DOM ZU SCHLESWIG

Lukas 3, 1-14

12. Dezember 2010 von Gerhard Ulrich

Liebe Gemeinde! Eine Störung im Advent: eine Bußpredigt, die sich gewaschen hat. Johannes ist eine der wichtigsten Gestalten im Advent. Der Rufer in der Wüste. Der Wegbereiter.

Wir kennen die Figur auf dem berühmten Isenheimer Altar. Der übergroße Zeigefinger zeigt auf den Gekreuzigten: Er muss wachsen, ich aber abnehmen. 
Wir kennen den Täufer, der am Jordan auch Jesus tauft. Den Prediger, der im Gefängnis landet, weil er die Mächtigen stört. Weil er nicht aufhört, auf Ungerechtigkeit, Vertreibung und Gottlosigkeit hinzuweisen. 
Johannes stört auch unsere Adventsbesinnlichkeit, die den grauen Alltag mit seinen Sorgen und Härten auch etwas verdrängen und ein wenig himmlischen Glanz auf Erden bereiten will. 
Johannes tritt auf zu der Zeit, da das Land besetzt ist von den Römern; zur Zeit der Hohepriester und Religionsbehörden. „Und es geschah das Wort zu Johannes ... in der Wüste. Bereitet den Weg des Herrn und macht seine Steige eben! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden. Und alle Menschen werden den Heiland Gottes sehen!“ So ruft Johannes mit dem Propheten Jesaja in der Wüste. Gott ist im Kommen! Er wird sein Volk aufsuchen, wie er es verheißen hat. Es ist sein Advent. Aber es ist noch viel zu tun: Der Weg ist zu bereiten, aus dem Weg muss geräumt werden, was zwischen Gott und Menschen sich aufgetürmt hat.
 „Mit Ernst, o Menschenkinder, das Herz in euch bereit’.“
Die Leute kommen in Scharen zu Johannes.
Der redet nicht liebevoll und zart. Ihn packt Heiliger Zorn, wenn er sieht, wohin die Menschen treiben ohne Gott. Johannes lässt nicht mit sich spaßen, wenn die Zeichen der Zeit nicht erkannt werden. „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?“ - Ein Weckruf im Advent. Der andere Advent. Zeit der Bewährung, der Vergewisserung des Lebens: Zeit der Buße!
Manchmal brauchen wir die deutlichen Worte, rücksichtslos: „Ihr Schlangenbrut ... wer hat euch gewiss gemacht, in Sicherheit gewogen, dass ihr mit euren Sicherheiten dem Weg in die Katastrophe entgeht? Nein, die Taufe allein, das Bekennen mit den Lippen allein ist nicht genug. Gott will mehr: Er will, dass ihr euer Leben erneuert, täglich. Er will, dass ihr euch auf sein Kommen vorbereitet, wie man sich auf einen lang ersehnten Gast vorbereitet. Tut Buße: Räumt weg, was im Wege ist, räumt beiseite, was stört. Räumt euren Lebensweg auf! Lasst euch aufstören in eurer Behaglichkeit. Öffnet euch: Gott meint es ernst. Denn: Er kommt! Er kommt, euch zu bringen das Heil, die Liebe; eure Sehnsucht zu stillen nach Leben, nach Freude. Nicht das Fest vermiesen will Johannes. Er will helfen, dass es gelingt, dass wirklich der Herr einziehe bei uns.

Was ich bewundere an Johannes, ist die Klarheit, die ihn glaubwürdig sein lässt, seine Rede ohne Umschweife: Bekennen und Tun, Glauben und Handeln gehören zusammen. Schaut hin auf diese Welt, auf ihre Erlösungsbedürftigkeit, auf all die Berge von Schuld und Elend, die sich auftürmen zwischen euch und Gott: Tragt sie ab! Seht hin: Die Axt ist den Bäumen an die Wurzel gelegt! „Nehmt euch nicht vor, zu sagen: wir haben Abraham als Vater. ...!“ 
Nein, es reicht nicht die Zugehörigkeit zu den Erwählten. Vergebung der Sünden bekommt ihr nicht, weil ihr Abrahams Erben seid oder weil ihr euch auf Gottes Sohn beruft. Vergebung der Sünden fordert Einsicht, aushalten die Härte, dass Umkehr nötig ist, dass Gott nicht nur der liebe ist, sondern in Liebe auch der zornige! 
Dabei ist es entscheidend, die Väter und Mütter, die eigene Geschichte nicht zu vergessen. Zu wissen, woher wir kommen, worauf der Glaube gründet. Aber: Denkt nicht deshalb besonders von euch, wähnt euch nicht am Ziel! Gott kommt, um anzufangen mit euch, bei euch. Erinnerung ist gut, wenn sie zurüstet und wach macht für die Zukunft, für die Nachfolge.

