19. Februar 2023 | St.-Johannis-Kirche zu Seester

Predigt am Sonntag Estomihi

19. Februar 2023 von Kirsten Fehrs

Predigt zu 1. Korinther 13, 1-13

1. Brief an die Korinther - Das Hohelied der Liebe
1 Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. 2 Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. 3 Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.
4 Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, 5 sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, 6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; 7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. 8 Die Liebe höret nimmer auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. 9 Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. 10 Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. 11 Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. 12 Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. 13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Liebe Gemeinde zu Seester,
und angesichts des Predigttextes sei das erste Wort besonders betont: Liebe Schwestern und Brüder zu Seester!


Heute hier bei Ihnen zu sein und zu erleben, wie Sie tatsächlich mit so viel Liebe Ihrer schönen Dorfkirche verbunden sind, als wunderbarer Chor, als zahlreich präsente Gemeinde, als Konfis und Kirchengemeinderät:innen, liebe Frau Kruse, das macht mich ehrlich dankbar. Sozusagen Herz und Herz vereint zusammen, gemeindlich, bischöflich, chorisch. Und es ist ja überhaupt nicht selbstverständlich, dass Sie Ihre Zeit und Kraft und Liebe der Gemeinde Seester schenken, tapfer und mit Leidenschaft. Damit nach wie vor Kinder gesegnet werden, Konfirmandinnen in ihrer ganzen Persönlichkeit einen Ort finden und Verliebte sich die Hand reichen. Damit die Trauernden wieder Hoffnung bekommen und das Dorf Gemeinschaft feiert. Das alles ist ja Liebesdienst – danke dafür. Und das ist mir wichtig zuallererst zu betonen, gerade weil derzeit so vieles im Umbruch ist und so unsicher. Und weil sich so viele von der Kirche abwenden oder schon lange nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen. Natürlich - hier auf dem Land, ist die Kirche ja noch im Dorf. Doch, wie schrieb schon 1962 das Hamburger Abendblatt: Die Menschen im Norden verstehen es meisterhaft, ihre Kirche zu schonen ...

Bei aller Liebe gerade Sie hier in der Seester Gemeinde haben in all den regionalen Strukturveränderungen erlebt: Es gibt schmerzhafte Einschnitte. Ein schönes Konfirmanden-Modell nicht mehr halten zu können, tut weh. Kaum noch hauptamtliches Personal vor Ort, sehr schwierig. So viele Kirchenaustritte jetzt in dieser Energiekrise, wie bedrückend. Und die Krise ist ja noch längst nicht vorbei. Wir sind eine Kirche mit Liebeskummer, denke ich manchmal. Handfesten Liebeskummer. Man erhält auf einmal keine Nachricht mehr von den Geliebten, keine Whatsapp. Man fühlt sich so in die Ecke gestellt, verlassen.
Tja, und dann sitzt man da und sehnt sich. Die Kirche will doch ihren geliebten Menschen ganz nahe sein. Doch sie verstehen einander wohl nicht mehr, sprechen nicht die gleiche Sprache. Dabei ist es doch gerade jetzt so wichtig, in dieser von Hass und Krieg verwundeten Welt von der Liebe zu sprechen. Inmitten der Krise davon, dass man einander halten kann. Bei allem, was Angst machen kann, braucht der Mensch gerade jetzt doch die Hoffnung, dass die Liebe bleibt! Und nicht geht.

Deshalb finde ich diesen Predigttext heute so sensationell. Vorgegeben, nicht von mir ausgesucht. Er ist das schönste Liebeslied aller Zeiten und spricht eben unverdrossen davon, dass die Liebe bleibt. Die Liebe Gottes, und der Menschen untereinander. Ja, sie ist sogar die größte, die Liebe. Der Mensch vergeht ohne dieses zärtliche Gefühl. Ohne die Nähe und die Berührung eines anderen. Und mal ehrlich: Wer erinnert nicht, wie sie das Herz beflügelt hat in der Jugend? Wie man Schmetterlinge im Bauch hatte und sich so sehnte nach der Liebe des Lebens? Und auch wenn man geheiratet hat und die Ehe schon ein bisschen in die Jahre gekommen ist, bleibt die Liebe – so hofft und glaubt man. Als tiefe innere Verbundenheit, als Gefühl, Heimat beieinander zu haben, ohne Wenn und Aber, tief gegründet und für immer – bis dass der Tod uns scheidet. Ist doch ohne Liebe im Leben alles nichts.

