25. Dezember 2014 | Dom zu Schwerin

Leben vom Glanz des Wunders

25. Dezember 2014 von Gerhard Ulrich

Predigt am 1. Weihnachtsfeiertag

Liebe Gemeinde am Christfest!

Wir kommen her vom Zauber der Heiligen Nacht! Wir leben vom Glanz des Wunders, das da geschehen ist auf den Feldern vor Bethlehem im Heiligen Land. Und wir leben davon, dass wahr geworden ist Gottes Versprechen, das der Evangelist Johannes mit dem biblischen Wort für das Christfest so auf den Punkt bringt: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns; und wir sahen seine Herrlichkeit.“ (Johannes 1,14a): Da ist Ansage, klare Ansage:

Gott, der seine Schöpfung hervorbrachte aus dem Nichts, seine Welt ins Leben rief durch sein mächtiges Wort, der hat dieses Wort – verwandelt in den Körper eines Neugeborenen – unter uns wohnen lassen. Gott ist gleichsam neu eingezogen in seine Welt, dafür musste das Wort verwandelt werden in ein Kind: Jesus von Nazareth, geboren von den Arme-Leute-Eltern Maria und Joseph. Gott ist heruntergekommen, hineingeraten in den Tumult des wirklichen Lebens: In Jesus, dem Flüchtlingskind ist Gott da und mitten unter uns: Darum gilt allen Vertriebenen und Verzweifelten, allen Mühseligen und Beladenen sein Ruf aus dem Munde der Engel auf dem Felde: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude; Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens!“

Das ist der Zauber der Heiligen Nacht – überlebenswichtig, meine ich: Alles, was ihr mit Trauer anschaut: Elend, Zerstörung, Morden, Terror – alles das soll um Gottes willen nicht mehr sein! Denn da kommt einer, der anders ist und anders herrscht, als die Welt das kennt und gewohnt ist: Da kommt der Wunder-Rat, der Friede-Fürst. Gerade deswegen brauchen und feiern wir Weihnachten.

II

Um Gottes willen und um der Menschen willen brauchen wir Weihnachten!

Um Gottes willen: Denn Gott, wie er uns in der gesamten Bibel erzählt wird, bleibt nicht irgendwo im Himmel. Er wollte und will herunter kommen! Er will den Menschen die power seines göttlichen Geistes einhauchen, damit sie beflügelt werden zum guten Leben. Der Gott der Bibel bringt Glaube, Liebe und Hoffnung in die Welt – und ohne Glaube, Liebe und Hoffnung ist alles – nichts!

Um der Menschen willen brauchen wir Weihnachten: Bei allem Gerede von Säkularisierung und Gottvergessenheit ist da eine Sehnsucht bei vielen Menschen. Und ich spüre sie bei mir selbst. Eine tiefe Sehnsucht nach Liebe und Hoffnung für das Leben und für die Welt. Eine Sehnsucht und ein Fragen nach dem, was eben nicht aufgeht in dem, was wir wissen, berechnen und erklären können.

 “Fürchtet Euch nicht“, ruft der Engel den Hirten zu, denen, die im Dunkel sitzen, die nicht wissen, wohin sie gehören. Sie lassen sich treffen von der frohen Botschaft, kommen auf die Beine, gehen hin zum Stall und von dort wieder in den Alltag zurück. Sagen weiter, was sie gesehen haben: da ist einer, der will, dass alle gleichermaßen teilhaben an dem Reichtum dieser Welt; da ist einer, der nicht will, dass Völker mit Gewalt beherrscht und Menschen in die Flucht geschlagen werden; da ist einer, der nicht will, dass Menschen von der Hand in den Mund leben; da ist einer gekommen, der eintritt für die Schwachen und Elenden. Siehe da: Euer Gott – Mensch geworden! Das sehen die Menschen in dem Kind im Stall; das erleben sie mit ihm, als sie mit ihm unterwegs sind bis hin zum Kreuz auf Golgatha: einer, der die Verheißungen Gottes, dass nichts bleiben muss, wie es ist, einlöst und mit seinem Leben dafür einsteht! Und der uns hilft, wie die Hirten auf die Beine zu kommen: Sehen die Welt und sehen Gott in ihr: einzutreten für Gerechtigkeit; aufzustehen für die Würde und Rechte der Flüchtlinge in unserem Lande gegen Hass und dumpfe Angst vor dem Fremden.

