Landesbischof Dr. Andreas vom Maltzahn, Schwerin

Osterpredigt zu Mt 28, 1-10 Ostersonntag, 24.4.2011 im Dom zu Schwerin

24. April 2011 von Andreas von Maltzahn

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Voll Trauer waren die Frauen auf dem Weg zum Grab: Den Tod ihres Meisters hatten sie  noch gar nicht begriffen: Nicht allein die furchtbare Kreuzigung! Ihr gemeinsames Leben in  Galiläa, das, was sie mit Jesus auf dem Weg nach Jerusalem erlebt hatten  –  alles schien  durchkreuzt. Den Himmel hatten sie offen gesehen. Nun blickten sie in den Abgrund der  Sinnlosigkeit. Der, den sie für den Sohn Gottes gehalten hatten – ausgelöscht! Kein Platz auf  der Erde für ihn und seine Art, aus Gott zu leben! 

Die beiden Frauen gehen zum Grab, um zu weinen, ohne Hoffnung. Aber was sie dann  erleben, verändert alles. Ein Bote Gottes sagt: Jesus, der Gekreuzigte, ist auferweckt. In  Galiläa würden sie ihn sehen. Hier im leeren Grab sei er nicht zu finden. Den Jüngern sollten  sie es sagen.  

Mit dem Tod ist doch nicht alles aus? Der Tod – doch nicht todsicher, doch nicht das letzte  Wort? Wenn am Ende doch die Liebe recht behält und nicht die Gewalt?  Wenn doch die  Wahrheit siegt über die Lüge und Gott sein wird alles in allem?

Österlicher Zweifel an der Allmacht des Todes! Kaum zu glauben, aber nicht totzukriegen  dieser respektlose Zweifel an der Herrschaft des Todes! 

Fragt man nach dem historisch Greifbaren der Ostererzählungen, so ist es vor allem der  Osterglaube der Frauen. Wer hier hätte erfinden wollen, hätte die erste Ostererfahrung  Männern ins Drehbuch geschrieben, den Jüngern z. B. – nicht Frauen, deren Aussage in der  damaligen Welt wenig, bei Befragung vor Gericht nichts galt.

Maria Magdalena und die andere Maria eilen fort vom Grab. Auf dem Weg zu den Jüngern  begegnen sie dem Auferstandenen. Sie fallen nieder, berühren seine Füße, beten ihn an. Und  hören wieder: ‚In Galiläa werdet ihr mich sehen. Sagt’s den Brüdern!’ 

‚Den Brüdern!’, hatte Jesus gesagt. Wie tröstlich nach all dem Versagen, nachdem sie  fortgerannt waren, ihn verleugnet hatten  – in den Augen Jesu waren sie noch immer seine  Brüder, immer noch mit ihm geschwisterlich verbunden. Der am Kreuz seinen Peinigern  vergeben hatte, wusste auch für sie einen Weg zu erneuerter Gemeinschaft. 

Jesus war tot und ihnen nun doch begegnet. Was würden die Jünger dazu sagen? Egal, in  Galiläa würden sie alles verstehen. Im heidnischen Galiläa, wo alles begonnen hatte: Jesu  Wirken und Predigen; wo sein Ruf ihr Leben verwandelt hatte, sie mit ihm gezogen waren,  alles hinter sich lassend; wo sie erlebt hatten, wie er heilte und tröstete, Unrecht beim Namen  nannte und Hoffnung stiftete; wo er der Sehnsucht ihres Lebens eine Richtung gegeben hatte  hin auf das Reich Gottes. . . In Galiläa würden sie erfahren, wie es weitergehen sollte.

Liebe Gemeinde, die Wirklichkeit der Auferstehung erschließt sich nicht an Gräbern  – und  seien sie auch leer. Die Freundinnen und Freunde Jesu werden von seinem Grab fortgewiesen, weil sie in eine Geschichte neuer Erfahrungen eintreten sollen. Dort soll es geschehen, wo sie  ihre Aufgaben haben, in ihrem Alltag, der nicht alltäglich bleibt. Denn die Sache Jesu geht  weiter. In dieser Bewegung erfahren sie Ostern, den lebendigen Gott.

