Predigt im ARD-Fernsehgottesdienst
02. April 2010
Liebe Gemeinde! Wir hören die dramatische Geschichte von Verrat und Verleugnung, Gewalt und Feigheit: unfassbar, was da geschieht.
Bestialisch ist das, was der Herr zu erleiden hat. Und es ist nicht nur das Geschick des einzelnen Menschen Jesus. Wer das Leiden und Sterben Jesu mit wachen Sinnen verfolgt, der nimmt nicht nur teil an einem dramatischen Geschehen von einst, sondern der weiß, dass Jesu Geschichte nicht zu Ende ist, sondern sich wiederholt: Gewaltkreuze, Folterkreuze werden aufgestellt – überall.
Darum hat der Chor eben gesungen aus der Bachschen Johannespassion: „Jesu, blicke mich auch an, // Wenn ich nicht will büßen; // Wenn ich Böses hab getan, // Rühre mein Gewissen!“ Der Hahnenschrei ist es, der wie Petrus damals mein Gewissen trifft. Ihn höre ich in dem Drama von Tod und Erlösung, das sich da abspielt. Jesus sehe ich auf seinem Weg zum Kreuz – zum Ort des Todes und der Versöhnung zugleich. Jesus, der mich anblickt. Jesus, der mich ruft und fragt – was ist mit dir?
Heute höre ich in dieser Kirche diesen Schrei des Hahns, die Schreie Jesu und aller Gewaltopfer. Ich höre sie hier in Flensburg. Diese offene und freundliche Stadt an der Förde oben im Norden an der Grenze zu Dänemark. Eines der alten Stadttore ist erhalten geblieben. Am Nordertor ist seit gut 400 Jahren neben dem Stadtwappen eine Mahnung, ein Hahnenschrei in Stein gehauen: „Friede ernährt / Unfriede verzehrt“ ist da zu lesen. „Friede ernährt // Unfriede verzehrt“ – eine Erfahrung von Generationen, die durch das Nordertor zogen: vergesst das nicht, wenn ihr in Stadt und Land unterwegs seid! Auch Flensburg hat leidvolle Erfahrungen gemacht in der Geschichte Schleswig-Holsteins und Dänemarks und natürlich auch ganz Deutschlands: Unfriede verzehrt. Der Unfriede der Welt. Die Ungerechtigkeit zwischen Reich und Arm. Und zugleich: Friede ernährt – das ist eine zentrale Gewissheit dieser Stadt, ihrer Kulturen, ihrer Bildung und ihres sozialen Engagements. Das Kreuz erinnert an den, der sich verzehren lässt vom Unfrieden, damit Friede ernährt!
II. Teil (bei den Gebetskerzen)
Hier zünden Menschen eine Kerze an zum Gebet. Und in diesem Gebetbuch lese ich: „Lieber Herr! Ich danke dir, dass ich so eine liebe und zutrauliche Mutter habe. Kannst du mir einen Gefallen tun und versuchen, meine Eltern wieder zusammen zu bringen. Denn ich bin sehr doll traurig und kann mich nicht beruhigen. Ich habe es an manchen Tagen einfach nicht mehr ausgehalten und habe meine Sachen gepackt und wollte einfach fort.“ So schreibt hier ein neunjähriges Mädchen.
