Impulsvortrag auf dem Gewerkschaftstag des VKM
16. August 2012
Die Nordkirche und das Arbeitsrecht
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder!
Ich danke sehr herzlich für die Einladung, hier bei Ihrem Gewerkschaftstag – dem ersten nach Gründung der Ev. Luth. Kirche in Norddeutschland – zu sprechen.
Ich will die Gelegenheit gern nutzen; auch, um Ihnen zu danken für Ihr Engagement, für Ihre streitbare Vitalität, wenn es um die Rechte und die Situation der Mitarbeitenden in unserer Kirche auf allen Ebenen geht. Ich danke für Engagement und ich danke für den vielfältigen Dienst der vielen Tausend Mitarbeitenden in Gemeinden, Kreisen, Verwaltungen, Diensten und Werken, Einrichtungen usw. Denn: was ist Kirche anderes, als die Gemeinschaft derer, die den Auftrag, den der Herr seiner Kirche gibt, umsetzen?! Der Reichtum und die Substanz unseres Kirche-Seins liegen in denen, die sich in den Dienst nehmen lassen für das Wort Gottes in Wort und Tat.
Ich halte fest an dem alten Artikel 19 der Verfassung der ehemaligen Nordelbischen Ev. Luth. Kirche, der davon spricht, dass es das eine Amt der Kirche gibt, das sich gliedert in verschiedene Dienste. Und daraus folgt nichts anderes, als dass alle Mitarbeitenden ohne Unterschied teilhaben an dem einen Auftrag der Kirche, das Evangelium in Wort und Tat weiterzusagen – ob das auf der Kanzel geschieht oder in der Verwaltung; in der Kindertagesstätte oder im Pflegeheim; auf der Orgelbank oder am Krankenbett: es geht jeweils um das eine Amt der Kirche. Und auch, wenn es so wörtlich in der neuen Verfassung nicht niedergeschrieben ist: das ist dennoch der Geist, der auch die neue Verfassung trägt.
Es wird in den kommenden Jahren darum gehen, diesen Geist lebendig bleiben zu lassen. Auch dazu braucht es verlässliches Arbeitsrecht und Verständnis von der Gemeinschaft, die Kirche ist als Leib Christi mit vielen Gliedern, von denen nicht eines überflüssig oder verzichtbar sein soll. Und es wird darum gehen, dieses Selbstverständnis immer wieder neu zu vermitteln mit den Realitäten, die uns beschäftigen als Kirche, die nicht von dieser Welt, aber in dieser Welt ist. Es gibt nach meinem Verständnis so etwas wie einen Überschuss an geistlicher Gemeinschaft, der sich mancher Regelung im rechtlichen Sinne möglicherweise entzieht oder aber besondere Regelungen braucht. Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, Ihnen und damit stellvertretend allen Mitarbeitenden unserer Kirche von Helgoland bis Pasewalk, von der Dänischen bis zur Polnischen Grenze zu danken für die große Loyalität, die sie gezeigt haben während der Jahre der Reform und Fusion! Das war keineswegs selbstverständlich. Denn sowohl die Reform z. B. der Nordelbischen Kirche (Kirchenkreis-Fusionen und Neustrukturierung der Dienste und Werke) wie auch der Fusionsprozess hin zur Nordkirche hat erhebliche Belastungen gerade Ihnen, den Mitarbeitenden zugemutet. Jede Strukturreform braucht die Mitarbeitenden und trifft die Mitarbeitenden in besonderer Weise. Dass Sie hier mitgezogen haben, sich eingebracht haben in die verschiedenen Prozesse; dass sie ermahnt und ermutigt, kritisiert und zu bedenken gegeben haben: dafür sei Ihnen von Herzen gedankt. Die Mitarbeitenden haben – nicht zuletzt in den Verwaltungen auf allen Ebenen – manches auszuhalten und an Ungewissheit durchzustehen gehabt. Und sie haben nicht unerheblich zum Gelingen der Prozesse beigetragen. Und ich weiß sehr wohl, dass im Blick auf Nordelbien eine Doppelbelastung auszuhalten war, als nämlich die Nordelbische Reform mit der Fusion zur Nordkirche zeitgleich Fahrt aufnahmen. Nicht zuletzt an den Standortfragen ist solche Zumutung deutlich geworden. Es sind zuerst die Mitarbeitenden, die z. B. spüren, dass die Wege in der neuen Kirche in Norddeutschland länger geworden sind. Hier sind wir mit unserem Erfindungsreichtum gefragt und hoffentlich noch nicht am Ende.
