Predigt im Ordinationsgottesdienst am 15. März 2009 im St. Petri-Dom zu Schleswig
15. März 2009
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder! „Lass die Toten ihre Toten begraben! Du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!“ -- „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ Zwei harte Gebote Jesu, die sperrig mir entgegen kommen.
Nicht nur, weil es darum geht, dass wir miteinander in diesem Gottesdienst neue Pastorinnen und Pastoren unserer Kirche ordinieren und also Menschen senden, damit sie verkündigen die gute Botschaft des anbrechenden Reiches Gottes für alles Volk.
Die lange Zeit des Studiums, die Anforderungen, die wir als Kirche an sie gestellt haben im Vikariat, der Stress mit allen Prüfungen und Bewerbungsverfahren… Und jetzt, da sie es geschafft haben – endlich hin bis zur Ordination und hinein ins Pfarramt diese radikalen Worte Jesu. Ein Assessment ganz eigentlicher Art, oder?
Gerade die so ausgebildeten und ausgesuchten Menschen sollen nun möglicherweise nicht geschickt sein für das Reich Gottes? Nicht geschickt sein für das Reich Gottes, weil sie und wir an so einem Tag eben doch gern zurück sehen auf den Weg, der hinter ihnen liegt, eben doch zurück sehen auf diejenigen, die sie zurücklassen an den Orten des Studiums, an den Orten des Vikariats. Eben doch zurücksehen auf die Menschen, die sie in den letzten Wochen an den Orten zurückgelassen haben, von denen sie weggezogen sind hin in die Gemeinden, in denen sie jetzt ihren Dienst tun. Ohne Abschied sollen sie gehen? Über Jahre gewachsene Beziehungen zu Menschen und Orten sollen sie begraben? Ist das wirklich nötig, um ganz frei und völlig losgelöst zu sein für die Verkündigung des Reiches Gottes an dem Ort, wo sie nun gelandet sind, gesandt zu predigen den Gemeinden?
Eigentlich hätte ich mir gewünscht, diesen Text zu meiner Ordination nicht hören zu müssen, sagte eine von Ihnen während der Ordinationsrüstzeit im Haus am Schüberg. Eigentlich wünsche ich mir Ermutigung. Und dazu gehört der Blick zurück: woher komme ich; wer und was hat mich geprägt – befördert oder gehindert…?
Die Christenheit ist in diesen Wochen mit Jesus Christus unterwegs hinauf nach Jerusalem. Jesus begleiten auf dem Weg hinauf in die Stadt, hinein in den Garten Gethsemane, hinauf auf den Berg Golgatha – hin zum Kreuz. Wir gehen den Leidensweg Jesu nach. Und beim Evangelisten Lukas stehen diese harten jesuanischen Provokationen am Anfang seines Berichts über diesen Weg Jesu.
Jeder und jede von uns geht diesen Weg nicht einfach von sich aus, sondern wir gehen mit Jesus als Menschen, die von Christus selbst gerufen worden sind. ER hat uns gerufen, ihm zu folgen und in unserem Leben und Sterben auf sein Wort zu vertrauen. Nicht das ordinierte Amt ist allein unterwegs – Gott sei Dank nicht. Allen getauften Christenmenschen ist dieser Weg zugemutet:
Als Jesus und seine Jünger auf dem Weg nach Jerusalem waren, sprach jemand zu ihm: „Ich will dir folgen, wohin du gehst!“ Und Jesus sprach zu ihm: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber ich, der Menschensohn, hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“ Und Jesus sprach zu einem andern: „Folge mir nach!“ Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.“ Aber Jesus sprach zu ihm: „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!“Und ein dritter sprach: „Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Hause sind.“ Jesus aber sprach zu ihm: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“
In dieser Szene blitzt zunächst die befremdliche, die dunkle, die schmerzvolle Seite der Passion Jesu auf: Da ist der erste, der bietet sich Jesus als neuer Freund und Leidensgefährte an: „Ich will dir folgen, wohin du gehst!“ so ruft er in seiner Begeisterung Jesus zu. Aber Jesus weist ihn schroff zurück mit dem Hinweis darauf, dass dieser Weg hinauf nach Jerusalem nicht als ein fröhlicher Wochenendausflug zu haben ist. Nein, so wird ihm offenbar in aller Kürze klar gemacht: Hier geht es nicht um deinen spontanen Entschluss. Überleg dir das gut! Das Herumziehen mit dem Wanderprediger Jesus von Nazareth war bisher nicht leicht für alle, die dabei waren – und es wird auch in der Zukunft eine ernste Sache sein. Der Weg geht hinauf nach Jerusalem – hin zum Kreuz! Und das bedeutet: Anfeindung, Verfolgung, Tod... Jesus ist da ehrlich: Er gaukelt den Seinen nichts vor. Er wirbt seine Jünger nicht dadurch an, dass er die Wahrheit verschleiert. Nein, die Nachfolge Jesu ist kein Kinderspiel!
