Bericht auf Tagung der Landessynode

Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt: Haltung zeigen und Zukunft gestalten

Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt.
Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt.© Theresa Lange
Das Projekt der KulturKirche Recknitz funktioniert nur dank eines engagierten Teams aus Haupt- und Ehrenamtlichen - während ihres Berichtes auf der Landessynode stellte Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt die Erfahrungen der Engagierten im Gespräch vor.
Das Projekt der KulturKirche Recknitz funktioniert nur dank eines engagierten Teams aus Haupt- und Ehrenamtlichen - während ihres Berichtes auf der Landessynode stellte Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt die Erfahrungen der Engagierten im Gespräch vor. © Susanne Hübner

27. September 2025 von Dieter Schulz

Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt hat auf der Landessynode ihren Bericht vorgelegt. Darin skizziert sie 15 Thesen für künftiges Handeln – von innovativen Gemeindeformen bis zur digitalen Kirche – und ruft zu klarer Haltung in gesellschaftlichen Fragen auf.

„Seid wachsam, haltet am Glauben fest, seid mutig und stark! Alles, was ihr tut, soll in Liebe geschehen.“ Mit diesem Pauluswort (1. Korinther 16,13) schloss die Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), Kristina Kühnbaum-Schmidt, ihren Bericht auf der Landessynode ab.

Haltung, die dem Evangelium entspricht

Die Leitende Geistliche der Nordkirche griff damit die Sorgen vieler Menschen auf, die angesichts von Rechtspopulismus, Nationalismus und gesellschaftlicher Polarisierung ein Gefühl von Ohnmacht erleben. Sie rief auf: „Zeigt Haltung – eine Haltung, die dem Evangelium entspricht. Geprägt vom klaren Bekenntnis zur Liebe Gottes, die ausnahmslos allen Menschen gilt. Eine Haltung, die einsteht für Menschenwürde, für Freiheit, für die Liebe zum Nächsten. Klar, öffentlich, gemeinsam.“

Kirche als Gemeinschaft, die mutig, kritisch und hoffnungsvoll in die Zukunft geht

Mit Blick auf das 500-jährige Jubiläum der Confessio Augustana im Jahr 2030 formulierte die Landesbischöfin 15 Thesen, die ausdrücklich als Impuls und Orientierung verstanden werden sollen. Ausgangspunkt ist die Überzeugung: Kirche lebt dort, wo Evangelium verkündet und Sakramente gefeiert werden. Die Thesen greifen zentrale Fragen nach Innovation, Offenheit, Vielfalt, Verantwortung und Spiritualität auf und zeigen Wege, wie künftiges kirchliches Handeln aktiv gestaltet werden kann.

Stark sein heißt: gemeinsam handeln

Die Thesen seien eine Einladung, die Kirche nicht als Institution im Rückzug zu begreifen, sondern als Gemeinschaft, die mutig, kritisch und hoffnungsvoll in die Zukunft geht, betonte Kristina Kühnbaum-Schmidt. Entscheidend sei die Haltung jedes Einzelnen. „Wachsam sein heißt, die Zeichen der Zeit zu sehen. Mutig sein heißt, die eigene Stimme zu erheben. Stark sein heißt, gemeinsam zu handeln. Und alles in Liebe – weil unsere Haltung nicht in Härte, sondern in Hoffnung wurzelt“, so die Landesbischöfin.

„Zieht euch nicht zurück!“

Mit Blick auf die gesellschaftlichen Herausforderungen stellte sie die Frage, wie Christinnen und Christen heute und künftig auf antidemokratische Kräfte reagieren: „Wie reagieren wir, wenn Parteien und Bewegungen noch mehr Einfluss gewinnen, die Demokratie und Menschenwürde infrage stellen? Wie verleihen wir unserer im Glauben gegründeten Lebenshaltung Ausdruck – im Gespräch, auf der Straße, in der Gemeinde, in der Gesellschaft?“

Zugleich betonte sie: „Wir sind nicht allein. Wir haben eine Grundlage, die trägt: das Evangelium von Jesus Christus, die befreiende Liebe Gottes. Darum gilt: Seid wachsam. Nehmt ernst, was geschieht. Zieht euch nicht zurück, wenn menschenverachtende Worte und Taten Raum gewinnen wollen.“

