Ja, es lebe der Unterschied!
27. November 2015
Gottesdienst zur Verleihung des Inklusionspreises 2015, Predigt zu Genesis 1
Der Friede Gottes sei mit uns allen. Amen.
Wenn Familien, vor allem wenn Geschwister miteinander feiern, dann erzählen sie sich gerne die alten Geschichten. Wisst ihr noch, damals? Kennt ihr noch den und den? Erinnert ihr euch, wie das alles anfing?
So, liebe Geschwister hier im Dom zu Lübeck, so ist‘s auch heute. Wir erinnern, wie alles anfing. Und zwar ganz von vorn. Wie Gott die Welt gemacht hat, ja nur durch sein Wort! Es werde Licht! Gesagt, getan. Es wurde hell. Das Wasser soll sich sammeln, damit man Land sehen kann. Gesagt, getan. Und dann all die vielen Lebewesen. Alles wird genau bedacht, keines wird vergessen: Fische, Vögel, Würmer, das Vieh. Die Menschen zuletzt. Ich finde es immer wieder faszinierend: Genauso war’s. Die Reihenfolge stimmt, das bestätigen auch die Biologen. Nur bei den Zeitabständen gibt es unterschiedliche Meinungen…
Was mich besonders fasziniert ist diese große Liebe Gottes zum Unterschied. Ja, es lebe der Unterschied! Diese herrliche Vielfalt des Lebens, so bunt und verschieden. Der Flughund. Der Maulwurf. Der Pfau. Oder der Blauwal. Darauf muss man erstmal kommen. Und was wären wir ohne Ameisenbären! Manche Tiere haben eben eine unglaublich lange, aber auch gute Nase – so kann ein Hund hundertmal mehr Gerüche unterscheiden als ein Mensch. Dafür sieht er schlecht. Der Falke dagegen kann aus einem Kilometer Entfernung eine Libelle erspähen. Dafür kann er nicht riechen.
Die Natur lebt von der Verschiedenheit. Und unsere Geschichte sagt ganz klar: Gott wollte das so. Und Gott will das so. „Und siehe, alles war sehr gut.“ Wenn Verschiedenheit gut ist – warum sollten wir Menschen damit ein Problem haben? Probleme entstehen ja immer nur dann, wenn jeder sich selbst zum Maßstab nimmt. Der da kann nicht so schnell denken wie ich. Die da kann nicht so gut laufen wie ich. Immer ich, ich, ich – das macht blind. Weil man nicht mehr sieht, was am Anderen besonders ist.
Ich habe dazu eine schöne Geschichte gefunden von dem Philosophen Günter Anders:
Als die Mücke zum ersten Male den Löwen brüllen hörte, da sprach sie zur Henne: „Der summt aber komisch.“
„Summen ist gut“, fand die Henne.
„Sondern?“ fragte die Mücke.
„Er gackert“, antwortete die Henne. „Aber das tut er allerdings auch sehr komisch.“
Alle, die heute hier einen Preis bekommen, haben ja das gemeinsam: Dass sie die Besonderheit der anderen achten. Aber auch, dass sie sie wiederum nicht zu sehr beachten. So wie ihr von der Initiative „Pausenboot“ auf eurer Homepage es beschreibt: „Im Vordergrund steht nicht mehr: Ich kann das nicht, sondern: jeder macht das, was er/sie gut kann und lernt laufend Neues dazu.“ Ähnlich ist es bei den Konfis aus dem Kirchenkreis Schleswig-Flensburg. Bei eurem Theaterkurs „Miteinander verschieden sein“ darf jeder sich seine ganz eigene Rolle suchen, und das muss eine so goldige und witzige Angelegenheit sein – eine Zuschauerin jedenfalls sagte: „Ich habe mich köstlich amüsiert und Tränen gelacht!“
Was uns da entgegen kommt, liebe Gemeinde, ist so viel Lebendigkeit. Freundschaft. Gemeinschaft. Es beeindruckt mich sehr, wie gerade ihr Jugendlichen das so unkompliziert lebt, dieses sperrige Wort „Inklusion“. Und natürlich können das die Älteren auch, wie wir an der Christuskirchengemeinde Husum und der Markusgemeinde Lübeck sehen. Beide haben ihre Gemeindehäuser soweit barrierefrei umgebaut, dass auch Senioren mit Behinderungen dort problemlos hineingelangen können.
