2. Oktober 2016 | Martin-Luther-Kirche zu Trittau

Orgelerntedanktag

06. Oktober 2016

Festgottesdienst zur Wiedereinweihung der neuen Orgel Erntedankfest, Predigt zu 2. Chronik 5

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt! Amen

Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ, ich bitt, erhör mein Klagen! Alles, was recht ist, liebe Festgemeinde, die Zeit des Klagens hat ein Ende! Vorbei die Zeit, als eine seufzende Orgel von einer ebenfalls seufzenden Organistin regelmäßig mit Klebeband geflickt werden musste. Vorbei die klagenden Töne einer Orgel, deren ausgeleierte Verbindungen nur noch übertroffen wurden von den zusammengestauchten Pfeifen, die kaum noch Luft bekamen… Nein, vorbei die Zeit der schrägen Töne – heute ist Orgelerntedanktag. Wohltönend begleitet von ihrem neuen Klang, Frucht gemeinsamer Bemühungen und nun geweiht und gesegnet! Ich freue mich sehr, dabei zu sein – allzumal mein Mann und ich ja selbst Paten und quasi selbst eine der 1.200 Pfeifen sind. Wobei wir uns eher an meiner als an seiner Größe orientiert haben: ein Flötentönchen mit drei „f“. Immerhin ist‘s die Kategorie „Strahlkraft“. Und? Wer empfände gerade heute nicht den Dank darüber, dass die Musik des Lebens mit all ihren Registern etwas so Freudiges ausstrahlt? Dankbarkeit ist heute die Grundmelodie.

Danken ist eine Melodie. Heute besonders, aber nicht nur. Sie ist überhaupt ein menschliches Grundbedürfnis. Ein tiefes inniges Gefühl, das es braucht, dass man ihm Luft macht. Weil es oft geboren wird im Moment überstandener Krise. Oder im Moment des Glücks, das einen heiß durchfährt.  “Thank you for everything, god!” „Grazie!“ „Dank dafür, dass wir vor größerem Unheil bewahrt wurden.“ „Danke, Gott, für meine tolle Familie, sagen Nils und Opa.“ All diese Sätze habe ich in den Gästebüchern unserer Kirchen gefunden; ich komme ja ziemlich herum. „Danke“ ist darin mit Abstand das häufigste Wort. Menschen allen Alters und aller Nationalität danken in allen Sprachen – für Bewahrung und Schutz, für Nähe, Trost und das Licht, für Orgeln und für den Organisten, der „heute allein für mich geübt hat“, sie danken für die Stille, für „de warme Kark“, dafür, dass die Flucht endlich vorbei ist, oder „ich nun endlich einen geliebten Schatz fürs Leben gefunden habe“. Und es ist anrührend zu lesen, wenn ein Mädchen dem Gästebuch anvertraut: „Lieber Christoph, ich vermisse dich. Aber ich freue mich, dass du im Himmel Freude hast. Ich habe eine Kerze für dich angezündet. Ich habe dich sehr doll lieb und ich bin fast acht. Tschüss und grüß da oben alle ganz doll von mir.“

All diese Worte lassen ganze Lebensgeschichten ahnen, liebe Gemeinde. Sie zeigen, dass sich die Menschen über die Zeiten hin mit ihren Sorgen und ihrem Glück anvertrauen möchten. Dass sie auf Wunder hoffen und auf ein gesundes Kind, dass sie vor Gott bringen wollen, was sie bewegt: Freude, Staunen, Liebe, Trauer, die oft tiefen Zweifel, die Ängste und - gerade doch jetzt! -  Friedenssehnsucht für diese Welt. Und dann eben immer wieder der Dank. All dies ausschnitthaft festgehalten, Tag für Tag, Jahr für Jahr, wie eine Chronik, die von vielen geschrieben viele Stimmen vereint zu einem Choral des Lebens.

Im Chronikbuch in der Bibel, vier Jahrhunderte vor Christus geschrieben, ist es genauso. Ich lese den Predigttext aus dem 2. Chronikbuch, 5. Kapitel:

Also wurde alle Arbeit vollbracht, die Salomo am Hause des Herrn tat. Und Salomo versammelte alle Ältesten Israels,… und es brachten die Priester die Lade des Bundes des Herrn  in den Chorraum des Hauses, in das Allerheiligste. Und alle Leviten, die Sänger waren – angetan mit feiner Leinwand – standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen. Und es war, als wäre es nur einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken den Herrn. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den Herrn lobte: „Danket dem Herrn, er ist gütig und seine Barmherzigkeit währt ewig!“, da wurde das Haus des Herrn erfüllt mit einer Wolke, so dass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten, denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes.

Zum Festgottesdienst der Tempelweihe – Gott, welch erhabener Bau! – ziehen unzählige Leviten fein gewandet ein. Sie singen in allen Sprachen ihr Kyrie und Gloria, und Credo dazu, begleitet von Musik, allein 120 (!) Trompeten, mein Gott, alles geht drunter und drüber vor lauter Glück! Es singt, trompt und rasselt überall.

