24. Dezember 2021 | 17 Uhr | Dom St. Nikolai/Greifswald

Predigt am Heiligen Abend

23. Dezember 2021 von Tilman Jeremias

Liebe Gemeinde,

ich habe in meiner Karriere als Gemeindepastor schon so manches Krippenspiel erlebt und auch selbst mit angeleitet. Und eigentlich jedes Mal habe ich eine Lieblingsszene in solchen Krippenspielen, egal wer spielt oder wie sie inszeniert sind. Diese Lieblingsszene ist der Moment, wo das erschöpfte Paar mit der hochschwangeren Maria nach langer Herbergssuche endlich aufgenommen wird.

Ja, es ist nur der Stall, wahrhaft eine Notunterkunft. Aber in jedem Krippenspiel, das ich bislang wahrnehmen konnte, begegnet den beiden ein freundlicher Gastgeber oder eine freundliche Gastgeberin, die ihnen die Tür öffnet und sie hineinbittet. Und dies nach bitteren anderen Erfahrungen, die je nach Inszenierung bedeuten, dass die werdenden Eltern schroff und harsch abgewiesen werden. „Wir sind voll! Hier ist kein Platz für euch!“

War diese Szene aus der Weihnachtserzählung des Lukas also immer schon ein wichtiger Moment für mich, so denke ich dieses Jahr besonders intensiv über diesen Aspekt von Weihnachten nach.

Denn die Erfahrung, die Maria und Josef zunächst machen müssen, entspricht Vielem aus unserem gegenwärtigen Corona- Alltag. Türen sind verschlossen, ganz buchstäblich, jetzt ja auch wieder von Kinos oder Museen. Der Weihnachtsmarkt musste seine Türen viel eher schließen als geplant. Andere Türen öffnen sich erst nach umfangreichen Kontrollen: 2G oder 2G+; Eintritt nur für Geimpfte oder Genesene, wie in Gaststätten. Da sind wir in der Kirche noch privilegiert- von uns wird „nur“ 3G verlangt, aber ich weiß von nicht wenigen Kolleginnen und Kollegen, denen es durchaus schwerfällt, ihre Gemeindemitglieder am Kircheneingang um ihre Zertifikate zu bitten.

Und auch in unseren Feiern zu Hause gibt es so manche Beschränkungen, wenn wir uns an die Regeln halten. Wohl jede Familie hat im Vorfeld darüber nachgedacht, wer nun dabei sein darf und wer nicht.

Eine ganze Gesellschaft scheint im Modus der abweisenden Herbergsleute zu sein: „Komm mir nur nicht zu nah! Bleib mir vom Leib! Such dir eine andere Bleibe!“

Noch kälter ums Herz wird mir, wenn ich an die Geflüchteten in den Wäldern an der Grenze von Belarus denke. Menschen, die von einem skrupellosen Diktator in diese unhaltbare Lage gebracht wurden, leiden und frieren. Aber auch eine Europäische Union sorgt dafür, dass die Geflüchteten nicht nach Polen oder Litauen gelangen. Humanitäre Hilfe ist kaum möglich im völlig abgeschotteten Grenzgebiet. Die Botschaft an die verzweifelten Menschen, die auf ein besseres Leben hoffen, ist klar: „Ihr seid hier nicht willkommen!“

Daher lechze ich in diesen Tagen geradezu nach Menschen, die wie der freundliche Gastgeber im Krippenspiel sind. „Komm rein, hier bist du willkommen. Wir achten hier aufeinander, du brauchst dich gesundheitlich nicht zu sorgen. Setz dich und trink erst einmal einen Kaffee.“ Das klingt so banal, ist aber momentan so wesentlich.

Wir hatten in den letzten Wochen auch innerhalb unserer Kirche wieder die Debatten rund um die Weihnachtsgottesdienste, besonders was den Gesundheitsschutz angeht. Mir ist der Gedanke immer wichtiger geworden: Unsere Türen als Kirche stehen weit offen für jede und jeden, wir sind gastfreundlich! Hier sind alle willkommen. Natürlich unter den gebotenen Hygienebedingungen. Aber bitte willkommen!

