Ökumenische Gedenkandacht in St. Marien zu Lübeck mit Landesbischof Ulrich und Erzbischof Heße
04. Mai 2015
Lübeck. Mit einer ökumenischen Andacht haben Landesbischof Gerhard Ulrich (Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland) und Erzbischof Stefan Heße (Erzbistum Hamburg), heute (4. Mai) in St. Marien zu Lübeck die Gedenkfeier zum Ende des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren eröffnet.
Über 500 Menschen gedachten der Opfer des Krieges. Zugleich wurde auf der gemeinsamen Veranstaltung des schleswig-holsteinischen Landtages, der Stadt Lübeck, der Nordkirche und des Erzbistums die Unterstützung der damaligen britischen Besatzungsmacht beim demokratischen Neuanfang gewürdigt.
In seiner Ansprache erinnerte Landesbischof Ulrich an die 203 jüdischen Einwohner Lübecks zu Kriegsbeginn, von denen nur drei Deportation und Lager überlebten, an die ermordeten 605 Insassen der Lübecker Heilanstalt Strecknitz sowie an die 320 Opfer der Bombenangriffe auf Lübeck in der Nacht zu Palmsonntag 1942.
Landesbischof Ulrich: „Aufstand gegen alles, was das Leben bedroht“
Angesichts des unvorstellbaren Leides, das von Deutschland über Europa gebracht wurde, der Brutalität und Menschenverachtung des NS-Systems rief Landesbischof Ulrich dazu auf, die Last der Erinnerung, der Geschichte, der Schuld nicht zu verdrängen. „Das Christentum ist keine Religion der Schlussstriche“, hob Gerhard Ulrich hervor. „Ohne Erinnerung haben wir keine Zukunft.“ Die gegenwärtig weltweit zu erlebende Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen, Volksgruppen und Kulturen, die Kriege und Auseinandersetzungen dieser Tage seien auch ein Ergebnis von Vergessen und Verdrängen.
Landesbischof Ulrich: „Die Befreiung von der Schreckensherrschaft vor 70 Jahren darf uns nicht zufrieden und ruhig stellen. Erinnerung ist die Quelle der Hoffnung. Und Hoffnung ist Aufbruch, ist Aufstand gegen alles, was das Leben bedroht. Wir sind gesandt, aufzustehen gegen den Skandal der Ungleichheit in der Welt; gegen die Gewalt, die so unübersehbar viele Menschen in die Flucht treibt. Wer sich wirklich erinnert und sich erinnern lässt, der setzt sich ein für offene Grenzen, offene Herzen, für das Teilen dessen, was wir zum Leben haben.“
Erzbischof Heße: „Erinnerung verpflichtet uns zur Verantwortung heute“
Erzbischof Stefan Heße erinnerte an den evangelischen Lübecker Pastor Karl Friedrich Stellbrink, der 1943 zusammen mit drei katholischen Lübecker Geistlichen von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Die Nationalsozialisten hätten Hass und Feindschaft, Böswilligkeit und Krieg gesät. Und sie hätten Zerstörung geerntet und den Tod und das Leid vieler ziviler Opfer. „Pastor Stellbrink war mutig genug, dies beim Namen zu nennen, und damit den Appell nach Beendigung dieser Katastrophe, nach Umkehr zu verbinden“, so Heße.
Der Erzbischof betonte weiter: „Unsere Erinnerung bleibt nicht im Gestern und damals stehen. Sie verpflichtet uns vielmehr, im Heute unsere Verantwortung zu tragen.“
Zuvor hatten Landesbischof Ulrich und Erzbischof Heße gemeinsam mit dem Botschafter des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, Sir Simon McDonald, Landtagspräsident Klaus Schlie und Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe sowie Stadtpräsidentin Gabriele Schopenhauer die Gedenkkapelle im Südturm aufgesucht.
Annegret Wegner-Braun, Pastorin an St. Marien, zeigte den Gästen dort die in der Bombennacht 1942 zerstörten Glocken und das in der Kapelle angebrachte Nagelkreuz aus Coventry. Die Stadt und ihre Kathedrale waren 1940 durch deutsche Bomber zerstört worden. St. Marien zu Lübeck gehört seit 1971 zur weltweiten ökumenischen Nagelkreuzgemeinschaft, die sich für Frieden und Versöhnung einsetzt. Jeden Freitag wird hier die Friedenslitanei gebetet, die an die Verführbarkeit der Menschen und die Wurzeln von Krieg und Gewalt erinnert und zu Versöhnung aufruft.
Musikalisch gestaltet wurden Andacht und Gedenkfeier von Marinemusikkorps Kiel, Lübecker Knabenkantorei und Marienorganist Johannes Unger.