5. April 2015 | Dom zu Lübeck

Neues Leben will mit Macht in die Welt

05. April 2015 von Kirsten Fehrs

Ostersonntag, Predigt zu Markus 16, 1-8

Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemanden etwas, denn sie fürchteten sich.


Liebe Ostergemeinde!

Da möchte man doch eigentlich das Händelsche Halleluja noch und noch fortsetzen. Heute, am Sonnentag. Auferstehung des Herrn!

Und dann dieses Markusevangelium... Jedes Jahr wieder: Zittern und Entsetzen am Ostermorgen. Und schließlich. "Denn sie fürchteten sich." Das letzte Wort, das in der ursprünglichen Fassung sogar das gesamte Markusevangelium beschlossen hat, das letzte Wort hat die Angst. Keine Spur von österlicher Freude, Erlösung, Befreiung, sondern Erschütterung und Trauer. Als hätten sie, als hätten wir davon nicht schon genug zu sehen bekommen. Die Bilder der letzten Tage immer vor Augen, sind die Frauen ans Grab gekommen, um dem Gekreuzigten eine letzte Ehre zu erweisen. Blumen, Kerzen und Salböl als Erinnerung an die gemeinsame Geschichte – dort in Jerusalem.

Blumen, Kerzen, Symbole der Erinnerung sehen wir in diesen Tagen auch in Düsseldorf am Flughafen. Und in Haltern, wo eine ganze Stadt um die Schülerinnen und Schüler und Lehrer trauert, die nie mehr zurückkehren werden. Solche Orte gab es in den vergangenen Wochen und Monaten furchtbar viele. In Gaza. In der Ukraine. In Syrien. Nigeria, mein Gott.

Ostern 2015, liebe Gemeinde, hören wir doch tatsächlich zuallererst die Geschichte von Trauernden, die verstört vor einem Grab stehen. Im Bann des Todes, der so schmerzt.

Christ lag in Todesbanden. Er lag, nun liegt er nicht mehr. Aufgeschreckt, wie ihre Seelen sind, erleben die Frauen in Jerusalem zusätzlich Beängstigendes: Das Grab ist leer! Allein ein Engel, sitzend zur Rechten, also an der Seite des Glückes und der Würde, verkündet Österliches: "Er, den ihr sucht", sagt er den Frauen, "er ist nicht mehr hier. Er ist auferstanden!" Doch – kein Halleluja. Im Gegenteil. Die Frauen flüchten. Mit allem haben sie gerechnet, nur nicht mit dem Leben!

Ausgerechnet zu Ostern, liebe Gemeinde, solch Erschütterung. Keine Sonne, sondern ein dämmernder Morgen mit aufgeschreckten Menschen. Was ist der Sinn dahinter?

Ich glaube, es ist die Ehrlichkeit. Die Ehrlichkeit, eigentlich nicht glauben, oder besser: nur glauben zu können, was da im Grenzbereich des Todes und des Lebens passiert ist. Die Ehrlichkeit etwa, dass man sich nichts sehnsüchtiger erhofft, als dass der Gestorbene zurückkehren möge, dass er die Grenze des Todes durchbricht und das gemeinsame Leben mit einem fortsetzt.

Zugleich aber die Ehrlichkeit, letztlich zutiefst zu befürchten, dass genau dies geschieht und die Toten wiederkehren. Die Ehrlichkeit, dass deshalb der Grabstein so groß ist, damit er deutlich die Grenze markiert zwischen den Lebenden und den Toten. Die Ehrlichkeit, die einen zugestehen lässt, dass Trauer auch etwas mit Wut zu tun hat, der Wut darüber, dass der geliebte Mensch einen nun allein gelassen hat. Oder – auch das scheint manchmal unerlaubt – die ungemeine Erleichterung, dass das Leiden endlich, endlich vorbei ist.

Unsere Ostergeschichte, liebe Gemeinde, ist furchtbar ehrlich. Weil sie all diese Empfindungen enthält und damit einen gewissen Unwillen über das, was sie selbst erzählt: Nämlich, dass es nun reicht mit den Todesbanden. Wahrhaftig nämlich ist er auferstanden!

