13. Juni 2021 | Hauptkirche St. Michaelis

Predigt am 2. Sonntag nach Trinitatis

13. Juni 2021 von Kirsten Fehrs

Gebete und Predigt zu 1. Korinther 14, 1-12

Liebe Gemeinde,

die Bilder und Töne decken uns den Tisch. „Er ist das Brot, er ist der Wein“, „Kommt, schmeckt und seht“, „Die Hoffnung wächst.“ So haben wir es eben eindrucksvoll gehört. Und davor die Geschichte vom großen Gastmahl, bei dem alle satt werden, die kommen – ganz gleich, wer, mit wem, woher. Denn es ist Raum da! Manchmal liegt in einem kleinen Satz ein ganzes Evangelium.
Es ist doch Raum da. Deshalb bleibt niemand außen vor, niemand, der an den Hecken und Zäunen unserer Welt nach Gerechtigkeit dürstet. Das ist das Evangelium! Leibhaftig sollen wir erfahren, wie unser Hunger nach Leben – der ja so real ist im Moment – gestillt wird, ja wie Gottes Liebe zu uns tatsächlich durch den Magen geht. Der große Gastgeber breitet seine Arme aus und liebt es, die ganze Weltfamilie an seinem Tisch zu versammeln. Er verteilt reichlich, ihm zur Freude und uns zur Stärkung, bisweilen gar zur Rettung.
Als ich vergangenen Sonnabend anlässlich meiner Wiederwahl als Bischöfin etliche Stunden in dieser Kirche verbracht habe, in der so viel freier Raum war, da die 156 Synodalen zu Hause digital vor ihren Computern saßen, da war‘s mir doch mulmig zumute. Wie es einem so gehen kann, wenn man stundenlang auf ein digitales Wahlergebnis wartet … Als ich also nun so blümerant in der Kirchenbank saß, fiel mein Blick auf all die Rettungsringe hier. Und die hatten tatsächlich beru-higende Wirkung. Dass es schon gut ausgehen wird, sprachen sie mir zu, weil du getragen bist bei stürmischer See, Synoden und in banger Hoffnung. Und dass wir geborgen werden, immer eine Heimat haben werden bei Gott, gleich, wo wir uns gerade befinden. Gleich, was uns treibt, lähmt, blind macht und zerbrechlich.
Kurz: Es waren rettende Gedanken, die mir sechzigfach zugeworfen wurden. Und so möchte ich mich heute revanchieren und St. Michaelis einen weiteren Rettungsring schenken. Ich zeige und überreiche ihn nachher, denn er ist doch ein bisschen voluminös für die Kanzel.

„Mein“ Rettungsring stammt von unserem Nordkirchenschiff, das im Reformationsjubiläumsjahr 2017 in dreizehn Häfen von dreizehn Kirchenkreisen, von Stralsund bis Hamburg Station gemacht hat. Allerorten hatte die Crew diese Botschaft: Es ist Raum da. Es ist Raum da für Kind und Käptn, Skeptiker und Politikerin, für die Liebe und das Leben. Es ist Raum da für Fragen, Nöte, Ansichten, Aufbrüche.
Da wurden in den Häfen Bühnen gebaut und Tische gedeckt. Menschen haben gesungen, gebetet, gefeiert – und gegessen und getrunken. In Glückstadt an der Elbe zum Beispiel waren direkt am Hafenbecken lange, festliche Tafeln vorbereitet, mit weißen Tischtüchern, Blumen und allem Drum und Dran. Es gab leckeren Matjes und Weintrauben. Ganz besonders, dieses Abendmahl … Unzählige Menschen begegneten sich auf und an diesem Schiff, so viel Kreativität wurde frei, in diesem Raum. In Flensburg haben sich Paare im Halbstundentakt auf dem Schiff das Ja-Wort ge-geben oder ihr Kind taufen lassen. Vier Wochen lang hieß das Programm bei Sturm, Sonne, Flaute: Das Leben feiern und die Liebe segnen, den Glauben befragen und neue Hoffnung finden.
Denn: „Es bleiben doch immer Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Dieses Wort von Paulus steht genau vor unserem Predigttext aus dem 1. Korinther-brief. Bild und Ton vom schönsten Liebeslied der Welt bilden sozusagen den Hintergrund unseres Textes. Eine Ode an die Liebe Gottes. Wir erinnern uns: Liebe, die langmütig und freundlich ist und niemals ungehörig, die nicht das Ihre sucht und das Böse nicht zurechnet, Liebe die alles erträgt, nur die Lüge nicht. Und wenn auch Reden, Erkenntnis, alles aufhören wird, die Liebe – sie höret nimmer auf. Deshalb – so setzt unser Predigttext mit aller Kraft ein: „Strebt nach der Liebe!“ Oder genauer übersetzt: Die Liebe jagen, das sollen sie tun in Korinth. Die Liebe jagen wie der Jäger das Wild. Der Liebe hinterher, damit sie nicht entwischt. So war das Programm in Korinth!
Nein, das ist das Programm jetzt. Liebe die Größte sein lassen. Liebe nämlich, die die Welt zu-sammenhält – und wohl auch uns selbst. Die uns miteinander verbindet und mit Gott. Wie sehr sie „die größte“ ist, wie recht also Paulus hatte, das haben wir doch gespürt in diesen Corona-Monaten, als die Liebe es so schwer hatte sich auszuleben. Unterbrechungen und Distanz, keine Umarmungen, kein Händeschütteln. Phasenweise nicht einmal Besuche. Allein am Feierabend, beim Homeschooling, allein im Sterbebett.
Nicht dass die Liebe gefehlt hätte, im Gegenteil. Sie hat aber erst neue Wege finden müssen. Und so hat sie sich alle möglichen Formen der Zuneigung ausgedacht, hat Tüten mit Süßigkeiten für die Enkelkinder vor die Tür gestellt, hat Liebesbriefe geschrieben an die alte Mutter, hat Lehrerinnen sich zu ungeahnten digitalen Höhen aufschwingen lassen und sie hat mit Hilfe unzähliger Kita-Mitarbeiterinnen Weihnachtspäckchen zu den Kleinsten gebracht.

