir sein wollten. Es erinnert an das Sehnen, bis zum letzten Atemzug behütet zu sein und zugleich an die Furcht vor diesem Letzten. Es erinnert – immer wenn uns Widersprüche zu zerreißen drohen oder wenn wir zwischen Leben und Tod schweben (und Sie wissen in dieser Gemeinde soviel davon!) – es erinnert, dass es Einen gibt, der uns inmitten der tobenden Welt im Innersten zusammenhält. Denn er weiß um jeden Stern in unserem Leben, wen wir lieben und wen wir tragen. Er allein weiß, wieviel Sternlein stehen. „Gott, der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet, an der ganzen großen Zahl, an der ganzen großen Zahl.“ Diese Zusage durch die Zeiten zu singen, heißt Gott zu glauben. Ihn, der uns geheimnisvoll, unsagbar, oft unverständlich erscheint. Und der zugleich Licht ist auf unserem Wege. Oder mit Paulus gesprochen: Der uns Grund gibt zu glauben, dass wir leben werden. Mit ihm.
Diesen Zuspruch sollten wir täglich dreimal zu uns nehmen. Fand übrigens auch Martin Luther. Ich bin getauft, so schrieb er‘s in Kreide vor sich hin. Auf den Schreibtisch. An die Wand. Er brauchte das. In so vielen Stunden der Anfechtung hat er Gott einfach nicht sehen, glauben, fühlen können, hat gezweifelt, sich bestraft, gerungen mit Selbstgerechtigkeit und Depression. Und im tiefsten Dunkel dann: Ich bin getauft! Als würde der sichtbare Schriftzug diesen verborgenen Gott wieder ins Leben holen. Seine Anwesenheit bezeugen. Und einen binden, wenn man fliehen möchte vor der Verzweiflung und es in einem zittert.
Ich bin getauft. Und: Ja, ich glaube. Ich glaube, dass wir leben werden. Wir sollten es tatsächlich viel öfter zu uns nehmen und von uns geben – gerade jetzt in einer Zeit, in der so viele Menschen in Ängsten festsitzen, ja fast in einem sich steigernden Kleinmut, der sich europaweit auf die Seelen legt. Glauben, dass wir leben werden. Jetzt. Mir fällt dazu Jonathan ein, ein baptistischer Prediger aus Südafrika. Er erzählte vor einigen Jahren, dass er während der Zeit der Apartheid einmal fast ums Leben gekommen wäre. Wie es damals eben war; die Verfolger waren überall. So willkürlich. Brutal. Nichts war mehr heilig. Schließlich flüchtete Jonathan sich in seine Kirche. Die Verfolger traten die Tür ein. Kurz bevor sie die Kirche stürmten, sah Jonathan das große Taufbecken, in das er einst ganz und gar eingetaucht worden war, sprang kurzerhand hinein und zog den Taufdeckel über sich. Und: er wurde nicht entdeckt!
Ich bin getauft, sagt Jonathan. Halleluja!
Seitdem er damals im wahrsten Sinne des lutherischen Wortes aus der Taufe „gekrochen ist“, lebt er anders. Diesmal wirklich wie neu geboren, sagt er. Unendlich dankbar, auf dieser Welt zu sein – und angefüllt mit einer Friedenssehnsucht, dass es schmerzt. Angesichts der Welt, die er täglich sieht. Angesichts dieser elenden Armut, die es immer noch gibt. Angesichts der Tausende Männer, Frauen und vor allem Kinder, die aus Afrika, von Libyen aus, die Flucht riskieren. Und die in ihren Booten vor den Küsten Europas untergehen. Namenlos, weil unerkannt. Weggeschaut. Un-erhört.
Wir sind in seinen Tod getauft – das in aller Konsequenz zu hören, heißt genau dies: berührbar zu bleiben, bis an die Herzhaut, wenn Leben zerstört wird. Gegenrede zu halten, wenn Menschen angefeindet, niedergetrampelt, heruntergeschimpft werden. Widerwort ist Lebenswort, liebe Gemeinde. Damals bei Paulus, anders in Südafrika, heute in unserem Land gegen Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit. Widerwort ist Lebenswort, immer wieder laut für die Erniedrigten und Getretenen in Syrien und für jedes Opfer barbarischer Terroristen, die den Namen Gottes missbrauchen.
Y. hat das erlebt. Für ihn war Religion in seiner Heimat ein Schreckensbild. Nun, in diesem freien Land, hat sich sein Leben von Grund auf geändert. Er darf denken, sagt er. Und fragen, studieren, lieben, wen er will. Er darf in Taufkursen sitzen und über Glauben reden!
„Am Ostersonntag wurde ich im Fluss getauft“, erzählt er schließlich. „Und auf einmal war die Angst vorbei.“
Eingetaucht in den Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er gebe uns Aussicht und ein weites Herz und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.