30. Juli 2023 | Hauptkirche St. Michaelis Hamburg

Predigt am 8. Sonntag nach Trinitatis

30. Juli 2023 von Kirsten Fehrs

Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs zu Matthäus 6, 13-16

Liebe Gemeinde,
kennen Sie noch den Begriff „Lichtspielhaus“? Der scheint fast schon aus der Mode gekommen, Kino heißt es jetzt kurz. Aber Lichtspielhaus – das hat was, finde ich. Da ist Licht im Spiel und dafür gibt´s ein ganzes Haus! Damit eben viele dabei sein können, ist´s doch ein Gemeinschaftserlebnis! Das filmische Lichtspiel, das ja eigentlich nur auf eine flache Wand projiziert wird, kann tatsächlich eine ganze Kinogemeinde zutiefst bewegen und hineinnehmen in eine andere Welt. Wer weiß, vielleicht waren Sie jüngst in der quietsch-pinken Traumwelt von „Barbie und Ken“?
In den 80ern waren Freunde und ich und öfter im Lichtspielhaus bei Alsterdorf. Da gab es für 6 Mark gleich drei alte Schwarz-Weiß-Filme hintereinander. Höchst vergnüglich etwa der Billy Wilder Klassiker „EINS ZWEI DREI“ - eine Satire über das ost-west-geteilte Berlin kurz vor dem Bau der Mauer. Mit dem blutjungen Horst Buchholz, einem herzhaften „Russki go home!“ und Liselotte Pulver, die auf dem Tisch tanzt, dass die russische Schwarte kracht: herrlich! Aus anderen, auch herrlichen Gründen nun finde ich, dass Lichtspielhaus ebenfalls ein passender Name für diese wunderschöne Kirche ist. Für unseren hellen, strahlenden geliebten Michel mit seinen so klaren Licht- und Sichtperspektiven. Eben nicht bunt verglast, sondern klares Tageslicht, das hier alles ins Leuchten bringt. Aufgeklärt sind Altar, Orgeln, Kanzel, und das Tageslicht lässt alles und alle ungeschminkt erscheinen, natürlich auch Sie und mich. Ein freundliches Lichtspielhaus, in dem der Film meines Lebens vor meinem Gott ins richtige Licht gerückt wird.
Das ist der tiefe Sinn unseres Evangeliums eben: Gleich wie wir hier sind und in welchem Film wir uns gerade befinden, gleich wieviel Licht in eine Kirche strahlt, bunt oder golden oder klar - der Widerschein des göttlichen Lichts findet sich zuerst auf den Angesichtern der Menschen, auch auf Ihren. Mit allen Unebenheiten, Lebensnarben und Lachfalten, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben. Genauso, sagt Jesus, genauso seid Ihr das Licht der Welt!
Das müssen wir uns tatsächlich nun vor Augen halten, liebe Geschwister: Wir sind das Licht der Welt. Ohne Wenn und Aber. Kein: ihr könntet, wenn ihr wolltet, die Welt ein bisschen heller machen. Nein: Ihr seid Licht. Richtig Licht! Jetzt, in diesem Moment und mit allem, was in Euch ist – auch mit den Dunkelheiten und Ungereimtheiten, dem Friedlosen oder Unversöhnlichen. Ihr seid das Licht der Welt! Sensationell. Auch deshalb ist dieser Michel heute ein Lichtspielhaus: Weil es Euch gibt in der besonderen Gemeinschaft dieses Sonntags. Gemeinschaft, die sich eben gemeinsam einsetzt, die singt, betet, Gottes Gegenwart teilt. Das Brot bricht. Aufbrüche ersehnt. Inmitten all der Brechungen und der Mauern in den Köpfen, die derzeit die Welt so zertrennen, sind wir eine Friedenslicht-Gemeinde. Weil Gottes Angesicht über uns leuchtet, ist es in uns hell, und wir sind so frei, sind auf einmal die beste Version unserer selbst, ins richtige Licht gerückt halt: Ihr seid das Licht der Welt! Jeden Morgen neu.
Was haben diese wenigen Worte Jesu seit ehedem Menschen Lebensmut geschenkt und Kraft. Ein so starkes Bild. Und damit ja nicht genug - als Auftakt unseres Evangeliums setzt Jesus ja noch ein zweites starkes Bild: Ihr seid das Salz der Erde. Sprichts und steht da auf dem Berg am See Genezareth, der eigentlich mehr ein Hügel ist. Tausende sind diesem Jesus damals gefolgt mitsamt ihrer übergroßen Sehnsucht, hinauf auf den Hügel. Und dann hat er ihnen aus der Seele gepredigt, sag ich euch. Selig seid ihr, hat er ihnen zugerufen. Genau ihnen, um die herum täglich Krieg herrschte, Gewalt und Unterdrückung durch die Römer. Selig, sie alle, die damals unter hohen Steuern und Inflation litten, unter Hungersnot und Seuchen. Selig seid ihr, die ihr Leid tragt und Frieden stiftet. Die ihr hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. Ihr sollt getröstet werden. Ihr werdet das Erdreich besitzen. Ihr werdet Gottes Kinder heißen. Und mehr noch: Jede und jeder von euch ist ein Lichtmensch. In dieser dunklen Zeit. Ihr seid Licht und ihr seid das Salz der Erde, so kostbar seid ihr! Das ist nicht nur eine Prise Anerkennung. Nein, das ist eine hemmungslose Liebeserklärung Jesu. Zumal Salz ja tatsächlich extrem kostbar war, und überdies in Mesopotamien damals für Weisheit und Reinheit stand. Ihr seid Salz und Licht. Unermessliches Zutrauen spricht daraus, dass wir die Welt mit viel Gutem würzen können. Als Salz und Licht und damit Energiespender! Denn kein Mensch kann existieren ohne Salz. Ohne Salz kein Kreislauf. Und ohne Licht keine heile Seele. Und keine Weisheit ohne Salz und Licht. Darum: Das Salz darf nicht unnütz, meint: dumm werden. Also raus mit all euren Erkenntnissen und Gaben, die etwas gut machen! Lasst eure Güte leuchten. Zeigen wir, öffentlich, was wir können, als Herzensmenschen, als weltoffene Stadt und auch als Kirche! Man zündet doch kein Licht an und stellt es unter den Scheffel, heißt: unter einen Eimer oder ein Getreide-Hohlmass. Nein, man stellt es in die Mitte, auf den Tisch des Hauses, so dass man´s noch kilometerweit strahlen sieht! Also: Rauf mit den klugen Erkenntnissen und Gaben auf den Leuchter, damit die Welt eine bessere, menschlichere wird. Ein Lichtspielhaus der Menschlichkeit. Auf dem Berge soll es stehen, damit es niemandem verborgen bleibt. Und jeder darum weiß, wie die Stadt Gottes zu sein hat!

