9. Juni 2023 | Friedenskirche, Palmplatz, Nürnberg

Politisches Nachtgebet beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) Nürnberg 2023

09. Juni 2023 von Kirsten Fehrs

Ein Tisch im Angesicht meiner Feinde - Impuls zu Kirchenasyl im Verhältnis Staat und Kirche und Kirchenasyl innerhalb kirchlicher Strukturen

Für mich ist der gedeckte Tisch des Herrn ein ganz heller Ort. Mit der wunderbaren Aussicht, im rechten Licht zu sitzen, Ruhe und Freundschaft zu genießen. An diesem Tisch des Herrn schlingst du nichts in Eile hinunter, indem du dich mit furchtsamen Blicken nach rechts und links versicherst, dass dir das Brot nicht schon wieder weggenommen wird.

Nein, es ist alles da. So viel du brauchst. Du musst dich nur hinsetzen. Vielleicht ein Gebet sprechen. Zulangen. Dem anderen die Hand reichen mitsamt der Butter. Am Tisch des Herrn sitzen nämlich viele, aus aller Herren Länder, die versuchen wieder bei sich selbst anzukommen. Und dann trinkst du aus Glaskaraffen frisches, unverdorbenes Wasser und isst herrliche Früchte, all das, mit dem du üblicherweise ein langes Fasten unterbrichst. Datteln liegen da und inzwischen auch glutenfreier Kuchen, Reis, Hirse, Mais, Süßkartoffeln. Ein prächtiges Mahl eben, mit Honig, Milch, frischem Brot und Salz. Das alles sagt: Willkommen in unserem Land!

Ja, der Tisch des Herrn ist für mich ein heller Ort. Inmitten lauter Lebens- und Todesschatten. Ein geschützter Ort, der die Feinde im Blick behält. Denn die haben ein Angesicht. Ganz konkret. Du bist im Hellen, die Feinde aber – alles, was dir das Leben raubt, die schlaflosen Nächte, die Traumata mit ihren zitternden Ängsten, dieses Gefühl der ständigen Angst entdeckt und abgeschoben zu werden – das Angesicht der Lebensfeinde ist im Dunklen. Am Tisch des Herrn aber haben die dunklen Mächte und Todschatten keine Macht über dich.

Liebe Geschwister,

Kirchenasyl ist für mich ein heller Ort inmitten dunkler und böser Geschichte. Ein vielleicht rechtsfreier, politisch leider inzwischen immer weniger akzeptierter Ort, aber eben ein Ort, in dem die Sehnsucht nach Menschenrecht und Freiheit zuhause ist.

Ja, es ist eine umstrittene Praxis, Kirchenasyl zu gewähren und es ist sehr anstrengend: Kirchengemeinden treten damit zwischen die Behörden, die Anordnungen zum Abschiebungsvollzug auszuführen haben, und die Geflüchteten. Dabei steht im Vordergrund, dass Zeit geschaffen wird, um wirklich alle Rechtsmittel auszuschöpfen und das Schutzbegehren sorgfältig zu prüfen. Alles für ein faires Verfahren und die Berücksichtigung aller Aspekte.

Und ich möchte es an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich sagen: Es wäre besser, wir bräuchten kein Kirchenasyl. Es wäre besser, wenn der Staat von sich aus jeden Fall so gründlich prüfen würde, wie es durch das Kirchenasyl erreicht werden soll. Das Kirchenasyl ist eben kein Selbstzweck, sondern es ist gewissermaßen ein Reparaturversuch, weil eben begründete Zweifel daran bestehen, dass der Staat seine Arbeit gut gemacht hat.

Die gute Botschaft dabei: In sehr vielen Fällen ist es lange Jahre gelungen, ein neues Verfahren und ein Bleiberecht zu erwirken. Denn darum geht es: noch einmal genau auf den Einzelfall zu schauen. Ein faires Verfahren einzufordern. Bei den Behörden zu insistieren, ihre Ermessensspielräume, die das Recht oft bietet, auch auszunutzen!

Bis 2015 – selbst noch mit Dublinregelung – ist dies wie gesagt meistenteils gelungen. Doch der Ton ist längst schärfer geworden, die Beurteilungen des BAMF ungnädiger, die Verfahren langwieriger. Und in der EU ist die Haltung gegenüber den Menschen, die bei uns Schutz suchen, und gegenüber ihren Unterstützer:innen von Abschottung geprägt. Seenotrettung wird massiv behindert, und Seawatch beklagt die schroffe Abwehrhaltung im Mittelmeer durch Regierungen und Frontex und Co. Es wird von schwerer Folter und Inhaftierungen ohne Rechtsunterstützung vor allem auf der Balkanroute berichtet, die wahrlich keine Einzelfälle sind. Neuerdings gar werden an den Außengrenzen der EU Kinder(!) „ge-pushbacked“ und aufs offene Meer ausgesetzt –gnadenlos, hoffnungslos, bodenlos.