Da laufen Menschen durch die Straßen in manchen Städten dieser Republik. Sie protestieren gegen die Aufnahme von noch mehr Asylbewerbern in unserem Land. Sie sind geleitet von diffusen Ängsten vor Überfremdung. Und viele werden benutzt für Ziele, die wir längst überwunden wähnten. Da kommen Fremdenfeindlichkeit und sogar Rassismus zum Vorschein, da werden Fremde verurteilt, die man so wenig kennt wie ihre Kulturen und Religionen. Ich habe kein Verständnis für diese Art der Demonstrationen. Schon gar nicht an einem Montag, der als Demonstrationstag steht für die friedliche Revolution vor 25 Jahren, als es um Freiheit und Gleichberechtigung, um Öffnung der Grenzen ging. Und nun sagen jene, die da marschieren und Weihnachtslieder singen, die Werte des christlichen Abendlandes seien in Gefahr! „Ich war ein Fremdling und ihr habt mich aufgenommen“, sagt der erwachsene Jesus. Und so beschreibt er, wie ein Leben nach christliche Werten aussehen kann: aufnehmen, nicht ausgrenzen; zuwenden, nicht abwenden. Gott ist Mensch geworden, „…der uns aufgerichtet hat eine Macht des Heils“, wie Zacharias singt. Und Maria singt in ihrem Lobgesang von der Barmherzigkeit, die währt von Geschlecht zu Geschlecht. „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ So lässt sich Angst bewältigen: in der Erinnerung an den Gott, der höher ist als alle Vernunft.

Das ist die friedliche Revolution, die die Welt braucht, eine Demonstration der Barmherzigkeit. Wie sie, Gott sei Dank, zu finden ist bei uns – immer stärker wird die Gegenbewegung, die nicht nur die Straße aufsucht, sondern jene empfängt, die elend sind und hungrig und obdachlos. Ich kenne Gemeinden in Schwerin und Greifswald, in Hamburg und Flensburg und überall sonst, wo Menschen ihre Türen öffnen und ihre Taschen und Freundlichkeit walten lassen. Sieh nicht nur auf dich und deine Ängste und Sorgen. Mach die Augen auf für die Ängste und Sorgen derer, die Gewalt leiden und fliehen müssen, um ihr nacktes Leben zu retten. Sieh hin, was geschieht, wo Menschen bedroht sind an Leib und Leben, traumatisiert von Missbrauch und Zwang. Und siehe: wie Gott selbst sich denen zuwendet, die im Dunkel sitzen, wie er ganz hinein taucht in das Dunkel dieser Welt. Und so überwinden hilft.

Ich war gerade in Rom – eine Stadt mit einem Ausländeranteil, der etwa 10 Mal so hoch ist wie der in den meisten deutschen Städten und Kreisen. Dort gibt es eine christliche und ökumenische Gemeinschaft, St. Egidio heißt sie. Diese Menschen, allesamt Ehrenamtliche, kümmern sich um Alte, Arme, Kranke, Obdachlose – und um Flüchtlinge. Sie unterhalten Flüchtlingsunterkünfte, kümmern sich um jeden einzelnen von ihnen, organisieren Versorgung, geben ihnen eine Adresse, zeigen ihnen, wo sie sich waschen und wo sie einen Arzt finden können. Sie lehren sie die italienische Sprache. Und am 25. Dezember, heute also, sind in vielen Städten Europas Obdachlose zu Gast bei St. Egidio. Sie werden beschenkt, bekommen ein Festmahl. Und sie tragen selbst etwas bei aus ihren Kulturen.

Die Ehrenamtlichen sagen mir: seit wir diese Arbeit machen, fühlen wir uns selbst reich beschenkt. Und die Konflikte in der Stadt sind deutlich weniger geworden.

Barmherzigkeit, Offenheit, einladendes Verhalten schaffen Integration und Frieden – nicht Ausgrenzung. Die Neugier auf den ganz Anderen beseitigt Phantasien und Ängste.

„Fürchtet euch nicht“ – sagt der Engel zu den Hirten. Da ist einer, der nicht will, dass wir in Angst leben vor Terror und Grausamkeit, Verachtung und Einsamkeit. Da ist einer gekommen, der alle Angst beiseite lieben kann: wir sind wertvoll bei Gott, nicht weil wir so tolle Dinge leisten, sondern weil wir seine geliebten Geschöpfe sind. Und zwar alle gleichermaßen. Auch die Fremden - aus welchen Kulturen auch immer: Ein Flüchtlingskind braucht Hilfe – und die Eltern auch! „Raum in der Herberge“ muss her – und in unserem reichen Land ist viel Platz – und da sind zum Glück auch viele Menschen, die helfen mit Mut und Kreativität! Der Friede aus der Höhe, der himmlische Frieden will anfangen bei mir und bei dir: fürchte dich nicht!

„Friede auf Erden – bei den Menschen seines Wohlgefallens!“ Das ist eine göttliche Botschaft, die ihre dynamische Kraft entfaltet – seitdem damals im Stall von Bethlehem Gott auf diese Erde kam.

III

Ich schaue auf das Bild von Emil Nolde auf der Postkarte, die Sie alle bekommen haben. Es ist eine Art Mitbringsel ganz aus dem Nordwesten unser Nordkirche: Das Original ist in Noldes Haus in Seebüll in Nordfriesland zu sehen. Manche von Ihnen waren sicher schon einmal dort – es lohnt sich allemal!

Verstörend direkt stellt Nolde ins Zentrum, worauf es ankommt – Maria und das Kind. Josef dunkel im Hintergrund links – auch auf seinem Gesicht ein Schimmer des Glanzes aus der Höhe. Der Esel rechts am Bildrand, fressend. Ein Zeichen für die biblische Hoffnung, dass Mensch und Tier friedlich beieinander wohnen werden, Zeichen für den Frieden dieser Nacht.