Diese vier Projekte sind für mich nicht etwa wichtig, weil Inklusion gerade Mode wäre und überall gefordert wird. Nein, für mich erwächst diese Liebe zum Unterschied, diese Ermutigung zur Vielfalt ganz unmittelbar aus der Bibel. Unser Text hat ja beides: Er beschreibt den ganzen bunten Reigen der Schöpfung. Zugleich legt er einen einheitlichen Maßstab an – nicht im Sinne einer Uniformität, sondern als gemeinsamen Wertmaßstab: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde.“ Das will heißen: Alle Menschen stehen, so wie sie da sind, Gott gleichermaßen nahe. Sie sind, ja, wir sind, wie wir hier sind, seine Geschöpfe und seine Kinder.
Das müssen wir immer wieder laut sagen. Denn unsere Welt tickt in der Regel anders: Natürlich haben die Starken und Gesunden oft bessere Startbedingungen als die anderen, die nicht so fit, nicht so schnell und nicht so gesund sind. Als Christen sind wir dazu aufgerufen, immer wieder dafür zu sorgen, dass alle Menschen die gleichen Chancen in ihrem Leben bekommen. Daran zu erinnern, dass die Menschenwürde unteilbar ist – wir sind eben ganz und gar Ebenbild Gottes!
Ich war ja vor kurzem in Jordanien und habe dort ein Flüchtlingslager besucht, nebenbei bemerkt eines der größten Lager überhaupt im Nahen Osten mit 80 000 syrischen Flüchtlingen. Die Lebensbedingungen dort sind nicht leicht, aber schwerer wiegen noch die Geschichten vom Krieg, die die Menschen dort erzählen. In all diesem Leid gibt es aber eine Gruppe, die noch einmal besonders hart dran ist: Das sind die Kinder mit Behinderungen. Kirche und Diakonie engagieren sich da und unterstützen das Holy Land Institute for the Deaf, also das Institut für taube Menschen im Heiligen Land, das für einen besonderen Sprachunterricht sorgt. Der Bürgermeister der nahegelegenen Kleinstadt, auf deren Gebiet das Lager liegt, sagte mir: „Ich habe erst nicht verstanden, was das soll, es ist doch zuallererst wichtig, für genügend Essen und Wasser zu sorgen. Jetzt aber sehe ich, wie wichtig diese Arbeit ist.“ Und das ist sie tatsächlich – haben viele Kinder doch heftigste Verletzungen erlitten, als in Syrien Bomben und Granaten neben ihnen explodiert sind. Manche sind für immer taub oder entstellt. Wir haben als Kirche die Aufgabe, immer wieder auch für die Belange derer einzutreten, die man stets übersieht!
Weil es da aber auch innerhalb der Kirche noch Luft nach oben gibt, vergeben wir heute zum ersten Mal den Inklusionspreis. Er soll Veränderungen auf dem Weg zu einer inklusiven Kirche würdigen, und immerhin haben sich nicht nur die ausgezeichneten Projekte für den Preis beworben, sondern auch etliche andere – und alle haben sie uns großen Gewinn gebracht. Und ich sage Ihnen und Euch von Herzen Dank dafür!
Und: Weiter so! Denn wir brauchen die Verschiedenheit auch, weil am Ende alle davon lernen. Inklusion ist eben keine Einbahnstraße. So wie Ihr, liebe Pausenboot-Macher es fantastisch auf den Punkt bringt: „ Kunden, die ungeduldig sind, merken sehr schnell, dass das nicht gut tut, weder uns, noch ihnen selbst. Unser Markenzeichen ist die Pause. Ein anderes Tempo. Das zu erleben tut den meisten Kunden sehr gut: sie werden selbst geduldiger und weniger anspruchsvoll.“
Ja, und so war´s ja auch, als alles begann. Denn Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Und dann hat er eine Pause gemacht. Um aufzuatmen, um runterzukommen von seinem Sieben-Tage-Tempo und einmal in Ruhe staunend zu betrachten, was da alles entstanden ist, gute Güte. Preisverdächtig, hat er gedacht. Diese Schönheit. Diese zierlichen Seltenheiten. Dieses Wunder des Unterschiedes. Was es nicht alles gibt! Sehr gut. Und sieht uns an, liebe Geschwister hier im Dom, freut sich an uns und diesem Fest und sagt: Ja, wirklich, sehr, sehr gut. So soll es sein. Oder:
Amen.