Lass mich deine Herrlichkeit sehen
18. Januar 2015
2. Sonntag nach Epiphanias, Predigt zu 2. Mose 33, 17b-23
Liebe Gemeinde!
Ich glaube nur, was ich sehe. Wir Menschen sind Augentiere. Wir brauchen Helligkeit, Licht, Klarheit. Glasnost hieß das einmal, am Ende des Kalten Krieges - Transparenz, Durchblick, damit Perestroika möglich wird, Umgestaltung, damit die Welt wieder klar wird – ohne Abgründe, in denen die Dämonen hausen, die uns Angst machen und den Schlaf rauben. Denn – Gott sei´s geklagt – immer wieder tun die Abgründe des Unmenschlichen sich plötzlich auf, wie neulich mitten in Paris: Abgründe unvorstellbarer Gewalt!
Auch Mose will Glasnost, wie wir es gehört haben in der Lesung aus dem 2. Buch Mose: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ Mose will sehen mit eigenen Augen. Dafür war er auf den Berg gestiegen, Gott entgegen. Er will Gewissheit: Sind wir und bin ich auf dem richtigen Weg, dem Weg Gottes und seiner Wahrheit? Oder war sie nur ein schöner Traum, diese Hoffnung auf Freiheit und Würde, jenseits der Plackerei und Schufterei im Sklavenhaus Ägypten? „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ Zerstreue du, Gott, die Zweifel, die untergründige Angst, auf dem Holzweg zu sein.
Zu verstehen ist das schon: Das Sklavenhaus im Rücken, das verheißene Land in weiter Ferne - und rings herum Wüste. Und dann, später, wieder ein großes Durcheinander, dieser Hexentanz um das Goldene Kalb, nach Moses Rückkehr vom Berg, wo er ja eine Ahnung der Gegenwart Gottes erhalten hatte, die Gebote, die Leben schützen und erhalten in aller Gefahr. Da wäre Mose ja fast verzweifelt, als er das Volk sah, wie es tanzte um den selbst gemachten Gott, um die selbst gefertigte Herrlichkeit!
Wir wollen sehen, spüren, erleben - so hatte das Volk immer wieder gemurrt und geschrien. Wir wollen auch etwas davon haben von den versprochenen Reichtümern heute, hier und jetzt - und nicht erst morgen und in weiter Ferne. Wir sind das Volk, uns muss Gott sehen – was gehen ihn, was gehen uns die anderen an?
Und flugs war das Götzenbild da. Das Gold, dieser imposante Stier: Inbegriff von Macht. Potenz. Reichtum. Wachstum.
Ist das heute anders? Mir fällt das Denkmal ein vor der Frankfurter Börse: Der bronzene Bulle stößt mit den Hörnern von unten nach oben, um anzuzeigen den aufsteigenden Aktienkurs.
So oder ähnlich definieren wir Menschen „Herrlichkeit“: Glanz, von uns gemacht; Macht, von uns erkämpft und verliehen; Stärke, blendend in jeder Hinsicht. Das ideal Schöne, das wir sehen und anfassen können, das unseren Augen und Sinnen gut tut und das das Elend der Welt und das Abgerissene ausblendet.
Wohin aber geht die Reise unserer Welt?
Da ist alles andere als Herrlichkeit und Glanz: Armut vieler wächst wie der Reichtum weniger. Das Klima dieser Erde reagiert auf die Ausbeutung der Schöpfung zugunsten herrlichen Lebens und macht zunehmend Teile der Erde unbewohnbar.
Menschen werden verfolgt, getötet wegen ihres Glaubens oder terrorisiert wegen ihres politischen Engagements. Ja, auch aus Religion wird immer wieder herausgeholt das menschenverachtende Potential an Gewalt. Terroristen morden im Namen eines Islam, der mit der wahren Botschaft Mohammeds und mit dem Koran nur wenig zu tun hat. Menschen werden umgebracht, weil sie Juden sind oder Christen. Und es hört nicht auf: Kirchen brennen in Westafrika nun wegen der neuen Ausgabe von Charlie Hebdo. Und es hört nicht auf, dass in die Flucht geschlagen werden Millionen von Menschen, weil sie bedroht sind von Waffen in den Händen von Terroristen, denen ein Menschenleben, auch das eigene, nichts wert ist. Und die Waffen, in deren Mündungen sie schauen, stammen nicht selten aus europäischer, auch deutscher und amerikanischer Produktion! Die Herrlichkeit des wachsenden Marktes ist eben auch gegründet auf Waffen, die, einmal exportiert, aus unserem Einflussbereich verschwinden.