Ich habe immer gesagt und gemahnt: wenn wir eine Verfassung verabschiedet haben, dann haben wir den Rahmen für die neue Kirche. Kirche sind wir damit noch nicht – dazu gehört viel mehr und anderes. Kirche werden wir im gemeinsamen Begegnen untereinander und mit Gott. Kirche werden wir bauen, indem wir einander unsere Geschichte und Geschichten erzählen – „Story-teller“ sollen wir sein, Zeuginnen und Zeugen, Bürginnen und Bürgen des Evangeliums.
Darum natürlich hat Herr Wildoer in seinem Grußwort auch etwas Richtiges angesprochen, wenn er auf die noch ausstehende Etablierung eines gemeinsamen Arbeitsrechts hingewiesen hat: schon der Begriff „kleines Trennungsmodell“ birgt in sich zu überwindende Kompromisse, Bedarf an weiterer Klärung. Wir sind auf dem Weg – nicht am Ziel. Ihre Bitte an mich für heute umfasst zwei Punkte: Unsere Nordkirche und ihre Verantwortung für die Mitarbeitenden. Ich will diese beiden Thementeile (die kann man ja nicht einfach trennen) auch nacheinander behandeln. Zum ersten will ich noch einmal die Fusion skizzieren, zum zweiten dann etwas zur Verantwortung für die Mitarbeitenden zu sagen versuchen.
I Die Nordkirche
Die nun vollzogene Fusion ist von großer Bedeutung für die kirchliche Landschaft in Norddeutschland. Aber darüber hinaus ist sie von Bedeutung für den Protestantismus in Deutschland und für den Prozess der Annäherung von Ost und West, der nach der Wende vor mehr als zwanzig Jahren begann und längst nicht abgeschlossen ist.
Es ist entstanden eine Kirche, die die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg einbezieht und damit für die kirchliche Landschaft so etwas wie eine Nordstaat-Idee vorweg nimmt (auch das ist ein Grund dafür, dass viele Verantwortliche aus Staat und Gesellschaft auf unseren Prozess schauen). Wir bringen zusammen unsere Kräfte und bündeln sie, um den gemeinsamen Auftrag, das Evangelium in Wort und Tat zu verkündigen, in der veränderten gesellschaftlichen Situation besser erfüllen zu können. Dabei geht es nicht nur um materielle Fragen, sondern auch um die Möglichkeit, sich geistlich zu erneuern, auf die veränderten gesellschaftlichen Situationen in unseren Bundesländern einzustellen: Wir werden kleiner – auch aus demografischen Gründen; in Pommern gibt es 100.000, in Mecklenburg 200.000 und in Nordelbien knapp 2 Millionen Mitglieder. Das klingt viel, darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der Anteil der Evangelischen Christen an der Gesamtbevölkerung insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern deutlich unter 20 % liegt – in Schleswig-Holstein bei etwa 60 % und in Hamburg bei weniger als 40 %. Dabei gibt es insbesondere in Hamburg Quartiere, in denen der Anteil von Kirchenmitgliedern ähnlich niedrig ist wie in Pommern und Mecklenburg – das ist also keineswegs nur ein Ost-Problem. Nur gemeinsam werden wir in der Lage sein, eine neue missionarische Kraft zu entwickeln. Das ist der zentrale Motivationsgedanke, der von Anfang an die Fusion betrieben hat.
Im Jahr 2007 begann der Prozess mit Sondierungsgesprächen. Wir knüpften damit an an eine Geschichte von 60 Jahren kirchlicher Partnerschaften zwischen Nordelbien, Pommern und Mecklenburg. Und wir nahmen auf eine Geschichte der Kooperation, die sofort nach der Wende begonnen und sich z. B. Ausdruck verschafft hatte in Sanierungsprogrammen von Pastoraten und Gemeindehäusern, Gründungen von Diakonischen Einrichtungen usw.