Die Thesen im Wortlaut:

1. Innovative Wege für eine lebendige Kirche brauchen Unterstützung

In Recknitz wird eine Form von Kirche gestaltet, die auf die Situation und die Menschen vor Ort hin entwickelt wurde. Innovativ, alltagsnah, kreativ, auch digital präsent. All das, damit Gemeinschaft und Glauben neu erfahrbar werden. Solche neue Formen der Gemeindearbeit brauchen Unterstützung, sei es finanziell oder in anderer Form. Nicht überall ist das durch die Kirchenkreise leistbar. Ein landeskirchlicher Innovationsfonds könnte hier wichtige Impulse setzen.

2. offen für alle - bereichert durch viele

Eine Kirche, die sich auf die Zukunft einlässt, bleibt nicht unter sich. Sie lebt im offenen Dialog - gerade auch in Offenheit für Konfessionslose. Das ist keine Randaufgabe, sondern eine zentrale missionarische und gesellschaftliche Verantwortung der Kirche. Auch neue Formen von Kirchenmitgliedschaft können hier Türen öffnen.

3. Vielfalt stärkt Glauben – interprofessionell in einer lern- und dialogfähigen Kirche

Die Kommunikation des Evangeliums gelingt im Zusammenspiel vieler: Theologie, Pädagogik, Musik, Seelsorge und Organisation ergänzen sich – wir konnten das in Recknitz anschaulich sehen. Die dafür nötige Haltung muss in Ausbildung und Fortbildung eingeübt und trainiert werden - in Predigerseminar und Pastoralkolleg geschieht dazu bereits vieles - kreativ und energisch! Darüber hinaus wurde in einer Umfrage des Predigerseminars deutlich: Offenheit für Dialog und Lernprozesse - das macht Berufe im Verkündigungsdienst auch in Zukunft attraktiv. Mitarbeitende suchen in ihrer Arbeit Sinn. Sie möchten Vertrauen haben in die Integrität der Institution Kirche. Sie brauchen Zeit und Freiraum, ihre Ideen einzubringen. Dabei wollen sie nicht durch zu viele Aufgaben, andauernde Strukturdebatten oder starre Verwaltungsabläufe blockiert werden. Ich denke, wir brauchen auch eine „Personalförderungsstruktur“ für alle Berufe im Verkündigungsdienst. Und: mehr gemeinsame Fort- und Weiterbildungsangebote für alle Berufsgruppen.

4. Kirchenräume als Zukunftsräume – Gemeinsame Verantwortung für sakrale Orte

Unsere Kirchen sind sakrale, durchbetete Räume. Sie sind geistliche und gastliche Räume. In Recknitz wurden nach der Kirchensanierung mutige, für den Ort passende Schritte gegangen. Denn unsere Kirchen sind keine Relikte der Vergangenheit. Sie sind öffentlich zugängliche, gastfreundliche Räume - in ländlichen Regionen oftmals die einzigen. Sie bieten Chancen für Begegnung und Gemeinschaft über kirchliche Zwecke hinaus. Damit diese Räume Zukunft haben, braucht es die gemeinsame Verantwortung von Kirche und Gesellschaft.

5. Ehrenamt fördern - Kirche mit Zukunft in der Gegenwart gestalten

Ehrenamt ist nicht Beiwerk, sondern Fundament kirchlicher Gemeinschaft: Ehrenamtliche leiten, begleiten, organisieren und gestalten. Sie sind tragende Säulen des Gemeindelebens, interkultureller Begegnung und sozialräumlicher Verbundenheit. Ohne Ehrenamtliche keine lebendige Kirche – weder auf dem Land noch in der Stadt. Ehrenamtliche tragen entscheidend dazu bei, dass in Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen Wertschätzung, Verantwortung und Gemeinschaft erfahrbar werden. Sie brauchen echte Gestaltungsspielräume und ausreichende Ressourcen, wollen sich qualifizieren und in ihrer Arbeit gut begleitet werden. Nur so bleibt das Ehrenamt Fundament kirchlicher Gemeinschaft, demokratischer Beteiligung und interkultureller Offenheit.