Im Türausschnitt sind die herbei eilenden Hirten zu erkennen. Sie haben sich aufgemacht, um zu sehen, was die Engel ihnen da unglaubliches zugerufen hat: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird…“ Auf den ersten Hirten fällt bereits ein Schimmer des Glanzes aus der Höhe. Die anderen stolpern noch hinterher – aber auch sie haben sich in Bewegung gesetzt – sie wollen sehen, ob sie stimmt, diese welt-wendende Geschichte.

Und da ist die Dynamik der Bewegung bei Maria – ihr Kind hält sie strahlend in die Höhe, hinauf zu dem Stern dort oben rechts. Eine doppelte Bewegung, eine Dynamik des Miteinanders von Gott und Mensch, von Himmel und Erde. Maria hält ihr Kind direkt Gott hin. So wird das Kind selbst zum Licht in der Nacht, noch ganz der Mutter zugewandt. Gott sendet seinen Glanz direkt Maria ins Gesicht. Eine lichtvolle Dynamik von unten links nach oben rechts – und von oben rechts nach unten links. Und das alles in klaren Farben; eine Szene von anrührender Einfachheit. Nur die Grundfarben und ihre Komplementäre benutzt Emil Nolde. Heilsam elementar – so hat der Maler das Wunder der Heiligen Nacht auf die Bildtafel gebannt. Weil das zum Zauber der Weihnacht gehört: dass Gott hinein kommt in diese komplexe, verwirrende Welt, in die Unübersichtlichkeit: ganz einfach, als Kind, als angewiesenes Wesen. Diese einfache Botschaft birgt das Umwerfende, das Erlösende, dem unsere Sehnsucht gilt: einfach leben, frei sein dürfen von den komplizierten Lebenszusammenhängen. Übersichtlichkeit zurück gewinnen. Die Grundfarben des Lebens: sie sind einfach. Und sie entsprechen einander: die Liebe und die Gemeinschaft; die Nacht und das Licht; die Menschen und die Tiere; Gott und Mensch; der Friede dieser Nacht und die Friedenssehnsucht der Welt. Von dieser Einfachheit und in dieser Einfachheit dürfen wir leben. Wir müssen nicht alles verstehen. Nur dies: du musst dich nicht fürchten. Gott ist in der Welt. In diesem Kind: höchstes und einfachstes Zeichen neuen Anfangs des Lebens. Und der Liebe. Und der Freude.

„Herr, ich werfe meine Freude wie Vögel an den Himmel. Die Nacht ist verflattert. Ein neuer Tag aus deiner Liebe, Herr, ich danke dir…“ An diesen Kanon aus Afrika denke ich, wenn ich Maria mit dem Kind sehe: Freude an den Himmel werfen; Leichtigkeit darf sein, alles Schwere darf hinter mir bleiben. „Fröhlich soll mein Herze springen dieser Zeit, da vor Freud alle Engel singen“ … und auch wir, eben darum mit ihnen.

Die Freude bricht aus Maria heraus. Die Maria hier, sie ist mir ein Urbild dafür, dass wir Beschenkte sind. Von Gott beschenkte Menschen – zur Weihnachtszeit, aber eben nicht nur zur Weihnachtszeit! Ja, dass wir Beschenkte sind, trotz allem, was uns ärgert und die Sinne benebelt. Trotz mancher Verzweiflung über andere und uns selbst. Trotz allem Bürgerkriegswüten und trotz aller Engstirnigkeit, trotz allem, was nicht gut ist in dieser Welt. Beschenkte sind wir – so wie auch das ungewickelte Kind in Marias Händen. Beschenkt und ausgerüstet mit vielen Gaben und Fähigkeiten, mit Händen, die teilen können, mit Mündern, die sich öffnen können, um zu erheben die Stimme für die Schwachen und Elenden. Uns will Gott brauchen, locken, mitzutun an der nötigen Verwandlung der Welt, die begonnen hat damals auf den Feldern von Bethlehem. Als die Hirten hörten, aufstanden aus ihrer Trostlosigkeit, sahen und weitersagten, was sie gehört und gesehen hatten. Siehe da, das Kind im Glanz aus der Höhe. Gott selbst.

Alles getaucht in den Glanz aus der Höhe; alles einfach und neu. Die Freude der Nacht will nicht für sich bleiben. Sie will geteilt werden – auch mit denen, die unter uns wohnen: Die uns zunächst Fremden werden dann nicht fremd bleiben – sondern wir werden miteinander eine Sprache lernen, die jeder und jede versteht: Du bist bei uns willkommen!

IV

Manchmal geschieht es, dass das Glück eines Augenblicks, eines Tages oder einer Heiligen Nacht das Leben verwandelt: in ein neues Licht taucht, das vom Himmel leuchtet. Fürchtet euch nicht: denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird! Amen.

Datum
25.12.2014
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Gerhard Ulrich
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