18. Oktober 2021 | Kirche St. Marien zu Lübeck

"Mit Gefühl … Mitgefühl"

18. Oktober 2021 von Kirsten Fehrs

Andacht zur Eröffnung der Ausstellung

Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Künstler und Kulturschaffende, lieber Stefan Schmidt,

es ist mir eine wirkliche Ehre, heute hier zu sein und dabei auch – sozusagen im Rollentausch – unter deiner Kanzel zu sitzen, lieber Stefan, und deine eindringlichen Worte zu hören. Worte von Käpt‘n Schmidt, die mich immer – so auch heute – in ihrer Direktheit berühren und im Herzen erreichen. Dort, wo‘s hingehört bei diesem Thema Mitgefühl.

Zu Herzen gehen wollen auch diese Ausstellung und die Benefiz-Kulturwoche, und ich bin dankbar, dafür Schirmherrin sein zu dürfen. Allemal – erlauben Sie mir eingangs dieses persönliche Freundschaftswort – allemal weil es verbunden ist mit einem so sagenhaft erfahrenen, klugen und zugleich in seiner Ungeduld jung gebliebenen 80-Jährigen. Glück und Segen, lieber Stefan zum neuen Lebensjahrzehnt. Und – das alles bestimmende Thema heute, Mit-Gefühl, dafür stehst du für mich mit deiner ganzen Person. Möge Gott dir dafür weiterhin die Kraft schenken!

Ich erinnere mich gut an unsere erste Begegnung in St Jacobi in Hamburg; ich glaube, es war das erste Flüchtlingsrequiem 2008 am Volkstrauertag. Requiem aeterna – die Trauer um die Tausenden im Mittelmeer Ertrunkenen, um all die namenlos Untergegangenen, sie lag ausgebreitet in einem Lichtermeer des Gedenkens – und du warst da, Elias Bierdel im Schlepp für borderline-europe Menschenrechte ohne Grenzen e. V. Und wie du da warst und bist – mit dieser deiner innigen Ehrlichkeit, so herzensnah, engagiert, traurig, immer wieder um Fassung ringend, ja mit diesem dir eigenen „heiligen Zorn“. Das hat berührt! Bei dir passt eben kein Blatt Papier zwischen Seele und gesprochenes Wort, da ist Denken und Fühlen und Handeln eins. Nicht umsonst ist die Cap Anamur ein Synonym für Mitgefühl geworden – mit Käpt‘n Schmidt auf der Brücke der Mitmenschlichkeit. Einer, der mutig seinem unbeirrbaren, auf Nächstenliebe ausgerichteten inneren Kompass folgt. Geradlinig, politisch klar – mit oder ohne Uniform – du bist der Käpt‘n der Herzen.

Wir sind übrigens längst bei dieser Ausstellung „Mit Gefühl … Mitgefühl“. Denn es ist das große Herz, das hier Geschichte schreibt. Das Herz, das sich wie bei der Geschichte vom Barmherzigen Samariter hinreißen lässt, sich dem Verletzten zuzuwenden. Hin-reißen lassen, das ist nicht für lau. Kein Larifari, sondern emotional energisch. Engagiert und bewegt. Es reißt einen innerlich – hin zum anderen, um ihm Gutes zu tun.
Darum geht es: Das Mitgefühl zulassen, damit sich etwas ändert. Mit Gefühl zeigen, was nicht geht. Und gar nicht anders können, als sich der Nöte der Leidenden unserer Tage anzunehmen, schlicht weil ich innerlich so berührt bin vom Elend.
In diesem Mitfühlen, diesem Angerührtsein, liegt für mich eine tiefe Hoffnung. Nur wenn wir uns dem unfassbar verwundeten Leben aussetzen, führt das zum Umdenken, auch in der Gesellschaft. Sich „mit Gefühl“ etwas ans Herz gehen lassen, heißt biblisch eben auch: an den Verstand. An das Denken! Biblisch umfasst das Herz beides: verstehen und fühlen, was man versteht. Ohne Fühlen kein Verstehen. Oder anders: Verstand ohne Gefühl hat der Liebe nicht. Die aber braucht es, um das Böse zu überwinden. Auch davon erzählen die Bilder hier im Raum.
Nicht wegsehen also. Nicht schlafend stellen. Sondern diese Ausstellung schauen. Und zwar mit dem Herzen. Jedes einzelne Kunstwerk. Denn es will uns emotional verbinden mit den Schicksalen so vieler Menschen, die aus blanker Angst vor der Gewalt fanatischer Gruppen ihre Heimat verlassen haben oder die wieder dort leben und unter großen Repressalien leiden. All diese Bilder wollen uns verbinden mit denen, deren Träume sich nicht erfüllt haben, die um Leib und Leben fürchten müssen.