Und weil wir alle wissen, dass die Liebe von uns aus gar nicht so einfach ist zu halten ist, ja dass sie mit uns Stürme und Krisen, dass sie Trauer und Angst und Krankheit überstehen muss, ist der Segen so unerhört wichtig. Für junge Paare, aber auch für Eltern und Kinder. Segen, damit die Liebe hält und damit sie uns hält in guten und in schlechten Zeiten. Dazu muss sich die Liebe gar nicht groß aufblähen. Da reicht schon der zärtliche Kosename, das Streicheln der Hand, so runzlig sie ist, der Kuss beim Abschied am Morgen und man merkt doch: Liebe ist das A und O, ist Anfang und Ende. Aus lauter Liebe werden wir in diese Welt geboren und – so Gott will – mit liebevoller Geste werden wir die Erde auch wieder verlassen. Sie ist das Größte, was ein Mensch erleben und was er verschenken kann. So bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Die Liebe aber ist die größte unter ihnen, bestätigt Paulus. Weil sie anderen Pfaden folgt als denen der reinen Vernunft. Liebe ist ein Wunder. Keine Laune, sondern eine Schönheit der menschlichen Natur. Sie rührt ans Innerste und deshalb manchmal zu Tränen. Nicht weil sie sentimental wäre. Sondern weil sie ein tiefes, echtes Gefühl ist, das man nicht erzwingen kann. Liebe ist da oder nicht da. Sie ist wahr. Oder sie ist keine Liebe. Deshalb kann auch wahrer Glaube nicht auskommen ohne sie. Liebe überfällt einen unkontrolliert, auch wenn es gar nicht zu passen scheint. Ob alt zu jung, schräg zu gerade, gleich zu gleich: Liebe ist eine Macht, die macht, dass du lebst – lustvoll und energisch einem anderen Menschen zugewandt.

Und so meldet sich die Liebe dauernd zu Wort, 15 mal allein in unserem Text. Und überhaupt, kaum ein Film, ein Buch, ein Song, der nicht sie zum Thema hätte. Weil sie da ist. Oder weil sie leider gerade nicht da ist.

Hier nun setzt unser Predigttext einen klaren Akzent. Die Liebe höret niemals auf, heißt es. Natürlich ist Gott hier gemeint. Er, den man oft nur stückweise erfährt, manchmal nur erahnt wie hinter einem dunklen Spiegel. Den man nicht sieht, aber glaubt. Erhofft. Und ja, sagt der Text: Gott ist da. Als große Liebe in der Welt. Und die bleibt, unerschütterlich, klar. Doch – fünfzehnmal gesagt, tausendmal gehört, immer wieder besungen – erleben wir sie auch? Haben wir sie? Ist es nicht im Grunde ein sehr heikler Satz – nicht nur angesichts der Scheidungsraten: Die Liebe höret niemals auf? Wenn es doch auch dies gibt: Streit und Zorn. Ja, Gewalt. Kränkung. Krieg. Und auch Einsamkeit. Gleichgültigkeit im Alltag.

Mir fällt dazu eine Szene ein, aus einem der schönsten Liebesfilme: Der englische Patient. Da sieht man 1943 - mitten im 2. Weltkrieg - eine Krankenschwester gemeinsam mit einem Soldaten, der sie heimlich liebt, in einer verfallenen, dunklen Kirche stehen. Das Licht ihrer Fackel lässt erahnen, dass die Wände von oben bis unten voller wunderschöner Freskenmalerei sind. So gern möchte sie all diese Bilder sehen. Endlich wieder etwas Schönes sehen inmitten all der Kriegsnöte! Endlich wieder einmal Gott nah sein in diesem gottlosen Krieg. Ihre Sehnsucht rührt ihn. Kurzerhand knüpft er eine Schlinge in ein Seil, das wie eine Art Flaschenzug mitten im Raum hängt. So entsteht eine Schaukel, in die er sie behutsam setzt – und dann beginnt er mit aller Kraft, das Seil hochzuziehen, so dass sie beginnt durch den Raum zu schwingen, immer nah heran an die gemalten Wände. Bei jedem Schwingen erscheint ein neues Bild von Gottes Erbarmen. Sie schaut es an, schwingt zurück, entdeckt ein neues. Sie fängt an sich zu freuen, fängt an zu lachen. Plötzlich ist der dunkle Raum gefüllt mit bunten Bildern von Gott und den Menschen, mit Lachen, mit Verliebtsein und mit tiefem Frieden.

