18. April 2025 | St. Petri-Dom zu Schleswig

Predigt im Karfreitagsgottesdienst

19. April 2025 von Nora Steen

Predigt zu Joh 18, 28 – 19,5

Sehet! Welch ein Mensch! Jerusalem ist in Aufruhr.

Wer ist der, der da erhobenen Hauptes seinem Tod entgegengeht? Der da hin und hergeschoben wird im Zuständigkeitsdschungel. Soll er nun gekreuzigt werden oder nicht? Und wer ist bereit, hier Verantwortung zu übernehmen? Wer ist der, der eine Gruppe aufgescheuchter Vertrauter bei sich hat? Die ihm ewige Verbundenheit zugesichert haben. Aber einer von ihnen hatte ihn verleugnet, an diesem Morgen. Dreimal. Als es noch dunkel war. Bevor der Hahn am Morgen krähte.

Sehet! Welch ein Mensch!

Als König in die Welt gekommen. Geboren als Kind Heimatloser in einer windigen Baracke. Ein König, der auf einem Esel reitet.

In die Welt gekommen, um nach eigener Aussage nichts weniger als die Wahrheit zu bezeugen.

DIE Wahrheit. Großes Wort. Heute nahezu verpönt, so zu sprechen. „Die“ Wahrheit – wer kann so anmaßend sein und behaupten, sie zu kennen? Haben wir nicht alle unsere eigenen Wahrheiten, unsere Blasen, Resonanzräume, Milieus?

Heute geht es doch um deine Wahrheit und meine Wahrheit. Und im besten Fall darum, dass wir uns nicht ins Gehege kommen. Es geht um Perspektiven und Kontexte. Um „alternative Fakten“ oder die Behauptung, wir würden in einer „post-truth-Ära“ leben. Wirklichkeiten werden inszeniert, Wahrheiten postuliert. Wer nicht mitmachen mag, ist draußen.

Und hier ist dieser, der sagt: Ich bezeuge die Wahrheit. An anderer Stelle im Johannesevangelium sagt Jesus noch deutlicher: Ich BIN die Wahrheit.

Also hier keine Relativierung – deine Wahrheit, meine Wahrheit – sondern eine klare Aussage.

„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“

Es ist eine Wahrheit, die tatsächlich vermessen ist, zu postulieren: Jesus IST der Gottessohn. In DIESEM Menschen zeigt sich die unermessliche, uneingeschränkte Liebe Gottes zu uns allen. Im Tod dieses Menschen, des Gottessohnes, zeigt sich die Einzigartigkeit dieser Liebe, die gerade in der tiefsten Not, in der dunkelsten Stunde und in der abgründigsten Verzweiflung ihre Stärke erweist. Und das seit diesem Tag auf dem Berg Golgatha jeden Tag neu. Für alle von uns. Bis heute.

Und das ist das Besondere, das Einzigartige im Christentum: Der Gott der Christen ist ein Gott, der mit aushält. Der hinsieht. Der nicht oben im Himmelsthron auf meine guten Taten wartet, sondern ganz unten bei mir mein eigenes Versagen, meine Schmerzen mit aushält.

Sehet! Welch ein Mensch!

Und Jesus geht seinen Weg aufrecht. Sie, die Hohenpriester, die Pharisäer, die Knechte und Mägde, die Juden, die auf Recht und Ordnung Pochenden, verhöhnen ihn. Ein König, der keine Macht hat. Lächerlich. Sie setzen ihm eine Dornkrone auf den Kopf, hängen ihm einen Purpurmantel um. Sehet, welch ein Mensch!

Er trägt sein Kreuz selbst. Durch die Stadt, den Berg hinauf. Un-menschlich.

Und die Leute schauen sich das Schauspiel an. Sehet! Einer, der zu hochgestapelt hat. Der das System durcheinandergebracht hat. Der immer diejenigen gesehen hat, die am Rand standen. Die Tagelöhner, die an Leib oder Seele Kranken, die Sterbenden. Die Ausgestoßen. Der bekommt jetzt, was er verdient. Schmach und Schande. Ein König? Sie lachen.

Aber er – er weiß, wozu er lebt und liebt. Geboren und in die Welt gekommen, um die Wahrheit zu bezeugen.

