19. März 2023 | Hauptkirche St. Petri Hamburg

Ökumenischer Gedenkgottesdienst nach der Amoktat in Hamburg

19. März 2023 von Kirsten Fehrs

Ansprache

Liebe Gedenkgemeinde, liebe Geschwister,

eine ganze Stadt trauert. Voller Mitgefühl mit den Angehörigen der Getöteten und den Verletzten stehen wir hier gemeinsam, um der Trauer einen Ort zu geben – und eine aufrichtige Sprache. Mit Worten und mit Gesten.

Es braucht jetzt diesen – auch öffentlichen – Raum für unsere erschütterte Stadt. Zum Gedenken. Zum Trost. Zur Entlastung auch. Und fürs Gebet. Zutiefst berührt von dem Schmerz und erschrocken von dem maßlosen Hass, der sich in dieser grausamen Gewalttat entlud, halten wir mit leeren Händen Gott unser fassungsloses Entsetzen hin. Sieben Menschen sind getötet worden. Ein Ungeborenes darunter. Und der Täter nahm sich das Leben. Neun Menschen wurden schwer verwundet, viele bleiben traumatisiert zurück.

Und? Wo war Gott? – fragen wir doch unwillkürlich, wenn das Leben solch tiefe Wunden schlägt. Wenn ein geliebter Mensch jäh aus dem Leben gerissen wird und Angehörige und Freund:innen damit weiterleben müssen, ohne zu wissen wie. Wenn der Tod mit so viel Gewalt Herzen zerreißt.

Wo bist du Gott? Wenn ein Amokläufer wahllos um sich schießt und wütet und Menschenleben auslöscht … Wenn eine Stadt in Ausnahmezustand gerät und Angst um sich greift. Der Hass des Täters bleibt unfassbar, abgründig dieser Wahn. Verstörend auch, weil der Täter es schaffte, so unauffällig mitten unter uns zu leben. Wo bist du Gott, wenn Menschen so verwundet werden und man sie leiden sieht und so sehr man rettet, hilft, tröstet, dennoch ihre Untröstlichkeit fühlt.

Für mich, liebe Geschwister, war Gott genau da – in Ihnen anwesend. In Ihnen, den Mitmenschen mit den rettenden Händen und rettenden Worten. In Ihnen, die mit so viel Mut eingegriffen haben. Die mit Herz und Hingabe Leib und Leben riskiert haben, um noch Schlimmeres zu verhüten. Gott war da – in Ihnen, die Wunden verbunden, Tote geborgen, Erschrockene umarmt, Nachbar:innen beruhigt haben. Polizist:innen, Sanitäter:innen, Feuerwehrleute, Nachbar:innen, Kriseninterventionsteams, Ärzt:innen, Notfallseelsorgende. So beeindruckend professionell Sie alle – ja, und dabei doch auch mit einer Seele, die empfindsam ist. Sicherlich mit schockierenden Bildern in sich, die die meisten von uns sich gar nicht vorstellen können und die Zeit brauchen, verarbeitet zu werden.

Sie alle mit den rettenden Worten, Gedanken und Taten sind wie Licht in der Nacht und Trost in aller Untröstlichkeit. Und Sie zeigen für mich, dass selbst wenn Gott so fern und abwesend scheint, er dennoch seine Zeichen setzt. In einem alten Prophetenwort, das den heutigen Sonntag prägt, wird dies in hoffnungstrotzigen Sprachbildern ausgedrückt, die den Schreckensbildern von Alsterdorf Widerstand leisten. Gesprochen vor Tausenden von Jahren zu Menschen, die erschöpft waren vom Weinen und verzweifelt in ihrer Trauer.

Damit sie ja das Vertrauen nicht verlieren, heißt es beim Propheten Jesaja: „Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.“ Bei allem Bösen bloß nicht das Vertrauen aufkündigen, heißt dies, bloß nicht vergessen, dass das Böse durch das Gute überwunden werden kann.

Denn Gott bleibt an unserer Seite, unbeirrbar. Für viele ist das ein großer Trost, der hält, obwohl der Riss so tief ist. Trost, ja Zuversicht, die inmitten der Nacht weiß, dass es hinter dunklen Wolken immer einen Sternenhimmel gibt. Auch wenn ich ihn (noch) nicht sehen kann.

Liebe Geschwister, wir werden viel Kraft brauchen, auch in den nächsten Wochen und Monaten und Jahren. So viel Gewalt, so große Schuld lässt sich nur ganz allmählich erfassen und bewältigen. Und es ist eine gigantische Aufgabe, dass wir als Gesellschaft diese Wahnwelten, die solche Täter in sich aufbauen wie eine Mauer, rechtzeitig erkennen – um ihnen entschlossen entgegenzutreten und um einander zu schützen. Um des Friedens in dieser Stadt und in diesem Land willen.

Und deshalb ist es gut, dass wir heute zusammenstehen – als Mitmenschen, Mittrauernde, Mitbürgerinnen und Mitbürger in dieser Stadt. Zum Trost, den wir einander schenken in dieser aufwühlenden Situation. Aber auch im Zusammenhalt als widerständige Kraft gegen solch zerstörerische Wut.

Und so trauern wir – und wissen zugleich um das Licht, das uns in Zukunft leiten will. Im Blick die Kerzen, die wir zu Beginn entzündet haben. Sie erinnern uns an die Menschen, die im Schmerz nicht wissen wohin. Die mit traumatischen Bildern kämpfen. Und an die, die sich einsetzen für unsere Sicherheit und unseren Schutz. Sie alle.

Und so heißt es weiter bei Jesaja: „Tröstet, tröstet mein Volk.“ Möge dieser Trost unsere Herzen erreichen und neue Kraft geben. Indem wir hier und heute abgeben, was uns innerlich belastet. Die Klage und das Warum. Und indem wir – gemeinsam – das Vertrauen und den Glauben in uns stärken, dass das Böse nicht das letzte Wort haben wird, sondern die Zuversicht des Guten.

„Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.“
Amen.

Datum
19.03.2023
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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