Im Angesicht meiner Feinde bereitest du vor mir einen Tisch – nichts weniger ist Kirchenasyl, das älteste Recht des Menschen auf Schutz und Achtung der Würde. Und deshalb einen Tisch decken, willkommen heißen und damit der Gesellschaft, der Politik, der Öffentlichkeit in Erinnerung rufen: Wir haben in unserem Land mit seiner Geschichte nicht umsonst ein Grundgesetz, das das Recht auf Asyl zum Grundrecht erklärt. Eine Verfassung, die auch eure Menschenwürde schützt, liebe Gäste.

Gut so. Und so gut, dass es Menschen gibt, die dafür einstehen. Immer wieder stehe ich bewundernd vor den Gemeinden, vor den aberhundert Ehrenamtlichen in Deutschland, die Kirchenasyl überhaupt erst ermöglichen, trotz verlängerter Fristen und serieller Negativbescheide. Die morgens Kinder in die Schule bringen und Medikamente besorgen, die Dossiers ohne Ende erstellen und Einkaufslisten. Chapeau, liebe Christenmenschen auch hier unter uns, die ihr ja nicht umsonst zum politischen Nachtgebet kommt. Denn es gehört beim Namen genannt, aus der Dunkelheit herausgeholt, ins Licht gesetzt: Die Bibel durchzieht Gottes Zuwendung zu den Ungeschützten, Heimatlosen, „Fremdlingen“. Ihnen Zuflucht zu geben ist A und O, Anstand und Offenheit. Zuflucht geben ist Christusbekenntnis.

Danke für jeden hellen Ort, jeden gedeckten Tisch, an dem – von Angesicht zu Angesicht – all die Flüchtlingszahlen, die Paragraphen, Kostenberechnungen dem Blick ins menschliche Antlitz weichen. Und die Mitmenschlichkeit nimmt Platz am Tisch.

Und bitte gern auch die Kirchenleitungen. Ich meine, sie müssen sich klar und einseitig hinter und im Konfliktfall vor Kirchengemeinden stellen, die Kirchenasyl gewähren. Tun sie ja glücklicherweise oft auch. Zu diesem politischen Statement gehört aber auch, sich mit personellen und finanziellen Ressourcen für Menschenrechte einsetzen. Für Leitende und Leidende: Jetzt ist die Zeit, Menschen zu ermutigen, helle Orte mit langen Tischen zu öffnen und nicht höhere Zäune zu errichten. Gerade weil wieder eine sehr emotionale Asyldebatte geführt wird. Ganz klar: Wir brauchen einen pragmatischen Umgang mit Geflüchteten statt ideologisch aufgeladener Diskurse. Und also eine vorausschauende Politik, die gefährdeten Menschen sichere Wege nach Europa öffnet, damit niemand eine lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer antreten muss. Um des Menschen Recht brauchen wir euch, die mit dem Mut, höher als alle Vernunft. Die mit dem Herz in der Hand. Die mit unkaputtbarem Hoffnungstrotz, gerade angesichts der aktuellen Entscheidungen.

Darauf liegt Segen am Tisch des Herrn. Gerade haben wir in Hamburg, in St. Pauli, an den Tag vor zehn Jahren gedacht, an dem die Kirchengemeinde ihre Tür für 80 Flüchtlinge aus sieben afrikanischen Ländern öffnete, eine Augenblicksentscheidung der Herzen, höher als alle Vernunft. Klar, es war kein Kirchenasyl im klassischen Sinne. Aber es war die Sehnsucht, einen Tisch im Angesicht so vieler innerer und äußerer Feinde zu bereiten. Und es wurde eine gemeinsame Hoffnungs- und Mutgeschichte daraus, haben doch fast alle von den 80 Gästen inzwischen ein Bleiberecht, Arbeit, Familie und Lebensmut.

An einen Abend erinnere ich mich besonders. Ich war als Bischöfin in der Kirche, um den Gästen zu erklären, was wir mit dem Senat besprochen hatten, um ihre Situation zu verbessern. Und nun erklärt mal die Möglichkeiten, oder besser: Unmöglichkeiten unseres Asylrechts, das man noch nicht einmal auf Deutsch versteht, in Twi und Bambara, über Englisch und Französisch, und wieder zurück. Nach einigen Stunden angespannten Redens standen wir auf und beteten. Da war keine Übersetzung mehr nötig, das haben alle verstanden. Und als ich schließlich die Hände hob, um den Segen zu sprechen, geschah etwas zutiefst Anrührendes: Alle Geflüchteten im Kreis taten es mir nach. In spontaner Zutraulichkeit. Ganz ernsthaft. Sie segneten uns – die Pastoren, den Küster, die Übersetzerin, all die Ehrenamtlichen und mich, Madame l´évêque.

Das war der Moment, in dem wir, glaube ich, alle merkten: Wir gehören zusammen. Wir gehören gemeinsam an den Tisch, an dem Gott selbst der Gastgeber ist und die Arme ausbreitet und sagt: Es ist noch so viel Raum da!

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