Und er geht aufrecht, bis ans Kreuz und bis zum letzten Atemzug. Weil nun erfüllt ist, wofür er gelebt hat. So werden wir es nachher in der Lesung aus dem Johannesevangelium hören: „Und er neigte sein Haupt, und verschied.“

 

Was tun mit diesem Tag. In dieser Zeit. Verordnete Trauer, wie Kritiker meinen? Nein. Ich bin davon überzeugt: Es hat einen tiefen Wert an sich, dass wir heute, am Karfreitag, den Weg Jesu mit unserem Herzen mitgehen. Dass wir uns der Brutalität dieser Geschichte, der nicht schönzuredenden Schwäche des Gottessohnes aussetzen. Sie mit aushalten.

Und, wenn wir die Kraft dazu haben, das Kreuz eine kurze Wegstrecke mittragen. Auf dem Weg nach Golgatha. Für den, der für uns diesen Weg geht.

Dass wir uns heute ein Stückweit der Härte dieser Leidensgeschichte aussetzen und uns selbst mit hineinnehmen. Mit unseren eigenen Leidensgeschichten. Mit den zu schweren Kreuzen, die manche von uns zu tragen haben. Mit den Verletzungen und Kränkungen, die sich in unsere Seele eingebrannt haben.

In dieser Zeit, in der so leicht meine gegen deine Wahrheit gestellt wird und kein Diskurs mehr möglich ist, ist gerade der Karfreitag ein realistischer Feiertag. Weil wir uns heute ohne rosarote Brille dem Leben so stellen können, wie es ist. Ungeschönt.

Denn genau von dort, von dieser Kreuzeserfahrung her, können wir unsere innere Stärke nehmen. Sind wir gestärkt und getragen. Wer vom Kreuz her lebt, darf mutig sein. Immer. Weil uns nichts, gar nichts, trennen kann von der unverbrüchlichen Liebe Gottes.

 

Was haben wir also als Christinnen und Christen, die vom Kreuz her leben, einzutragen?

Aus meiner Sicht sind es zwei Dinge:

1.

Wir können hinsehen, wenn etwas Zerbrochen ist. Wir können aussprechen, was nicht stimmt. Wir mischen uns ein und ducken uns nicht weg, wenn Unrecht geschieht.
Und wir gehen aufrecht unsere Wege. Ohne Angst. So, wie die ersten Christen aufrecht gegangen sind, und ihnen war abzuspüren: die sind getragen von einer Hoffnung, die sie schützt und stärkt – noch im Tod.
Es braucht ja gerade jetzt jene, die Widerspruch wagen gegen die etablierten Systeme, die aussprechen, was gesagt werde muss. So, wie Jesus Pilatus auf die Frage: Bist du ein König? Entgegnet. Ich bin ein König.
Sogar in der höchsten existentiellen Not, als wortwörtlich seine Stunde geschlagen hat, ist er souverän. Er schreit nicht, er schlägt nicht um sich. Er schaut Pilatus, er schaut den Juden und all den anderen offen ins Gesicht. Und das ist es, was wahrscheinlich am meisten Angst macht: Wenn da jemand ist, der keine Angst hat. Er sagt: Ja, ich bin, was ihr sagt. Und er nimmt sein Kreuz. Trägt es. Und geht den Weg in seinen Tod.

2.

Wir können ausharren und mit aushalten. Es braucht die, die wie die Frauen am Kreuz ausharren, als viele schon verschämt weggegangen sind. Weil sie doch nicht mit diesem offensichtlichen Versager Jesus in Verbindung gebracht werden wollen.

Es braucht die, die bleiben. Ich nenne sie die stillen Heldinnen und Helden auch unserer Zeit. Die an den Krankenbetten wachen. Die Trauer mit aushalten und Verzweiflung. Die nicht weggehen, auch wenn es keine Hoffnung mehr gibt. Wenn es sich „nicht lohnt“, in einen Menschen noch mehr zu investieren an Kraft und Zeit. Dann sind sie die, die bleiben. Wie die Frauen unter dem Kreuz, die den langen und elenden Tod Jesu begleiten und nicht weggehen, bis er seinen letzten Atemzug macht.

Es braucht sie beide, vom Kreuz herkommend: Es braucht die Leisen, die dableiben und hinhören, wenn die meisten die Flucht ergreifen. Und es braucht die Lauten, die ihre Stimme erheben, wenn es nötig ist.

 

Es braucht uns alle. In dieser Zeit. Es braucht uns als aufrechte Menschen, die mutig sind. Und die mutig sein können, weil uns jemand voraus gegangen ist. Aufrecht und klar, und der das Kreuz auch für uns schon immer mitträgt.

Amen

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