Unterschiedliche Kulturen
Es kommen drei Kirchen mit sehr unterschiedlichen Traditionen, Kulturen und Geschichten zusammen: die Nordelbische Ev.-Luth. Kirche war erst 1977 entstanden – fusioniert aus fünf ehemals selbständigen Landeskirchen. Sie ist eine typische Volkskirche, die die Metropole und die Metropolregion Hamburg verbindet mit den vielen ländlichen Räumen zwischen Nord- und Ostsee. Eine Kirche, die aus den Kirchenreform-Bewegungen der 70iger Jahre des 20. Jahrhunderts entstanden war, mit vielen basisdemokratischen Elementen, eine „Kirche von unten“, die in ihrem Verfassungsaufbau abbildete, wie Kirche wächst: Von der einzelnen Gemeinde her gedacht über sehr selbständige Kirchenkreise, zur landeskirchlichen Ebene mit einem Bischofskollegium an der Spitze.
Die Pommersche Ev. Kirche, die sehr autonome Gemeinden kannte, sowie die Ev.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs, die eine eher zentral organisierte Kirche war. Beiden Kirchen in Mecklenburg-Vorpommern ist natürlich gleich die Geschichte der DDR, die sie zwang, Kirche in einem feindlichen Umfeld zu bauen. Man musste nach Strategien suchen im Umgang mit den staatlichen Organen – hier besonders gibt es Unterschiede in der Geschichte beider Kirchen. Das ist der größte Unterschied und zugleich die größte Herausforderung der neuen fusionierten Kirche: Diese unterschiedlichen Geschichten und Kulturen, die unterschiedlich gewachsenen Profile miteinander zu verbinden – so, dass die Geschichten nicht verschwinden, sondern gestaltet werden können, integriert werden können in das neue Ganze. Hier werden wir sehr aufeinander zu achten haben und achtsam umzugehen haben miteinander: Denn Kulturen und Geschichten prägen Menschen in ihren unterschiedlichen Erfahrungen, Handlungsweisen und – in ihrer Weise, den Glauben zu leben!
Die neue Verfassung bietet Raum für die Vielfalt und für die Unterschiede der gewachsenen Kulturen. Sie ist in ihrer Grundstruktur angelehnt an die der Nordelbischen Verfassung mit den starken Kirchenkreisen.
Es handelt sich um drei Kirchen Lutherischen Bekenntnisses. Bei der Pommerschen Ev. Kirche allerdings kommt hinzu, dass sie eine Kirche der Altpreußischen Union ist, die außer den Lutherischen Bekenntnisschriften auch die Barmer Theologische Erklärung in ihrer Kirchenordnung verankert hat. Das nun hat dazu geführt, dass erstmals in der Verfassung einer Kirche die Barmer Theologische Erklärung neben den Lutherischen Bekenntnissen erwähnt wird. Dabei war darauf zu achten, dass die Barmer Theologische Erklärung von 1934 auch nach dem Willen ihrer Väter kein neues Bekenntnis sein wollte, sondern lediglich in einer herausfordernden Bekenntnissituation (Abgrenzung von den Nationalsozialisten auch in der eigenen Kirche) eine Auslegung und Bekräftigung des Lutherischen Bekenntnisses in deren Lichte.
Mitarbeitenden-Kultur
Im Blick auf die Verhältnisse, die die Mitarbeitenden zu ihren Kirchen jeweils hatten, gibt es große Unterschiede, die sich nicht darin erschöpfen oder beschreiben lassen, dass in dem ehemaligen Nordelbien der modifizierte zweite Weg, in Mecklenburg und Pommern der dritte Weg das Arbeitsrecht bestimmte.
Wenn während der Sondierungs- und Fusionsgespräche Mitarbeitende über ihre Kirche erzählten, so taten das die Mecklenburgischen und Pommerschen für uns Nordelbier auffallend deutlich in Kategorien der Verwandtschaft, der Familie. Kirche war für viele Menschen während der DDR-Zeit Ort des Schutzes, der Identität und der Freiheit. Und Ort der Vergewisserung. Kirche als der besondere Ort – auch der Fürsorge, des Rechtsschutzes. Ein starker Zusammenhalt nach außen war entscheidend und prägend, man stand gegen den gemeinsamen Feind. Von daher erklärt sich auch ein gewisses Maß an Misstrauen gegen alles, was „von außen“ Einfluss nehmen wollte und will. Wir haben erlebt und gelernt, dass z. B. der Begriff „Gewerkschaften“ bei einigen ganz andere Konnotationen bewirkte als bei uns, die wir die Gewerkschaften als Partnerinnen in den letzten 35 Jahren schätzen gelernt haben. Insofern war der dritte Weg für die Partner konsequent. Dies prallt sozusagen auf die Kultur in der ehemaligen NEK, die als Volkskirche ein Teil der Gesellschaft darstellte. Auch hier gab es Identifizierung mit „meiner Kirche“; aber weniger im familiaren Sinn, denke ich. Hier wurde häufig ein Gegenüber formuliert, und eine gewisse Distanz zur Kirche in ihrer institutionellen Ausprägung – nicht zu ihren Inhalten – gehörte zu unserem Kirche-Sein dazu.
