Predigt am Pfingstsonntag
08. Juni 2025
Joh 14, 15-19.23b-27
Liebe Gemeinde,
Pfingsten. Dieses verrückte Fest.
Noch immer waren die, die Jesus geliebt hatten, vor den Kopf gestoßen von den Ereignissen. Sein Tod am Kreuz, die Leere dazwischen, seine Auferstehung. Und dann immer die bange Frage: Wie geht ein Leben ohne den leibhaftigen Jesus in ihrer Mitte. Ohne den, der Ankerpunkt ihres Lebens und ihrer Hoffnung war.
Und dann das. Ein Tag in Jerusalem. Dann dieses Brausen vom Himmel. Und sie kommen zusammen. In ihrer Unterschiedlichkeit. Parther, Meder, Elemiter, Kreter, Araber. Das Verrückte: Sie verstehen sich. Sie sprechen eine Sprache.
Auf einmal verstehen sie sich. Die, die doch so unterschiedlich sind. Die mit den verschiedenen kulturellen Hintergründen.
So, wie wir auch heute in unserer Gesellschaft zusammenleben mit Menschen, mit denen keine Gemeinsamkeit und vor allem – keine gemeinsame Sprache mehr gefunden werden kann. Die Fronten sind damals wie heute verhärtet.
Weil wir eben Menschen sind. Weil wir es brauchen, uns mit unseresgleichen zu umgeben. Mit denen, die dieselbe Zeitung lesen und dieselben Kulturveranstaltungen besuchen. Weil uns das Sicherheit gibt und vor allem: Selbstbestätigung. Mein Blick auf die Welt ist nicht nur richtig, sondern vielleicht sogar der einzig richtige.
Hier in Schleswig zeigt sich das Nebeneinander verschiedener kultureller Welten zum Beispiel jedes Jahr im Sommer. Wer sich zum Norden-Festival hier auf den Königswiesen aufmacht, mit tollem kulturellen Programm auch für Familien, der kommt mindestens aus der Mittelschicht. Wer draußen vor dem durch Zäune abgegrenzten Bereich sitzt und grillt und picknickt, der wäre dort fremd. Der geht dann lieber parallel zum kleinen Jahrmarkt mit den üblichen Fahrgeschäften oben auf dem Schützenplatz.
So ist es. Es macht eben einen Unterschied, in welche Familien und damit in welche gesellschaftliche Realität wir hineingeboren werden. Die Realitäten zu wechseln – das wissen die, die das geschafft haben – ist ein unendlich schwerer Weg.
Und nun. Pfingsten.
Feuerzungen. Ein Durcheinander.
Was für eine Vision hält Pfingsten für uns bereit! Wir verstehen uns. Alle. Und eben nicht nur die Worte, die Vokabeln und die Grammatik.
Wir verstehen. Jenseits von Subjekt, Prädikat, Objekt.
Wir verstehen tiefer.
Und hier kommen wir dann zu dem, was im Johannes-Evangelium mit dem etwas abgegriffenen Begriff Liebe tituliert wird.
Aber so ist es und anders ist es heute nicht zu machen, denn es ist Pfingsten. Das Fest einer sich entfesselnden Liebe. Einer Kraft, die sie überwältigt. Trunken von süßem Wein? Nein. Von Gott.
Und – hier wird es dann ja auch schon schwer.
Denn mit der Liebe können wir das nicht gut in der westlichen Hemisphäre. Das Thema scheint zu seicht, zu abgegriffen. Dabei schwingt es doch überall mit, ohne dass wir wirklich Worte dafür haben. Und es ist gar nicht mal so ohne, von ihr zu sprechen, ohne banal oder gefühlig zu werden.
Ohne Liebe aber geht es nicht. Genau das sagt uns Pfingsten.
Das wusste schon Jesus. Ohne Liebe geht nichts.
Eben weil die Grenzen zwischen mir und dir eigentlich klar abgesteckt sind. Manche schon von Geburt an. Weil wir mit Unterschiedlichkeit schlecht umgehen können. Weil ich lieber meine eigenen Maßstäbe an ein „gelingendes“ Leben auch an mein Gegenüber anlege und recht froh bin, wenn er oder sie an meinen Maßstäben scheitert. Und ich dann naturgemäß lieber über die urteile, die anders denken oder leben als ich, als zu versuchen, sie zu verstehen.
Das ist menschlich. Und genau deshalb geht es nicht ohne Liebe.
Ohne diese einzige Kraft, die wirklich in der Lage ist, diese Grenzen zu überwinden. Die Menschen zusammenführt, die NICHTS verbindet – nicht die Herkunft, nicht der soziale Hintergrund. Aber die sich gefunden haben. Die sich lieben. Und dies manchmal gegen große Widerstände in ihren Familien und Freundeskreisen.
