Musik ist ein Geschenk Gottes
01. November 2015
22. Sonntag nach Trinitatis, Festgottesdienst zur Wiedereinweihung der neuen Orgel, Predigt zu Matthäus 5, 2-9
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt! Amen.
Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und Händen! Alles, was recht ist, liebe Festgemeinde, dieser Aufforderung kommen Sie heute hier in der Auferstehungskirche gründlich nach! Welch kräftiger Choralgesang eben! Wohltönend begleitet von dem neuen Klang Ihrer neuen Grenzing-Orgel, Frucht gemeinsamer Bemühungen und nun geweiht und gesegnet! Was liegt näher als zu danken? Danke also sage ich Ihnen allen für die neu klingenden Trompeten, Zungen, Pfeifen und Mixturen, allen voran der Familie Grenzing! Dank denen, die das ermöglich haben durch Einsatz und Patenschaft und Geld, danke dir, lieber John Neumeier, dem wunderbarsten, einsatzbereitesten Schirmherrn, den man sich danken kann, dank Ihnen, die mit ihrer Kunst das Instrument zum Klingen gebracht haben, danke den Sänger und Sängerinnen, dem Orchester und der schönen Chormusik - und vor allem: Dank dem Einen, zu dessen Lob die Orgel gespielt wird.
Denn solche Musik gibt Gott die Ehre. Wusste ja besonders Luther, der am Tag nach dem Reformationstag nun wahrlich nicht fehlen darf: „Musik ist ein Geschenk Gottes... So vertreibt sie auch den Teufel und macht die Leute fröhlich. Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Fröhlichen traurig, die Verzagten herzhaft zu machen, die Hoffärtigen zur Demut zu reizen, die hitzige und übermäßige Liebe zu stillen, den Neid und den Hass zu mindern.“
Welch Botschaft in dieser Zeit: Neid mindern und Hass! Aber auch: froh sein. Und wenn wir uns hier anschauen, gerade jetzt selbst beschenkt von der Musik, haben wir‘s doch unmittelbar bei uns selbst den anderen erleben können, dass Musik wirklich die Kraft hat, uns froh zu machen. Überall lächelnde Gesichter! Musik gibt eben auf ganz besondere Weise dem Unsagbaren Ausdruck, ist ja gerade kein alleinig schmückendes Beiwerk zu Predigt und Wort! Musik ist vielmehr selbst eine Sprache des Glaubens – eine Sprache voller Vielfalt, die die Schönheit kennt und Gottesnähe, aber auch die Klage und den Streit, den Zweifel die Einsamkeit. Musik ist unermesslich und unerhört wahr. Und jedes Mal anders, selbst wenn man die gleichen Noten wiederholt.
Nun denn: Wer empfände es gerade heute nicht, dass die Musik des Lebens mit all ihren Registern auch etwas Seliges hat? Etwas dankbar Seliges sowieso. Aber auch eine Seligkeit, die wie im Evangelium den Schmerz würdigt und zugleich über ihn hinaushofft. Hinausglaubt, hinausliebt.
Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, sie sollen satt werden. Von jeher hat dieser Jesus dort auf dem Berg so viel von den Menschen verstanden. Von den Hungernden damals und den Lebensdurstigen heute. Von all ihren Lebensmelodien mit ihren Sehnsüchten, glauben zu wollen und es dennoch manchmal nicht zu können. Weil man Gott nicht sieht und hört und erkennen kann. Weil das Himmelreich allzu oft in weite Ferne rückt.
Vor genau einer Woche war ich in der Nähe dieses Berges, allerdings am anderen, östlichen Ufer des Jordans. Ich habe das Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien besucht, unmittelbar an der Grenze zu Syrien. Ein Ort, liebe Schwestern und Brüder, wo wahrlich viele Menschen hungern und dürsten. Sicher auch nach Gerechtigkeit, doch zunächst einmal buchstäblich. 78.000 Menschen leben dort in Zelten und Containern, die Hälfte sind Kinder. Was dieser grausame Krieg in Syrien anrichtet, ist schon auf einen ersten Blick zu erfassen! Zaatari ist das größte Lager in Jordanien, aber beileibe nicht das einzige. Inzwischen geht den UN-Organisationen, die diese Lager in großer Menschenfreundlichkeit hochprofessionell betreiben, das Geld aus. Denn die Zahlungen der internationalen Gemeinschaft lassen nach. Man ist säumig geworden (auch innerhalb der EU), zugesagte Gelder in Milliardenhöhe auch wirklich zu zahlen. Das ist ein Skandal, finde ich. Die Folge ist nämlich: Es bleibt dem World-Food-Programme gar nichts anderes übrig, als für die syrischen Flüchtlinge Lebensmittelrationen und sogar das Wichtigste: Wasserzuteilungen drastisch zu kürzen. Auch Schulen werden geschlossen, weil kein Geld da ist. Was den Menschen dann notgedrungen nur bleibt, ist die erneute Flucht (obwohl sie gern in ihrem vertrauten Kulturkreis bleiben würden!) – Flucht entweder zu uns nach Europa oder im Extremfall zurück nach Syrien in den beinahe sicheren Tod. Ich habe Familien getroffen, die mir grauenhafte Geschichten von Flucht und Vertreibung erzählten. Christinnen, die in die Gewalt von ISIS gerieten. Erlebnisse, die nicht nur die Seele, sondern auch den Glauben aufs tiefste erschüttert haben.