Hinschauen, damit das Drama in Afghanistan nicht unbemerkt geschieht und tabuisiert wird. Die Menschen sind ausgeliefert, das wissen wir! Sie sind ausgeliefert, den Taliban vor allem, aber auch der einsetzenden Kälte, dem Mangel an Brot und Kleidung, Bildung und Kunst. Ausgeliefert sind sie den staatlichen und nicht staatlichen Mächten, die ihnen Gewalt antun, denen, die ihnen Rettung versprechen und ihr Geld wollen. Ausgeliefert denen, die Grenzen schließen und Wege versperren. Ausgeliefert ihrer eigenen Ohnmacht, in der sie sich nicht zu helfen wissen.
Umso wichtiger ist es, liebe Geschwister, dass wir uns nicht verschließen, sondern uns unserem Mitgefühl öffnen und vorantreiben, was uns bewegt, dass wir die Stimme der Humanität und der Menschenrechte hörbar werden lassen, die zugleich die Stimme Gottes ist: „Der Fremde, der sich bei dir aufhält, du sollst ihn lieben wie dich selbst.“ Lieben. So sagt es die Bibel. Ganz schlicht. Unaufgeregt. Und ohne jede Hintertür. Als Christen haben wir Verantwortung, dass unser Land Zuflucht für die schafft, die es hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. Für die Ortskräfte ebenso wie für die Menschenrechtsaktivisten, für Journalistinnen, Künstler, Studentinnen, für die Kinder.

Und so ist diese Ausstellung mehr als eine Zusammenschau von je für sich eindrücklichen Bildern und Fotografien; es ist die Einstimmung in eine Benefiz-Kulturwoche, die uns auf kreative, sehr unterschiedliche Weise nahe bringt, dass und wie wir vor Ort mit Worten und Taten Zeichen setzen müssen. Zeichen, die besagen: Wir stehen an der Seite der an Leib und Seele verwundeten Men-schen – in Afghanistan, aber ebenso hier und andernorts. Wir fühlen mit, weil wir etwas verstanden haben. Weil wir etwas verstanden haben von den Männern, Frauen und Kindern, die in den Gräben der Feindschaft gefangen sind und sich sehnen nach Freiheit und Demokratie. Allemal ja jetzt in Afghanistan; zwei Drittel der Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt und hat 20 Jahre lang wenigstens eine Ahnung von Freiheit in sich aufgenommen. Wie stärken wir die Kraft dieser Hoffnung, die aufstehen hilft gegen Kälte, Vernichtung und Menschenverachtung?
Mit Gefühl, liebe Geschwister, schauen, denken, lernen. Und mehr noch: sich vom Herzen hinreißen lassen. Ich habe große Achtung vor so vielen auch hier unter uns, die mit großem Herzen und klugem Verstand etwas ändern wollen. Die Hilfe leisten und um Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit kämpfen. Und so stehe ich mit Respekt und Bewunderung vor Ihnen, die Sie nicht nachlassen, sich einzusetzen, lieber Stefan Schmidt, liebe Künstler und liebes Team von St. Marien, das nun wiederum in besonderer Weise dem Mitgefühl Raum gibt. Ich danke Ihnen und allen, die dazu bei-getragen haben, dass sowohl die Ausstellung als auch die Benefiz-Kulturwoche entstehen konnten. Sie alle rücken „mit Gefühl“ die Gruppe der Schwächsten in unser Bewusstsein: die Frauen und Kinder in Afghanistan, deren Leben verdunkelt ist von brutalem Terror. All dies getragen von der Sehnsucht nach dem anderen: nach Wärme, Farben, Liedern, Liebe, fraglos und hingerissen dem anderen zugewandt. Und also (frei nach Worten von Hanns-Dieter Hüsch):

Ich setze auf die Liebe
das ist das Thema,
den Hass aus der Welt zu entfernen,
bis wir bereit sind zu lernen,
dass Macht, Gewalt, Rache und Sieg
nichts anderes bedeuten als ewigen Krieg.
Auf Erden und dann auf den Sternen. […]
Du kannst mir‘s sagen, wie du willst,
du kannst mir‘s malen, wie du meinst,
und mir erklären, was du musst –
und ich verstehe: Wir setzen auf die Liebe. Schluss.

Gott schütze Sie. Gott schütze und bewahre unser Herz zum Leben.

 

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