Es bleibt also eine Aufgabe: die unterschiedlichen Kulturen aufeinander zu beziehen und miteinander ins Gespräch zu bringen; Vertrauen zu schaffen und einander zu verstehen. Ziel bleibt ein gemeinsames Arbeitsrecht. Aber dies braucht Zeit (sechs Jahre haben wir uns gegeben). Denn Vertrauen entsteht nicht aus Forderungen, nicht aus Demonstrationen oder Aktionen nur, sondern aus dem Gespräch, aus dem Dialog, aus dem Erzählen der Geschichte und der Geschichten. Ziel des Dialogs darf nicht sein, „gegner-unabhängig“ zu werden, wie es in schönster Tarifvertragssprache heißt, sondern Ziel muss sein, im Gegenüber miteinander freie Partner zu sein oder zu werden.
II Verantwortung für die Mitarbeitenden
Die Verantwortung wird determiniert nicht nur durch die geschilderten unterschiedlichen Kulturen; sie ist auch noch abhängig von und muss sich beziehen auf z. T. massive Veränderungen, von denen ich hier nur einige nenne, ohne sie groß ausführen zu können:
- Das zusammen wachsende Europa, das auch die Grenzen des Arbeitsmarktes und der Märkte überhaupt öffnet;
- Anti-Diskriminierungs-Gesetze und Verordnungen, die schon in der jüngeren Vergangenheit zu Prozessen geführt haben, in denen den Kirchen ihr besonderes Recht in Frage gestellt worden ist;
- Einige Grundsatzentscheidungen auf der Ebene des Bundesverfassungsgerichts stehen noch aus – ebenso des Bundesarbeitsgerichts;
- Ökonomische Konkurrenz-Situationen, die es bis vor 20 Jahren überhaupt nicht gab – insbesondere im Bereich der Diakonie und Caritas;
- Steuergesetzgebungen und Steuerreformen, die die Kirchen zur Neuordnung ihrer Strukturen gezwungen haben und weiter zwingen werden;
- EKD-Beschlüsse zum „kirchengemäßen Weg“;
Und vieles mehr
Aber es gibt noch mehr Veränderungen, auch innerhalb der Kirche, die das Verhältnis von Selbstverständnis und Fremdverständnis berühren. Nach unserem Selbstverständnis sind wir:
a) eine Gemeinschaft der hörend Glaubenden. Sie konstituiert sich dadurch, dass und indem sich Menschen zusammenfinden, die durch das Hören des Wortes Gottes zum Glauben an ihn gekommen sind.
b) Die Kirche ist eine Gemeinschaft der glaubend Handelnden. Sie manifestiert sich als Raum und Ort der Verkündigung des Wortes Gottes in Wort und Tat. In ihr wird der Grund des Glaubens hörbar, öffentlich laut, und hier findet der Glaube sozialen Ausdruck, öffentliche Darstellung. Sie weiß sich dem Auftrag zum Weitertragen des Evangeliums in die Welt und zu den Menschen verpflichtet.
c) Kirche ist eine Rechtsgemeinschaft. Sie organisiert sich als Institution entsprechend der Gesetzmäßigkeiten der sie umgebenden Welt und Gesellschaft. Als Institution ist sie ein corpus permixtum, eine durchmischte Erscheinung, in der sich die Wirklichkeit Gottes und die Wirklichkeit der Welt zusammenfinden.