Also, weg von den Wallfahrtsorten, Denkmälern, ehrwürdigen Gräbern – hin zu den Orten,  wo Christenmenschen ihre Aufgaben haben!  Hinein in die Bewegung Gottes! Wo Menschen  zu Nächsten werden, Trost und Hoffnung brauchen, wo für Gerechtigkeit und Versöhnung zu  sorgen ist – dort erschließt sich, was Auferstehung bedeutet: Neues Leben, das Geschenk ist  und Auftrag zugleich. Neues, ewiges Leben.

Was macht uns dessen gewiss?

Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart nennt zweierlei Wissen . . . vom ewigen Leben 

Das eine kommt daher, dass Gott selber es dem Menschen sage oder es ihm durch einen  Engel entbiete oder durch eine besondere Erleuchtung offenbare. Dies (jedoch) geschieht  selten und nur wenigen Menschen.   
Das andere Wissen ist ungleich besser und nützer und wird allen vollkommen liebenden  Menschen oft zuteil: das beruht darauf, dass der Mensch aus Liebe und vertraulichem  Umgang, den er mit seinem Gott hat, ihm so völlig vertraut und seiner so sicher ist, dass er  nicht zweifeln könne, und er dadurch so sicher wird, weil er ihn unterschiedslos in allen  Kreaturen liebt . . 

Eingebungen mögen trügen; Gott in seiner Treue trügt nicht, ist Eckhart überzeugt.

Die Liebe also ist der Schlüssel: Die Liebe zu Gott, die sich selbst geliebt weiß. Die Liebe ist  der Schlüssel zum ewigen, bleibenden Leben – wie es in Richards Taufspruch heißt:

Wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat.
Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.                                                                                                                (1.Joh 4,16)  
                                                                                                    

Welche Nachricht:
Unsere Toten finden ihre Bleibe im Frieden Gottes. Denn nichts kann sie – und uns – von seiner Liebe trennen, nicht einmal der Tod. Sie sind gestorben, aber in Gott  erwachen sie zu neuem Leben.

Wer an seinen eigenen, näher rückenden Tod mit Sorge denkt, auch angesichts dessen,  was er versäumt hat – der lasse sich gesagt sein: Gott weiß auch mit den Fragmenten  deines Lebens etwas anzufangen. Die Liebe ist eine Meisterin darin, Teile für’s Ganze  zu nehmen. Und wenn dir deine Liebe zu schwach erscheint – Gottes Liebe bleibt! 

Wenn du müde geworden bist in deinem Gottvertrauen, die Flügel deiner Sehnsucht  matt geworden sind – sei ohne Sorge und stärke dich an dem Glauben der Schwestern  und Brüder, wie er dir zum Beispiel in den Liedern begegnet, die wir singen. Lass dich  tragen vom Glauben der anderen, bis deiner wieder Kraft gewinnt.

Das gehört doch zum Schatz der Erfahrungen unter uns:
Da hat eine Seele gelitten in depressiver Nacht, doch heute ist sie wieder heil und  gesundet. Die Liebe hat hindurchgetragen.

Da kann man die Orientierung in seinem Leben für lange Zeit verlieren,  fühlt sich  gescheitert, weil Beziehungen zerbrochen sind – und findet eines Tages wieder Tritt und  vermag die Hoffnung wieder mit Namen zu nennen.

