25. Dezember 2021 (Erster Weihnachtstag) | 10 Uhr | St. Marien, Rostock

Predigt: 300 Jahre Hauptaltar

23. Dezember 2021 von Tilman Jeremias

Liebe Gemeinde,

ich freue mich sehr, an diesem besonderen Tag wieder in altvertrauter Umgebung predigen zu dürfen. Wir feiern heute nicht nur das Hochfest von Christi Geburt. Zugleich denken wir daran, dass der Hauptaltar unserer Kirche heute auf den Tag vor 300 Jahren eingeweiht wurde, am 25. Dezember 1721. Grund genug, diesen Altar in den Mittelpunkt unseres Gottesdienstes zu stellen. Seit 300 Jahren ist er der gewaltige Zielpunkt der Blicke Richtung Osten, der Gebetsrichtung. Wenn auch die Kirchenbänke die Ausrichtung in Gebetsrichtung nicht eben erleichtern, bildet der Hochaltar im Osten das Gegenstück zum 50 Jahre später errichteten prächtigen Orgelprospekt im Westen.

Leider sind die Abstände in unserer Kirche groß. Ich hoffe dennoch, Sie können Manches erkennen von dem, was ich Ihnen nun zu schildern versuche. Sonst ermutige ich Sie ausdrücklich, nach dem Gottesdienst noch einmal in Ruhe vor den Altar zu treten.

Der Altar ist in jeder Kirche das zentrale Prinzipalstück. Er ist der Ort des Gebetes und des Heiligen Abendmahls. In ihm verdichtet sich architektonisch und künstlerisch der Versuch, die Gegenwart Gottes darzustellen. Damit ist er sichtbare Theologie und sichtbares Glaubensbekenntnis.

Dies ist beim Marienaltar in vorbildlicher Art zu studieren. Er zeigt in seiner Mitte eine Christus- Achse. Unten, gleich über dem Altartisch, ist die Einsetzung des Heiligen Abendmahls als Gemälde zu erkennen. Gerade während der Liturgie des Abendmahls hat für mich als Pastor, der ich an diesem Altar stehen durfte, dieses Bild die Verbindung zum Letzten Mahl Jesu ganz dicht hergestellt. Mit ihm ist die Brücke zu Gründonnerstag und Karfreitag geschlagen, der Hingabe Jesu im Tod am Kreuz.

Das Gemälde eine Etage höher zeigt die Auferstehung Jesu aus dem Dunkel des Todes ins Licht des Lebens. Fast scheint die Himmelfahrt gleich mit gemalt, so sehr wird der Auferstandene aus dem Grab durch Gottes Lebenskraft nach oben gezogen.

Und wenn wir mit dieser Bewegung unsere Blicke im Zentrum des Altars noch weiter nach oben richten, sehen wir den erhöhten Christus als Skulptur, umgeben von einer Engelschar, als den himmlischen Retter und Richter des Universums.

Doch wir dürfen in noch weitere Höhen steigen. Über dem Salvator mundi, dem Heiland der Welt, erhebt sich das dritte Gemälde, das die Ausgießung des Heiligen Geistes zum Thema hat. Nach Karfreitag und Ostern jetzt also Pfingsten. Die Jünger werden erfüllt mit dem Heiligen Geist und die Kirche geboren.

Kann es jetzt wirklich noch höher gehen? Wie gut, dass die mittelalterliche Kirche über dreißig Meter hohe Gewölbe als Rahmen für diese Himmelsreise bietet. Ganz oben kann jetzt nur noch Gott der Vater selbst zu finden sein, symbolisiert im Auge im Strahlenkranz. Damit verbergen sich im Zentrum des Hauptaltars nicht nur die wesentlichen Termine des Kirchenjahres, sondern es ist auch das gesamte Glaubensbekenntnis ins Bild gesetzt mit seinen drei Artikeln, Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist.

Damit ist es für die Besucherin der Marienkirche kein Problem, wenn die Predigt einmal nichts taugt: Ein Blick zum Hauptaltar bietet ihr einen Katechismus als barocke Kunst, die zentralen Glaubensaussagen zur Bildmeditation.

Nun aber noch einen kurzen Ausflug an den Rand des Altars. Dabei beschränke ich mich auf die Figuren auf dem unteren Sims, die ökumenische Weite ausstrahlen: Denn sie vereinen einen sehr evangelischen und eine sehr katholischen Aspekt dieses Altars. Die beiden großen Frauenfiguren stehen für Gesetz und Evangelium, eine Grundunterscheidung der Reformation. Die linke Figur trägt die Gesetzestafeln, die rechte die Christussymbole Sonne und Stern. Der Marienaltar macht höchst evangelisch klar: Das Beherrschende und Wichtige ist der Glaube an den dreieinigen Gott, das das gesamte Zentrum umfasst. Die Werke sind etwas randständiger, sie folgen aus diesem Glauben.

Eine Verbindung von beiden Aspekten, von Gesetz und Evangelium, Glauben und Werken, bieten nun die vier weiteren weiblichen Statuen an den beiden Seiten: Sie symbolisieren die christlichen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung und, als sei das nicht genug, noch die Tapferkeit. Damit wird das evangelische Seitenprogramm ausschließlich von Frauen transportiert, allein das finde ich schon bemerkenswert.