Ich denke dabei in diesen Tagen an die Christinnen und Christen in der BATAK-Kirche auf Sumatra in Indonesien. Diese Kirche ist vor 175 Jahren aus der Mission hervorgegangen, die ihren Anfang mit Pastor Ingwer Nommensen von Nordstrand aus genommen hatte. Und so hatte die BATAK-Kirche vor Monaten u. a. auch mich eingeladen zu dem lange geplanten Jubiläums-Fest in einem Stadion auf Sumatra mit erwarteten 60 000 Christenmenschen. In der vergangenen Woche hat die indonesische Regierung uns wissen lassen, dass die Sicherheit dieser christlichen Veranstaltung nicht gewährleistet werden könne. Es drohten Unruhen in dem riesigen muslimisch geprägten Land, kurz vor den anstehenden Wahlen. Als Konsequenz dieser Nachricht der Sicherheitsbehörden, musste die Batak-Kirche alle Feiern erst einmal verschieben und allen ausländischen Gästen raten, lieber zuhause zu bleiben. - Ja, das Wagnis Jesus nachzufolgen und den eigenen christlichen Glauben zu bekennen vor Gott und den Menschen, das ist kein Kinderspiel. Unsere Schwestern und Brüder in der Ökumene bekommen das zuweilen hautnah zu spüren.
Und wenn auch wir hier in einer grundsätzlich anderen Situation unseren Glauben leben können: unangefochten, akzeptiert – so wird es auch für Sie Situationen geben, in denen Ihre Entscheidung gefragt ist. In denen Sie alle Ausgewogenheit und falsche Harmonie werden fahren lassen müssen, weil ein Wort von Ihnen gefragt ist, das die Geister scheidet. Weil Sie Partei zu ergreifen haben werden mit Menschen. Sie werden erfahren: Nachfolge führt auch in Abgrenzung. Nicht nur Ja, ja. Auch: Nein! Sie werden erfahren: das Wort Gottes ist ein scharfes Schwert. Und dann werden Sie froh sein über die Radikalität Jesu, die die eigene schützt!
Und was ist mit den anderen beiden Menschen in der Jesus-Erzählung? Beide ruft Jesus zu sich: „Folge mir nach! – Komm mit mir!“ Und beide haben, menschlich gesprochen, gute Gründe zu zögern, weil sie vorher offenbar noch etwas ihnen sehr Wichtiges zu erledigen haben. Alle guten Gründe von Sitte und Anstand haben sie auf ihrer Seite: Gehört es sich denn etwa nicht, dass wir die Toten begraben, bevor wir die Heimat verlassen? Gehört es sich denn etwa nicht, dass wir uns von unserer Familie verabschieden, bevor wir in die Fremde ziehen? Wer kann es denn schon wissen: Vielleicht ist die Nachfolge Jesu ein Aufbruch mit unvorhersehbaren Folgen.
Aber auch so: es gibt Situationen im eigenen Leben, in denen das Alte, das Vertraute, das Gewohnte, das Übliche und allseits Akzeptierte tatsächlich lähmt und behindert den Aufbruch in die Zukunft! Das sind dann Situationen der Schwelle und des Übergangs - so wie jetzt – da brauchen wir es, dass da einer von außen sagt: Geh jetzt! Mach dich auf! Sieh zu, dass du Land gewinnst! Ich traue dir das zu! Solche Aufbrüche sind doch auch unverzichtbar – in der eigenen Biographie und auch in der Biographie einer Evangelischen Kirche, die eben nicht in erster Linie dazu da ist, Traditionen und Konventionen als solche zu konservieren. Sondern, die selbstverständlich darauf verwiesen ist, unbedingt festzuhalten an dem Schatz der ihr anvertraut ist, nämlich am Schatz der Predigt des Evangeliums. Diesen reichen und wertvollen Schatz haben wir aber auch heute nicht anders als damals schon der Apostel Paulus zu seiner Zeit – nämlich in irdenen Gefäßen – und das heißt in Gefäßen, die sich in Form und Größe, in Material und Ausdruck wandeln und verschieden sind. Das eben macht gerade den Reichtum einer Evangelischen Kirche aus – eine Kirche, die von und mit ihrer Vielfalt lebt und so lebendig bleibt auch in Zeitläuften des schnellen Wandels um uns herum.