Die Liebe lässt sich nicht erschüttern und erbittern – auch wenn ihr noch so viele Hindernisse in den Weg gelegt werden. Sie ist wahrlich die größte. Also ja: Die Liebe jagen – das ist Programm jetzt, da so viele Menschen neu hineinfinden ins Leben. Kinder und Jugendliche, für die ein Jahr eben eine ganz andere Zeitdimension bedeutet. So viele, denen Pläne durchkreuzt und Chancen verstellt worden sind. Und auch hier wieder: Die es ohnehin schwer hatten, sind oft besonders betroffen. „Jagt die Liebe“, dass niemand abgehängt und kein Mensch übersehen wird!

Und das sollen wirklich alle ganz und gar verstehen, sagt Paulus. Mit der Seele, aber auch mit dem Kopf. Deswegen schreibt Paulus diesen langen Abschnitt darüber, wie von der Liebe gepredigt und gesprochen werden soll. Hintergrund dazu: Es gab in Korinth die einen, die ganz verzückt von Gottes Liebe waren und geradezu entrückt unverständliche Laute von sich gaben. Zungenreden eben – mit der einen Botschaft: Ich für mich bin Gott besonders nah. Ob du‘s verstehst oder nicht. Und dann waren da die anderen, die übten sich in prophetischer Rede. Sprachen also von Gott und seiner Zuwendung zum Menschen ganz lebensnah. So dass dies viele Herzen erreicht hat und sie sich erbaut fühlten und getröstet.
Das, sagt Paulus, ist wichtig. Dass ihr eine Sprache findet, die euch im Glauben und miteinander verbindet. Und die endlich einmal jemand versteht! Eine Sprache der Worte mit Taten. Nur dann strahlt ihr in eure Stadt hinein, dann nimmt man euch ab, was ihr predigt. Wenn ihr glaub-würdig lebt! Sehr schön aktuell, Paulus, wir haben verstanden. Keine kirchliche Sonderwelt ist gewünscht, sondern liebes- und hoffnungsbegeisterte Christenmenschen mittendrin, mitten in der Gesellschaft. Christenmenschen, die etwas zu sagen haben.

Doch was? Ob es wirklich die Sprache der gesammelten Klugheiten ist, die die Menschen heutzu-tage erreicht? Allemal wenn die von Gott und Religion nie etwas gehört haben und hören wollten. Ich glaube, es sind vor allem die verbindenden Gesten der Menschenfreundlichkeit. Das eine, ver-söhnliche Wort. Es ist die Gemeinschaft, das gemeinsame Essen und Singen (bald wieder!), der persönliche Segen, etwa nachher beim Abendmahl. Und es sind die Symbole, die Ausdruck geben von Liebe und Halt. Anker, Kreuz, Herz – sie machen nicht viele Worte und man versteht sie doch. „Es gibt vielerlei Sprachen auf der Welt“, sagt Paulus, „und nichts ist ohne Sprache.“

So eben auch der Rettungsring. Seine Sprache kennt vor allem ein Wort: Seenotrettung. Paulus schon hat ihretwegen manchen Sturm auf See überstanden. In der Seefahrt, allemal der christlichen Seefahrt, ist die Rettung von in Not geratenen Menschen nicht verhandelbar. Ob sie nun weiß, farbig, schwarz, groß oder syrisch und klein sind. In der Nordsee ebenso wenig wie im Mittelmeer: Seenotrettung ist nicht verhandelbar. Die Grundwerte unserer Gesellschaft – nämlich die Achtung vor der Würde eines jeden Menschen, die Nächstenliebe und unbedingter Lebensschutz – all dies wird uns gewissermaßen mit rot-weißen Signalfarben vor Augen geführt. Sechzigmal allein hier im Michel, schauen wir uns um.

Christliche Botschaft im Rettungsring. Das war auf dem Nordkirchenschiff in ganz besonderer Form zu erleben. Bei den vormittäglichen Ausfahrten nämlich fanden auf dem Schiff Taufen statt. Viele kleine Täuflinge „in hübsch“ mit nicht unbedingt kirchennahen Eltern und Verwandten kamen begeistert – wohl zunächst wegen der „tollen Location“. Mitten an Deck nun lag mein Rettungsring. Und genau in dessen Mitte befand sich die Taufschale. Und als alle dann aufgefordert wurden, den Rettungsring zu halten, der Vater das Kind in den Ring über die Taufschale hob und die Pastorin so liebevoll das Kind taufte – im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes – da löste sich manche Träne. Dieser so berührende Geist war mitten unter ihnen. Dass dies Kind geborgen ist in Gottes Segen, der alles umfängt, dass es getragen ist von der Liebe, die alles erträgt, und dass es auch in Untiefen des Lebens niemals tiefer fallen kann als in Gottes Hand – das hat jeder verstanden.

Üben wir uns in dieser Sprache des Herzens, liebe Geschwister. Herz, das frei ist zu lieben. Herz, das Geist und Klarheit, Glaube und Vernunft zu einen sucht. Das weite Herz, mit dem wir sagen: Es ist doch so viel Raum da! Denn wir haben verstanden. Den großen Gastgeber, wenn er sagt: „Kommt, es ist alles bereit!“ Und die Hoffnung wächst. Jetzt.
Ebenso wie der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

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