Das ruft das Hohelied der Liebe von Paulus auf: Die Liebe trägt dich durch die Zeiten. Dabei sind es Menschen, die uns etwas gelehrt haben von der Kostbarkeit der Liebe. Eltern, Großeltern. Der Partner. Das Enkelkind. Der verliebte Soldat. Sie haben uns etwas gelehrt vom Vertrauen in die Liebe, die niemals aufhört. Sie haben uns dies Vertrauen gelehrt, indem sie uns sanft in eine Schaukel gesetzt haben, die uns durch die Dunkelheit trägt. Damit in uns die Vielfalt aufscheint, mit der Gott uns geschaffen hat. Sie haben in uns zum Schwingen gebracht, dass es eine Kraft gibt, die bleibt, auch wenn wir sie nicht sehen können. Es sind Menschen, die uns gelehrt haben, zu streicheln, statt um uns zu schlagen. Zu ermutigen statt zu ängstigen. Sie haben Bilder in uns hinein gepflanzt, die uns barmherzig sein und hoffen lassen. Gott und Liebe, menschliche Liebe zwischen zweien, Geschwisterliebe, Gemeindeliebe, unsere Liebe und Gott gehören untrennbar zusammen, sagt Paulus dazu.

Und deshalb bleibt die Liebe… nicht nur als etwas Privates. Nicht nur etwas Intimes, das nur zwei etwas anginge. Sondern wahre Liebe gewährt Gastfreundschaft. Sie lädt Freunde ein und liebt die Gemeinschaft. Sie ist die größte Kraft auch unserer Kirche. Weil sie immer das Trennende sucht zu überwinden. Immer den Frieden denkt, statt den Sieg der Waffen. Gerade jetzt, auch in unserer so krisenerschütterten Gesellschaft. Und wenn man über Mauern springen und das Trennende überwinden will, damit sich etwas wandelt, auch in der Kirche, braucht es ein Herz, das man sich fasst. Damit man springt. Und einander die Liebe erklärt. Einfach einmal am Tag sagen: Ik hev di leev. Allem Liebeskummer zum Trotz. Der Dichter Robert Gernhard hat dies anhand zweier Igel wunderbar auf den Punkt gebracht:

Versonnen blickt der Borstenigel, ja fast bekümmert, auf die Hügel.
Auf Hügel und ins weite Land, wo er einst die Liebste fand.
Die aber ist seit siebzehn Stunden Ganz ohne Abschiedswort verschwunden.
„Wo bist du, Liebste“, ruft er laut. „Wo bist du spitzbenaste Braut?
Du, deren Borsten Stachelpracht Mich schier um den Verstand gebracht?
Du, deren holdes Tatzenpaar So zierlich wie kein zweites war?
Du, die du derart reizend quiektest, wenn du von mir ein Küsschen kriegtest?
Oh, lass mich hier nicht länger harren, sonst aber hör ich nicht ein Scharren?
Ein Schnaufen, das mir so vertraut? So schnauft nur eine – meine Braut!
Ach Liebste, bist du nicht ganz nah?“ Und hell ertönt die Antwort: „Ja!“
„Ich glaub, ich schlief ein wenig ein. Kannst du mir noch mal verzeihn?“
Und mild erfrischt der Abendwind Zwei Igel, die sehr glücklich sind.

Möge uns der barmherzige Gott in Liebe zusammen halten und ermutigen, neue Horizonte auszumessen. So dass wir ohne Furcht, aber mit Liebe im Herzen in die Welt gehen. Im Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen

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