Wenn wir auf dem Holzweg sind: Lass mich deine Herrlichkeit sehen, sagt Mose.
II
Gott entzieht sich nicht. Er spricht. Sein Wort ist das Bild, das wir von ihm bekommen:
"Gott sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des Herrn: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.
Mose hatte nach "Herrlichkeit" gefragt. Jetzt antwortet Gott ihm und sagt nicht "Herrlichkeit", sondern: "Güte". Er sagt nicht "Macht", sondern sagt "Gnade". Er sagt nicht "Strafe" sondern sagt "Erbarmen".
"Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich." Güte, Gnade, Erbarmen. Das sind die Worte, auf die ich höre. Das sind die Werte, auf denen unser Leben hier aufbaut, übrigens. Erbarmen – nicht Ausgrenzung!
Damit könnte die Geschichte zu Ende sein. Gottes Herrlichkeit heißen Güte, Gnade, Erbarmen. Fertig!
Aber Gott "…sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht... Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen."
Statt „Audienz“ sagt man heute gerne neudeutsch "Face-Time". Face-Time mit dem Chef. Und so intim der Einblick ist, der Mose gewährt wird - die Face-Time, die Augenhöhe und direkte Konfrontation von Angesicht zu Angesicht, bleibt ihm verwehrt. Stattdessen wird zweimal sehr deutlich von seinem Standort gesprochen, wo er geerdet ist und bleibt: "Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen", "Ich will dich in die Felskluft stellen und meine Hand über Dir halten".
Ich höre das wie eine Standortbestimmung, eine Platzanweisung für unser Leben und unseren Glauben: Gott schenkt Mose seine Nähe, holt ihn zu sich hinauf auf den Gipfel des Berges, wo ihm die Welt zu Füssen liegt, gibt ihm Raum bei sich und festen Boden. Fels, auf dem er sicher stehen kann. Gott und Mensch kommen sich nahe - aber sie fließen nicht ineinander. Sie bleiben unterschieden, es bleibt der Abstand. Um Gottes und der Menschen willen gilt das Erste Gebot! Eine heilsame Distanz wird da in der Bibel eingeschärft – damit eben nicht die unmenschlichen Parolen aufkommen wie: „Gott mit uns!“ Oder: „Allahu akbar!“ Wie groß ist doch die Gefahr, dass eben damit nur die Machtgelüste von Menschen durch den Missbrauch des Gottesnamens gesteigert werden sollen. Nein, das alles bloß nicht, um Himmels willen! – sagt unsere Erzählung.
Im Gegenteil, liebe Gemeinde: Hier wird bildhaft eingeübt Distanz und Nähe, wie sie jede Beziehung braucht, die aus Liebe sich speist. Mose braucht die Erde, die Tiefe der Felskluft, die ihn birgt, damit er nicht verbrennt; und er braucht den Schatten der Hand, der seine Augen bedeckt, damit er nicht erblindet. Kein Mensch wird leben, sagt Gott, der mich sieht. Also keine Face-Time mit dem Chef, und deshalb auch, und das ist höchst wichtig: keine mystische Verschmelzung und kein Fanatismus aus Glauben: keine Verblendung in der Nähe Gottes! Das ist die Botschaft des Gottes Abrahams und Jesu!
III
Sicher, die Gottesliebe schafft Klarheit, Überblick - sie gibt festen Boden unter die Füße und schafft eine gelassene Distanz zur Welt und zu allen innerweltlichen Bindungen. Sie macht auch das Leben schön – darum feiern wir Gottesdienst! Darum gilt es zu achten den Feiertag. All das ist Freiheit der Kinder Gottes. Aber eben darin liegt auch die Versuchung: Die ganz große Verführung, sich in dieser Nähe mit Gott zu identifizieren und dann etwa gegen das Reich des Bösen oder den großen Satan, wer immer das dann gerade sein mag, als auserwählter Vollstrecker seines Willens aufzutreten und ins Feld zu ziehen. Gegen Feinde – vermutete und wirkliche; gegen Andersglaubende, gegen Fremde. Der Weg vom begeisterten, gotterfüllten Mystiker zum fanatischen Gotteskrieger ist nicht weit. Der Angriff von Paris ist, so verstanden, eben auch ein Angriff auf Milliarden von Menschen, die in ihrer jeweiligen Religion sich verbunden fühlen einem lebensdienlichen Gott! Das Freund-Feind-Schema ist immer ein Werk des Teufels oder des innermenschlichen Dämons. Und: „wirgegendida“ klingt so wie: Pegida – und das sind Töne des Hasses, die wir nicht brauchen können! Und es ist gut, dass immer mehr Menschen, auch hier in Lübeck, aufstehen gegen die Spaltung und Abschottung.