Alle, das heißt: Hier stehen die Türen auch Menschen offen, die über das Impfen anders denken als wir Kirchenleitende. Ja, die Kirche soll gerade jetzt ein Raum sein, wo alle zu Wort kommen können. Wo wir einander zuhören. Unsere Sorgen und Ängste teilen und uns gegenseitig auch unseren Zorn und unsere Unzufriedenheit zumuten. Wo wir gemeinsam nach den besten Wegen in dieser bedrängenden Zeit suchen.

In Zeiten, wo so viel Sprachlosigkeit herrscht, Risse mitten durch Familien gehen, sich Hass und Hetze besonders im Internet breit machen, soll hier erst einmal das gelten, was der freundliche Gastgeber im Krippenspiel sagt: Komm rein und nimm erst einmal Platz!

Die Weihnachtserzählung geht allerdings noch einen Schritt weiter. Die Herbergssuche steht nicht nur für das Abweisen von als lästig empfundenen Menschen. Nein, hier wird derjenige abgewiesen, den Gott als den Befreier auf die Welt sendet, um allen Menschen zu helfen. Das Johannesevangelium formuliert das so: „Gott kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Uns wird ein ernüchternder Spiegel vorgehalten: Der liebende Gott klopft bei dir an, will Einlass bei dir, und du stößt ihn hinaus wie ein unfreundlicher Gastwirt. „Alles voll, such weiter!“

Wie könnten wir das weihnachtlich besser machen? Gott steht ja nun nicht vor unseren Haustüren. Mir ist dafür immer besonders die letzte Strophe des wunderbaren Adventslieds „Macht hoch die Tür“ wichtig. Ausgehend vom Adventspsalm 24 geht es da ganz buchstäblich um die Tore des Tempels, die geöffnet werden, damit der König der Ehren einziehen kann. Wir stellen uns dabei eine Liturgie im Tempel des alten Israel vor. Die Priester singen diesen Psalm und öffnen dabei die Tempeltore, damit Gott festlich hineinziehen kann in den Tempel.

Und das Lied „Macht hoch die Tür“ macht nun aus den Toren des Tempels in Psalm 24 die Türen des Herzens daraus. Als hätte unser Herz eine Tür! Deswegen heißt es in der wunderbaren fünften Strophe dieses Liedes:

Komm, o mein Heiland Jesus Christ,
meins Herzens Tür dir offen ist.
Ach zieh mit deiner Gnaden ein,
dein Freundlichkeit auch uns erschein!
Dein Heil’ger Geist uns führ und leit,
den Weg zur ew’gen Seligkeit.
Dem Namen dein, o Herr,
sei ewig Preis und Ehr!

Das Herz weit machen, damit Gott darin einziehen kann! Das heißt für mich am Heiligen Abend zunächst einmal: Staunen über das Kind. Hier, im Stall von Bethlehem, liegt der Neugeborene, den Gott auf die Erde sendet, um allen Menschen Frieden zu bringen. Dieses Menschlein bringt die Liebe Gottes mitten rein in unsere durcheinander geratene Welt.

Wer sich offenen Herzens neben die Hirten kniet und über das neugeborene Kind staunt, kann eine Ahnung bekommen, wie Gott ist. Der erwachsene Jesus wird einmal sagen: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!“ Zu Jesus konnten sie alle kommen, da gab es keine verschlossenen Türen. Und er war da besonders für die, die viel zu schleppen hatten, die Kranken, Einsamen, Überforderten.

Weihnachten sagt: So ist Gott. Eine einzige offene Tür. Mach dein Herz weit und geh durch diese offene Tür!

Und wenn wir so weit sind, dann wird es notwendiger Weise auch geschehen, dass wir unsere Mitmenschen mit neuen Augen ansehen können. Dann können wir gar nicht mehr abweisende Gastgeber sein. Wenn wir zugelassen haben, dass das Kind unser Herz erfüllt, werden wir selbst zur freundlichen Gastgeberin, die alles ermöglicht, wenn jemand in Not vor der Tür steht, und sei es, dass sie den Stall zur Verfügung stellt.

Gegenwärtig sind so viele Türen zu. Auch Herzenstüren sind dicht, Herzen verhärtet von Zorn und Angst. Umso dringender brauchen wir jetzt weihnachtliche Menschen, die die Türen ihrer Häuser und ihrer Herzen öffnen. Damit Menschen Platz finden, die Herberge suchen, Halt und Trost. Und damit Gott einziehen kann durch unsere Herzenstüren.

Möge bei Ihnen Weihnachten werden als solch ein Tag der offenen Tür!                Amen.

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