Was uns als Ev.-Luth. Kirche unverwechselbar macht:
a) Die lutherische Kirche ist geprägt vom Grundsatz des Allgemeinen Priestertums aller getauften Glaubenden. In ihr ist jeder getaufte Glaubende selbst zuständig und verantwortlich für die Ausgestaltung seiner Beziehung zu Gott und der im Lichte dieser Beziehung zu gestaltenden Beziehungen zu seinen Nächsten. Die Verheißung der liebe- und heilvollen Hinwendung Gottes zum je einzelnen Glaubenden ist untrennbar verbunden mit der Verpflichtung zur liebe- und heilvollen Hinwendung zum Nächsten (vgl. Martin Luther: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“).
b) Alle in diesem Dienst Tätigen bilden eine christliche Dienstgemeinschaft, in der es ebenfalls kein Oben und Unten gibt. Sie sind miteinander verbunden durch das gemeinsame Anliegen der Weitergabe des Evangeliums. Alle sind gleich wert und gleich wichtig als glaubend Handelnde in den unterschiedlichen Diensten der Kirche, und sie bedürfen der wechselseitigen Ergänzung. Dies ist theologisch gesprochen eine notwendige Folge aus den Grundgedanken der Kirche als communio sanctorum und des Allgemeinen Priestertums.
Kirche und Diakonie nehmen zu Recht für sich in Anspruch, als verfassungsrechtlich normierte Religionsgemeinschaft die Loyalität der in ihrem Dienst Beschäftigten zum Grundauftrag der Weitergabe der Liebe Gottes zu beschreiben und einzufordern. Entscheidend ist, dass diese Loyalität keine Einbahnstraße sein kann, sondern eine „Zweibahnstraße“ ist, die Dienstgebende zu einer besonderen Fürsorge für ihre abhängig Beschäftigten verpflichtet.
Die Realitäten einer Gesellschaft mit wachsender Vielfalt verschiedener Kulturen, Religionen und Wertereferenzen (in Hamburg sind aktuell noch 16 % der Jugendlichen getaufte Glieder der evangelischen Kirche) stellen Kirche und Diakonie vor die Notwendigkeit, die in ihnen Beschäftigten durch Schulungs- und Bildungsangebote in die Lage zu versetzen, sich als „BotschafterInnen der Liebe Gottes in der Welt“ zu verstehen und zu erkennen zu geben. Wo zu früheren Zeiten „der Dienst aus der Taufe kroch“, ist heute und zukünftig oftmals die Taufe Folge des Dienstes in Diakonie und Kirche. Deshalb ist die sog. ACK-Regel, die besagt, dass Beschäftigte in Diakonie und Kirche Mitglied einer Kirche der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen sind, von Kirche und Diakonie aktiv so neu zu beleben, dass die Einladung zur Mitarbeit an Personen auch ohne Kirchenmitgliedschaft deutlich erkennbar wird.
A) Die Frage nach der Verantwortung der Nordkirche für die Mitarbeitenden stellt sich auf diesem Hintergrund zur Zeit in besonderer Weise:
a) Die Nordkirche selbst ist eine dieser Veränderungen, denn sie ist konfrontiert mit der Herausforderung, die unterschiedlichen Kulturen im ehemaligen Nordelbien einerseits und in den ehemaligen Landeskirchen Mecklenburgs und Pommerns andererseits ins Gespräch zu bringen und auf eine gemeinsame Zukunft hin zu entwickeln.
b) Die zweite Veränderung liegt in einer unterschiedlichen Bewertung von Kirche als Arbeitgeber durch Mitarbeitende und Anstellungsträger: Aus der Sicht der Anstellungsträger hat Kirche eine besondere Qualität („Dienstgemeinschaft“), die die Notwendigkeit besonderer Regelungen nach sich zieht und legitimiert (z. B. Bindung von Anstellung an Mitgliedschaft; Verbot von Streik). Aus der Sicht von Mitarbeitenden ist Kirche eine Arbeitgeberin wie jeder andere Arbeitgeber, weshalb Sonderregelungen in Frage gestellt werden.
c) Die immer offener zutage tretende Spannung zwischen dem (von außen an Kirche herangetragenen und von uns selbst als Kirche formulierten) Anspruch eines besonderen Ethos der „Gerechtigkeit und Liebe“ auf der einen Seite und dem „Gesetzen des Marktes“, die z. B. die Notwendigkeit von Leiharbeit ausausweichlich zu machen scheint.
