Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigt am Sonntag Estomihi im Dom St. Blasii zu Braunschweig

19. Februar 2023 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigttext: 1. Kor 13,1-13

„Schöne Kostüme überall, wir feiern heute Karneval“ - in gut zwei Stunden wird unter diesem Motto der Karnevalszug hier durch die Innenstadt ziehen, bunte Kostüme, fröhliche Menschen, Musik und sicher auch viele Kamellen. Ich erinnere mich noch gut, wie viele Menschen der Braunschweiger Karneval anziehen kann und wie viel ausgelassene Feierlaune er hervorlocken kann. Sicher wird das in diesem Jahr, nach zwei Jahren Corona bedingter Pause, nicht viel anders sein. Denn viele sehnen sich nach unbekümmertem Feiern in großer Gemeinschaft, nach ausgelassenen Momenten, in denen die so drängenden Fragen und Herausforderungen unserer Zeit einmal nicht im Vordergrund stehen. Und genau da kommt die alte Karnevalstradition und die Begeisterung dafür ja auch her: bevor es in eine Zeit der Buße, des Fastens und der Besinnung auf das geht, was Leid und Tod im Leben bedeuten, noch einmal eine richtig große Sause, ein paar Tage lang. Vor dem langen Blick der Passionszeit auf Leid und Vergänglichkeit, vor der ihr folgenden grandiosen Auferstehungsbotschaft von Ostern, das neues Leben selbst den Tod besiegen wird, vor alledem sich in großer Feierlaune noch einmal rüsten für das, was uns täglich vor Augen steht: alles ist in Bewegung, alles verändert sich, nichts bleibt, wie es ist. Wie aber lässt sich jenseits der schönen Kostüme und Karnevalslaune alltäglich leben mit dieser keinesfalls leicht auszuhaltenden Einsicht? Wenn sich alles ändert und in Bewegung ist, was gibt dann Halt und Geborgenheit? Was bleibt?

„Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Es gibt wohl nur wenige Sätze der Bibel, die so bekannt sind wie dieser. Kinder werden unter diesen Worten getauft, Paare wählen sie als Trauspruch, und am Ende eines Lebens stehen sie oft als Trost und Halt inmitten von Trauer, Schmerz und Tod. Worte, in die man überglücklich einstimmen kann, an denen man sich voller Hoffnung festhalten kann. Auch Worte, denen man in Augenblicken der Verzweiflung vehement widersprechen mag. Und dennoch: diese Worte stehen da, bleibend, vergewissernd, wie ein Fels in der Brandung. Als Kraft und Hoffnung schenkende Worte. „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Unzählige Menschen haben sich diesen Worten und ihrem Trost anvertraut, vielleicht auch manche von uns, die wir heute Morgen hier sind. Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei: sie sind immer auch ein Zutrauen in die Zukunft. Denn diesen drei ist eines gemeinsam, so beschreibt es der Apostel Paulus: sie bleiben. Für Paulus sind sie sogar die einzigen Dinge, die bleiben über Jahre und Jahrtausende hinweg. Zuflucht schenkende Worte, an denen sich festhalten kann, wer Halt verliert. Worte auch, an denen man sich reiben kann in Zeiten des Zweifels und der Verzweiflung.

Denn die Rede von der verlässlichen Anwesenheit von Glaube, Hoffnung, Liebe wäre unvollständig, wenn zu ihr nicht auch das Erschrecken über ihre Abwesenheit gehörte. Wie weiter reden von der verlässlichen Präsenz von Glaube, Hoffnung und Liebe, wenn ein schreckliches Erdbeben unzählige Leben vernichtet und uns erschüttert bis ins Mark? Wie auf den dreistimmigen cantus firmus von Glaube, Hoffnung, Liebe trauen angesichts des unsäglichen Leides, das Menschen einander zufügen? Dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist von Christinnen und Christen ja auch deshalb immer wieder entgegenzutreten, weil er allen Grundprinzipien des Glaubens, der Hoffnung und insbesondere der Liebe fundamental widerspricht.

Weil sich die Liebe an der Wahrheit freut, nicht aber an der Ungerechtigkeit, deshalb erträgt sie auch nicht „alles“, glaubt sie nicht „alles“ und duldet sie auch nicht „alles“.