6. Räume für (religiöse) Bildung und zivilgesellschaftliches Engagement

Ein demokratisches Miteinander braucht kontinuierliche Einübung. Bildung ist dabei ein entscheidender Faktor. Als evangelische Kirche bieten wir Räume für (nicht nur) religiöse Bildung, demokratisches Denken und verantwortliches Handeln. Das wirkt Populismus entgegen, stärkt eine vielfältige Gemeinschaft und fördert Demokratie. Wichtig ist das insbesondere in ländlichen Regionen, wo Kirchengemeinden oft die einzigen sind, die über öffentlich zugängliche Orte verfügen. Besonders betone ich mit Blick auf den Religionsunterricht: Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf religiöse Bildung - das darf von keiner Seite in Frage gestellt oder verwässert werden.

7. Gemeinschaft im Werden – jenseits fester Grenzen

Nach evangelischem Verständnis ist Gemeinschaft kein starres Gebilde, sondern entsteht durch Kommunikation und Interaktion - durch Wort und Sakrament - immer wieder neu. Auch das wird am Beispiel Recknitz deutlich - manche Menschen kommen immer, andere ab und an, und es kommen Menschen dazu, die noch nie dort waren. Die Gemeinschaft bleibt offen und durchlässig. Konflikte und Fremdheit gehören dazu und sind Aspekte gemeinschaftlichen Lebens.

8. interkulturell statt exklusiv – Kirche ohne Rassismus

Die „Versammlung aller Gläubigen“ (CA VII) ist unabhängig von Herkunft, Sprache oder Kultur. Interkulturelle Kirchenentwicklung ist kein Zusatzprogramm, sondern Ausdruck des Evangeliums, das Vielfalt als Gabe versteht und jeder Form von Ausgrenzung deutlich widerspricht. Es hat den klaren und unmissverständlichen Widerspruch und Einsatz gegen jede Form von Rassismus zur Folge. Die Entwicklung einer diversitäts-sensiblen Personalpolitik und die Klärung, ob und wie wir unsere Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Mitarbeitende internationaler Gemeinden öffnen können, sind dabei wichtige Themen.

9. Interreligiöser und ökumenischer Dialog als Brückenbauerin - klar gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit

Das Gespräch zwischen den Religionen und Konfessionen, der interreligiöse und ökumenische Dialog hat in unserer Kirche feste Formen und bewährte Wege. Er schließt ein klares Nein zu Rassismus, Ausgrenzung und jeder Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein. Heute betone ich dazu besonders: Jeder Form von Antisemitismus, der zurzeit auch auf dem Gebiet unserer Kirche erschreckende Formen annimmt, widersprechen wir klar und entschieden. Wir stehen an der Seite derer, die beschimpft, bedroht und verunglimpft werden.

10. Leitung in gemeinsamer Verantwortung

Leitung heißt: Verantwortung tragen, klar und transparent entscheiden, Machtmissbrauch konsequent vorbeugen und verhindern. Das beinhaltet, strukturelle Bedingungen von Macht und Gewalt zu hinterfragen und zu verändern. Es bedeutet, Rollen, Aufgaben und Zuständigkeiten verantwortlich wahrzunehmen und zu respektieren. Regelmäßiges und anonymisiertes Feedback für Leitungspersonen aller Ebenen sowie verpflichtende, kontinuierliche und finanzierte Supervison mit einem Blick von außen sollten dafür selbstverständlich sein. Auch kirchliche Gremien müssen in ihren Aufgaben, ihrer Struktur und Größe regelmäßig einer kritischen Reflexion unterzogen werden. Um zudem sicherzustellen, dass die geltenden gesetzlichen und internen Vorschriften eingehalten werden, könnte ein Compliance Management System hilfreich sein. Damit Risiken minimiert und ein ethisches, regelkonformes Verhalten gefördert wird. Ein Element dabei ist die Einrichtung einer Möglichkeit, über die Mitarbeitende Missstände, wie z.B. Machtmissbrauch durch Vorgesetzte anonym melden können. 