IV
Mose kommt auf dem Gottesberg Gott ganz nahe - aber, und das ist für mich der entscheidende Punkt in der biblischen Erzählung: je mehr er sich dem Gipfel nähert, desto klarer wird er in die Tiefe geschickt: „Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen“. Der Mensch ist eben nicht Gott und es tut ihm auch nicht gut, wenn er Gott festhalten, ihn besitzen oder gar sich selbst zum Gott dieser Welt machen will. Unübertroffen hat Martin Luther diese paradoxe Doppelbewegung des Glaubens sowohl in die Höhe, hinauf zu Gott, als auch in die Tiefe, hin zu Demut und Liebe beschrieben: "Wer mag nun ausdenken die Ehre und Höhe eines Christenmenschen?" sagt er in seiner Schrift ‚Von der Freiheit eines Christenmenschen‘, "Durch den Glauben fährt er über sich in Gott, aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe."
Gott kommt nahe, mir nahe. Er hält seine Hand über mir. Er gibt Schutz und Schirm. Aber Gott bleibt nicht einfach, wird nicht eins mit mir. Er geht vorüber. Und nimmt seine Hand von mir: er hält mich und - er sendet mich. Freiheit gibt er und Kraft für Verantwortung. Lässt die Höhe sehen und mutet doch die Tiefe zu. So geht das Leben: wir erreichen wunderbare Höhen. Und wir finden uns wieder in leidvollen, erschreckenden Tiefen. Wir sind stark und wir sind schwach. Wir wissen genau, wie es weiter geht – und wir kennen unseres Lateins Ende.
Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Der absolute Gipfel, das unmittelbar Vis-a-Vis bleibt Mose verschlossen. Aber wird ihm nicht viel, viel mehr geschenkt? Nicht nur die Offenbarung des Namens, des inneren Wesens Gottes - sondern auch der Ausblick und das Versprechen, mit dem unsere Erzählung schließt?
„Ich will meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen.“ Hinterher-Sehen - das können wir nur einem, der vor uns auf dem Weg ist und dem wir folgen. Eben das verspricht Gott Mose: Du und das Volk - ihr seid nicht auf dem Holzweg! Ich bin der Gott vor Euch, ihr geht euren Weg nicht allein. Ich bin eure Zukunft, euer Weg und euer Ziel. Sucht meine Spuren, folgt ihnen aufmerksam nach - und ihr werdet finden aus der Wüste in das gelobte Land der Freiheit und Würde für alle Menschen.
Gott vor uns: Wir gehen den Weg unseres Lebens oft ohne Gott. Und wenn wir ihn suchen oder allein nicht weiter wissen, dann erwarten wir, dass er uns folgt, da ist, wo wir sind, uns zu bewahren vor dem Bösen, uns nach-sieht.
Er aber ist uns voraus auf dem Weg des Lebens bis in den Tod und über den Tod hinaus – auf dem Weg, den wir vor uns haben, haben wir auch Gott vor uns! So ist die Herrlichkeit Gottes zu sehen, dass er sich selbst hingibt, selbst in die Tiefe steigt des Lebens, wie er es in Jesus Christus getan hat und tut.