Und mit einem Mal ist da ein besonderer Moment, der über sich selbst hinauszuweisen scheint. Ein Klang, der alles, was da durcheinander geht, zusammen bringt. Ein Klang, der die Menschen innehalten lässt und sie verändert. So als wäre es nur eine Trompete und nur eine Stimme, die mit ihrer Schönheit alles durchdringt und ansetzt zum Dankeschoral. Und genau in diesem Moment des Unisono - wo sich tatsächlich einmal diese eine Gemeinde ganz einig ist! - da erscheint der Geist Gottes in der Wolke. So unantastbar heilig ist dies, dass selbst die Priester nicht mehr hinzutreten können. Da ist nur noch Raum für ihn, Gott in der Wolke und Gott in diesem einen, unfassbar schönen, alles tragenden Ton….

Danket dem Herrn, mit Psalter und Harfen! So steht es in der Chronik damals und so schreibt es die Trittauer Orgelfestschrift heute fort. Denn immer wieder ist es die Musik der Königin Orgel, die die Menschen allen Alters zutiefst berührt. Kürzlich begegnete ich nach einem Gottesdienst einem etwa 17-jährigen Mädchen. Noch nie in ihrem Leben sei  sie in einer Kirche gewesen, sagte sie. Und sie sei so begeistert. Nicht unbedingt von der Predigt. Sondern von diesem Klang, dieser großen Musik. Noch nie hätte sie eine Orgel gehört. Sie hätte fast geheult, weil ihr war, als würde jemand mit ihr reden, der sie mag und versteht.

Ich wünschte, sie wäre auch heute hier. So feinsinnig und zugleich imposant ist der Klang der Orgel! Und so viele haben daran mitgetan. Habe alle Register gezogen. Über vier Jahre lang. Danke, sage ich von ganzem Herzen, für die neu klingenden Trompeten, Zungen, Pfeifen und Mixturen. Dank denen, die das ermöglicht haben durch ehrenamtlichen Einsatz, Spenden und Patenschaft; dank denen, die das zustande gebracht haben durch ihre fachkundige Begleitung und die mit ihrer Kunst das Instrument zum Klingen bringen, liebe Orgelbauer der Firma Weimbs; dank der Organistin, liebe Frau Fischer, was wären wir ohne Sie!, und dank all der Sänger und Sängerinnen mit ihrer wunderbaren Chormusik (Applaus für alle)  -  und vor allem: Dank dem, dem die Orgel zum Lobe gespielt wird.

Denn solche Musik gibt Gott die Ehre. „Musicam habe ich allzeit lieb gehabt“, sagt Martin Luther. Und fährt fort: „Denn die Musik ist eine Gabe und ein Geschenk Gottes, nicht ein Menschengeschenk. Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Fröhlichen traurig, die Verzagten herzhaft zu machen, die Hoffärtigen zur Demut zu reizen, die hitzige und übermäßige Liebe zu stillen und zu dämpfen, den Neid und den Hass zu mindern.“

Was für eine Botschaft in dieser streitbaren, warum bloß so verängstigten Gesellschaft! Musik ist die Friedensbotschaft selbst. Kein schmückendes Beiwerk zum Wort, zu den „Priestern“. Sie ist selbst eine eigene Sprache des Glaubens. Und so vermag die Musik oft für Menschen die eine Stimme zu sein, die die aufgewühlte Seele erreicht mit Gottes Wort und seinem Trost. Sie vermag die eine Stimme zu sein mit klarem Ton, die uns auf einer Ebene berührt, wo das Sehnen ist und das Hoffen. Und liebe Gemeinde, diese Sprache des Glaubens können wir nun mit allen Registern verkünden, die diese Orgel wieder zu bieten hat, einschließlich des Registers der Lebensfreude.

Und wenn man sie dann so in sich hineinsingen lässt, diese Musik des Lebens, kann sie einen so ruhig machen. Und klar. So friedensleis. Es ist, als würden Angst und Bestürzung über die Schrecken der Welt in dem Maße weichen, wie der Ton Gottes Raum gewinnt. In dieser Kirche. Aber auch in uns selbst. Es ist dies die andere Wirklichkeit, die die Welt durchdringt. Eben die Wirklichkeit Jesu Christi, der uns liebt und mit jedem Evangelium sagt. „Du bist mein Augenstern. Wieso sollte ich dich nicht mit Gnade anschauen?!“

Deshalb eine Orgel. Wir sollen singen. Gottes Ton hinaus bringen in die tobende Welt. Damit all die Belasteten, Getriebenen und Verfolgten unserer Zeit hören von der Gnade, die niemals aufhört. Damit sie hoffen, in allen Sprachen und Religionen: ER, wie immer er angerufen wird, ER ist Gnade. In Dunkelheit und im Schmerz und in der Liebe.

„Gracias, lieber Gott“, schreibt Maria ins Gästebuch, „ich habe alles gut überstanden.“ Gracias. Aus den vielen Worten, die gesprochen und in den Chroniken der Moderne geschrieben sind, verdichtet sich's in diesem einen Wort. Heute, am Erntedanktag. So wie die vielen Pfeifen, Zimbeln und Zungen sich fanden in dem einen Ton: Gracias - danke, und gratias, die Gnade.

Dank und Gnade sind eins. Gerade doch heut´!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

Datum
06.10.2016
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