Vor einem knappen Menschenleben, im Dezember 1948, haben die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet. Die Menschenrechte sind zum Schlüsselbegriff geworden, stehen in fast allen Verfassungen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Wir sind mit Recht stolz auf das Erreichte und auf jene, die es erstritten. 
Aber: Wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? sagt Johannes - „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ Was bedeutet das für die zunehmenden Unterschiede zwischen Arm und Reich in dieser Welt? Was trägt das Recht auf Heimat aus für die Vertriebenen und nicht abreißenden Flüchtlingsströme in der Welt? Was bedeutet das Recht auf Nahrung für die verhungernden Menschen in der Welt? Wo ist das Recht auf Unversehrtheit des Körpers für die verstümmelten Kinder, die in Minenfeldern spielen? Ist nicht die Axt sichtbar, die an die Wurzeln der Bäume gelegt ist, immer noch? Ist nicht der Einsatz für den Frieden in der Welt nach wie vor unerlässlich und unverzichtbar? Sind nicht die vielen Menschen, die weltweit sich einsetzen für die Rechte der Menschen diejenigen, die für uns alle Buße und Umkehr leisten?

Vorgestern wurde in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen. Der Preisträger aus China, LiuXiaoBo, sitzt in China in Haft, ebenso seine Frau unter Hausarrest. Sein Stuhl bei der Preisverleihung blieb leer. Ein Symbol für Unfreiheit und Unterdrückung in einem riesigen, wirtschaftlich und kulturell entwickelten Land. Aber die Freiheit der Meinungen macht dem Regime immer noch Angst. Man behandelt LiuXiaoBo wie einen Verbrecher, man wirft ihm Anstiftung zum Umsturz vor. In seiner Verteidigungsrede vor Gericht hat er 2008 seine Liebe zu seinem Land ausgeführt; Liebe, die ihn dazu führt, für die Freiheit der Meinungen zu streiten: die Meinungsfreiheit ist die Grundlage aller Freiheit, sagt er. Und: Ich hasse nicht, die mich quälen, ich habe keine Feinde. „Es gibt keine Macht, die das Streben der Menschen nach Freiheit stoppen kann und China wird letztendlich eine Nation werden, wo das Recht herrscht, wo Menschenrechte an höchster Stelle herrschen.“ Soweit LiuXiaoBo.
„Es ist aber wichtig, die Welt daran zu erinnern, dass die Rechte, die so viele Menschen genießen können, durchgesetzt und erkämpft worden sind von Menschen, die große Gefahren auf sich genommen haben“, sagt der Präsident des Nobelkommitees bei der Verleihung. 
XiaoBo klingt mir mit seinen Worten wie der Rufer in der Wüste, wie Johannes, der im Gefängnis landete, weil er auf den hinwies, der kommt, diese Welt heil zu machen durch die Macht der Barmherzigkeit, des Friedens und der Liebe. Er ist ein glaubwürdiger Freiheitskämpfer ohne Angst. Die Freiheit können die Machthaber ihm nehmen, nicht aber die Macht der Worte. 
„Die Gedanken sind frei“, singen viele Menschen in Oslo am Abend der Verleihung. Sie stimmen dieses alte Freiheitslied aus dem 19. Jahrhundert an, in dem es heißt: „Die Gedanken sind frei / wer kann sie erraten? / Sie fliehen vorbei / wie nächtliche Schatten. / Kein Mensch kann sie wissen, / kein Jäger erschießen / mit Pulver und Blei: / die Gedanken sind frei…Und sperrt man mich ein / im finsteren Kerker, / das alles sind rein / vergebliche Werke. / Denn meine Gedanken / zerreißen die Schranken / und Mauern entzwei: / die Gedanken sind frei!“

„Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße...“ 
Die Menschen damals, die sich zu Johannes auf den Weg machen, sich taufen zu lassen, lassen sich nicht abschrecken von seiner harten Rede. Sie stellen sich. Sie sagen nicht: Alles halb so schlimm, mach´ mal halblang, bei uns ist doch alles in Ordnung. 
„Was sollen wir denn tun?“, fragen sie fast hilflos-ängstlich. Was können wir denn tun gegen die Mächtigen der Welt, gegen die Statthalter, die sich ihre Hände in Unschuld waschen; was ist auszurichten gegen die, die sagen: Auge um Auge, Zahn um Zahn?
 Johannes antwortet. Aber er ruft nicht auf zur Revolution, zum Umsturz. Er verweist auf die Tora, die Gebote Gottes. Er erinnert an Bekanntes. „Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, der tue ebenso. Es kamen auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen wir denn tun? Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! Da fragten ihn auch die Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold.“ - Johannes überfordert nicht. Alltägliches wird erwartet, kein Verzicht auf Beruf oder bisheriges Leben. Aber: Teilt miteinander, was ihr zum Leben habt. Schaut hin, wer bedürftig ist. Gebt euch zufrieden mit dem, was euch zusteht. Tut, was Recht ist. Tragt, jeder an seinem Ort, dazu bei, dass die Gegensätze von Arm und Reich nicht immer größer werden. Abgeben, teilen, Chancen nicht skrupellos ausnutzen. Oder, wie Jesus zusammenfasst: Du sollst Gott lieben und den Nächsten wie Dich selbst. 
Wenn jeder bei sich selber achtet auf die Würde des anderen, auf die eigenen Grenzen; wenn jeder für sich selber nicht vergisst, dass er, was er hat und ist, von Gott her bezieht, dann verändert sich das Gesicht der Welt, dann wird des Menschen Recht blühen in der Wüste und die Würde der Ebenbilder Gottes unangetastet bleiben. Das ist Gottes Advent. Das sind Früchte eurer Buße, dass ihr die Berge abtragt, die sich vor Gott auftürmen, die Täler erhöht, die sich auftun wie garstige Gräben zwischen euch und Gott. Wenn ihr euch leiten lasst von der Liebe dessen, auf den der Rufer in der Wüste verweist. So spricht Johannes mich an.

Bereitet dem Herrn den Weg!
Manchmal kann das frappierend einfach sein. Fulbert Steffensky beschreibt eine Szene in einem Bus: „An einer Haltestelle stieg ein Mädchen von etwa zwölf Jahren zu; sie trug einen Schulranzen und sah müde aus. Der Bus war voll. Ein älterer Mann stand auf und bot dem Mädchen seinen Platz an. Das Kind bekam einen roten Kopf, setzte sich aber dankbar...Der Wert dieser Szene liegt nicht in der realen Hilfe, die der Mann geleistet hat. Sie liegt in der Bezeugung der Höflichkeit und des Respekts. Wahrscheinlich hat das Kind in dieser Minute mehr von der Liebenswürdigkeit des Lebens gelernt als in einem halben Jahr Religionsunterricht.“ 
Da fällt einer aus dem Rahmen. Tut genau das Umgekehrte dessen, was wir sonst lernen: das Alter erweist dem jungen Leben Respekt, gibt ihm eine ganz eigene Würde. 
Die Liebenswürdigkeit des Lebens lernen, neu entdecken: Wo das gelingt, da ist Advent: da werden Berge erniedrigt und Täler erhöht, so dass der Herr einziehen kann.
Da erleben wir nicht den Zorn, sondern lauter Gnade Gottes! Und alle Menschen werden den Heiland Gottes sehen! Und können mit einstimmen in den Freudenjubel, mit dem G.F. Händel in seinem wunderbaren „Messias“ den Advent des Gesalbten feiert: Rejoice, rejoice, rejoice – dein König kommt, ein Gerechter und ein Helfer, und er wird Frieden gebieten allen Völkern.
Amen.

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