B) Wie reagiert die Nordkirche auf diese Veränderungen?
a) In der Nordkirche ist in Bezug auf die Bestimmungen zum öffentlichen Dienstrecht und zum Arbeitsrecht der Grundsatz beschlossen worden, dass bis zu einer anderweitigen Regelung das jeweilige Recht in seinem bisherigen Geltungsbereich in Kraft bleibt, solange nichts anderes beschlossen ist (vgl. OKRin Böhland, Art.: Einführung zu den Überleitungsbestimmungen Öffentliches Dienstrecht und Arbeitsrecht, in: Das Recht der Ev.-luth. Kirche in Norddeutschland, S. 105). D. h. u. a. für den Bereich „Altnordelbien“ gilt bei der Arbeitsrechtssetzung der 2. Weg, für den Bereich „Altmecklenburg“ / „Altpommern“ der 3. Weg mit Arbeitsrechtlichen Kommissionen. Für einen Zeitraum von sechs Jahren bestehen beide Rechtssysteme parallel nebeneinander, und zwar im „kleinen Trennungsmodell“ (Für die Arbeitsverhältnisse in den Kirchenkreisen werden die unterschiedlichen Verfahren der Arbeitsrechtssetzung fortgeführt. Für die Mitarbeitenden auf der Ebene der Landeskirche erfolgt die Arbeitsrechtssetzung durch Tarifverträge). Am Ende des Übergangszeitraumes und mit Hilfe einer Evaluation der Erfahrungen soll es zu einer Einheit in der Rechtsordnung auch in diesem Bereich kommen. Die Diskussion muss neben den sachlogischen Argumenten in Bezug auf Sinnhaftigkeit, Zulässigkeit etc. des einen oder anderen Weges auch die historischen Erfahrungen der Kirchen in der ehemaligen DDR einbeziehen.
b) Im Sinn des Dreischritts Wahrnehmen – Verstehen – Gestalten muss die Realität der unterschiedlichen Bewertung von Kirche als Arbeitsgeberin zunächst einmal wahrgenommen werden, und zwar gegenseitig. Damit könnte u. a. deutlicher herausgearbeitet werden, welche Bedeutung und/oder welchen Geltungsbereich z. B. der Begriff der „Dienstgemeinschaft“ hat (Man könnte etwa versuchsweise unterscheiden zwischen der „Dienstgemeinschaft“ als Grundbegriff für arbeitsrechtliche Entscheidungen und der „Dienstgemeinschaft“ als Grundbegriff eines Leitbildes, so dass der Anspruch an ein besonderes Ethos bei der Ausübung eines Berufs im Sinne der Dienstgemeinschaft erhoben werden könnte, ohne das damit notwendigerweise ein besonderer, dritter Weg der Arbeitsrechtssetzung verbunden sein müsste).
Zur Wahrnehmung gehört es auch, dass wir in der Kirche die Entwicklungen in der Rechtssprechung zum Arbeitsrecht zur Kenntnis nehmen (z. B. die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes von 2009, nach der kirchliche Arbeitsrechtsregelungen einem Tarifvertrag nicht ebenbürtig sind, da aufgrund fehlender Druckmittel im Arbeitskampf die auf dem dritten Weg zustande gekommenen Vereinbarungen gegen den Willen der Arbeitnehmer durchgesetzt werden könnten).
Das Verstehen dieser Wahrnehmungen würde hierin keine Bedrohung, sondern eine Herausforderung sehen. Manchmal habe ich den Eindruck, als hätten wir in unserer Kirche die Veränderungen noch nicht hinreichend realisiert, als fielen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung noch ein wenig auseinander. Wir können als Kirche der Unterschiedlichkeit in der Motivation und der Bewertung Raum geben, ohne die Spannungen und Differenzen zu nivellieren. Wir können festhalten, dass wir als Kirche samt ihrer Einrichtungen natürlich das sind, was man einen „Tendenzbetrieb“ nennt. Wir haben ein unverwechselbares Fundament. Wir glauben, dass wir gesandt sind in die Welt, das Heil zu verkünden, wie es uns verheißen ist von Gott, dem Schöpfer und seinem Sohn Jesus Christus, dem Herrn der Kirche.
