Osterpredigt zu Mt 28, 1-10 Ostersonntag, 24.4.2011 im Dom zu Schwerin
24. April 2011
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Voll Trauer waren die Frauen auf dem Weg zum Grab: Den Tod ihres Meisters hatten sie noch gar nicht begriffen: Nicht allein die furchtbare Kreuzigung! Ihr gemeinsames Leben in Galiläa, das, was sie mit Jesus auf dem Weg nach Jerusalem erlebt hatten – alles schien durchkreuzt. Den Himmel hatten sie offen gesehen. Nun blickten sie in den Abgrund der Sinnlosigkeit. Der, den sie für den Sohn Gottes gehalten hatten – ausgelöscht! Kein Platz auf der Erde für ihn und seine Art, aus Gott zu leben!
Die beiden Frauen gehen zum Grab, um zu weinen, ohne Hoffnung. Aber was sie dann erleben, verändert alles. Ein Bote Gottes sagt: Jesus, der Gekreuzigte, ist auferweckt. In Galiläa würden sie ihn sehen. Hier im leeren Grab sei er nicht zu finden. Den Jüngern sollten sie es sagen.
Mit dem Tod ist doch nicht alles aus? Der Tod – doch nicht todsicher, doch nicht das letzte Wort? Wenn am Ende doch die Liebe recht behält und nicht die Gewalt? Wenn doch die Wahrheit siegt über die Lüge und Gott sein wird alles in allem?
Österlicher Zweifel an der Allmacht des Todes! Kaum zu glauben, aber nicht totzukriegen dieser respektlose Zweifel an der Herrschaft des Todes!
Fragt man nach dem historisch Greifbaren der Ostererzählungen, so ist es vor allem der Osterglaube der Frauen. Wer hier hätte erfinden wollen, hätte die erste Ostererfahrung Männern ins Drehbuch geschrieben, den Jüngern z. B. – nicht Frauen, deren Aussage in der damaligen Welt wenig, bei Befragung vor Gericht nichts galt.
Maria Magdalena und die andere Maria eilen fort vom Grab. Auf dem Weg zu den Jüngern begegnen sie dem Auferstandenen. Sie fallen nieder, berühren seine Füße, beten ihn an. Und hören wieder: ‚In Galiläa werdet ihr mich sehen. Sagt’s den Brüdern!’
‚Den Brüdern!’, hatte Jesus gesagt. Wie tröstlich nach all dem Versagen, nachdem sie fortgerannt waren, ihn verleugnet hatten – in den Augen Jesu waren sie noch immer seine Brüder, immer noch mit ihm geschwisterlich verbunden. Der am Kreuz seinen Peinigern vergeben hatte, wusste auch für sie einen Weg zu erneuerter Gemeinschaft.
Jesus war tot und ihnen nun doch begegnet. Was würden die Jünger dazu sagen? Egal, in Galiläa würden sie alles verstehen. Im heidnischen Galiläa, wo alles begonnen hatte: Jesu Wirken und Predigen; wo sein Ruf ihr Leben verwandelt hatte, sie mit ihm gezogen waren, alles hinter sich lassend; wo sie erlebt hatten, wie er heilte und tröstete, Unrecht beim Namen nannte und Hoffnung stiftete; wo er der Sehnsucht ihres Lebens eine Richtung gegeben hatte hin auf das Reich Gottes. . . In Galiläa würden sie erfahren, wie es weitergehen sollte.
Liebe Gemeinde, die Wirklichkeit der Auferstehung erschließt sich nicht an Gräbern – und seien sie auch leer. Die Freundinnen und Freunde Jesu werden von seinem Grab fortgewiesen, weil sie in eine Geschichte neuer Erfahrungen eintreten sollen. Dort soll es geschehen, wo sie ihre Aufgaben haben, in ihrem Alltag, der nicht alltäglich bleibt. Denn die Sache Jesu geht weiter. In dieser Bewegung erfahren sie Ostern, den lebendigen Gott.
Also, weg von den Wallfahrtsorten, Denkmälern, ehrwürdigen Gräbern – hin zu den Orten, wo Christenmenschen ihre Aufgaben haben! Hinein in die Bewegung Gottes! Wo Menschen zu Nächsten werden, Trost und Hoffnung brauchen, wo für Gerechtigkeit und Versöhnung zu sorgen ist – dort erschließt sich, was Auferstehung bedeutet: Neues Leben, das Geschenk ist und Auftrag zugleich. Neues, ewiges Leben.
Was macht uns dessen gewiss?
Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart nennt zweierlei Wissen . . . vom ewigen Leben
Das eine kommt daher, dass Gott selber es dem Menschen sage oder es ihm durch einen Engel entbiete oder durch eine besondere Erleuchtung offenbare. Dies (jedoch) geschieht selten und nur wenigen Menschen.
Das andere Wissen ist ungleich besser und nützer und wird allen vollkommen liebenden Menschen oft zuteil: das beruht darauf, dass der Mensch aus Liebe und vertraulichem Umgang, den er mit seinem Gott hat, ihm so völlig vertraut und seiner so sicher ist, dass er nicht zweifeln könne, und er dadurch so sicher wird, weil er ihn unterschiedslos in allen Kreaturen liebt . .
Eingebungen mögen trügen; Gott in seiner Treue trügt nicht, ist Eckhart überzeugt.
Die Liebe also ist der Schlüssel: Die Liebe zu Gott, die sich selbst geliebt weiß. Die Liebe ist der Schlüssel zum ewigen, bleibenden Leben – wie es in Richards Taufspruch heißt:
Wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat.
Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. (1.Joh 4,16)
Welche Nachricht:
Unsere Toten finden ihre Bleibe im Frieden Gottes. Denn nichts kann sie – und uns – von seiner Liebe trennen, nicht einmal der Tod. Sie sind gestorben, aber in Gott erwachen sie zu neuem Leben.
Wer an seinen eigenen, näher rückenden Tod mit Sorge denkt, auch angesichts dessen, was er versäumt hat – der lasse sich gesagt sein: Gott weiß auch mit den Fragmenten deines Lebens etwas anzufangen. Die Liebe ist eine Meisterin darin, Teile für’s Ganze zu nehmen. Und wenn dir deine Liebe zu schwach erscheint – Gottes Liebe bleibt!
Wenn du müde geworden bist in deinem Gottvertrauen, die Flügel deiner Sehnsucht matt geworden sind – sei ohne Sorge und stärke dich an dem Glauben der Schwestern und Brüder, wie er dir zum Beispiel in den Liedern begegnet, die wir singen. Lass dich tragen vom Glauben der anderen, bis deiner wieder Kraft gewinnt.
Das gehört doch zum Schatz der Erfahrungen unter uns:
Da hat eine Seele gelitten in depressiver Nacht, doch heute ist sie wieder heil und gesundet. Die Liebe hat hindurchgetragen.
Da kann man die Orientierung in seinem Leben für lange Zeit verlieren, fühlt sich gescheitert, weil Beziehungen zerbrochen sind – und findet eines Tages wieder Tritt und vermag die Hoffnung wieder mit Namen zu nennen.
Geschenk ist Ostern – und Auftrag. Im heidnischen Galiläa hören die Frauen und Männer um Jesus, wofür sie leben sollen: Weitertragen sollen sie – und wir! – den österlichen Zweifel an der Allmacht des Todes. Weitersagen sollen sie und wir die österliche Botschaft, dass der letzte Feind des Lebens keine endgültige Macht besitzt. Lehren sollen sie und wir, was Jesus wichtig war:
• das Gottesreich mit seiner Gerechtigkeit – danach zu trachten, etwas davon Wirklichkeit werden zu lassen und sich alles andere zufallen zu lassen;
• Gott zu lieben mit ganzer Seele, ganzer Kraft und von ganzem Gemüt – ihn auch zu lieben in allen seinen Geschöpfen;
• in der Hingabe an ihn und an die Menschen, die uns brauchen, den Sinn unseres Lebens zu finden;
• verbindlich zu leben in einer Welt, in der Menschen dabei sind, bindungsunfähig zu werden – verbunden zu leben mit Gott und in seiner Kirche, zuerst und für immer gehalten durch die Taufe;
• all dies in der Gewissheit, dass der Christus bei uns ist an allen Tagen unseres Lebens.
Was das konkret heißen könnte – nicht im heidnischen Galiläa, sondern im Mecklenburg unserer Tage?
Mein Herzenswunsch zu Ostern ist, dass wir als Gemeinde, als Kirche wieder mehr ‚Bewegung’ sein wollen! Bewegung Jesu Christi! Bewegt von seinem Geist, sehnsüchtig und hungrig nach der Lebendigkeit, die jenseits unserer institutionellen Sicherheiten beginnt! Dass wir uns nicht fesseln lassen von Ordnungen und Strukturen, auf deren Optimierung wir viel Zeit verwenden, dass wir uns nicht erschöpfen in der Sorge um unsere Gebäude – und seien sie noch so erhaben –, sondern dass wir unserer Leidenschaft für Gott freien Lauf lassen. Dass wir nicht nur ‚einladende Kirche’ sein wollen und also stillschweigend immer noch erwarten, dass die anderen zu uns kommen mögen, sondern dass wir tatsächlich mit den Menschen unterwegs sind auf der Reise des Lebens, im tiefsten unterwegs zu Gott, dem Geheimnis der Welt. Dass wir frei davon reden, was unserem Leben Kraft gibt – in der Familie, im Freundeskreis, auf der Arbeit – und am besten so leben, dass man uns danach fragt. Eine Bewegung hat Jesus gestiftet. Sein ganzes Leben galt dem Gottesreich, galt dem Menschen, wie er von Gott geträumt worden war, galt einem wahrhaft menschlichen Miteinander.
Schwestern und Brüder, diese Bewegung überschreitet die Grenze des Binnenkirchlichen. Sie hat Hoffnung auch für gesellschaftliche Veränderungen. Der Impuls, ‚Gott in allen Geschöpfen zu lieben’, vermag auch unser Erschrecken über die furchtbaren Ereignisse dieser Wochen und Tage in Japan zu verwandeln: Endlich ernst zu machen mit einem Kurswechsel in der Energiepolitik! Nicht nur einige Atomkraftwerke abzuschalten, sondern unsere Lebensweise und die Art, wie wir wirtschaften, zu überprüfen und zu verändern! Über Parteigrenzen hinweg haben wir jetzt die Chance, einen neuen gemeinsamen Weg einzuschlagen – aus Liebe zum Leben und zu Gott, in Verantwortung für die Geschöpfe, die diese Erde nach uns bewohnen werden.
Von den Gräbern überholter Einstellungen fort nimmt uns die österliche Bewegung Jesu mit in ein Neues, lässt uns eintreten in eine Geschichte neuer Erfahrungen – gesellschaftlich, kirchlich, geistlich. Man muss es nicht so überschwänglich sagen wie Starez Sossima in den „Brüder Karamasoff“, der riet:
Liebe die Erde und küsse sie. Küsse die Erde unermüdlich. . . Liebe alle und alles . . . Und halte deine Begeisterung hoch, denn sie ist ein großes Geschenk Gottes . . .
Doch eins zu werden mit allem, was lebt, teilzunehmen an der Bewegung der Liebe in der Welt – dazu helfe uns Gott.
Amen.