Geschenk ist Ostern – und Auftrag. Im heidnischen Galiläa hören die Frauen und Männer um  Jesus, wofür sie leben sollen: Weitertragen sollen sie – und wir! – den österlichen Zweifel an  der Allmacht des Todes. Weitersagen sollen sie und wir die österliche Botschaft, dass der  letzte Feind des Lebens keine endgültige Macht besitzt. Lehren sollen sie und wir, was Jesus  wichtig war:
• das Gottesreich mit seiner Gerechtigkeit  – danach zu trachten, etwas davon  Wirklichkeit werden zu lassen und sich alles andere zufallen zu lassen;
• Gott zu lieben mit ganzer Seele, ganzer Kraft und von ganzem Gemüt – ihn auch zu  lieben in allen seinen Geschöpfen;
• in der Hingabe an ihn und an die Menschen, die uns brauchen, den Sinn unseres  Lebens zu finden;
• verbindlich zu leben in einer Welt, in der Menschen dabei sind, bindungsunfähig zu  werden  – verbunden zu leben mit Gott und in seiner Kirche, zuerst und für immer  gehalten durch die Taufe;
• all dies in der Gewissheit, dass der Christus bei uns ist an allen Tagen unseres Lebens.

Was das konkret heißen könnte  – nicht im heidnischen Galiläa, sondern im Mecklenburg  unserer Tage?   

Mein Herzenswunsch zu Ostern ist, dass wir als Gemeinde, als Kirche wieder mehr  ‚Bewegung’ sein wollen! Bewegung Jesu Christi! Bewegt von seinem Geist, sehnsüchtig und  hungrig nach der Lebendigkeit, die jenseits unserer institutionellen Sicherheiten beginnt!   Dass wir uns nicht fesseln lassen von Ordnungen und Strukturen, auf deren Optimierung wir  viel Zeit verwenden, dass wir uns nicht erschöpfen in der Sorge um unsere Gebäude – und  seien sie noch so erhaben  –, sondern dass wir unserer Leidenschaft für Gott freien Lauf  lassen.  Dass wir nicht nur ‚einladende Kirche’ sein wollen und also stillschweigend immer  noch erwarten, dass die anderen zu uns kommen mögen, sondern dass wir tatsächlich mit den  Menschen unterwegs sind auf der Reise des Lebens, im tiefsten unterwegs  zu Gott, dem  Geheimnis der Welt.  Dass wir frei davon reden, was unserem Leben Kraft gibt  – in der  Familie, im Freundeskreis, auf der Arbeit  – und am besten so leben, dass man uns danach  fragt. Eine Bewegung hat Jesus gestiftet. Sein ganzes Leben galt dem Gottesreich, galt dem  Menschen, wie er von Gott geträumt worden war, galt einem wahrhaft menschlichen  Miteinander. 

Schwestern und Brüder, diese Bewegung überschreitet die Grenze des Binnenkirchlichen. Sie  hat Hoffnung auch für gesellschaftliche Veränderungen. Der Impuls, ‚Gott in allen  Geschöpfen zu lieben’, vermag auch unser Erschrecken über die furchtbaren Ereignisse dieser  Wochen und Tage in Japan zu verwandeln: Endlich ernst zu machen mit einem Kurswechsel  in der Energiepolitik! Nicht nur einige Atomkraftwerke abzuschalten, sondern unsere  Lebensweise und die Art, wie wir wirtschaften, zu überprüfen und zu verändern! Über  Parteigrenzen hinweg haben wir jetzt die Chance, einen neuen gemeinsamen Weg  einzuschlagen – aus Liebe zum Leben und zu Gott, in Verantwortung für die Geschöpfe, die  diese Erde nach uns bewohnen werden. 

Von den Gräbern überholter Einstellungen fort nimmt uns die österliche Bewegung Jesu mit  in ein Neues, lässt uns eintreten in eine Geschichte neuer Erfahrungen  – gesellschaftlich, kirchlich, geistlich. Man muss es nicht so überschwänglich sagen wie Starez Sossima in den  „Brüder Karamasoff“, der riet: 

Liebe die Erde und küsse sie. Küsse die Erde unermüdlich. . . Liebe alle und alles . . . Und  halte deine Begeisterung hoch, denn sie ist ein großes Geschenk Gottes . . .

Doch eins zu werden mit allem, was lebt, teilzunehmen an der Bewegung der Liebe in der  Welt – dazu helfe uns Gott.                                                                                     

 Amen.

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