In einer pluralen Gesellschaft dürfen klare Zielformulierungen und klare Bekenntnisse nicht verschwinden. Im Gegenteil: sie sind umso nötiger, je pluraler die Gesellschaft wird. In diesem Sinn verstehe ich zum Beispiel die ACK-Klausel: wer bei uns oder in unseren Einrichtungen bezahlter Arbeit nachgeht, muss sich positiv verhalten zu unseren Zielen, zu unserem Fundament. Aber die ACK-Klausel beschreibt eben nicht nur einen organisatorischen Pflichtkatalog, sondern eine innere Haltung ist gemeint! Darum muss es gehen: dass wir Räume bereit stellen, Bildungs-Räume, in denen wir in einer Art „Mission nach innen“ erzählen von dem, was uns trägt und unverzichtbar ist, in denen wir handeln, wie Christenmenschen tun: weitergeben, was sie empfangen haben. Dann, in einer so geöffneten Organisation, werden jene Heimat finden auch innerlich, auch inhaltlich, auch geistlich, die bei uns Arbeit suchen und finden! Dann werden sie auch „ja“ sagen können und wollen zur Organisation. Wir müssen das Gespräch über die ACK-Klausel eröffnen, weiten – selbst-bewusst!
a) Kirche als Arbeitgeber bewegt sich auf dem Markt und muss den Marktgesetzen Rechnung tragen. Trotzdem kann sie um ihrer Glaubwürdigkeit willen die Menschen, die bei ihr arbeiten, nicht einfach zu „Kostenfaktoren“ machen. In unserer Gesellschaft ist Bezahlung eine Ausdrucksform von Wertschätzung. Gute Arbeit erfordert gutes Geld. Wir haben hier vor allem im Bereich der Diakonie an einzelnen Stellen ein Problem, das seine Ursache nicht zuerst bei uns und unseren Einrichtungen hat, sondern in der Unterfinanzierung der sozialen Dienste und Assistenzen begründet ist. Der ökonomische Druck lässt vielen Einrichtungen und Unternehmen keine Wahl: sie suchen nach Auswegen in Haustarife.
Wir müssen hier gegensteuern. Wir müssen das tun mit den Gewerkschaften zusammen – ehrlich und offen und im Sinne der Mitarbeitenden.
Es ist gegen unser Menschenbild, wenn wir nicht angemessen entlohnen! Wir müssen uns mit der Qualität unserer Arbeit nicht verstecken – sie ist ihr Geld wert!
Worin liegt nun die besondere Herausforderung der Nordkirche in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die Mitarbeitenden?
Meine Antwort: Die besondere Herausforderung liegt in der Frage, was kirchliche Anstellungsträger tun können, um als „Kirche“ erkennbar zu sein, ohne in den Ruin getrieben zu werden und dabei auch noch die Interessen der Mitarbeiter zu wahren.
Die Beantwortung dieser Frage muss folgende Aspekte berücksichtigen:
a) In der Institution Kirche als ‚weltlich Ding‘ gelten die Regeln und Gesetzmäßigkeiten der sie umgebenden Gesellschaft bei der Setzung von Grundlagen des Arbeitsrechts. So ist auch bei kirchengemäßer Arbeitsrechtssetzung davon auszugehen, dass jedes Arbeitsverhältnis ein Austauschverhältnis ist zwischen zwei Partnern, die als Arbeitgebende und Arbeitnehmende spezifische Rechte und Pflichten haben.
b) Eine Arbeitsrechtssetzung, die sich am Grundgedanken der christlichen Dienstgemeinschaft orientiert, muss danach streben, einen Weg zu finden, auf dem Dienstgebende und Dienstnehmende sich verständigen, wie sie die Angelegenheiten der Arbeitsverhältnisse miteinander verhandeln und vereinbaren werden. Nur ein solches System konsensuierter Kontrakte kann als kirchengemäße Form der Arbeitsrechtssetzung gelten.