Ganz außen wird es nun aber überraschend katholisch. Zu beiden Seiten des Altars finden sich Beichtstühle. Wie, in der evangelischen Marienkirche Anfang des 18. Jahrhunderts? Welch wertvolle Erinnerung! Luther kritisierte die Beichtpraxis seiner Zeit heftig, vor allem den Ablass, aber er hat nie die Beichte abschaffen wollen, das wertvolle Vertrauensgespräch zwischen Glaubensgeschwistern mit der Möglichkeit der Absolution, des Zuspruchs der Vergebung Gottes. Ein vergessener Schatz im evangelischen Glauben.

Oben auf den Beichtstühlen kauern nun zwei Männer. Sie sind Prototypen für uns alle, die wir immer wieder die Beichte nötig haben. Es sind die Könige David und Manasse, beide haben ihre Krone allerdings schamvoll zur Seite gelegt. Der eine hat seinen Nachbarn und Feldhauptmann umbringen lassen, um dessen wunderschöne Frau zu sich zu holen, der andere hat den gerade frisch verbotenen Baalskult in Israel wieder eingeführt. Zwei königliche Erzsünder als Beichtspiegel für die Besucherinnen und Besucher der Marienkirche.

Welch einen Reichtum an Botschaften verbindet der Hauptaltar der Marienkirche! Wie viele Paare haben in den dreihundert vergangenen Jahren einander hier das Jawort vor Gott gegeben, wie viele Gebete wurden hier gesprochen, Klage und Bitte, Lob und Dank. Wie viele Menschen haben hier Brot und Wein geteilt in Erinnerung an Jesu Tod und Auferstehung. Und welche Massen haben sich hier gedrängt, als immer donnerstags im Herbst 1989 die Friedensgebete stattfanden, auch am 9. November 1989.

Wir Nachgeborenen behandeln diesen Altar etwas stiefmütterlich. Er ist uns zu groß, zu barock und zu weit weg von der Gemeinde. Vielleicht ist der heutige Festtag ja ein Anlass, ihn wieder mehr in die gottesdienstliche Mitte einzubeziehen.

Nun muss ich mich entschuldigen, dass unser Altar so lange im Zentrum stand und noch kein Wort zu Weihnachten gefallen ist. Das soll nun in der gebotenen Kürze noch geschehen. Es muss geschehen. Denn der Predigttext für heute sagt uns in wunderbarer Weise zu, dass wir Gotteskinder sind, weil Gott ein Kind wurde. Ich lese aus dem 1. Johannesbrief, Kapitel 3:

Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum erkennt uns die Welt nicht; denn sie hat ihn nicht erkannt. 2Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. 

Zu den vielen erstaunlichen Seiten Jesu gehört seine Liebe zu den Kindern. In der Antike galten sie eher als defizitäre Menschen, die per Erziehung möglichst schnell zu vernünftigen Erwachsenen werden sollten. Ganz anders bei Jesus. Er stellt die Kinder in die Mitte. Und schärft den Erwachsenen ein: Wenn ihr Gott und den Glauben an ihn recht begreifen wollt, dann werdet wie die Kinder.

Das kann doch nur heißen: Lernt wieder staunen. Lernt wieder lachen und weinen, wenn ihr fröhlich und traurig seid. Lernt vor allem aber Urvertrauen, wie nur Kinder es haben. Erst wenn ihr versteht, dass ihr alles von Gott, eurem Vater, empfangen habt, dass ihr umfangen seid von seiner Liebe, erst dann habt ihr Glauben verstanden.

Es ist kein Zufall, dass Gott uns am nächsten kommt in einem Neugeborenen. Die Geburt Jesu sagt schon so viel darüber, wie Gott ist. Ein kleines, zartes Baby, angebetet von den mittellosen Schäfern, geboren ohne Obdach.

Und darum ist der höchste Titel, der uns Christenmenschen verliehen werden kann, die Zusage Gottes selbst, dass wir seine Kinder sind. Wir sollen Gott immer ähnlicher werden, so hören wir im ersten Johannesbrief. Und das bedeutet, dass wir dem Krippenkind immer ähnlicher werden sollen, ohne Macht, aber voller Liebe. Am Ende der Tage werden wir ihm gleich sein, wir werden, was wir immer schon sein sollen: Kinder Gottes und sonst nichts.

Die gotischen Kathedralen sind so gewaltig gebaut, damit möglichst viele Gotteskinder Platz finden vor dem Altar: Säuglinge, die völlig auf ihre Mutter angewiesen sind, Einjährige, die beim Krabbeln alles umschmeißen, was ihnen in den Weg kommt, Dreijährige, die sich für den Mittelpunkt der Welt halten, Teenies in Trotz und Aufruhr- all diese Gotteskinder sollen sich hier versammeln, vom Kind hören, das Gott geworden ist, Kind Gottes werden in der Taufe und diese Gotteskindschaft feiern im Heiligen Mahl.

Wenn wir uns auf den Altar ausrichten, in Gebetsrichtung, dann dürfen Zorn und Streit, Aufregung und Angst zur Ruhe kommen. Dann dürfen wir nur Kind sein, Kind Gottes, geborgen in den Armen des himmlischen Vaters.                                   Amen.   

 

 

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