6. Februar 2022 | St. Trinitatis Altona

Ordination im Sprengel Hamburg und Lübeck

06. Februar 2022 von Kirsten Fehrs

Predigt zu Matthäus 14,22-33

Liebe Ordinand:innen, liebe Festgemeinde,

und jetzt: los! Auf zu neuen Ufern. Das ist die wohl kürzeste und schönste Zuspitzung, die man dem heutigen Predigttext geben kann. An einem Ordinationssonntag, Startpunkt für Ihr Berufsleben als Pastorin oder als Pastor unserer Nordkirche. So gern gebe ich Ihnen das mit: los jetzt! Mit Rückenwind, Segen, mit Mut und Zuversicht. Und, so habe ich Sie alle kennen- und schätzengelernt, mit Ihrer Lust, etwas verändern zu wollen in dieser Kirche, mit Neugier auf Menschen und Orte, mit Ihrer Kompetenz und Ihrem Selbstvertrauen, ja, und mit Ihren kleineren oder größeren Aufregungen, die ja auch jedem Anfang innewohnen. Mit all dem: los jetzt, mit Glauben und Kleinglauben.

So, wie es die Jünger gemacht haben. Fahrt schon mal los, hat Jesus ihnen gesagt, ich brauche jetzt erst mal ein bisschen Pause. Gut so. Und so sind sie ins Boot gestiegen, pappsatt und zufrieden; schließlich hatten sie gerade die Speisung der 5.000 miterlebt. Alles ist gut – und die kleine Krise – so viele Leute und fast nichts zu essen – die haben sie doch gut mit Jesus zusammen bewältigt, oder?

Denn der nahm ja das Brot, dankte und brach’s – und gab’s ihnen. Und Ihnen. Denn das empfand ich bei unserem Gespräch in der Bischofskanzlei: Sie alle, ganz individuell, Sie sind so gut genährt mit dem Brot des Lebens, mit hellen Worten und Verheißungen, die Ihnen wirklich etwas bedeuten und die Sie leiten. Sie haben so viel in sich, was Sie anderen geben können. Also: Los jetzt, ihr seid gut vorbereitet. Studium, Zweifel, Vikariat, Umwege, Prüfungen – das alles ist jetzt vorbei, und vor Ihnen liegt die wirklich wunderschöne und oft so erfüllende Arbeit einer Pastorin, eines Pastors. Nun sind Sie es, die gemeinsam mit anderen im Boot sitzen und sagen können: Los jetzt, liebe Gemeinde, liebe Konfirmand:innen, liebe Brautpaare, liebe Teamer. Los jetzt, hinein ins Leben, mit Mut und Zuversicht, mit Segen. Und ja, lass es los jetzt, trauriger Mensch, was dir auf der Seele liegt und dich nicht zur Ruhe kommen lässt. Denn immer ist Christus an deiner Seite. Auch wenn du ihn in diesem Moment nicht sehen, erkennen, hören kannst – diese Worte bleiben gültig: Sei getrost, ich bin’s, sagt er, fürchte dich nicht.

Dafür sind wir da, wir Christinnen und Christen, wir als Kirche: diese Hoffnung spürbar werden zu lassen, dass es mehr gibt als das Sichtbare, mehr als das Mühsame, als das Endliche, mehr als Sturm und Angst. Es ist so wichtig, gerade jetzt, da die Coronapandemie das Leben immer noch, zwei Jahre schon, belastet und durcheinander wirbelt, immer neu, mühsam das.

Sie haben’s auch erlebt mit einem Vikariat, das mit so viel Improvisation verbunden war und mit vielen zweitbesten Lösungen. Sie haben es gut hinbekommen, das Beste daraus zu machen – einander im Blick zu behalten und nicht dem Flachbildschirm die Tiefe der Auseinandersetzung zu opfern.

Aber es gibt, das geht mir an einem Tag wie heute auch nach, auch die anderen. Sie, die ihre Schule, ihre Ausbildung, ihr Studium beginnen ohne die Orientierung, die andere einem geben. Ohne das Klönen, Kichern, Streiten, ohne Raucherecke und Abifest, Klassenfahrt und Semesterparty.

Ich bin derzeit mit vielen jungen Menschen im Gespräch, bin erschrocken, wie sehr ihnen das Lachen fehlt, dass sie unglücklich sind, allein, deprimiert. Sie suchen nach Sinn, und wie es werden soll mit einer so verletzten Schöpfung. All dies wie ein Gespenst auf hoher See. Der feste Boden unter den Füßen ist ins Wanken geraten. Auch ja in unserer Gesellschaft. Wir wissen nicht, wohin es geht. Ahnen nicht, welche Träume und Visionen uns in eine gute Zukunft führen. Jedenfalls: Dies immer weiter so, das trägt nicht mehr. Aber was dann? Was hält? Was auch hält uns zusammen? Es fühlt sich genauso an wie im Evangelium, als schwankten wir in den Corona-Wellen. Auf der Suche nach Kurs und innerem Kompass. Jüngst sagte ein Politiker zu mir: „Wir werden irre ohne Zuversicht!“ Zuversicht – sie muss dabei mehr sein als ein dahingesagtes Wort. Sie braucht die Kraft des geglaubten Wortes. Eben diese Stimme: Seid getrost und fürchtet euch nicht!

