1. Juni 2020 | Pilger-Kloster Tempzin

Pilger-Gottesdienst

01. Juni 2020 von Tilman Jeremias

Predigt am Pfingstmontag im Open-Air-Gottesdienst, Joh. 20,19-23

Liebe Gemeinde,

ich freue mich sehr, hier heute bei Ihnen sein zu können. Ich habe vor längerer Zeit mehrere ökumenische Pilgerwege mit geleitet und bin der Pilgerherberge und der Pilgerarbeit all die Jahre immer verbunden geblieben. Schade, dass wir heute kein Pilgerfest feiern können. Aber wie schön, dass wir hier zum Gottesdienst zusammen kommen. Er ist insofern besonders, als es der letzte Pfingstmontag mit Doris Mertke sein wird. Liebe Doris, lass mich deshalb einfach schon einmal an dieser Stelle sagen, wie dankbar ich dafür bin, dass du hier so treu und hoch engagiert arbeitest. Du tust damit deiner Kirche, den Pilgerinnen und Pilgern und allen Besucherinnen und Besuchern einen unschätzbaren Dienst. Heute werdet ihr Pilgerinnen und Pilger nicht nur durch den Pilgersegen auf eure Wege gesendet. Ihr und wir alle werden es auch durch das Evangelium.)

im Johannesevangelium fallen Ostern und Pfingsten zusammen. Schon am Abend des Tages der Auferstehung sendet Jesus seine Jünger und beschenkt sie mit dem Heiligen Geist. Wenn wir heute auf diese Worte hören, dürfen wir also Ostern und Pfingsten zusammen feiern und es ist klar, dass es hier um höchst Bedeutsames geht. Ja, die wenigen Verse des Predigttextes sind eigentlich sogar so etwas wie die Zusammenfassung der christlichen Existenz überhaupt. Hören wir also noch einmal auf das Evangelium des Pfingstmontags:

Joh 20,19-23

19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!
20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.
21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist!
23 Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten

Es sprengt schon unsere Vorstellungsmöglichkeiten: Da haben die Jünger sich verbarrikadiert, aus Furcht eingeschlossen. Und plötzlich steht er unter ihnen, der schmerzlich vermisste Meister, erst vorgestern hingerichtet und beerdigt, katastrophaler Endpunkt von turbulenten Tagen in Jerusalem. Alle Hoffnung ist dahin, alles, was der Meister gesagt hat, ist auf einmal fragwürdig, ja unglaubwürdig geworden. Keiner weiß, wie es jetzt weitergehen soll.

Und dann das. Der Auferstandene ist auf einmal da mitten im verschlossenen Raum. Er lässt keinen Zweifel, dass er es wirklich ist, die Wunden, die die Kreuzesnägel geschlagen haben, sind Beweis genug. Nach einem gehörigen Schreck sind die Jünger begeistert, ihn wieder unter sich zu haben, ihren Lehrer, Freund und Retter.

Was Jesus jetzt sagt, erhält durch diese Situation zusätzliches Gewicht. Es ist am Tag seiner Auferstehung gesprochen. Es spricht der auferstandene Herr. Zwei Mal erhalten die Jünger Zuspruch, zwei Mal begegnen sie Jesu Anspruch. Und nicht nur sie. Vermittelt über die Jünger spricht der auferstandene Jesus hier zu seiner Kirche, zu allen Menschen, die ihm folgen wollen.

Zuspruch 1: „Friede sei mit euch!“ Zwei Mal sagt Jesus diesen Gruß. Er ist die Basis. Vor allem anderen spricht Jesus den Freunden den Frieden zu. Und das bedeutet immer: den inneren und den äußeren Frieden, Ruhe für die aufgeregte Seele und Versöhnung mit den Feinden. Jeder Gruß, den wir einander zusprechen, zur Begrüßung und zum Abschied, ist ein solcher Zuspruch des Friedens. In Bayern sind die frommen Wurzeln des Grüßens noch unmittelbar zu hören: „Grüß Gott“ am Anfang und „Pfüad di!“ zum Schluss „Behüte dich Gott!“, aber Gleiches bedeuten auch „Ade“ oder „Tschüss“, nur arg verkürzt. Im Grüßen sprechen wir unserem Gegenüber den Frieden zu, der von Gott kommt. Grüßen ist, jedenfalls vom Ursprung her, Segnen.

Jesus sendet seine Jünger nicht ohne Proviant los. Sie gehen als Gesegnete. Wir gehen als Gesegnete. Der Friede Gottes ist uns zugesprochen, vom Sohn Gottes selbst. Bevor er uns seinen Auftrag übermittelt, verspricht er uns, dass wir nicht allein sind.    

Anspruch 1: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Das ist der Missionsbefehl nach dem Johannesevangelium, kurz und knackig. Wir sind Gesendete, Gesandte Gottes. Und bitte, nicht nur die Apostel, nicht nur die Profis, alle sind wir gesandt durch Gott. Wie so oft im Johannesevangelium wird hier sogar unmittelbar die Parallele zu Jesus sichtbar: Wie er vom Vater gesandt wurde, so sendet er uns.