Der Schriftsteller Bruno Latour ermutigt in seinem Buch „Jubilieren“ dazu, keine Scheu zu haben, die menschliche Liebe in Parallelität zu setzen zur Liebe zu Gott. Weil die Mechanismen ja eben dieselben sind.
Und somit kommt dann heute, am Pfingstfest, beides zusammen und ist nicht voneinander zu trennen. Unsere menschliche Fähigkeit, zu lieben, als wesentliches Element dieser göttlichen Geistkraft. Egal, in welche Richtungen.
Ansonsten ist dieses Pfingstwunder damals in Jerusalem nicht zu erklären. Ohne diese Empfindung, die ein Verstehen noch einmal auf einer ganz anderen Ebene als der rationalen ermöglicht.
Genau davon spricht das Johannesevangelium in dem Ausschnitt, den wir eben schon gehört haben. Ein Teil der Abschiedsreden Jesu an seine Jünger. Und vor allem anderen, was zu sagen ist, sagt Jesus eben diesen ersten Satz: „Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.“
Auf diesen ersten Satz möchte ich heute den Fokus legen.
Ohne Liebe geht es nicht. Ohne dieses Grundvertrauen, dass wir von Anfang an hineingeben in Beziehungen, in Themen, wird unser Leben hart und kalt.
Davon berichtet ja schön der 1. Korintherbrief mit diesem Text über Liebe, das in kaum einer Trauung fehlen darf. Zu Recht.
Ohne Liebe geht es nicht.
Das gilt auch für die brennenden gesellschaftlichen und politischen Themen. Hier bei uns im Norden, nah an der dänischen Grenze, denke ich da momentan vor allem an das Thema Migration. An die neue Politik der verschärften Grenzkontrollen zwischen Dänemark und Deutschland.
Die in Windeseile dazu geführt haben, dass Familien getrennt und unmissverständlich Gräben aufgemacht werden: ihr seid eben nicht alle gleich. Faktisch heißt das: Nicht alle dürfen die Grenze mehr passieren, die seit Jahren teilweise täglich aus beruflichen Gründen von hier nach dort fahren.
In einer Gesellschaft, in der nicht mehr auch auf Einzelfälle geschaut wird; in der es keine Barmherzigkeit mehr gibt, weil alle in dasselbe Raster gepresst werden, wird es rau.
Und die Frage ist, ob wir tatsächlich in so einer Gesellschaft leben wollen. Die, wir leben es ja in der Extremform schon in anderen Ländern dieser Erde, Studierende aus Universitäten abschieben. Nur, weil sie den falschen Pass haben. Die Menschen, die nichts verbrochen haben außer geflohen zu sein aus lebensbedrohlichen Verhältnissen, in Abschiebegefängnisse stecken.
Das Recht mag ihnen recht geben. Auch die Erkenntnis, dass unbegrenzte Zuwanderung für kein Land der Welt tragbar ist.
Aber die Liebe gibt ihnen nicht recht. So, wie es im 1. Korintherbrief heißt – hätte ich alle Erkenntnis, hätte ich alles Recht auf meiner Seite – und hätte die Liebe nicht. Wäre ich nichts.
Wenn nicht mehr die Menschlichkeit das letzte Wort hat und nur noch der – ja menschengemachte – Buchstabe des Gesetzes, dann müssen wir uns warm anziehen, liebe Menschen heute im Schleswiger Dom.
Deshalb: Heute, an Pfingsten, der Liebe das erste Wort geben. Und alles andere danach kommen lassen.
„Liebt ihr mich, so ergibt sich alles andere daraus.“ So schreibt es uns Jesus heute, an diesem Pfingstfest 2025, ins persönliche Lebensbuch.
Deshalb ist die Zumutung heute, sich mit diesem zu unfassbaren Thema Liebe zu beschäftigen.
Dabei wäre der andere Weg wahrhaftig einfacher, hätte Jesus es andersherum gesagt: „Wenn ihr meine Gebote haltet, dann ergibt sich die Liebe daraus schon von selbst.“ Und das wäre wahrhaftig der einfachere Weg. Ein moralisch einwandfreies Leben, eine lupenreine Weste vor dem Gesetz. Genau wissen, was richtig und was falsch ist. Und das mit der Liebe ergäbe sich von selbst.
So aber ist es nicht. Es ist genau andersherum.
Die Liebe steht an der ersten Stelle.
Aber das mit der Liebe – da würde ich, würde mir Jesus hier gegenüberstehen, gern mit ihm in ein Gespräch gehen. Das ungefähr so klingen würde:
„Jesus, du weißt doch, wie wir sind. Das mit der Liebe das kriegen wir nicht gut hin, wir Menschen. Wir können zum Mond fliegen, Krankheiten heilen. Aber nicht unser Herz so öffnen, dass wir voller Liebe sind. Immer und alle Zeit. Chat GPT löst unsere Alltagsprobleme, aber wie das mit dem Lieben geht, erklärt uns die Künstliche Intelligenz nicht.