Denn natürlich kann das Leben stürmisch werden, Wind und Wellen können einem Angst machen. Ich weiß, dass ich Ihnen das nicht erklären muss. Auch unsere Kirche hat für dieses eigentlich ermutigende „Los jetzt!“ nicht immer eingängige Ausdrucksformen, jedenfalls haben Sie es so erlebt. Deswegen ist mir das heute so wichtig, klar zu sagen: Wir sind so froh, dass Sie da sind! Dass sie mit im Boot sitzen. Dass sie Verantwortung übernehmen in unserer Hoffnungsgemeinschaft, die für diese Gesellschaft trotz aller Kritik dennoch so wichtig ist.

Darauf kommt es doch an: Dass Menschen hoffnungsmutig sind und Verantwortung übernehmen. Sich nicht irgendeinem Schicksal ergeben. In diesen Tagen erinnert Hamburg sich an die große Sturmflut vor genau 60 Jahren. 315 Tote, 20.000 Obdachlose, 6.000 zerstörte Gebäude. Ein paar Gehminuten sind es nur von dieser St. Trinitatis-Kirche hinunter an die damals so wütende, bedrohliche Elbe. Chaosmacht pur, der das Leben, ja das Überleben abgerungen werden musste. Zu Füßen einer Kirche, die damals, 1962, gar nicht da war. Sie war im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört worden und wurde erst in den Sechzigerjahren wieder aufgebaut. Zerstörungsbilder trafen und treffen also in diesen Tagen aufeinander, die von der Verwundbarkeit des Lebens erzählen. Jetzt steht sie hier, diese Kirche, als sichtbare Erinnerung an den zugewandten Jesus, der seine Menschen in Sturm und Angst nicht allein lässt.

Im Februar 1962 war ich ein halbes Jahr alt, der Deich auch in Dithmarschen drohte zu brechen. Immer hat es mich berührt, wenn meine Mutter erzählte, wie sie sich mit Sack und Pack und uns vier Kindern wie alle anderen Wesselburener in die Bartholomäuskirche rettete, die erhöht auf einer Warft lag. Mein Vater legte mit den anderen Sandsäcke am Deich. Gemeinschaft der Hoffenden und Bangenden, alle in einem Boot. Gemeinschaft, die betete und hörte: Seid getrost, fürchtet euch nicht.

Diese Stimme auch heute wachzuhalten, in den Stürmen dieser Zeit, das ist unser Auftrag, liebe Geschwister. Und dies in unserer immer vielfältigeren Kultur bitte zusammen auch mit den Geschwistern aus den anderen Konfessionen, aber auch Religionen, die uns im zuversichtlichen Blick auf unsere Städte und Dörfer so eng verbunden sind.

Mit ihnen stehen wir etwa hier in Hamburg, aber auch in Lübeck, ganz dezidiert ein gegen Rechtsextremismus und gegen antisemitische Stimmen. Mit ihnen hoffen wir auf Frieden und Gerechtigkeit für die ganze Welt und beten dafür in unseren jeweiligen Traditionen. In diesen Tagen besonders, treibt uns doch die tiefe Sorge um die unerträglich gespannte Situation an der russisch-ukrainischen Grenze um! Sie lässt uns um den Frieden bangen und im Gebet zusammenrücken. In der Fürbitte gleich beten wir heute auch ganz bewusst mit Worten, die uns mit unseren russisch-orthodoxen Geschwistern verbinden. Denn Botschafterinnen und Botschafter des Friedens und der Versöhnung, das sind wir. Weil da diese Stimme ist, die auch im Sturm sagt: Seid getrost. Vertraut.

Petrus will das. Unbedingt.

Er gehört nicht zu den Mutigsten. Auch nicht zu den Friedfertigsten. Aber er ist treu – und er liebt diesen Jesus von ganzem Herzen. Und er hört: Komm! Du kannst das. Du kannst auf dem Wasser gehen. Du kannst auf diesem unsicheren, chaotischen Untergrund Halt finden. Du kannst leben, wo alles bedrohlich scheint. Und zuversichtlich bleiben. Du musst dich nicht schrecken lassen. Denn wenn du zu sinken drohst, dann streckt einer die Hand aus.

Das ist die Botschaft, für die wir stehen, liebe Gemeinde, die wir in unseren Kirchen feiern und um unsere Kirchen herum leben und verbreiten. Mit Bullysuppenküchen und inklusivster Integrationsarbeit. Mit offenen Ohren dafür, was Menschen bewegt. Mit Trostworten und mit dieser Ermutigung: Los jetzt. Du kannst. Weil du nicht allein bist. Weil dir einer entgegenkommt. Weil Gottes „Fürchte dich nicht!“ eben nicht nur zur Weihnachtszeit zählt, sondern auch in den Stürmen des Lebens.

Es mögen derer bitte nicht so viele sein in Ihrem Leben, liebe Ordinand:innen. Aber einige werden Sie schon durchstehen müssen und auch können – als Pastorin, als Seelsorgerin an der Seite eben der Suchenden, Fluchenden und Singenden. Gemeinsam in einem Boot mit all den Verschiedenen, die einen kundig der Stürme und die anderen kundig der Sterne. Vereint in der großen Geschichte Gottes, deren Teil Sie längst sind und mit einem Segen, der Ihnen fest versprochen ist. Und jetzt: Los! Sie werden freudig erwartet.
Amen

 

Datum
06.02.2022
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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