Auffällig ist allerdings, dass die Auferstehung selbst gar nicht erzählt wird. Anders als zu Weihnachten, wo wenigstens noch vom Stall und den Windeln und der fehlenden Herberge die Rede ist, sehen wir bei der Auferstehung nur – dass wir nichts sehen. Jedenfalls im Markusevangelium, diesem ältesten Zeugen der guten Nachricht. Das Grab ist leer. Nur der Weißgewandete dort erzählt, was geschehen ist. Und lässt den Verstand – bis heute – rätselnd zurück.

Kann ein Mensch von den Toten auferstehen? "Glaubst du das wirklich?", so fragt der Mensch, auch heute, oft mit zweifelndem Unterton, ob man noch ganz bei Trost sei. Aber ja, sage ich dann, genau so. Absolut und ganz bei Trost! Und zitiere gern Martin Luther, der 1541 – genau in Bezug auf unseren Predigttext und die Auferstehung – folgendes antwortet: "Wer das nicht glauben will, der lasse es. Wir predigen für die, die es gern hören und die es brauchen. Das sind die, die in Ängsten, Schrecken und Zagen sind. Die sagen: Ich muss davon und sterben. Ich habe gesündigt. Ich habe weder Ruhe noch Frieden."

Was bräuchten sie mehr als Trost?! Was hilft's da, die Auferstehung objektiv beschreiben oder gar beweisen zu wollen? Zumal solche Versuche ausnahmslos in seltsame gedankliche Abwege und zu kruden Thesen führen. Nein, die Ehrlichkeit der Ostergeschichte ist auch darin sich treu – dass sie genau das lässt.

Stattdessen – auch das so wahrhaftig – bleiben die Frauen erst einmal verhalten, um nicht zu sagen: ungläubig. Die Geschichte hüpft eben nicht sofort der Osterfreude hinterher, sondern fordert Zeit für die Trauer, die ihren eigenen Weg gehen muss – hinein ins Grab und fluchtartig wieder hinaus, mit Blumen, Kerzen, Erinnerungen, mit all dem, was so ungebeten ist und tabuisiert, was grausam ist und wütend und dunkel. Und – mag sein, eine gute Zeit später – bricht wieder das Leben durch und die Sonne. Mit Freuden zart.

So die eine Seite.

Auf, auf mein Herz mit Freuden! Unsere Osterlieder singen – aufgeatmet! – aber nun auch kraftvoll von der anderen Seite dieser zutiefst ehrlichen Ostergeschichte: sie, die der Trauer nicht ihren Ernst nimmt und sich dennoch erlaubt, neues Leben ins Spiel zu bringen und die Verwandlung. Der Schritt geht nach vorn und die Freude hat Grund. Alles andere als Vertröstung, alles andere als ein schulterklopfendes „Das-Leben-geht- Weiter", alles andere als das Pfeifen im dunklen Keller ist diese Osterfreude.

Denn ihr liegt die Einsicht zugrunde – deutlicher als unser Evangelium heute kann es uns keiner sagen – dass es ohne Trauer kein Leben, ohne Tod keine Auferstehung, ohne Tiefe keine Leichtigkeit gibt.

So ist Ostern immer auch das Fest des ungläubigen Staunens. Hoffnung und Freude schlagen Angst und Furcht, weltweit. Selbst wenn im Osten, in den orthodoxen Kirchen, das Osterfest erst in einer Woche gefeiert wird: Diese Hoffnung verbindet uns. "Wir hoffen, dass das Licht der Auferstehung Gottes uns neues Leben und neue Kräfte schenkt" – diesen Gruß habe ich jetzt aus St. Petersburg bekommen. Und ich wünsche es so sehr, dass dieses Licht auch in die Ostukraine ausstrahlen möge, damit die Kriegsparteien dort die Kraft finden, ihre Kämpfe endlich einzustellen.

Ich denke auch an die Christinnen und Christen im Nahen Osten, die dort unter unglaublichen Bedingungen auf der Flucht sind und alles verloren haben. Doch auch dort leuchtet das Licht von Ostern her. "Oft ist der dunkelste Teil der Nacht jener, der kurz vor der Morgendämmerung liegt", haben gerade 13 Kirchenoberhäupter aus Jerusalem an den Rest der Welt geschrieben.