Sie sind berufen, das Evangelium zu predigen in Wort und Tat, in Predigt, Seelsorge und Diakonie. Das erwarten wir von Ihnen – aber genau das trauen wir Ihnen auch zu! Suchen Sie ihren eigenen Weg als Pastorin und als Pastor, finden Sie ihren eigenen Stil, nutzen Sie ihre eigenen Stärken, schauen Sie aber auch auf das, was Sie selbst als Ihre Schwächen ansehen mögen.
Der Beruf des Pastors oder der Pastorin ist ein wunderbarer Beruf. Einer, der voller Chancen und voller Freiheit steckt. Einer, der seine Kraft bezieht nicht aus dem Endlichen, sondern aus dem Unendlichen. Nicht nur aus dem, was ist, sondern aus dem, was kommen wird. Sie werden aber jeder Menge Erwartungen begegnen, die Sie binden wollen. Fromm sollen Sie sein, aber nicht so doll. Verändern sollen Sie alles, aber man mag es doch am liebsten so, wie es schon immer war. Einmischen sollen Sie sich in öffentliche Angelegenheiten, aber raushalten sollen Sie sich schon. Immer bei den Menschen sollen Sie sein, aber immer erreichbar zu Hause.
Keiner und keine von Ihnen wird all´ die unterschiedlichen Erwartungen erfüllen können, die auf Sie einstürmen werden und die Sie selbst in sich tragen.
Da ist es wie eine Befreiung, wenn Jesus sagt: Folge mir nach; blick nicht zurück. Verkündige das Reich Gottes. Das ist die Zusage, das Evangelium, das heute Ihnen zugerufen und ins Lebensbuch geschrieben ist: niemandem und nichts bist Du verantwortlich als diesem Herrn allein. Er ist es, der dich ruft. Er ist es, der dir verheißt, bei dir zu sein. Er ist es, der dich binden will, damit du frei bist, frei den Mund auftun kannst für die Schwachen; frei, die Hände zu rühren für die Rechtlosen; frei, die Ohren aufzusperren für die Ratlosen. Frei, alles stehen- und liegen zu lassen, wenn so entsetzliches Leid über die Menschen kommt, wie in diesen Tagen, als ein Jugendlicher Amok lief und 15 Menschen mit in den Tod nahm und Familien ent – setzt und zerstört zurückließ. Dann ist nur noch Zeit für den Trost Gottes, der das Leben will. Dann muss dort gegen die Trauer und an anderen Orten gegen tödliche Erinnerung die Erinnerung an die Zukunft Gottes gesetzt werden. Und dann ist nur noch Raum für die Liebe zu denen, denen das Liebste genommen wurde.
Dafür sind wir da, gerufen, herausgerufen!Wir sollen und dürfen loslassen, was uns hält und bindet. Damit wir frei sind, weiterzusagen, was wir empfangen haben: folge mir nach. Der, der dich ruft, führt dich nicht in die Irre. Er leitet dich zu gutem Leben.
Und nichts anderes haben wir als Pastoren und Pastorinnen zu tun, als zu verkündigen das Reich. Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen immer wieder gelingt, diese klar umschriebene Rolle anzunehmen, anzulegen und sie mit Ihrem Leben zu füllen.
Geben Sie sich hinein in die Rolle, die Ihnen nun gegeben ist, spielen Sie mit Glaubenszuversicht und mit handwerklichem Können– und mit Humor! – ihre Rolle im Stück. Und denken Sie immer an zwei Dinge: Sie als Pastor oder Pastorin sind nicht Autoren des Stücks, das da zur Aufführung kommt! Das ist Gott selbst – und in ihm Jesus Christus als der Herr der Kirche! Und – mit Blick auf das so genannte Publikum denken Sie daran: Gepfiffen wird immer!
Der, der Regie führt in seinem Stück und der uns lenkt und leitet, der wird auch sorgen, dass unsere Füße gehen können, wohin er mit uns will. Der wird mit uns sein.
Wo wir miteinander beten und das Gerechte tun unter den Menschen, da sind wir geschickt für das Reich. Darum: gehet hin und verkündigt das Reich! Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als all´ unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne – unseren Leib und unsere Seele – in Christus Jesus. Amen.