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Utopische Rede angesichts solcher Not? Für mich nicht. Für mich ist jene Predigt Jesu auf dem Berg die schönste Hoffnungsmelodie der Welt. Eine Ansprache, die alte und mag sein verschüttete Hoffnungen immer wieder in uns wachruft. Damit wir sie „tun“! Heißt es doch: Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
Und inmitten der Fülle an dankbarer Musik heute – geht es Ihnen auch so, dass manch ungespielte Lieder mitklingen? Die Seligpreisungen etwa im Brahmsrequiem? Musik hat so eine Kraft zum Trost. Sie kann einen so ruhig machen. So klar. So friedensleis. Nicht weil sie vertröstend darüber hinspielt, sondern weil sie die Angst erreicht. Es ist, als würde die Bestürzung über die Schrecken der Welt in dem Maße weichen, wie der Ton Gottes Raum gewinnt. In dieser Kirche. Aber auch in uns selbst. Es ist dies die andere Wirklichkeit, von der Jesus spricht. Eine Wirklichkeit, die in uns Zuversicht wecken will nach Licht und Friedensnähe. Die Leichtigkeit bringt in eine schwere Zeit. Gern auch mit Tanz und Spiel, liebe Gemeinde. Erinnern wir uns, wie begeisternd und seligmachend es war, als in diesem Altarraum Solisten vom John Neumeier Ballett die Matthäuspassion getanzt haben! Gerade mit Tanz und Spiel wird doch der innere Raum weit!
Dazu eine letzte Impression aus Jordanien. Wir besuchten auch eine muslimische Mutter, die mit ihren sechs Kindern in einem Keller in Amman lebt. Genauer: Einem Kellerloch, absolut erschütternd. Sie könnten nicht überleben ohne die Unterstützung jordanischer Christen. „Meine Kinder sollen zur Schule gehen“, sagt sie. „Sie sollen keine Analphabeten bleiben wie ich.“ - Kein einziges Spielzeug habe ich in diesem beengten Raum gesehen. Als in Syrien die Bomben fielen, wenige Meter vor den Füßen der Kinder, waren sie einfach nur gerannt, retteten gerade das, was sie am Leibe trugen…. Da fiel mir ein, dass ich in meiner Tasche eher zufällig etwas dabei hatte – Sie wissen: Reformationsjubiläum! - es war diese Playmobil-Figur, Martin Luther. Wohl selten in der Welt ist Luther so begeistert empfangen worden wie von jenen muslimischen Kindern in Amman. Ein Lichtblick von Leichtigkeit im dunklen Keller. Ein bisschen Seligkeit - auch für uns. Natürlich hat keiner gewusst, wen diese Figur darstellt. Was macht‘s? Das ist ja auch eine Aussage: Jenseits aller religiösen und kulturellen Unterschiede ist es gleich, wer da wem mit was hilft: Hauptsache, man wendet sich einander zu. Pragmatisch, barmherzig, gut.
Wir haben die Kraft, daran zu arbeiten, dass die Gegenwelt Jesu Gestalt gewinnt, liebe Gemeinde. Darum geht es dem Evangelium: Jetzt schon so leben, als seien wir selig. Jetzt denjenigen, die aus Angst vor Bomben oder bitterer Armut flüchten, die Hand reichen. Und das bedeutet zugleich: Mit ihnen, die hier in unserem Land Ängste entwickeln, freundlich reden, sie halten und sagen: Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Und ich schaue auf diese neue Orgel, höre ihren Klang und denke: Ist das nicht genau ihre Botschaft? Sich fallen lassen können in einen Friedensklang, der all unser Sehnen und Zweifeln, unsere Harmonien und Disharmonien, aufnimmt und versteht. Und wenn uns die Musik in einen Rückzugsraum entführt, dann gerade nicht als Weltflucht. Sondern als Kraftquelle, damit wir umso stärker hinausgehen ins Leben.
Deshalb eine neue Orgel mit ihrem vollen Klang, liebe Festgemeinde. Sie soll uns zum Singen bringen. Damit wir Gottes Gnadenton in uns hineinholen. Um Kraft zu bekommen, wenn Sorge uns drückt.
Deshalb eine Orgel. Wir sollen singen. Gottes Ton hinaus bringen in die taube Welt. Damit all die Belasteten, Getriebenen und Verfolgten unserer Zeit hören von der Gnade, die niemals aufhört.
Deshalb diese Orgel, dass wir „nun danket alle Gott“ singen, immer wieder, mit tiefer Freude und Zuversicht, dass diese Welt sich ändern wird.
So sei er mit euch, der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahrt ja längst unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.