Zum Abschluss der Kunstaktion „Todes-mutig“ in Wolgast

Im Leben und Sterben zählt die Geborgenheit in Gott

20. November 2022

Liebe Gemeinde, wir feiern Gottesdienst heute am Letzten Sonntag des Kirchenjahres. Für diesen Sonntag gilt ein Gedanke, der im christlichen Glauben eigentlich immer eine Rolle spielt, in besonderer Weise: Wir als die Lebenden nehmen unsere Verstorbenen in unsere Mitte. Wir gedenken ihrer, indem wir die Namen derer verlesen, die im vergangenen Kirchenjahr in dieser Gemeinde kirchlich beerdigt wurden und die wir schmerzlich vermissen.

Wir tun dies in der Glaubenshoffnung, dass der irdische Tod nicht das letzte Wort über uns hat. Der Tod bedeutet nach Überzeugung der Bibel nichts Geringeres als die Vollendung des Lebens, den Übergang in das Leben in Fülle in der Ewigkeit Gottes. Diese Hoffnung ist um uns herum eindrücklich ins Bild gesetzt. Der berühmte Totentanz in Ihrer Kirche transportiert vor allem eine Botschaft: Der Tod macht uns alle gleich, reich und arm, mächtig und ohnmächtig, berühmt und vergessen. Gleichermaßen sind wir alle vergänglich und werden einmal nicht mehr sein als schauerliche Gerippe.

Der Totentanz ist aber keine hämische Abrechnung mit den Verstorbenen. Er richtet sich an uns Lebende: Denkt an eure Vergänglichkeit, an eure Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit, an eure Angewiesenheit auf andere Menschen und auf Gott. Was im Leben und im Sterben zählt, ist nicht Ruhm und Geld, sondern die Geborgenheit in Gott.

Und darum sind die faszinierenden großen Fotos hier mitten aus Wolgast nicht etwa das Gegenstück zur Wandmalerei. Nein, sie sind kongenialer Kommentar. Der recht verstandene Totentanz führt zu neuem Lebensmut. Der Tod gehört mitten ins Leben. Christlich gesprochen: Der Tod ist in der Auferweckung Jesu besiegt. Im Heiligen Abendmahl, das wir nachher feiern, verbinden wir uns als Lebende mit denen, die uns vorausgegangen sind und an der Festtafel des ewigen Gottes sitzen.

Ich bin Heidi Krautwald als Künstlerin sehr dankbar, dass sie hier in St. Petri diesen engen Zusammenhang von Tod und Leben so bildstark in Szene gesetzt hat.

Und so geht heute auch eine große Kunstaktion zu Ende, die seit gut einem Jahr viele Veranstaltungen hier in der Nordkirche, aber auch in Landeskirchen Hannover und Oldenburg umfasst hat: „Todes-mutig“. Kunst, Konzert und Tanz, ein großes Fastentuch in Hamburg, eine Totentanz- Oper in Lübeck oder das tanzende Bundesjugendballett in Ratzeburg gehörten zur Aktion. 

Diese Kunstaktion könnte an keinem Tag als diesem und an keinem Ort als diesem besser abgeschlossen werden. Wie schön, dass wir dazu heute die wunderbare Musik von Heinrich Schütz hören dürfen. Er hat mit seinen Exsequien eine Begräbnismesse komponiert, die in ihrem dritten Teil einen alten Mann in den Mittelpunkt stellt, der an der Schwelle zwischen Leben und Tod steht, Simeon.

In Lukas 2, dem heutigen Predigttext, hören wir, dass der betagte Simeon dem neu geborenen Jesus begegnet- zwei Menschen, einer ganz am Anfang, einer ganz am Ende des Lebens. Der greise Simeon kann beruhigt sein irdisches Leben loslassen, weil er in dem Baby, das er auf Händen tragen darf, die Rettung der ganzen Welt erkennt. Ich lese aus dem Lukasevangelium:

Und siehe, ein Mensch war in Jerusalem mit Namen Simeon; und dieser Mensch war gerecht und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war auf ihm. Und ihm war vom Heiligen Geist geweissagt worden, er sollte den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. Und er kam vom Geist geführt in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:

Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.

Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde. Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist dazu bestimmt, dass viele in Israel fallen und viele aufstehen, und ist bestimmt zu einem Zeichen, dem widersprochen wird– und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen –, damit aus vielen Herzen die Gedanken offenbar werden.

Ich habe es in meiner pastoralen Praxis öfter erlebt. Da möchte eine ältere Dame unbedingt noch ihren 90. Geburtstag oder die Geburt ihres Urenkels miterleben. Dieses Ziel verleiht ihr im Vorfeld erstaunliche zusätzliche Kräfte. Nach dem Erreichen dieses Ziels kann sie gehen und verstirbt kurz danach.

Natürlich gibt es auch die gegenteiligen Erfahrungen. Aber sichtlich sind solche Zielpunkte für das Leben auch oder gerade von Hochbetagten sehr wesentlich.

Nicht anders geht es dem alt gewordenen Simeon. Ihn hält das Versprechen des göttlichen Geistes aufrecht. Er soll nicht sterben, bevor er den Christus gesehen hat, den Messias, den Gesalbten Gottes. Er wartet im Tempel auf den Trost Israels. Damit steht Simeon für alle Menschen, die sich auf ihr Sterben vorbereiten, die wissen, wie knapp ihre restliche Lebenszeit ist. Wie hilfreich, wenn solche Menschen auf göttlichen Trost warten können!

Zugleich steht Simeon aber auch für das gesamte Volk Israel. Es geht in seinem Warten nicht etwa nur um seine Person. Es geht um das Heilwerden und die Versöhnung der gesamten Menschheit.

Was muss es für diesen alten Mann für ein Tag gewesen sein! Er sieht die junge Familie in den Tempel kommen, die nach jüdischer Sitte ihren Erstgeborenen zum Priester bringen und beschneiden lassen will. Für ihn ist es keine Frage, wer da den Tempel besucht.  Er nimmt das Neugeborene auf den Arm. Diese anrührende Szene ist oft in der Kunst dargestellt, besonders innig von Rembrandt. Der Gehende herzt den Kommenden. Der Sterbende segnet den gerade zur Welt Gekommenen.

Das Loblied, das Simeon nun anstimmt, ist der neutestamentliche Psalm im Nachtgebet der Kirche geworden. Simeon kann sein Leben lassen, weil er das Leben der Welt auf Händen trägt. Und er sagt das Entscheidende über den Christus: Er ist für sein Volk Israel von Gott auf die Erde gesandt, aber eben auch als Licht für alle Menschen jeglicher Herkunft. Als Simeon auch die Eltern segnet, kann er dies nicht tun, ohne Maria vorherzusagen, was sie angesichts des Streits um ihren Sohn als Mutter Jesu alles durchzumachen hat.

Die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross hat für alle Menschen, die die Gnade haben, eines natürlichen Todes zu sterben, fünf Sterbephasen ausgemacht: Nicht-Wahrhaben-Wollen, Zorn, Verhandeln, Depressionen, Zustimmung. Die Phasen im Prozess des Sterbens haben sich für viele immer wieder bewahrheitet, die Sterbende begleiten. Simeon ist der Protoptyp der Phase 5, „Zustimmung“. Er sagt „Ja“ dazu, jetzt gehen zu können. Aller Kampf ist vorbei, aller Zorn, alle Depression, alles Warten. Simeon gibt sich hin, zurück in die liebenden Hände, aus denen er einst sein Leben empfangen hat. Sein vom Alter gezeichneter Körper ist bald nur noch sterbliche Hülle, wird verfallen, tanzendes Skelett.

Er selbst aber hat seinen inneren Frieden gefunden und ist damit noch lebender Zeuge des ewigen Friedens in Gott. Die wunderbare Musik von Heinrich Schütz und die uns umgebende Kunst verstärken dieses Zeugnis des Simeon. Der Tod tanzt, obwohl er bereits entmachtet ist. Die Auferstehung Jesu begründet unsere Hoffnung über das Sterben hinaus.

Und deswegen soll zum Abschluss noch einmal die Heilige Schrift das Wort haben, vorhin vom Fernchor wunderbar gesungen: „Selig sind die Toten, die in dem Herren sterben, sie ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach. Sie sind in der Hand des Herren, und keine Qual rühret sie.    

Amen.

Datum
20.11.2022
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