Wo immer Du jetzt bist, die du dies geschrieben hast: Du hast erfahren: Unfriede verzehrt. Aber hier ist ein Ort für das, was heraus muss aus dir, deine Verzweiflung, deine Trauer, aber auch dein Dank. Bei Jesu Kreuz hast du alles abgelegt, weil du darauf vertraust: Der ans Kreuz gegangen ist, trägt mit, was dein Leben schwer macht. Und er sagt: Nichts muss bleiben, wie es ist. Nicht für 9-jährige und auch für 90-jährige. Jeder Mensch trägt sein Kreuz mit sich herum, die je eigene Lebenslast, zuweilen schwer wie Blei. Die Füße können nicht mehr gehen, die Augen haben ihren Glanz verloren, die Seele ist verfinstert und der aufrechte Gang ist dahin. Die Zukunft ist verdunkelt. Jeder Mensch braucht eine Klagemauer – und hier ist so eine – mitten in der Stadt. „Friede ernährt // Unfriede verzehrt“ – ich bin sicher, mit dieser Lebensweisheit in Kopf und Herz ist auch Jesus durch die Lande gezogen – wenn er auch nie durch´s Flensburger Nordertor kam. Aber durch das Stadttor Jerusalems – auf einem Esel, dem Armeleute-Tier. So ist Jesu Tod am Kreuz die Folge seines Lebens auf der Straße: sich selbst aufopfernd, predigend, helfend und heilend unterwegs. Er ist es, der angefangen hat, aufzuhören, immer neu Gewalt auf Gewalt zu türmen. Sondern: Wieder zusammenbringen – Eltern, Feinde, Völker – das war und ist Jesu Mission – vor Karfreitag, an Karfreitag und nach Karfreitag. „Gott, ich habe die Liebe vergessen“, heißt ein Hilferuf in diesem Buch. Das Kreuz bringt die Erinnerung zurück an den, der die Liebe nicht vergisst!
III. Teil (Kanzel)
„Jesus neigte das Haupt und verschied.“
Liebe Schwestern und Brüder! Das letzte Wort hat nicht das letzte Wort. Der Glaube folgt dem Kreuz Jesu, und er gibt sich nicht zufrieden mit der Gewalt. Seit Jesu Tod und Auferstehung gewinnt die Vision Kraft von einer Wirklichkeit jenseits aller Gewalt: die Würde jedes Menschen ist unantastbar. Das Kreuz ist ein Gegenentwurf zum Terror, ein Gegenentwurf auch zu aller Kreuzzug-Politik. Jesus hat angefangen, aufzuhören damit. Darum: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“
Nein, der Tod hat nicht das letzte Wort! Dieses Vertrauen trägt mich durchs Leben und darum will ich immer wieder neu singen wie eben: „Ich will hier bei dir stehen, // verachte mich doch nicht; // von dir will ich nicht gehen, wenn dir dein Herze bricht.“ Ja, ich will sein und bleiben an der Seite Jesu. Weiter begleiten will ich Jesus, weil ich weiter und neu leben will mit ihm! Denn er hat unter uns allen aufgerichtet das Wort von der Versöhnung zwischen Gott und Welt. Wir Christenmenschen wissen: Jesus Christus ist der Friede, der Schalom. Der, der die Sünder besucht. Der, der die Fremden aufnimmt. Der, der anfängt, aufzuhören mit dem Wegsehen und Vertuschen von Gewalttaten an Menschen. Der uns hinsehen heißt auf die Opfer schlimmen Missbrauchs an Leib und Seele – gerade da, wo Menschen vertrauen – in Familien, Schulen und Kirchen.
Und Jesus ist der, der die Friedenstifter selig preist – hier im Lande und überall sonst. „Unfriede verzehrt“. Lasst euch versöhnen mit Gott: fangt an, aufzuhören mit der Gewalt, die auch unschuldige Zivilisten bedroht. Lasst uns nicht nachlassen, den Frieden vorzubereiten mit den Kindern in Schulen und Kindertagesstätten hier und überall in der Welt, damit sie den Krieg nicht mehr lernen. Wenn es zum Beispiel stimmt, dass unsere Freiheit auch am Hindukusch verteidigt wird – dann muss dieser Satz auch anders herum gelten: die Freiheit der Menschen dort wird auch bei uns verteidigt. Ob Friede ernährt, hängt auch daran, dass wir sehen auf die Kreuze der Welt, dass wir Fremde beheimaten, dass wir Respekt erweisen den Kulturen und dass wir aufhören, jene zu bewaffnen, die einander in Unfrieden verzehren!
„Friede ernährt // Unfriede verzehrt“. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, ernähre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.