„Den Hügel hinauf – The hill we climb“ – so heißt ein Gedicht der 25-jährigen schwarzen Poetin Amanda Gorman, das sich genau auf unser Evangelium bezieht. Bei der Einführung des amerikanischen Präsidenten, Joe Biden, am 20. Januar 2021 hat sie damit eine ganze Nation in den Bann gezogen. Noch zutiefst verstört von dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021, von dieser dumpfdummen Attacke auf die Demokratie, hörte die ganze Welt atemlos folgenden first famous words dieser zierlichen Frau zu:
„Ein neuer Tag, und wir fragen uns, wo wir Licht finden sollen,
im nicht enden wollenden Schatten. (...)
Wir haben tief in den Abgrund geblickt.
Wir haben gesehen, dass Ruhe nicht immer gleich Friede ist.
Irgendwie, gelitten und gelebt.
Eine Nation, die nicht zerbrochen ist, nur unvollendet.“

Ganz in der Tradition eines Martin Luther King führt Amanda Gorman uns mit „The hill we climb“ auf ihre Weise hinauf auf den Berg der aktuellen Seligpreisungen. Seht doch, sagt sie, dass wir dahin schon unterwegs sind, unterwegs zu einer Welt, in der schwarze Töchter alleinerziehender Mütter alles werden können, sogar Präsidentin. Unterwegs in eine Welt, die gerechter, freier und heller wird, wenn wir sie erleuchten mit unserer Fähigkeit zum Guten. Es war genau die richtige Rede zur richtigen Zeit. Ein leuchtendes Zeichen gegen Rassismus und Spaltung. Und für Zusammenhalt weltweit. Aber auch eine Energiewelle von Zuspruch und Vertrauen, von Hoffnung und Heilung – Licht und Salz eben.
Ihre Worte und unser Evangelium, sie bewegen mich sehr in diesen Sommertagen. In denen es der Sonne der Gerechtigkeit nicht recht gelingen mag, die Schatten zu durchbrechen. Wir alle wissen um die Krisen dieser Zeit, als dunkle Zeit empfinden sie tatsächlich viele. Mit Klima- und Hungersnöten, Waldbränden und Seuche, mit Krieg in Europa und gefährdeten Demokratien, ja auch hier bei uns. Mit Inflation und sozialen Spannungen und mit dem Gefühl, dass alte Gewissheiten nicht mehr gelten. Zuspruch und Zuversicht – so viele sehnen sich danach. Auch weil es an einem besonders fehlt: an Vertrauen. Vor allem zur Politik. Es hagelt denn auch Kritik herunter auf die Menschen, die Verantwortung übernommen haben. Und um eines klar zu sagen: Bei aller berechtigen Kritik, die ja allemal demokratiefördernd ist - es mischen sich zu viele Abfälligkeiten darunter, wüste Beschimpfungen und vernichtende Verbalattacken. Und wir fangen an, uns an diese Verrohung der Sprache zu gewöhnen. Da werden auf social media und mit zunehmend rechtsextremer Gesinnung Zweifel und Misstrauen gesät, wirr und demagogisch, kaum faktenbasiert und ohne jeden konstruktiven Lösungsansatz. Auch hier, liebe Geschwister, sind wir aufgefordert, Salz und Licht zu sein. Das Salz darf nicht dumm werden - und wir auch nicht. Licht und Salz – das ist ein Auftrag, der uns aufgibt, uns zu kümmern – und dies eben nicht zuvorderst um uns selbst. Um unserer Demokratie willen!