Das sind Hoffnungsbotschaften, die uns erreichen und unser Herz mit Kraft erfüllen sollen, liebe Gemeinde. Damit wir wie die Frauen damals zu Zeug/innen des Lebens werden. Nichts weniger. Christliche Osterhoffnung braucht unsere Kraft. Und ich bin sicher: die haben wir. Wir haben die Fähigkeit, Wege der Trauer mitzugehen. Sensibel zu sein für den Schmerz. Eben weil es "tiefe" Freude ist, die uns erreichen will mit dem Osterruf.

Er ist auferstanden. Meint zugleich: Gott will nicht ohne uns sein. Er ist wahrhaftig auferstanden – und mit ihm auch wir. Gegen Tod und Verderben – aufgestanden! Gegen Intoleranz und Menschenverachtung – aufgestanden! Gegen Fremdenfeindlichkeit und Angstmacherei in diesem Land – aufgestanden! Gegen das entmutigte "Da kann ich ja doch nichts machen!" – aufgestanden! Auf, auf mein Herz, mein übervolles.

Wie so gesehen ein ganzes Dorf aufgestanden ist, möchte ich Ihnen nun zum Schluss erzählen, liebe Gemeinde. Sie kennen das ja schon von mir, diese Ostergeschichten aus dem richtigen Leben.

Kürzlich war ich in Breitenfelde bei Mölln. Vor einigen Monaten wurden dort kurzfristig ca. 50 syrische Flüchtlinge angekündigt. Man ist zunächst beunruhigt. Die Bürgermeisterin wendet sich an die Kirchengemeinde – und von dem Moment an beginnt eine wunderbare Geschichte: mit Hilfe des ehemaligen Gemeindewehrführers der Feuerwehr gründet sich ein Ehrenamtlichen-Netzwerk für Flüchtlingshilfe, in das gefühlt inzwischen mindestens das halbe Dorf eingestiegen ist. Fünf der Ehrenamtlichen haben während einer Andacht davon erzählt. Wie groß zunächst die Distanz und Skepsis im Dorf war. Weil die Syrer wirklich fremd waren. Wenig Deutsch konnten. So arm waren und beschämt. "Und dann hat uns der Pastor gebeten, und wir haben uns einen Ruck gegeben", sagt Hermann. Während er das sagt, winkt er etwa zehn Syrern zu, die mit in die Kirche gekommen sind.

"Zuerst haben wir miteinander einen Plan gemacht", sagt ein anderer Breitenfelder, "und festgestellt, dass fast jede Familie im Dorf mühelos jeweils eine Flüchtlingsfamilie ausstatten kann – mit Bettwäsche, Besteck, Kleidung und Möbeln." "Ja, und dann haben wir das einfach gemacht…"

Dann erzählt die zweite, dass sie zwar vieles gegeben, viel mehr aber noch empfangen haben. Das ganze Dorf hat sich verändert, seit die Syrer da sind – sie gehen herzlicher miteinander um, ja, lernen einander noch einmal ganz neu kennen. Zwei Nachbarn z.B., total zerstritten, hatten seit Jahrzehnten kein Wort mehr gewechselt. Dann wurden sie losgeschickt, um in der Wohnung der Syrer eine Lampe anzubringen. Über die Leiter hinweg, das ging wohl gar nicht anders, haben sie sich dann schließlich die Hand gereicht. Hinreißend, dieses Osterleuchten, oder?

Dann erzählt die alleinlebende Deutschlehrerin, dass sie ganz gerührt sei, weil eben gerade alle syrischen Kinder das Lied in Deutsch hätten mitsingen können. "Ich bin glücklich, dass ich euch etwas beibringen kann", sagt sie schließlich, "und: liebe Familie von Saida und Faris: Danke, dass ihr mich adoptiert habt."

Am Schluss bedankt sich Faris. Auf Deutsch. Beim Pastor, Papa Frank. Und bei Hermann, Susanne, Hans und Martha. Für die Liebe, die sie empfangen haben. Und die Bettwäsche. Und die Lampe – sie sei die hellste der Welt.

Eine wahre Geschichte. Und ehrlich. Voll österlicher Freude. Neues Leben will mit Macht in die Welt, das ist die Botschaft; neues Leben, das uns verändern wird mit seinen Möglichkeiten. Mit nichts Geringerem sollten wir rechnen.

Also: Aufgestanden, liebe Gemeinde, es gibt so viel zu lieben!

Christ ist erstanden –

Er ist WAHRHAFTIG auferstanden.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, den wahrhaftig Auferstandenen.

Amen.

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