18. April 2022 | Dom Greifswald

Jona und der Wal in der Kirche

18. April 2022 von Tilman Jeremias

Ostermontag, Predigt zum Jonabuch und der Kunstausstellung eines Wals im Greifswalder Dom

Liebe Gemeinde,

sicher werden sich viele von Ihnen noch an den vergangenen Sommer erinnern können, als hier im Dom ein gewaltiger Wal lag, der bei den Besucherinnen und Besuchern für erhebliches Aufsehen sorgte. Es handelte sich um einen Abguss eines vor Australien gestrandeten Tiers, ein Kunstwerk des israelischen Künstlers Gil Shachar. Mit seinen 14 Metern Länge war dieser Wal allein aufgrund seiner Größe schon ein sehr beachtlicher Hingucker.

Ein Wal in einer Kirche? Viel wurde im Rahmen der Ausstellung damals gesagt und geschrieben. Zum Beispiel, dass man angesichts dieses riesigen Geschöpfs merkt, wie klein und beschränkt ein Mensch doch daherkommt. Und wie groß der Schöpfer selbst. Die Erinnerung an das biblische Ur-Meerungeheuer Leviathan wurde wach. Vor allem aber war die Jonageschichte präsent. Der Prophet, der vom Wal verschlungen und nach drei Tagen wieder ausgespeit wird.

Ich freue mich sehr, dass unsere neue Leseordnung für den Ostermontag einen wichtigen Teil des Jonabuches als Predigttext vorsieht, nämlich den Psalm, den Jona anstimmt, als er sich im Bauch des Riesenfisches befindet.

Bevor ich diesen Predigttext lese, eine kurze Erinnerung an die Vorgeschichte. Jona wird von Gott nach Ninive geschickt, der Hauptstadt des assyrischen Weltreichs. Diese Weltmacht hat auch große Teile Israels erobert und viele Menschen ausgelöscht. Ninive wird kurz als groß und böse charakterisiert. Jona soll ihr ihren Untergang durch Gottes Tun ankündigen.

Doch Jona möchte dieser undankbaren Aufgabe entkommen. Er will vor Gott fliehen und heuert in Jaffa, südlich von Tel Aviv gelegen, auf einem Schiff an. Doch Gott schickt einen gewaltigen Sturm, als das Schiff auf See ist. Die interreligiöse Schiffsmannschaft ruft je ihren eigenen Gott um Rettung an, während Jona in seiner Koje liegt und schläft.

Die frommen Matrosen vermuten zu Recht, dass hinter diesem Unwetter göttlicher Zorn steckt. Sie losen, um den Schuldigen an ihrer Todesnot zu ermitteln. Das Los fällt auf Jona. Und so werfen die Seeleute Jona über Bord, um selbst zu überleben. Sogleich legt sich der Sturm und die See ist ruhig.

Jona ist dem Tod geweiht. Aber Gott sendet nun den großen Fisch, der ihn zu seiner Rettung verschlingt. Bei dem Gebet, das Jona jetzt im Bauch des Fisches anstimmt, geht es also um nicht weniger als um Leben und Tod. Und Jona singt wie in allen Psalmen von weit mehr als nur seiner persönlichen Rettung. Er dankt Gott so, dass viele, die Ähnliches erzählen können, sich in diesen Dankesworten wiederfinden können. Ich lese aus Jona 2:

Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst,
und er antwortete mir.
Ich schrie aus dem Rachen des Todes,
und du hörtest meine Stimme.

4Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer,
dass die Fluten mich umgaben.
Alle deine Wogen und Wellen
gingen über mich,

5dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen,
ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen.
Wasser umgaben mich bis an die Kehle,
die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt.

7Ich sank hinunter zu der Berge Gründen,
der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich.
Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt,
Herr, mein Gott!

8Als meine Seele in mir verzagte,
gedachte ich an den Herrn,
und mein Gebet kam zu dir
in deinen heiligen Tempel.

9Die sich halten an das Nichtige,
verlassen ihre Gnade.

10Ich aber will mit Dank
dir Opfer bringen.
Meine Gelübde will ich erfüllen.
Hilfe ist bei dem Herrn.

Der Prophet gibt all denjenigen eine Stimme und Worte, die wie er aus dem Rachen des Todes zu Gott schreien. Hier geht es nicht um eine wohlgesetzte Bitte an Gott für eine Verbesserung hier oder dort. Hier geht es um das nackte Leben. Und kaum eindringlicher kann man solch eine Todesgefahr schildern als mit dem drohenden Ertrinken. In biblischen Zeiten standen die Tiefen des Meeres generell für die bedrohliche Macht des Todes. Dort schließen sich die Riegel der Erde hinter mir, dort bin ich gefangen im Todesreich.

Wie dramatisch, wenn das Wasser steigt bis zur Kehle, wenn der Tang mich schon einschließt wie eine Wasserleiche! Nicht nur Menschen, die Seenot kennen oder schon einmal von einer Ostseeströmung erfasst wurden, können hier unmittelbar mitempfinden, worum es geht, um die elementare Bedrohung der gesamten eigenen Existenz.