„So führt der Weg ins versprochene Licht, den Hügel hinauf, wenn wir uns trauen.“
So fährt Amanda Gorman fort. Und beendet ihr Poem so:
„Ein neuer Tag, wir treten heraus aus dem Schatten, entflammt, unerschrocken. (...)
Denn Licht ist immer,
wenn wir es nur in uns zu finden wagen.
Wenn wir uns zutrauen, es weiterzutragen.“
Ein neuer Tag, liebe Salz- und Licht- Geschwister, an dem wir es heute schon wagen möchten - und bitte stundenlang - nur hell und licht von uns denken! Und die wir dann, angestrahlt vom leuchtenden Angesicht des Höchsten, so langsam wieder vom Berg herunterkommen. In diese Welt mit ihren Montagen, Hügeln und Tälern, mit ihren Schwertern, die zu Pflugscharen werden mögen – in Scharen! In diese Welt mit ihren Dunkelheiten, aber auch den hellen Tischen, an denen das Brot geteilt wird und Achtung und Liebe. In diese Welt und unsere Stadt, mit ihren Straßen und Lichtspielhäusern – so dass nicht nur in dieser herzlichen Sonntagsgemeinde im hellen Michel Gottes Friede sei, höher als alle Vernunft. Er behüte alle unsere Weltgeschwister – und bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

 

Datum
30.07.2023
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
Veranstaltungen
Orte
  • Orte
  • Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Flensburg-St. Johannis
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Gertrud zu Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien zu Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Michael in Flensburg
    • Ev.-Luth. St. Nikolai-Kirchengemeinde Flensburg
    • Ev.-Luth. St. Petrigemeinde in Flensburg
  • Hamburg
    • Hauptkirche St. Jacobi
    • Hauptkirche St. Katharinen
    • Hauptkirche St. Michaelis
    • Hauptkirche St. Nikolai
    • Hauptkirche St. Petri
  • Greifswald
    • Ev. Bugenhagengemeinde Greifswald Wieck-Eldena
    • Ev. Christus-Kirchengemeinde Greifswald
    • Ev. Johannes-Kirchengemeinde Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Jacobi Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Marien Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Nikolai Greifswald
  • Kiel
  • Lübeck
    • Dom zu Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Aegidien zu Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Jakobi Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien in Lübeck
    • St. Petri zu Lübeck
  • Rostock
    • Ev.-Luth. Innenstadtgemeinde Rostock
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock Heiligen Geist
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock-Evershagen
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock-Lütten Klein
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Johannis Rostock
    • Ev.-Luth. Luther-St.-Andreas-Gemeinde Rostock
    • Kirche Warnemünde
  • Schleswig
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Schleswig
  • Schwerin
    • Ev.-Luth. Domgemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Berno Schwerin
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Nikolai Schwerin
    • Ev.-Luth. Petrusgemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Schloßkirchengemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Versöhnungskirchengemeinde Schwerin-Lankow

Personen und Institutionen finden

EKD Info-Service

0800 5040 602

Montag bis Freitag von 9-18 Uhr kostenlos erreichbar - außer an bundesweiten Feiertagen

Sexualisierte Gewalt

0800 0220099

Unabhängige Ansprechstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Nordkirche.
Montags 9-11 Uhr und mittwochs 15-17 Uhr. Mehr unter kirche-gegen-sexualisierte-gewalt.de

Telefonseelsorge

0800 1110 111

0800 1110 222

Kostenfrei, bundesweit, täglich, rund um die Uhr. Online telefonseelsorge.de

Zum Anfang der Seite