Der in der christlichen Tradition gern auch als „Hohelied der Liebe“ bezeichnete, so ermutigend schöne Lobgesang der Liebe, hat aber auch Schattenseiten. Schattenseiten, die sich besonders verbunden haben mit den Worten: „Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“

Oft sind diese Worte als Forderung missbraucht worden – als Forderung, um der Liebe nicht aufzumucken, nicht zu widersprechen, alles auszuhalten, alles zu erdulden, selbst dann, wenn es Gewalt und Leid waren. Und genau solchen Forderungen gilt es zu widersprechen, auch heute. Denn weil sich die Liebe an der Wahrheit freut, wie es ebenfalls im Hohelied der Liebe heißt, weil sich die Liebe an der Wahrheit freut, nicht aber an der Ungerechtigkeit, deshalb erträgt sie auch nicht „alles“, glaubt sie nicht „alles“ und duldet sie auch nicht „alles“. Sie ist die Liebe, die sich aus der Gegenwart des lebendigen Gottes speist. Mit ihr ergreift Gott Partei für die, die unterdrückt, erniedrigt, ausgebeutet, missbraucht werden.

Diese Liebe ist der Einspruch Gottes gegen alles, was Leid und Tod bringt. Sie ist nicht ein Gefühl oder eine Kraft des Menschen, sondern eine Kraft Gottes. Wir Menschen können sie nicht machen. Aber wir können sie als Geschenk empfangen, mit dem Gott alles Leben durchdringt, verwandelt und erhält.

„Die Liebe hört niemals auf.“

Diese Liebe, die niemals aufhört, ist keine menschliche Liebe. Denn unsere Liebe, und sei sie auch noch so groß, findet immer ihr Ende – ob wir das wollen oder nicht, ob wir das aushalten können oder daran zu zerbrechen meinen. Unsere menschliche Liebe ist endliche Liebe. Das macht sie menschlich – und deshalb vielleicht auch so kostbar, wenn wir sie – auf begrenzte Zeit – erleben dürfen.

„Die Liebe hört niemals auf.“ Die Liebe, die niemals aufhört, ist göttliche Liebe. Eine Macht, die unendlich ist, die die gesamte Welt umgibt. Diese göttliche Liebe ist es, die uns im Innersten ergreift, unsere Herzen erweicht, unsere Hände zum Handeln bringt – nicht der moralische Anspruch, doch gut zueinander zu sein.

„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“

Das Leben ändert sich, wenn man von der Macht der göttlichen Liebe ergriffen wird. Der Blick auf das Leben wird anders. Und auch der Blick auf sich selbst: „Ich werde erkennen, wie ich erkannt bin.“ Was auch immer diese Worte objektiv bedeuten mögen - entscheidend ist, welches Selbstverständnis sie uns eröffnen. Erkennen, wie ich erkannt bin, das bedeutet zu spüren, dass einer, dass Gott um uns weiß, so wie wir sind, wie wir wirklich sind. Und dass wir uns so nicht verstecken, nicht ängstigen, nicht fürchten müssen. Wer von der Liebe ergriffen ist, könnte das bedeuten, wer von der Liebe Gottes ergriffen ist, lässt die Furcht hinter sich. Die Furcht vor Erfahrungen, die die Liebe mit sich bringen kann. Die Furcht vor der Endlichkeit menschlicher Liebe. Die Furcht, nicht genügend geben zu können oder nicht genügend bieten zu können. Und wird frei, selbst aus der Liebe Gottes zu leben.

„Ich werde erkennen, wie ich erkannt bin.“  

„Die Liebe hört niemals auf.“ Die Liebe Gottes wird weiter fließen. Sie wird auch weiterhin dafür sorgen, dass Menschen einander zum Hoffnungszeichen werden. Sie wird auch weiterhin mit all ihrer Macht Menschen ergreifen und Angst, Hass und Gottvergessenheit aus ihnen vertreiben. Die Liebe Gottes ist die Kraft, die bleibt. Sie bleibt, selbst wenn wir Glauben und Hoffnung verlieren, sie bleibt selbst dann, wenn wir unser Leben verlieren oder das derjenigen, die wir lieben. Auch deshalb ist sie größte. Sichtbar geworden ist das im Lehren, im Leben und in Tod und Auferstehung Jesu Christi. In ihm erschließt sich Gottes Wesen: Leben schaffende Liebe, die alles, was ihr entgegensteht, nicht verleugnet, sondern sich gerade in ihnen als Liebe zeigt, die stärker ist als Hass und Tod.

Diese Liebe und der Frieden, die sie schenkt, sind das Ziel aller Geschichte. Damit über uns und unserer Welt am Ende nicht Kriegsgeschrei ertönt. Stattdessen aber Lobgesang, weil nicht mehr Hass und Gewalt uns beherrschen, sondern die Liebe Christi unsere Herzen regiert. Und wo diese Liebe uns ergreift, so hat es der Liedermacher Gerhard Schöne einmal gedichtet – da lässt sie, ob mit oder ohne Karneval, lachen unsern Mund, erhellt uns das Gesicht, küsst unser Herz gesund. Amen

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