Wir kommen her vom Himmelfahrtsfest. Es ist klar: Leiblich ist Jesus nicht mehr da. Seine Stimme braucht jetzt unsere Münder. Seine Taten brauchen unsere Hände und Füße. Seine Liebe braucht unsere Herzen. Das ist Anspruch, vielleicht sogar Zumutung. Wenn wir Jesus folgen wollen, sollen wir beten, Gottesdienst feiern, die Bibel lesen. Aber im gleichen Atemzug sind wir gewiesen an andere Menschen. Die Liebe Gottes ruft danach, geteilt zu werden. Mission bedeutet nicht, dass wir jetzt alle in ferne Länder ziehen sollen. Es heißt, dass wir den Frieden, der uns zugesprochen ist, nicht für uns behalten. Dass wir unsere Augen und herzen öffnen für die Sehnsüchte und Nöte der Menschen um uns herum. Dass wir wie Jesus zu denen gehen, die draußen stehen, krank sind und beladen. Dass wir uns einsetzen für die, die keine Stimme haben.

Wir sind gesandt, Botschafterinnen und Botschafter an Christi Statt. Durch uns soll Gottes Liebe durchscheinen, sichtbar und spürbar werden für andere Menschen.

Zuspruch 2: Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: „Nehmt hin den Heiligen Geist!“

Als Gesandte Gottes sind wir schnell überfordert. Wie soll das gehen, wo wir doch selbst so oft hilflos und überfordert sind, zumal in Krisenzeiten? Wir sind nicht allein. Wir sind nicht nur gesandt, sondern wir werden begabt, ausgerüstet mit dem Geist Gottes. Nie konnten wir uns so gut vorstellen wie in Coronazeiten, welche Kraft im Atem liegt. Nur ja keine Aerosole von irgendjemandem aufschnappen, um nicht infiziert zu werden! Die Jünger empfangen die Kraft des Hauchs, des Atems Gottes. Der Geist ist so unsichtbar wie das Virus, und er hat ebenso immense Wirkung, eine Wirkung, die uns aber ähnlich unbeherrschbar bleibt wie die schlimmen Folgen der Infektion.

Geist ist Windhauch, Atem, Feuer. Durch den Geist werden wir von den Stühlen geholt und in Bewegung gesetzt, aus Stubenhockern zu Pilgerinnen und Pilgern gemacht. Wir werden durchgewirbelt wie von einem kräftigen Ostseesturm. Wir werden inspiriert. In-Spiration ist Beatmung mit dem Geist. Der Geist öffnet uns die Augen für die Schönheiten der Schöpfung, er öffnet unseren Verstand für die Gebote Gottes, unser Ohr für das Schreien der Gepeinigten und unsere Hand zur Freigiebigkeit. Wir sind nicht nur gesandt. Wir sind begeistert.

Anspruch 2: „Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Mit der Begabung des Geistes bekommen wir noch ein zusätzliches hohes Amt, das Amt der Schlüssel, das Amt der Sündenvergebung.

Letzten Dienstag war ich zu Besuch in der JVA Bützow. Ich wollte von dem Anstaltsleiter, den Mitarbeitenden und den Gefangenen hören, wie sie klar an diesem speziellen Ort klar kommen in dieser Krisenzeit. Und ich war beeindruckt von der täglichen Arbeit mit Menschen, die allesamt schwere Schuld auf sich geladen haben.

Andreas Timm, der Gefängnisseelsorger, erzählte mir: „Hier drin hast du die Macht, wenn du Schlüssel hast“, und er zeigte mir seinen eindrucksvollen Bund. Wer aufschließen kann, ist ein Freier und damit ein Mächtiger. Alle ohne Schlüssel leben hier ohne persönliche Freiheit, können sich nur bewegen, wenn das System des Strafvollzugs es erlaubt. Wie gut, dass die Kirche auch an diesen Ort gesandt ist, wo die beiden Seelsorger nicht hinterher kommen, die vielen Anfragen der Gefangenen nach Gesprächen und Gottesdiensten zu erfüllen.

Verbunden mit dem Heiligen Geist stattet uns Christus selbst mit einer erheblichen Vollmacht aus, mit den Schlüsseln zu den inneren Gefängniszellen der Menschen, die uns anvertraut sind. Jeder einzelne Mensch ist seelisch belastet, allerdings in sehr unterschiedlichem Maß. Jesus schickt uns besonders zu denen, die unter starken Lasten der Seele zu stöhnen haben. Wir sollen, aber eben auch: wir können ihr Gegenüber sein, ein Gegenüber, dem sie sich öffnen, dem sie vertrauen können. Welch ein Schatz kann es sein, die inneren Lasten aussprechen zu dürfen im geschützten Raum des Gesprächs zu zweit! Welche Entlastung liegt allein schon in diesem Aussprechen! Und welch ein Fest der Versöhnung, wenn ein Mensch dann noch um den Zuspruch der Vergebung in Gottes Namen bittet und wir unter Auflegung der Hände diese Vergebung zusprechen dürfen.

Leider haben die meisten von uns die Beichte verlernt, nein, nie gelernt. (Wie gut, dass sie hier in Tempzin gelebte Praxis ist!) Aber das seelsorgerliche Gespräch ist tägliche Praxis, nicht etwa nur der Geistlichen. Es ist Teil unserer Sendung, Menschen dabei zu unterstützen, innere Last loszuwerden.

Wir sind gesandt, sollen Jesu Worte und Jesu Wirken in unser persönliches Umfeld tragen. Wir sollen helfen, innere Nöte zu heilen. Aber diese Ansprüche stehen nicht für sich. Der Auferstandene verbindet sie mit Zusprüchen. Wir sind gesegnet, mit Gottes Frieden beschenkt. Und wir sind behaucht mit dem Heiligen Geist, der uns Kraft und Mut gibt und uns zusammenbringt.       
Amen.   

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