Natürlich, liebe Gemeinde: die Freiheit, die in Paris so nachdrücklich beteuert worden ist, ist unantastbar. Freiheit der Meinung, aber auch Freiheit des Glaubens sind Grundlagen unserer Gemeinschaft. Und es ist auch eine Freiheit derer, die den Glauben und die Religionen karikieren, satirisch kommentieren. Die Freiheit gilt – auch wenn sie schmerzt. Aber wer diese Freiheit nutzt, muss auch um ihre Grenzen wissen. Die findet jede Freiheit in der Verantwortung, ohne die Freiheit sich ins Gegenteil verkehrt. Und diese Verantwortung weiß darum, dass Freiheit nie zu Lasten und auf Kosten anderer, auf Kosten von Unfreiheit ausgelebt und geübt werden darf. Das gilt für Einzelne und das gilt für die Gemeinschaft aller Menschen und für die Gemeinschaften der Religionen. Sie vor allem, ob Muslime, Juden oder Christen, haben ihre Freiheiten zu nutzen, indem sie Verantwortung übernehmen für die Klarheit der Verkündigung, für die Abgrenzung gegen Gewalt und Fundamentalismus. Darum gibt es keine Alternative zum Dialog der Religionen und Kulturen. Denn nur so ist die Angst zu bearbeiten.
Aber es gilt auch die Freiheit von uns, die wir an die Herrlichkeit Gottes glauben, wie sie unsere Heilige Schrift uns nahe bringt, die Herrlichkeit, die Güte und Erbarmen ist. Die nicht Angst macht, sondern frei. Die zusammenführt und nicht trennt.
Ich habe den Eindruck, dass wir diese Freiheit als Christengemeinde in der Gesellschaft nicht recht nutzen. Denn wer glaubt, soll die Freiheit, von Gott zu reden, sich nicht nehmen lassen! Die Verantwortung, die aus der Freiheit der Christenmenschen wächst, bedeutet, laut zu singen und zu sagen von dem Gott, der die Welt so sehr liebt, dass er seinen einzigen Sohn hergibt! Laut zu singen und zu sagen von dem Herrn Jesus Christus, dessen Kreuz keine Haken hat und natürlich keine Nationalfarben trägt! Laut zu verkündigen die Verheißung des Friedens, der höher ist als alle Vernunft und der in die Welt hinein führt, nicht aus ihr heraus. Je deutlicher der Glaube zur Privatsache erklärt wird, getrennt wird vom gesellschaftlichen Leben, desto größer wird das öffentliche Vakuum, in das hinein Fundamentalisten aller Couleur, Leugner, Verächter laut hinein stoßen.
"Als nun Mose vom Berge Sinai herabstieg, hatte er die zwei Tafeln der Tora in seiner Hand und wusste nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil er mit Gott geredet hatte."
Wenn wir Gott hinterher sehen, weil wir hören sein Wort, dann fällt sein Glanz auf uns. Dann kann man uns ansehen, wes Geistes Kinder wir sind: Kinder des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit für alle Menschen. Abglanz Gottes!
Da ist Gottesherrlichkeit – Güte, Erbarmen, Gnade – wo die Schwachen Besuch bekommen, wo die Kranken gepflegt und Traurige getröstet werden. Wo Menschen, wie in Paris am vergangenen Sonntag, ihre Ängste überwinden, indem sie eins werden, zusammen kommen die Verschiedenen. Gottes Herrlichkeit zeigt sich, wo weitergesagt wird sein Wort, wo wir teilen, was wir zum Leben haben. Gottes Herrlichkeit zeigt sich, wo Menschen mutig in seinem Namen Frieden stiften. Und wo sie nicht Recht geben jenen, die Hass und Zwietracht streuen, die Angst machen, um zu zertrennen. Gottes Herrlichkeit: in jedem einzelnen Menschen, die er schuf sich zum Bilde. Seine Herrlichkeit: schwarz und weiß; krank und gesund; stark und schwach; Mann und Frau. Verloren und gefunden.
Nicht Gotteskrieger, sondern Friedensstifter sein, das ist Gottes Auftrag an jeden und jede! Seine Herrlichkeit auf Höhen und in Tiefen, wo wir einander lieben, nicht gnadenlos kritisieren, sondern gütig verstehen; wo wir Erbarmen haben für Opfer und Täter. Wo wir Einspruch erheben für die Sprachlosen. Wie Jesus es tut, der andere, der Gott nahe ist. Von dem Gott sagt: Das ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören! Dann seht ihr mich. In ihm ist erschienen meine Herrlichkeit: Güte, Erbarmen, Gnade! Wer dem hinterher sieht, wird nicht das Nachsehen haben, sondern allezeit wissen, wo es langt geht. Amen.