Jona tut, was nicht nur Glaubende tun in solch einer Lage: Er ruft zu Gott in seiner Angst. Er schreit aus dem Rachen des Todes. Und kann wenig später dankbar bekennen: Du, Gott, hast mein Leben aus dem Verderben geführt. Er weiß genau, wem er seine Lebensrettung zu verdanken hat. Sein Gebet wandelt sich vom Schrei in Todesnot zum Vertrauenslied. Nicht irgendeine Nichtigkeit kann aus dramatischer Lebensgefahr befreien, Gott selbst allein vermag es.

Das ist höchste hebräische Poesie, kraftvolles Gebet, ein Gesang für alle Menschen, die Todesängste auszustehen haben. Und schon deshalb auch ein Osterlied.

Das Ende der Geschichte ist bekannt: Nach drei Tagen wird der Prophet wieder an Land gespuckt. Nun geht er nach Ninive, predigt der bösen Stadt den Untergang. Doch zur Überraschung des Lesers und zum Frust des Jona bleibt das göttliche Vernichtungsspektakel aus. Ninive kehrt um, tut Buße, geht in Sack und Asche. Und Jona muss wieder lernen, dieses Mal, dass Gottes Güte stärker ist als seine Androhung des Gerichts.

Warum bedenken wir den eindrücklichen Psalm des Jona nun ausgerechnet an Ostern? Dazu lese ich ein paar Verse aus dem Matthäusevangelium im zwölften Kapitel:

Da antworteten ihm einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprachen: Meister, wir wollen ein Zeichen von dir sehen. 39Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht fordert ein Zeichen, und es wird ihm kein Zeichen gegeben werden außer dem Zeichen des Propheten Jona. 40Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein.41Die Leute von Ninive werden auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona. 

Das Zeichen des Jona ist nach Jesu Auskunft das einzige Zeichen für eine Generation, die ihre Bosheit mit ihrer Forderung nach einem Zeichen unter Beweis stellt. Hier ist nun der Bauch des Fisches nicht der Ort der Rettung, an dem Jona sein heißes Gebet an Gott richtet. Hier bei Jesus wird dieser Bauch selbst zum Bild für die Schattenwelt des Todes. Jona muss drei Tage und drei Nächte hier verbringen, bevor neues Leben an Land beginnen kann. Jesus besucht diese Schattenwelt nach seinem Tod. Drei Tage ist er hinabgestiegen in das Reich des Todes, bevor Gott ihn auferweckt und damit seinen Sieg über alle Todesmächte erringt. Der Wal ist also ein ambivalentes Tier: Ort der Rettung für Jona, aber gleichzeitig auch Sinnbild der erbarmungslosen Macht des Todes. Das Zeichen des Jona weist auf die Auferstehung Jesu und sagt: Diese Macht des Todes ist durch Gottes Lebenskraft gebrochen.

Und spätestens hier sind wir jetzt in Mariupol angekommen, in den ukrainischen U-Bahnschächten, in den zerstörten Krankenhäusern und Kindergärten, bei den Menschen, die Tag für Tag um ihr Leben bangen müssen. Bis vor zwei Monaten haben wir vielleicht noch müde gelächelt über eine biblische Formulierung wie die, dass Ninive groß und böse sei. Jetzt schaut uns die Fratze des Bösen unmittelbar an in den brutalen Morden von Butscha, in der sinnlosen Zerstörungswut, in Mordlust und Kriegsverbrechen. Wer von den geplagten Menschen in der Ukraine den Gesang des Jona kennt, mag ihn nutzen, um zu Gott zu schreien aus dem Rachen des Todes, andere Worte tun es auch.

Die Erfahrung lehrt: Die Rettung, die Jona erlebt, die hunderttausende Geflüchtete erleichtert erleben, sie ist nicht allen vergönnt. Der Tod wartet auf uns alle. Aber seit dem frühen Ostermorgen hat er seine Endgültigkeit verloren. Jesus lebt. Die Lebenskraft Gottes ist mehr als alle Todesmacht. Der Diktator und seine Schergen haben noch eine kleine Zeit, dann müssen sie abtreten. Die Opfer werden ins Recht gesetzt. Neues Leben beginnt in Gottes Friedensreich.

Der Beginn solch neuen Lebens, auch das sagt das Zeichen des Jona, geschieht mit der Umkehr. Ninive tut Buße, bereut. Ein unmissverständlicher Wink für die selbsternannte Weltmacht Russland: Der Krieg ist keine Notwendigkeit. Umkehr ist möglich, wenn auch selbst sicherlich lebensgefährlich: soldatische Befehlsverweigerung, Protest, Widerstand gegen den unmenschlichen Krieg, Einsatz für den Frieden.

Auch wenn der Wal im Dom nur stiller Zeuge war, hätte er doch so viel erzählen können.     

Amen.

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