11. Wandel - begrenzt steuerbar‚aber geistlich verantwortbar und an der Seite der Schwachen und Verletzlichen

Mitgliederzahlen sinken, Strukturen verändern sich, bisherige gesellschaftliche Gewissheiten werden in Frage gestellt. Zentral dabei ist und bleibt: Kirche lebt nicht von ihrer Größe, sondern von Gottes Verheißung. Aus unserem Bekenntnis (CA XX) folgt eine klare Verantwortung: Als Kirche stehen wir ein für gelebte Nächstenliebe, gemeinsam mit der Diakonie und unseren weltweiten Partnerkirchen. Wir können den sich vollziehenden Wandel nicht kontrollieren, aber wir können unsere Haltung und Verantwortung darin bewusst gestalten – im Geist der Nächstenliebe und Solidarität über Grenzen hinweg. Als Teil eines globalen Netzwerks treten wir ein für Gerechtigkeit, Frieden und einen achtsamen Umgang mit Gottes Schöpfung. Das ist keine bloße Option, sondern Kern unseres Glaubens.

12. Spirituelle Transformation - als Kirche einen Unterschied machen

Kirche entsteht immer wieder neu im Vertrauen auf Gottes Gnade (CA IV). Sie trägt dazu bei, einen Unterschied zu machen: Barmherzigkeit üben in einer unbarmherzigen Welt, auf Frieden hinwirken inmitten von Polarisierung, Konflikten und Kriegen, für Gerechtigkeit arbeiten in einer reichen Welt, in der es immer mehr Arme gibt. Die Kraft dazu kommt aus tief verwurzelter und gegründeter Frömmigkeit, aus gelebtem Glauben. Eine wichtige spirituelle Quelle, die auch zu Menschen ohne explizite religiöse Bindung Brücken baut, ist dabei die Kirchenmusik. Sie müssen wir in ihrer hohen Qualität und Vielfalt erhalten und fördern.

13. Frieden beginnt mit Gerechtigkeit – Strukturen der Gewalt hinterfragen

Als evangelische Kirche leben wir aus dem Evangelium von der Versöhnung (CA Art. IV). Es gehört zu unserem Auftrag, Frieden nicht nur zu fordern, sondern zu fördern – im eigenen Land und in internationalen Kontexten. Dazu gehört auch, Strukturen der Gewalt zu hinterfragen und Wege der Versöhnung zu suchen und zu eröffnen. Kirchliches Engagement für den Frieden - hier bei uns wie weltweit - wurzelt im Gebet. Es führt zum Einsatz für Wahrheit, Gerechtigkeit und Gewaltfreiheit. Die seelsorgerische Begleitung gilt gleichermaßen denen, die sich in Abwägung ihres Gewissens für oder gegen einen Dienst an der Waffe entscheiden.

14. Kooperierende Kirche, nicht Institution auf dem Rückzug 

Die Kirche der Zukunft zieht sich nicht zurück, sondern sucht noch mehr nach Kooperation. Lokal, gesellschaftlich, international. Als Nordkirche leben wir eine Gemeinschaft, die gemeinsam und zusammen mit anderen sucht, glaubt, feiert. Eine Gemeinschaft, die sich an der Seite der Schwachen und Verletzlichen weiß – im Geist Jesu Christi.

15. Digitale Kirche als Chance für Kommunikation, Kontakt, Kooperation und Partizipation

Digitalisierung bedeutet kulturellen Wandel. Sie eröffnet neue Möglichkeiten für Beteiligung wie für einen effizienten Umgang mit unseren Ressourcen. Ziel ist nicht Technik um ihrer selbst willen, sondern Teilhabe. Deshalb arbeiten wir als Nordkirche an innovativen Lösungen, die partizipative Kommunikation ermöglichen. Digitale Innovation bedeutet: möglichst viele Stimmen hörbar, Engagement und Vielfalt sichtbar machen - verantwortlich gestaltet und kritisch reflektiert. Ich nenne hier nur das Schlagwort Künstliche Intelligenz. Wir nutzen digitale Werkzeuge bestmöglich, aber nicht um jeden Preis.

 

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