c) Die Kultur in Kirche und Diakonie ist eine dialogische. In ihr gilt das Synodalprinzip der Behandlung von Streitfragen bis zu einer einvernehmlichen Einigung als Ausdruck eines Ausgleichs unterschiedlicher Positionen. Dieses Prinzip gilt auch für die Setzung und Ausgestaltung arbeitsrechtlicher Regelungen: in Streitfällen können Arbeitskampfmaßnahmen wie Streik und Aussperrung nicht die ersten Mittel der Auseinandersetzung sein. Es ist ein Aushandlungsprozess auf gleicher Augenhöhe bis zu einer Einigung zu beschreiten. Dieses geschieht derzeit sowohl in der Gestalt des 2. Weges mit kirchengemäßen Tarifverträgen ohne Arbeitskampfmittel und mit verpflichtender, nicht einseitig aufkündbarer Schlichtung (NEK-Tarifrecht) als auch in der Gestalt des 3. Weges mit paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommissionen.
d) Es besteht im Kontext der kirchengemäßen Setzung und Ausgestaltung des Arbeitsrechts die Gefahr, dass aus Dienstgebern „Dienstherren“ werden. Deshalb ist die Sicherstellung „vollständiger und umfassender Parität“ zwischen Dienstgebenden und Dienstnehmenden bei der Aushandlung arbeitsrechtlicher Regelungen besonders wichtig.
e) Diese „vollständige und umfassende Parität“ bedeutet mehr als die zahlenmäßige Parität in Verhandlungskommissionen. Auch die Einbeziehung von organisierten Dienstnehmer-Vertretungen, die nicht in dienstlichen Abhängigkeiten stehen, kann entlastend und förderlich sein.
f) Dienstgeber- und Dienstnehmer-Seite müssen jeweils selbst für eine angemessen demokratische Delegation und Legitimation ihrer VertreterInnen in den Aushandlungsgremien Sorge tragen.
Ohne die Ergebnisse der Evaluation nach sechs Jahren vorwegnehmen zu wollen, scheint es mir im Moment so, dass die Gründe für den zweiten Weg überwiegen. Mit den Gewerkschaften zusammen und in sachkritischer Auseinandersetzung mit ihnen muss der Weg zu einem kirchengemäßen Arbeitsrecht gesucht und beschritten werden.
Ich selber habe mehrfach betont, dass ich ein Verfechter des Nordelbischen zweiten Weges für den Bereich der Verfassten Kirche bin. Ich stimme hier Herrn Wildoer zu: der 2. Weg, den die Nordelbische Kirche 35 Jahre lang gegangen ist, ist auch eine Erfolgsgeschichte. Meine Erfahrungen mit der Zusammenarbeit mit Gewerkschaften sind bereichernd und positiv. Wir sollten als Kirche uns nicht der Chance begeben, unsererseits Einfluss zu nehmen auf die Kultur der gewerkschaftlichen Arbeit und so auf die Gesellschaft insgesamt. Ich weiß allerdings auch sehr genau, dass dies abhängig ist von handelnden Personen.
Ich appelliere also an uns alle, dass wir Dienstgemeinschaft in der Gestalt sind, dass wir die vor uns liegenden, verabredeten sechs Jahre nutzen, um die Kulturen miteinander zu versprechen und aufeinander zuzuführen. Wir müssen viel mehr miteinander reden, wenn wir Gemeinschaft sein wollen der Zeuginnen und Zeugen des Evangeliums. Ich bitte alle Vertreterinnen und Vertreter von Mitarbeiter-Gremien, Gewerkschaften und MAVs, Informations-Tage durchzuführen, die nicht von vornherein Ergebnisse vorwegnehmen, sondern Offenheit zeigen für die Vielfalt der Wege. Wir müssen dafür Mittel bereit stellen – dafür will ich mich gern einsetzen.
Lassen Sie uns eine gute Kommunikation entwickeln und dabei dem vorgeschlagenen Dreischritt folgen: Wahrnehmen – Verstehen – Gestalten. Dann kann es sein, dass bekannte und vertraute Wege eingeschlagen werden; dann kann es aber auch sein, dass sich für die Zukunft des Arbeitsrechts in der Ev. Luth. Kirche in Norddeutschland ein neuer Weg auftut.
Denn: was gut ist und heilvoll für Mitarbeitende, für unsere Kirche also, ist keine Entscheidung des Rechts, sondern des Miteinander Entdeckten. Und daraus mag die Entscheidung für den besten Weg fallen. Wir sind nicht für uns selbst auf dem Weg. Sondern wir sind gesandt von dem, der sagt: „Fürchtet euch nicht; denn siehe ich bin bei euch alle Tage, bis an das Ende der Welt!“