Du weißt doch, wie grenzenlos liebesbedürftig wir sind.
Wie verletzlich, wenn es um die Liebe geht. Ums Lieben und vielmehr noch – ums Geliebtwerden.
Du weißt, wie dünn die Schutzhaut um unsere Seele ist, wie schnell sie einreißen kann, wenn jemand mit unserer Liebe spielt. Weil wir doch alle gebrannte Kinder sind. Mit vernarbten Seelen und enttäuschten Sehnsüchten im Herzen.
Du weißt doch, dass wir das mit der Liebe nicht gut können. Wenn wir uns mit diesen quälenden Nachtgedanken rumschlagen: Wurde ich genug geliebt? Von der Mutter, dem Vater? Hatten sie selber Kraft zu lieben, sich und mich? Mehr oder weniger als die Geschwister? Gab es Anzeichen? Gibt es sie jetzt, wo es ums Erbe geht und um das Ernten der Früchte eines gelebten Lebens?
Und wie häufig ist es noch da, das sechsjährige Ich, im sechzigjährigen Körper, und es schreit nach Liebe.
„Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote erfüllen…“
Ach, Jesus.
Das mit der Liebe.
Vielleicht ist es ja so. Würden wir das hinkriegen, alle miteinander. In der Liebe zu bleiben und dazu zu stehen, dass es Liebe braucht – vielleicht wäre dann alles besser.
Würden wir unsere Verletzlichkeit zeigen. Und nicht hinter Panzern der Abgeklärtheit verharren.
Jesus, du weißt doch, das mit der Liebe fällt uns schwer.“
Um die Sprengkraft der Liebe geht es jedoch ganz wesentlich an Pfingsten. Um diese revolutionäre Kraft, die selten vernünftig ist. Die Konventionen gegen den Strich bürstet. Der einzige Kitt, der den Spaltungen in unserer Gesellschaft etwas entgegenzusetzen hat. Liebe rechnet nicht auf, tritt nicht nach. Aus dieser Kraft des Heiligen Geistes schöpfen wir an Pfingsten neue Kraft.
Ich bin davon überzeugt, dass wir diese Kraft nötiger denn je brauchen. Weil unsere Welt keine von A bis Z durchgeplante Maschine ist, in der alle Rädchen seelenlos ineinandergreifen und perfekt funktionieren. Weil sonst nichts funktionieren kann. Nicht mit uns Menschen untereinander, nicht mit uns selbst, nicht mit Gott.
Deshalb hilft es nichts, wir haben mit der Liebe zu rechnen. Ihre Kraft einzupreisen. Gerade weil das Leben eben keine Gleichung ist, die nach mathematischen Gesichtspunkten fair aufgerechnet werden kann.
Liebe ist nicht vernünftig. Nie.
Ich denke an eine Familie, die sich dazu entschieden hat, ein Kind mit Behinderung zur Welt zu bringen. Sie sind permanent Fragen ausgesetzt, obwohl ihre Tochter jetzt schon 7 Jahre alt ist. Wieso tut ihr euch das an. Was bringt euch dieses Kind?
Diese Familie hat verstanden, was Liebe ist.
Liebe bringt nichts. Keinen Ertrag. Keine Dankbarkeit.
Liebe ist nicht vernünftig. Und das ist gut so.
Genau das ist ihre Kraft.
Diese Kraft ist nötig. Ohne Liebe kann es nicht funktionieren. Nicht mit uns Menschen miteinander. Nicht mit uns und nicht mit Gott.
Heute, an Pfingsten.
Das ist nicht neu. Überhaupt nicht. Es ist vielleicht das älteste und zugleich einzig wirklich ungelöste Thema der Menschheit – wie das geht, mit dem Lieben. Die Welt versucht sich seit tausenden von Jahren an der Liebe. Und immer wieder scheitern wir daran.
Weil es einfacher scheint, aufzurechnen. Geld zu zählen. Wieviel bekommt der eine, wieviel der andere. Und daran dann abmessen zu wollen, wie viel Liebe im Spiel ist.
Weil es unmöglich scheint, dass wir uns unserer Verletzlichkeit stellen und sie einpreisen.
Und die da in Jerusalem, die das Brausen vom Himmel hören und die Feuerzungen sehen. Die sich auf einmal verstehen, weil sie alle eine Sprache sprechen – die haben diese Erfahrung gemacht. Dass die Kraft der Liebe Gottes alle Grenzen und Gräben überwinden kann.
Diese Erfahrung war so mächtig, dass sie über fast 2000 Jahre lange weitergetragen hat. Bis heute. Und wir aus ihr leben dürfen und sollen.
Frohe Pfingsten!
Amen